Eine Rezension von Eugen Zentner.
Der Jurist Alexander Christ hat in den letzten zwei Jahren viel erlebt. Seit Beginn der Corona-Politik kritisiert er die Einschränkungen der Grundrechte und den Umgang mit Menschen, die dagegen protestieren oder die Maßnahmen für unverhältnismäßig halten. Christ hat Demonstrationen betreut, sich mit Kollegen ausgetauscht und viele Verfahren geführt, um schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass der Rechtsstaat ins Wanken geraten ist. Allenthalben herrsche Unrecht, vor allem im juristischen Bereich, lautet seine These, die er in seinem neuen Buch «Corona-Staat» aufstellt: Die neue Situation habe endgültig beendet, „was uns zivilisatorisch wert und teuer war und was man als vernunftgesteuerten Erkenntnisprozess dem «Regierungsnarrativ», der Staatsräson, entspricht. Was wir aktuell erleben, ist nicht mehr und nicht weniger als das Ende einer kulturellen Tradition.“
Das sind harte Worte. Aber Christ kann sie untermauern. Seine Ausführungen changieren zwischen philosophischer Reflexion und Erfahrungsbericht, in dem der Jurist an praktischen Beispielen argumentativ zeigt, inwiefern Unrecht geschieht. Zur Sprache kommen so einflussreiche politische Entscheidungen wie die Bundesnotbremse, die einrichtungsbezogene Nachweispflicht oder bekannte Urteile, die in der Öffentlichkeit für Kontroversen sorgten. Einen großen Raum nimmt die Auseinandersetzungen mit dem ein, was Christ als einen „Paradigmenwechsel“ bezeichnet: die Zuweisung der Befugnisse an das Bundesministerium für Gesundheit. „Noch niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik“, schreibt er, „hatte ein einzelnes Ministerium so weitreichende Befugnisse erhalten wie nun das Haus des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU)“. Verankert wurden sie gleich zu Beginn in dem §5 Infektionsschutzgesetz, womit dem Gesetzgeber, so Christ, der Start in die Pandemie misslungen sei. Der Jurist sieht in der Vorschrift einen verfassungsrechtlichen Verstoß, weil sie sich weder auf ein Notstandsrecht stützen konnte noch auf Notstandsregelungen aus dem Kontext des Grundgesetzes.
Als verfassungswidrig bezeichnet er auch die vielen Bund-Länder-Konferenzen. In diesem Zuge sei ein Gremium entstanden, das das Grundgesetz nicht vorsieht. Und dennoch habe es darüber beschlossen, unter welchen Bedingungen die Bundesbürger fortan leben sollten. Ein nicht weniger vernichtendes Zeugnis stellt Christ der gesamten deutschen Corona-Gesetzgebung aus. Unter Rückgriff auf den französischen Rechtsgelehrten Bertrand Mathieu wirft er ihr vor, überwiegend „Wegwerfrecht“ produziert zu haben. Dieses zeichne sich dadurch aus, dass es „nach einmaligem Gebrauch entwertet scheint, das aber durch diese eigentliche Unbrauchbarkeit selbst wiederum zu einer Entwertung des Rechts überhaupt führt“.
Dieses Phänomen veranschaulicht der Autor anhand der vielen Bundes- und Landesverordnungen, die sich bis heute schneller ändern, als die Laien lesen können. Selbst er als Jurist habe irgendwann den Überblick verloren, in welchem Bundesland nun welche Regelungen für Schüler, Eltern und Lehrer aktuell galten. Problematisch sei nicht nur die große Anzahl der Verordnungen, sondern auch ihre Unverständlichkeit. Da die Regeln oftmals sehr vage bleiben, komme es häufig nicht zu einer finalen Durchsetzung. An anderer Stelle würden sie aber besonders strikt verfochten. Aus diesem ungleichgewichtigen Zustand, so Christ, erwachse neue Instabilität und Verunsicherung.
