Schrödingers Drohnen: Motorblock in Polens Acker wird zum casus belli?
Wir sollten uns weniger fragen, ob „Geranien“ in Polen flogen, sondern warum Europa bereit ist, aus jedem Trümmerteil eine Kriegserzählung zu zimmern. Wer Frieden will, darf nicht auf Motorblöcke starren, sondern muss politische Motive entlarven. Alles andere ist nur Propaganda auf Steroiden.
Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.
In der Nacht vom 9. auf den 10. September geschah in Polen angeblich das Unvorstellbare: Russische „Geran“-Drohnen seien 50 Kilometer tief in den polnischen Luftraum eingedrungen, vier Flughäfen wurden geschlossen, F-16 stiegen auf, die Territorialverteidigung mobilisiert (1). Premierminister Donald Tusk sprach von einer „großangelegten Provokation“ (2). NATO-Falken schrien „Kriegsakt“. Und die Medien jubelten Schlagzeilen in die Welt, als hätte sich die Rote Armee in Warschau eingenistet (3). Doch je genauer man hinsieht, desto dünner wird die Story. Beweise? Fehlanzeige. Offizielle Bilanz: von angeblich 19 Drohnen nur drei abgeschossen. Und was man uns als „Beweisfoto“ zeigt, sieht verdächtig nach einem Zweitaktmotor aus der Hobbywerkstatt aus (4). Das charakteristische Knattern dieser „Geranien“ müsste halbe Landkreise aus dem Schlaf gerissen haben – doch es gibt keine Videos, keine Tonaufnahmen, nicht einmal wackelige Handy-Clips. Schrödingers Drohnen: Sie sind da und doch nicht da, abgeschossen und doch ohne Trümmer, Panikgrund und zugleich „kein Grund zur Sorge“, wie Tusk beschwichtigend nachschob (5).
Das erinnert an 1939. Damals war es der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz, heute sind es Motorenteile auf einem polnischen Maisfeld (6). Gleiwitz markierte den Auftakt eines Weltkriegs, heute sucht man verzweifelt nach einem neuen casus belli, um die NATO in den Ukraine-Konflikt zu ziehen. Für Warschau ist der Vorfall ein Geschenk. Seit Monaten steht die Regierung unter Druck: Inflation, Streit mit der Opposition, wachsende Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung. Nun aber kann man innenpolitisch durchregieren. Notfallrat um 8 Uhr, Reservisten binnen sechs Stunden einberufen, Ausgangsbeschränkungen in Lublin und Podlachien, Sicherheitsgesetze verschärfen – alles unter dem Vorwand nationaler Bedrohung (7). Außenpolitisch zieht Warschau die NATO-Karte. Noch in der Nacht kündigte Tusk an, Artikel 4 des Nordatlantikvertrages konsultieren zu wollen (8). Artikel 4 ist die kleine Schwester von Artikel 5: kein automatischer Bündnisfall, aber ein politisches Signal. „Wir fühlen uns bedroht, also muss die Allianz beraten.“ (9)(10)
Auch in Berlin sprang sofort die große Bühne an. Im Bundestag überboten sich die Fraktionen heute mit Solidaritätsrhetorik. SPD und Grüne versicherten, „Polen steht nicht allein“. Die FDP schwärmte von „unserem gemeinsamen Sicherheitsraum“. Die CDU forderte härtere Sanktionen (11). SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese erklärte, „Jeder Angriff auf die Sicherheit unseres östlichen Nachbarn ist ein Angriff auf die Stabilität Europas“ (11). Die grüne Sicherheitspolitikerin Sara Nanni sprach von einem „ungeheuerlichen Vorgang“ und forderte eine abgestimmte Reaktion von NATO und EU (26). Anders die Töne von der Opposition: AfD-Mann Rüdiger Lucassen sprach von einem „kontrollierten Hineinziehen Deutschlands in einen Krieg, den die Menschen in unserem Land mehrheitlich ablehnen“ (11). Die Linken-Abgeordnete Lea Reisner warnte vor einer Eskalation und nannte das Eindringen „einen gefährlichen Bruch des Völkerrechts“ (27). Der CDU-Politiker Johann Wadephul verlangte hingegen „Konsequenz und Härte“ gegenüber Russland und kritisierte, dass Solidaritätsbekundungen nicht ausreichten (28). Dieser Schlagabtausch verdeutlichte, wie gespalten die deutsche Politik mittlerweile ist – zwischen unbedingtem Schulterschluss mit Warschau und Washington und wachsender Sorge, dass Deutschland in einen Krieg hineingleitet, den niemand offen beschlossen hat. Die Wahrheit ist: Für den Westen kommt dieses Spektakel wie gerufen. Seit Monaten stagniert die ukrainische Front, die Begeisterung im Westen lässt nach, und die Rüstungsindustrie braucht neue Aufträge. Also wird jeder Motorblock im Acker zum Signal einer „neuen Eskalationsstufe“ (12).
