Offener Brief an Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius

Ein offener Brief von Friedemann Willemer.

Unbequeme Wahrheiten

Am 29. Oktober 2023 verkündete unser Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem Interview bei „Berlin direkt“: Deutschland müsse kriegstüchtig werden.

Ich habe diese Aussage zum Anlass genommen, in einem offenen Brief an den Verteidigungsminister auf die Bedenken Immanuel Kants zur permanenten Aufrüstung in seinem philosophischen Entwurf „Zum ewigen Frieden“, 1795, hinzuweisen.

Die regierungsergebenen Medien und Think-Tanks haben auf die Aussage von Pistorius begeistert reagiert und einen Quantensprung beim Mentalitätswechsel gefordert. So Christian Mölling und Torben Schütz in ihrem Strategiepapier des regierungsnahen Think-Tanks „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ und in einem Artikel für den Tagesspiegel, sowie Herr Mölling in einem ZDF-Interview am 22. November 2023.

In gleicher Weise fordert der Politikwissenschaftler Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler und Publizisten Nico Lange in der Wochenzeitung „Die Zeit“: Deutschland müsse sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten.

In ihrer Panikrhetorik werden diese Protagonisten der Apokalypse „lustvoll“ unterstützt von den Öffentlich-Rechtlichen. So der Beitrag von Ines Tramps, ZDF, vom 31. Oktober 2023 – Pistorius spricht unbequeme Wahrheit aus; Markus Langenstraß, Bayerischer Rundfunk vom 31. Oktober 2023 – Was meint der Verteidigungsminister mit „kriegstüchtig“? und Carsten Schmiester, Deutschlandfunk vom 13.November 2023 – „Kriegstüchtig“ ist das richtige Wort zur Unzeit.

Gemeinsamer Tenor aller ist: Deutschland muss endlich raus aus der friedensbewegten Komfortzone. In diesem Korps der Bösartigen fehlen, wie es dem Mainstream geziemt, Gegenstimmen: Eine Kakophonie par excellence.

Was meint jedoch Immanuel Kant zu diesen Tönen?

Beginn des offenen Briefes an Bundesverteidigungsminister Pistorius

Sehr geehrter Herr Pistorius,

am 29. Oktober 2023 sagten Sie bei „Berlin direkt“: Deutschland müsse kriegstüchtig werden und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.

Eine Aussage, die nach Auffassung der Ihnen ergebenen Medien und staatlich geförderten „Think- Tanks“ überfällig ist. Sie hätten eine unbequeme Wahrheit ausgesprochen. Deutschland brauche einen Quantensprung in den Bereichen Militär, Industrie und Gesellschaft.

„Der viel geforderte Mentalitätswechsel wird nur geschehen, wenn die Gesamtverteidigung ein Teil des Alltags von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wird.“

So der regierungsnahe Think-Tank „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ in seinem Strategiepapier. Dafür muss die Resilienz bei der Bevölkerung „verbessert“ werden.

Mir scheint, Sie wollten sich nur dem Mainstream andienen, das Sprachrohr der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken lässt und in kollusivem Zusammenwirken mit den Repräsentanten dieser Republik, nachdem sie Zwietracht unter den Völkern gesät haben, zur Rechtfertigung jedweder Kriegsvorbereitung, selbst geschaffene Konflikte dem deutschen Volk an die Wand malen, um eine neue Wehrhaftigkeit im Denken und im Handeln herbeizuführen.

