Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Douglas Rushkoff (62), ist ein US-amerikanischer Autor, Dozent, Kolumnist und Musiker. Er hat zahlreiche Fachbücher und Romane zu Themen der Netzkultur, Open Source und zur Cyberpunk-Bewegung geschrieben. Rushkoff war auch als Berater für die United Nations Commission on World Culture und die Sony Corporation tätig. Unter den Reichen dieser Welt findet sein Wort Gehör. Aber wer sind diese Reichen? Hören wir, was er vor kurzem unter ihnen erlebt hat:
„Im vergangenen Jahr erhielt ich eine Einladung auf ein Super-Luxus-Anwesen, um vor, wie ich dachte, gut hundert Investmentbanker/innen einen Vortrag zu halten. Es war das mit Abstand höchste Honorar, das man mir je für eine Rede geboten hatte – etwa die Hälfte meines Jahresgehalts als Professor. Nach meinem Eintreffen führte man mich in einen sogenannten Green Room. Doch statt mich mit einem Mikrophon zu verkabeln oder auf eine Bühne zu führen, saß ich bloß an einem runden Tisch, und man brachte mein Publikum zu mir: fünf superreiche Burschen – ja, alles Männer – aus der Oberliga der Hedgefonds-Welt. Nach etwas Smalltalk merkte ich, dass sie sich nicht für die Informationen über die Zukunft der Technologie interessierten, die ich vorbereitet hatte. Sie waren mit eigenen Fragen gekommen.
Sie fingen ganz harmlos an. Ethereum oder Bitcoin? Sind Quantenprozessoren etwas Reales? Langsam, aber sicher tasteten sie sich zu den Themen vor, die sie wirklich interessierten. Welche Region wird von der kommenden Klimakrise weniger betroffen sein: Neuseeland oder Alaska? Baut Google tatsächlich eine Bleibe für Ray Kurzweils Gehirn, und wird sein Bewusstsein den Übergang durchleben oder wird es sterben und als ein völlig Neues wiedergeboren werden? Schließlich erzählte der CEO einer Börsenmaklerfirma, dass er sich ein unterirdisches Bunkersystem baue, das bald fertig sei, und er fragte: »Wie behalte ich nach dem Ereignis die Autorität über meine Sicherheitskräfte?« DAS EREIGNIS. Das war ihre beschönigende Bezeichnung für den Umweltkollaps, für soziale Unruhen, eine Atombombendetonation, unaufhaltsame Viren, oder einen Hackerangriff auf ihre Systeme.
Diese Frage beschäftigte sie die ganze nächste Stunde. Ihnen war klar, dass sie bewaffnete Wachleute brauchen würden, die ihre Anwesen vor dem wütenden Mob schützten. Aber wie sollten sie diese Wachen bezahlen, wenn Geld wertlos war? Was würde die Wachleute davon abhalten, ihre eigenen Anführer zu wählen? Meine Milliardäre überlegten, die Nahrungsvorräte mit speziellen Schlössern zu sichern, deren Zahlenkombination nur sie kannten. Oder die Wachen als Gegenleistung für ihr Überleben mit irgendeiner Art von disziplinierendem Halsband auszustatten. Oder Roboter zu bauen, die als Wächterinnen und Arbeiterinnen dienten – falls sich diese Technologie rechtzeitig entwickeln ließe.
Spätestens jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: diese Herren waren auf der Flucht! Nach dem Vorbild von Elon Musk, der den Mars besiedeln will, oder Peter Thiel, der den Alterungsprozess umkehren will, oder Sam Altman und Ray Kurzweil, die Supercomputer mit ihrem Verstand ausstatten wollen, bereiteten sie sich auf eine digitale Zukunft vor, die weitaus weniger damit zu tun hatte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, als vielmehr damit, das menschliche Dasein hinter sich zu lassen und sich gegen die sehr reale und gegenwärtige Gefahr durch Klimawandel, steigenden Meeresspiegel, Massenmigration, globale Pandemien, nativistische Panik und erschöpfte Ressourcen abzuschirmen. Für sie geht es bei der Zukunft der Technologie im Grunde nur um eins: zu entkommen.
Als die Hedgefondsmanager mich nach der effektivsten Möglichkeit fragten, wie man nach dem EREIGNIS die Autorität über ihre Sicherheitskräfte behalten könne, antwortete ich ihnen, am besten wäre es, sie würden diese Leute schon jetzt gut behandeln. Sie sollten mit ihren Sicherheitskräften umgehen, als gehörten sie zu ihrer eigenen Familie. Und je stärker sie dieses Ethos der Inklusivität auf ihre übrigen Geschäftspraktiken, auf ihr Versorgungskettenmanagement, ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen und die Verteilung des Wohlstands ausweiten könnten, umso geringer werde die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches EREIGNIS überhaupt eintrete. All diese technologische Hexerei ließe sich schon jetzt für weniger romantische, aber durchweg kollektivere Interessen einsetzen.
Mein Optimismus amüsierte sie, aber sie kauften ihn mir nicht ab. Sie waren nicht daran interessiert, eine Katastrophe zu verhindern, denn sie waren überzeugt, dass wir dafür schon zu weit fortgeschritten sind. Trotz all ihres Reichtums und ihrer Macht glauben sie nicht, dass sie Einfluss auf die Zukunft nehmen können. Sie akzeptieren einfach die finstersten Szenarien und setzen dann alles, was sie an Geld und Technologie zum Einsatz bringen können, dafür ein, sich dagegen abzuschirmen – besonders wenn sie keinen Platz in einer Rakete zum Mars ergattern können“.
Sie waren nicht daran interessiert, eine Katastrophe zu verhindern, denn sie waren überzeugt, dass wir dafür schon zu weit fortgeschritten sind. Dies scheint in der Tat das Bewusstsein jener zu sein, die an den Zuständen, die die Menschheit zu konfrontieren hat, maßgeblich Schuld tragen. Ihre krampfhaften Bemühungen, dem angerichteten Desaster zu entkommen, sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Zum ersten Mal stoßen diese Kreaturen an die Grenze ihrer Macht, an die Grenzen des Geldes, um genauer zu sein. Und da sie in ihrem kranken Gewinnstreben zu seelenlosen Krüppeln verkommen sind, die keinerlei Verbindung und keinerlei Urvertrauen mehr herzustellen vermögen, macht ihnen der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit eine Höllenangst.
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman "Go! Die Ökodiktatur" ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: MattLphotography / Shutterstock.com
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