Warschau tauscht sich mit Minsk im Hintergrund aus
Offiziell meldete Moskau, dass Ziele auf polnischem Gebiet im Rahmen des Angriffs auf ukrainische Rüstungsindustrie gar nicht vorgesehen gewesen seien und die Drohnen eine maximale Reichweite von 700 km hätten, ein Grenzübertritt also fraglich (13). Zugleich bot das russische Verteidigungsministerium Konsultationen mit Warschau an. Der russische Geschäftsträger in Polen erklärte zudem, die Drohnen seien von ukrainischer Seite eingeflogen (14). In Moskau amüsierte man sich über den Theaterdonner des Westens, während Tusk offiziell nur 3 von 19 Drohnen bestätigt sah, obwohl die Berichte in den Medien stündlich zulegten (15). Militärisch war das Geschehen keineswegs außergewöhnlich: AWACS- und Langstreckenaufklärerflüge – G-550, E-3A, Saab 340 – sind tägliche Routine (16). Auch Fälle „verirrter“ Drohnen gab es zuvor schon, ohne dass die Politik daraus ein Medienspektakel machte. Offenbar brauchte man einen Vorwand – ein zweitklassiges Spektakel genügt. Für den kollektiven Westen wird das zum Casus Belli light: Forderungen nach Friedenstruppen, neue Sanktionen, zusätzliche Finanzhilfe (17). NATO-Generalsekretär Mark Rutte versprach eine vollständige Bewertung – doch politisch war die Eskalation bereits in vollem Gang (18).
Parallel verdichtete sich der Eindruck einer inszenierten Eskalation: Polen berief eine Sondersitzung ein, schoss erstmals Drohnen auf polnischem Boden ab, mobilisierte Reservisten, schloss vier Flughäfen, darunter Chopin und Rzeszów (19). Die Ukraine selbst war unter Beschuss: Explosionen in Winnyzja, Lwiw, Schytomyr, Odessa, Wolhynien – Luftabwehr taut, Zivilbevölkerung als Kulisse, um Polen propagandistisch tiefer in den Konflikt zu ziehen (20). Auch Belarus meldete sich: Generalmajor Pawel Murawjko erklärte, Drohnenpflegekräfte hätten einige Drohnen über Belarus zerstört und standen im Luftlagenaustausch mit Polen und Litauen; Polen sei sogar über ukrainische Drohnenbewegungen informiert worden (21). Mit anderen Worten: Während Warschau öffentlich den NATO-Falle heraufbeschwor, tauschte man hinter den Kulissen Daten mit Minsk – was die Reaktion erst ermöglichte.