Mit Ihrer „Kriegstüchtigkeit“ kommen Sie und Ihre Paladine nicht zum ewigen Frieden. Nehmen Sie den philosophischen Entwurf Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“, 1795, zur Hand und Sie könnten erkennen, dass Ihr Aufruf zur Kriegstüchtigkeit die Ursache allen Übels auf diesem Planeten ist; denn:

„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören.
Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg durch die
Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an,
sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt,
zu übertreffen, und indem durch die darauf verwandten Kosten der
Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie
selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden; wozu
kommt, dass, zum Töten oder getötet zu werden in Sold genommen
zu sein, einen Gebrauch von Menschen als bloßen Maschinen und
Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats) zu enthalten
scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Menschheit in
unserer eigenen Person vereinigen lässt.“ (S. Kant, S. 5)

Sollten Sie dann auch noch Artikel 20 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz i. V. m. Artikel 25 und 26 Grundgesetz in Ihre Überlegungen mit einbeziehen – der Versuch der Bändigung der Bösartigkeit der menschlichen Natur – könnten Sie die friedensstiftende Kraft einer gelebten republikanischen demokratischen Verfassung spüren.

„Nun hat aber die republikanische Verfassung außer der Lauterkeit
ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu
sein, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich den ewigen
Frieden; wovon der Grund dieser ist. – Wenn (wie es in dieser Verfassung
nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert
wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht, so ist nichts
natürlicher, als dass, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst
beschließen müssten (als da sind: selbst zu fechten, die Kosten des
Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er
hinter sich lässt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels
endlich noch eine den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher,
immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen),
sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen:
dahingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger,
die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der
Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern
Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten
und dgl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine
Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen und der
Anständigkeit wegen dem dazu allzeit fertigen diplomatische Korps
die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.“ (I. Kant, S. 12/13)

Ich fürchte jedoch, Sie werden die Worte Immanuel Kants nicht mehr verstehen können; denn Sie dienen einem Parteienstaat, der zunehmend, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, in einen seelenlosen Despotismus verfällt; denn ein Staat kann sich auch schon republikanisch regieren, wenn er gleich noch der vorliegenden Konstitution nach despotische Herrschaftsmacht besitzt.
(I. Kant, S. 32, 39)

Dieser Staat wird beherrscht von politisierenden Moralisten, die wider die Staatsklugheit mannigfaltig verstoßen, indem diese moralisierenden Politiker durch Beschönigung rechtswidriger Staatsprinzipien, unter dem Vorwande Gutes zu tun, das Besserwerden unmöglich machen und die Rechtsverletzung verewigen. Sie reden den herrschenden Narrativen zum Munde, um ihren Privatvorteil nicht zu verfehlen, auch wenn das Volk und womöglich die ganze Welt zugrunde geht. (Frei nach I. Kant, S. 40) Weil diese Moralisten, die von der Frömmigkeit viel Werks machen und, indem sie Unrecht wie Wasser trinken, sich in der Rechtsgläubigkeit für Auserwählte gehalten wissen wollen. (I. Kant, S. 24)

Sie werden das ganze deutsche Volk mit sich in den Abgrund reißen, Deutschland zur Wüste machen und erst am ultra posse nemo obligatur enden. „Und so vereitelt der politische Moralist seine eigene Absicht, die Politik mit der Moral in Einverständnis zu bringen“. (I. Kant, S. 44)

In dieser dunklen Zeit, die geradezu unwirklich erscheint; denn nach wie vor scheint der Staat wie gewohnt zu funktionieren, die Dinge des täglichen Lebens verlaufen in geregelten Bahnen, es scheint an nichts zu fehlen, muss ich an die Worte von Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik, 1966, denken:

„Diese Unwahrhaftigkeit aufzuhellen, ist Voraussetzung jeder gedeihlichen Entwicklung. Jetzt geht ein Zug von Verlogenheit durch unser politisches und damit auch persönliches Leben. Die Lügen in ihrem Grunde sind das Gift der Staaten.“

Trotz einer Vielzahl großartiger Männer und Frauen in unserer Geschichte ist es uns bis heute nicht gelungen, die Verlogenheit, die unser politisches und damit auch persönliches Leben bestimmt, aufzuhellen.