Auf diese Weise beleuchtet der Jurist die Corona-Krise aus der Perspektive des Rechts und veranschaulicht die Schieflage, in die der deutsche Staat geraten ist. Die Bruchstellen lassen sich in sämtlichen Bereichen feststellen, wie der Autor detailliert ausbreitet. Er zeigt sie im Zivil- wie Strafrecht, im Arbeits- wie Verfassungsrecht. Er geht auf vermeintliche Ordnungswidrigkeiten ein und skizziert skurrile Verfahren, die Behörden vor allem gegen Maßnahmen-Kritiker eingeleitet haben. Als prominentes Beispiel führt er den Arzt Bodo Schiffmann auf, dem viermal ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen wurde, außerdem zweimal das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse sowie Volksverhetzung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes. Bizarrer als diese Anschuldigungen mutet nur ein Behördenbrief an, den der Arzt aus Sinsheim erhalten haben solle. Das Schreiben wimmelt nur so von Diffamierungen und Kampfbegriffen, lässt aber jegliche Belege für die Vorwürfe vermissen. Indem Christ diesen Brief im Originalwortlaut zitiert, vermittelt er einen eindrucksvollen Eindruck davon, wie die staatlichen Behörden mit Maßnahmenkritikern umgehen.
Bevor der Autor auf die praktische Rechtsprechung und Gesetzgebung während der Corona-Krise eingeht, setzt er sich analytisch mit Begriffen wie Gerechtigkeit, Freiheit oder Moral auseinander, betrachtet ihr Spannungsverhältnis und bedient sich einiger Denkfiguren aus den Arbeiten so großer Namen wie Hannah Arendt oder Immanuel Kant. Es wirkt geradezu kontemplativ, wie leichtfüßig Christ durch dieses theoretische Terrain gleitet und dabei die Rechtsbegriffe so mit Leben füllt, dass ihre Bedeutung im Hinblick auf die gegenwärtige Situation sofort verständlich wird.
Den Höhepunkt seiner Ausführungen bildet die Auseinandersetzung mit Ernst Fraenkels Modell des «Doppelstaates», das sich gut dafür nutzen lässt, die Rechtsprechung und Gesetzgebung während der Corona-Krise zu erklären. Dem Konzept nach stehen ein Normenstaat und ein Maßnahmenstaat nebeneinander. Diese zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidenden Sektoren, so die These, machen sich in Staatswesen bemerkbar, die sich im Ausnahmezustand befinden. Der eine stellt einen rechtlich-normierten Bereich dar, der andere einen politischen. Im Letzteren fehlen die Normen und herrschen die Maßnahmen. Fraenkel erklärte das so: „Im politischen Sektor dient, was immer als ‚Recht‘ bezeichnet werden mag, ausschließlich dem Zweck, die politischen Ziele des Regimes zu fördern.“ Die Gerichte würden dann zu Organen, die dem politischen Sektor nicht widersprechen wollen, sondern dessen Handeln weitestgehend absichern.
Laut Christ ist der gegenwärtige Ausnahmezustand, die «Epidemische Lage von nationaler Tragweite», der Ausgangspunkt für den modernen Maßnahmenstaat. Und immer, schrieb schon Fraenkel, wenn dieser die Zuständigkeit nicht an sich zieht, darf der Normenstaat herrschen. Seine Grenzen würden ihm nicht von außen gesetzt, er setze sich diese selbst. Wie das während Corona-Krise in der Praxis aussah, veranschaulicht Christ schließlich am Beispiel des Robert Koch-Instituts, einer Bundesbehörde. Dieses erklärte sich eigenmächtig dafür zuständig, die Dauer des Genesenenstatus nach einer Infektion festzulegen. Hier liegen die Ursprünge des Corona-Unrechts, angesichts dessen der Autor in seinem Buch fragt, wie es „aufgearbeitet, aufgeklärt, juristisch verfolgt und in der Zukunft verhindert werden kann“. Eine vollumfängliche Antwort liefert er zwar nicht, ermutigt die Leser jedoch, ausgehend von den Praxisbeispielen ein Gespräch mit dem eigenen Gewissen zu führen und den inneren Kompass zu kalibrieren.
Hier der Link zum Buch: https://www.buchkomplizen.de/corona-staat-oxid.html
+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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