Ein Meinungsbeitrag von Mike Ahrend.
Gerade habe ich bei apolut den Talk von Solidaritätskonzert für Julian Assange gesehen. Die Gäste waren Ulrike Guérot, Patrik Baab und Michael Meyen. Ich bewundere alle drei, ich habe sehr viel von ihnen gelernt. Hier der Link zur Sendung: https://staging.apolut.net/am-set-5-solidaritaetskonzert-fuer-julian-assange-der-talk/
Allerdings wurde mir noch mal ganz deutlich vor Augen geführt, warum die Bewegung so dermaßen in der Sackgasse steckt. Frau Guérot als Politik-Expertin möchte das Parlament zurückgewinnen, Herr Baab setzt auf mehr Druck von der Straße und Herr Meyen möchte durch eine von ihm ausgebildete neue Generation von Akademikern die Welt verändern. Für mich ist ganz klar, hier schmort jeder in seinem eigenen Saft, kaum jemand guckt über den Tellerrand hinaus und schaut, was erfolgversprechend und/oder umsetzbar ist.
Es liegt mir jetzt völlig fern, die Arbeit oder gar die Personen zu kritisieren – alle sind zu Leistungen im Stande, von denen ich nicht mal zu träumen wage – mir, als sehr praktisch veranlagtem Menschen, geht es darum, voranzukommen. Und genau da sehe ich immer schwärzer.
Zuerst haben „wir“ uns Widerstand genannt. Dann hat sich wohl herumgesprochen, dass viele nicht kämpfen wollen und sich daher auch nicht dem Widerstand zugehörig fühlen. Aus Widerstand wurde so nach und nach die „Bewegung“. So eine Bewegung ist eine tolle Sache, wenn viele Menschen zum Beispiel ein Blockhaus im Wald bauen wollen, dann hat das schon ganz oft funktioniert. Warum wurden schon viele Blockhäuser fertig und unsere Bewegung bewegt sich gar nicht oder höchstens ein wenig im Kreis? Uns fehlt das Ziel!
Wie wollen wir in Zukunft leben? Diese Frage ist essentiell, bevor sie nicht beantwortet wird, geht hier nichts voran. Da verbindet die Dame und die zwei Herren auf der Bühne sehr viel mit den Menschen auf diversen Montagsdemos oder so genannten Vernetzungstreffen. Wenn auch das Niveau natürlich ein anderes ist. Mir kommt es so vor, als ob speziell bei den Vernetzungstreffen Fahrgemeinschaften gebildet werden sollen. Nur wissen die meisten Teilnehmer gar nicht, ob sie überhaupt verreisen wollen. Und wenn ja, wie und wohin? Jemand möchte mit dem Fahrrad in den Himalaya, aber nur wenn mindestens 5 andere mitkommen. Die aber keinen Platz auf seinem Fahrrad haben. Andere wollen mit dem eigenen Bus in den Amazonas Regenwald. Das wird, bei aller Motivation, auf dem Landweg schwierig werden.
Das ist jetzt etwas überspitzt, ich möchte auch den tollen Menschen, die etwas tun und sich organisieren, nicht zu nahe treten. Aber es spiegelt mein eigenes Erleben wieder, vielleicht ja nicht nur meines?
Was wäre denn, wenn die drei klugen Köpfe auf der Bühne mit ihrem unbestreitbar vorhandenen Intellekt einen Rahmen für eine Gesellschaft skizzieren würden? Anstatt dass jeder für sich in dem Bereich, in dem er oder sie sich am besten auskennt, vor sich hin „wurschtelt“, würde jeder seine Expertise in ein großes Ganzes einbringen. Wenn die Eckpunkte mal festgezurrt sind, also die Rahmen für Bildung, Ernährung, Wirtschaft, Gesundheit, Finanzsystem usw. fix sind, dann wäre das Ziel fertig. Mit dem Ziel wüsste man, wo man hin will. Dann wäre es auch kein Problem, wenn verschiedene Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten verschiedene Wege einschlagen würden. Theoretiker könnten sich Gedanken über ein gerechtes Abgabensystem machen, Praktiker könnten die ersten kleinen Unternehmen gründen, die schon so arbeiten, wie wir uns das in Zukunft von allen wünschen. Ohne Ziel bleiben all diese Projekte, die es ja schon gibt, Einzelkämpfer. Oft getragen von wenigen Menschen, die ihr ganzes Herzblut hinein stecken. Fallen diese dann aus, ist es oft vorbei.
Frau Guérot hat da schon recht mit ihrem „träumen und wünschen“. Wir sind auch mehr als genug, um alles, wirklich alles erreichen zu können. Wenn wir nur alle das gleiche träumen und wünschen. Und da denke ich definitiv nicht an eine Gleichmacherei, wie das in der DDR versucht worden ist. Das Ziel sollte eine Gesellschaft sein, die die Würde und die maximal mögliche persönliche Freiheit an die erste Stelle stellt. Für den Anfang werden da sicher mehr Regeln und Gesetze gemacht werden, die Menschen sind es eben so gewohnt. In der neuen Gesellschaft angekommen, oder noch besser aufgewachsen, wird vieles selbstverständlich werden.