„Was die Erfahrung und die Geschichte lehren, ist dieses, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach den Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel)

Des Öfteren fahre ich in das nahe gelegene Zittauer Gebirge zu „meiner“ Bank und genieße den Blick in eine wunderschöne Gebirgslandschaft.

Das ist unser einzigartiger Planet denke ich. Ein Juwel. Warum zerstören wir ihn und unsere Beziehungen zueinander. Ist es die Bösartigkeit der menschlichen Natur? Ich hoffe, wir werden einstmals die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird uns den Weg weisen hin „Zum ewigen Frieden“, der keine leere Idee ist, sondern eine Aufgabe, der wir hoffentlich – in Widerlegung von Hegel – immer beständig näherkommen. (I. Kant, S. 56)

23. November 2023

Mit freundlichen Grüßen

Friedemann Willemer

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

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Kommentare (2)

2 Kommentare zu: “Offener Brief an Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius

  1. Dian C. sagt:

    "Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln."
    (Carl von Clausewitz)
    So schön wie Friedemann Willemer seine Worte und die Kants wählte, so sehr frage ich mich, können diese Worte einen Pistorius, unseren Kriegsminister erreichen? Selbst wenn sie ihn erreichen, können sie ihn beeinflussen? Und letztlich, haben sie Chance, Deutschland auf den rechten Weg zu bringen?
    Deutschland ging es immer gut, wenn es ein gutes Verhältnis zu Russland pflegte – und umgekehrt. Das was die deutsche, eigentlich die US-amerikanische Vasallenregierung europäischer Nationen zum Krieg gegen Russland treibt, ist nicht persönlichen sondern systemischen Ursprungs, und dies seit mehr als 100 Jahren. So wie man nicht vom Faschismus sprechen kann, ohne den Kapitalismus dafür verantwortlich zu machen, so kann man auch nicht von Weltkriegen reden, ohne die Ursachen dafür in den die Entwicklung der Menschheit behindernden, unvorstellbaren Kapitalkonzentrationen zu suchen.
    Pistorius hat wünschenswert subjektiv das geistige Rüstzeug, Kant, Willemer und sonstwas zu verstehen, objektiv hat er keine Chance in seiner Funktion danach zu handeln.
    Wir, das Volk, haben objektiv die Chance, danach zu handeln, aber subjektiv nicht das nötige Verständnis für die gesellschaftlichen Zusammenhänge, um uns zu organisieren für den notwendigen Kampf um Veränderungen – der Verhältnisse. Wir sind mehrheitlich gefangen in einer dreidimensionalen Medienwelt, zweidimensionale Bilder mit Ton, die uns propagandistisch in Angst und Abhängigkeit hält, in der "Klicken" schon als aktive Teilhabe betrachtet wird. Klick und der Burger kommt mundgerecht in wenigen Minuten, heute. Noch können wir Kriege – medial – wegklicken. Das Ende dieser Bequemlichkeit rückt näher, viele "Abgehängte" hat es schon erreicht. Wann gehören auch Du und ich dazu? Aufwachen!
    Gestern waren immerhin schon 20.000 der Aufgewachten vorm Brandenburger Tor …

  2. Fensterreiniger sagt:

    Dazu möchte man gerne ergänzen und auf die Art 1 und Art 2 GG hinweisen:

    Art 1 GG weist darauf hin, der Schutz der Menschenwürde ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt: "Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt." Dies hat absolute und universelle Geltung – auch im Ausland, wie das BVerfG – zwar in einer anderen Sache – ausführte: "Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ist nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt." – 1 BvR 2835/17 –

    Art 2 GG bestimmt sehr eindeutig: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich."

    Kriege haben allerdings nicht das Herausstellungsmerkmal, Menschenwürde, sowie Leben und körperliche Unversehrheit in besonderer Weise zu schätzen oder hochzuhalten.

    Im übrigen darf Karl Kraus zitiert werden:

    "Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrlich ein Zustand, der keine Rettung verdient. Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat. Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen."

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