Selbst technisch wirkt diese Geschichte absurd: Gezeigt wird ein Zweitaktmotor – so laut, dass er jede Kuhherde aufscheucht (22). Russische Militärdrohnen arbeiten wesentlich raffinierter. Wenn wirklich „enorme“ Mengen geflogen wären, dann müsste es Fotos, Trümmer, Radarspuren geben – bislang: Nichts. So steht man vor Schrödingers Drohnen: viele – und doch kaum belegbar; abgeschossen – und doch ohne Trümmer; brandgefährlich – und doch „kein Grund zur Panik“ (23). Die Provokation liegt nicht im Brummen eines Zweitakters, sondern in der Geschwindigkeit, mit der NATO-Staaten daraus Politik machen. Aus einem Motorblock wird ein Kriegsgrund, aus einem Phantom ein Bündnisfall, aus einem nächtlichen Vorfall eine Bundestagsdebatte.
Ein Lehrstück in politischer Psychologie: Krieg beginnt nicht mit Bomben, sondern mit Geschichten. 1939 war es Gleiwitz – 2025 ist es Rzeszów? Wer nach Beweisen fragt, ist schon verdächtig (24).
Quellen und Anmerkungen:
(4) https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/poland-downs-drones-after-its-airspace-is-violated-2025-09-10/; https://apnews.com/article/russia-ukraine-war-poland-drones-1232774279039f9e5c5b78bd58686cb9
(5) https://apnews.com/article/russia-ukraine-war-poland-drones-1232774279039f9e5c5b78bd58686cb9
(6) https://www.reuters.com/world/europe/poland-is-its-closest-open-conflict-since-world-war-two-pm-says-2025-09-10/; https://en.wikipedia.org/wiki/September_2025_Russian_drone_incursion_into_Poland
(8) https://www.reuters.com/world/europe/poland-is-its-closest-open-conflict-since-world-war-two-pm-says-2025-09-10/; https://www.washingtonpost.com/world/2025/09/10/poland-russia-ukraine-drone-article-4-nato/; https://www.theguardian.com/world/2025/sep/10/poland-shoots-down-drones-over-its-territory-amid-russian-attack-on-ukraine-says-military
(10) https://www.washingtonpost.com/world/2025/09/10/poland-russia-ukraine-drone-article-4-nato/; https://www.reuters.com/world/europe/poland-is-its-closest-open-conflict-since-world-war-two-pm-says-2025-09-10/
(11) www.youtube.com/watch?v=I2pC_FTxmA8
(12) Eigene Interpretation
(15) https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/poland-downs-drones-after-its-airspace-is-violated-2025-09-10/; https://www.theguardian.com/world/2025/sep/10/poland-shoots-down-drones-over-its-territory-amid-russian-attack-on-ukraine-says-military
(16) https://theaviationist.com/2025/09/10/russian-drones-shot-down-poland/; https://en.wikipedia.org/wiki/September_2025_Russian_drone_incursion_into_Poland
(17) https://www.theguardian.com/world/2025/sep/10/poland-shoots-down-drones-over-its-territory-amid-russian-attack-on-ukraine-says-military; https://www.washingtonpost.com/world/2025/09/10/poland-russia-ukraine-drone-article-4-nato/
(18) https://www.washingtonpost.com/world/2025/09/10/poland-russia-ukraine-drone-article-4-nato/
(19) https://www.aljazeera.com/news/2025/9/10/poland-downs-drones-during-airspace-intrusion-as-russia-strikes-ukraine; https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/poland-downs-drones-after-its-airspace-is-violated-2025-09-10/
(20) https://apnews.com/article/russia-ukraine-war-poland-drones-1232774279039f9e5c5b78bd58686cb9; https://en.wikipedia.org/wiki/September_2025_Russian_drone_incursion_into_Poland
(21) Eigene Recherche
(22) Eigene Interpretation
(23) Eigene Interpretation
(24) Schlussvergleich Gleiwitz–Rzeszów – historische Einordnung, siehe (6).
(26) https://www.tixio.de/989817-empoerung-bei-gruenen-und-linken-ueber-drohnen-vorfall-in-polen.html
(27) https://www.tixio.de/989817-empoerung-bei-gruenen-und-linken-ueber-drohnen-vorfall-in-polen.html
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: alter verrosteter Motor
Bildquelle: J.J. Gouin / shutterstock
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