Mit dem klar definierten Ziel ist es uns vielleicht auch endlich möglich, einen großen Teil der Unzufriedenen zum Mitmachen zu gewinnen. Mit Aufklärung und Aufwachen hat es ja leider, bei aller Liebe und Energie der Organisatoren, nicht funktioniert.
Über das Versagen der Systemmedien muss ich hier nichts mehr schreiben. Leider sehe ich auch bei den alternativen Medien ein teilweises Versagen oder zumindest eine Art „Betriebsblindheit“.
Es wird mit sehr geringen Mitteln hervorragende Arbeit geleistet, ich unterstütze einige mit regelmäßigen Spenden. Doch es sind eben Journalisten, immer auf der Jagd nach einer guten Story, nach investigativen Recherchen, dem neuen Watergate, dem Pulitzerpreis. Da liest man bei wirklich ALLEN etwas über den neuesten Artikel von Seymour Hersh und erfährt, wer vermutlich die Pipeline gesprengt hat. Für einen Journalisten ist das naturgemäß der Mittelpunkt seines Lebens. Nur leider bringt uns diese Tatsache einer Lösung keinen Schritt weiter. Die Pipeline ist kaputt und wir müssen gucken, wie wir jetzt weitermachen. Ein kleiner Teil kann da gern aufdecken, anklagen und was weiß ich alles machen. Aber, selbst wenn die Schuldigen wirklich verurteilt werden – extrem unwahrscheinlich, ich weiß ... – bleibt die Pipeline danach immer noch kaputt und wir haben kein Gas. Da die meisten Leser bei den Alternativen inzwischen verstanden haben, dass wir seit sehr langer Zeit vorsätzlich belogen und ausgenutzt werden, wundern mich rückläufige Spendeneinnahmen eigentlich gar nicht.
Es gibt einfach keine Berichte über mögliche Lösungen. Mir ist im letzten Jahr nicht ein einziger aufgefallen, man möge mich gern korrigieren.
Ich bin ja im Vorstand der Akademie für WIRKRAFT e.V. tätig, wir beschäftigen uns mit dem Aufbau eines parallelen Wirtschaftssystems. Da sind wir auf Unternehmen gestoßen, die heute schon so arbeiten, wie wir uns das für die Zukunft wünschen. Etwa das Gerätewerk Matrei oder die Firma Semco in Brasilien. Dazu gibt es unzählige Projekte wie Solawis. Jeder Bericht über etwas, das tatsächlich existiert und in die richtige Richtung weist, kann andere zum nach- und mitmachen motivieren und bringt uns einer Lösung näher. Manch Solawi würde auch gern einen Teil der Kosten übernehmen, so entsteht vielleicht eine win-win Situation.
Auch in der Bewegung gibt es vielversprechende zukunftsweisende Projekte. Es gab jetzt schon das zweite Mal ein Questival im Westerwald, es gibt die Genossenschaft von Menschlich Wirtschaften, es gab von uns ein sehr professionelles Planspiel zur Umwandlung eines bestehenden Unternehmens in ein WIRKRAFT-Unternehmen. Trotz Hinweisen an apolut und co: Kein Wort darüber zu lesen. Es wäre kein Geld da, es wäre schwierig. Das ist sicher auch so. Nur wenn dann ein Kamerateam zum Interview Markus Fiedler – ARD geschickt wird, dann ist ja Geld da. Dank dieser Aktion wissen wir jetzt, dass bei der ARD tendenziös berichtet wird. Was für eine Überraschung.
Zum Ende meines Artikels ein Beispiel, was man in meinen Augen sinnvolles berichten könnte:
Beim ersten Questival durfte ich Uwe Burka kennenlernen. Er hat im Leben u.a. schon 4 Höfe und 2 Dörfer (mit)gegründet. Aus dieser Praxis heraus kommen Weisheiten, die einfach funktionieren. Zum einen hat er gesagt, dass in der Gründungsphase nur Menschen entscheiden, die Geld und/oder Zeit in das Projekt investieren. Wenn die Strukturen einmal stehen, kann man gern alle Menschen mit einbinden. Wenn vorher die ganzen Schlaumeier alles basisdemokratisch mitentscheiden wollen, ohne etwas einzubringen, ist das meist tödlich.
Das nächste war, dass man immer ein Abrechnungssystem braucht. Es muss dokumentiert werden, wer wie viel für das Projekt getan hat. Das verhindert viel Streit und Unfrieden. Zuletzt muss ein jedes Projekt immer einen Nutzen haben für die Leute, die damit nicht direkt etwas zu tun haben. So ist zum Beispiel dank einer Solawi wieder eine Einkaufsmöglichkeit im Dorf, wo alle Einwohner freundlich empfangen werden und zu günstigen Konditionen einkaufen können. Nur so kommt es zu Akzeptanz und nachhaltigen Synergien.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: sutadimages / Shutterstock.com
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