Der Rat der EU hat die Liste der Sanktionen gegen «russische Propagandisten» erweitert. Die entsprechende Verordnung wurde am Montag veröffentlicht. Darauf ist auch der ehemalige Schweizer Offizier und Analytiker Jacques Baud zu finden.
Ein Meinungsbeitrag von Tilo Gräser.
Der Schweizer Ex-Offizier und frühere Analytiker des Nachrichtendienstes Jacques Baud ist nun offiziell von Sanktionen der Europäischen Union (EU) betroffen. Am Montag wurde die um zwölf Personen erweiterte Sanktionsliste als «Durchführungsverordnung» des Rates der EU in deren Amtsblatt veröffentlicht.
Auf der Erweiterungsliste befindet sich eine Reihe renommierter russischer Politikwissenschaftler, vor allem Mitglieder des Diskussionsforums Waldai-Club, wie Andrej Suschenzow, Fjodor Lukjanow und Iwan Timofejew. Ebenso sind neben russischen Organisationen und Militäreinheiten nun erneut nicht-russischstämmige Menschen von den Sanktionen betroffen. Neben dem Schweizer Staatsbürger Baud werden die ukrainisch-russische Journalistin Diana Pantschenko, der in Russland lebende US-amerikanisch-russische Staatsbürger John Dougan und der ebenfalls in Russland lebende französische Ex-Offizier Xavier Moreau aufgeführt.
Den zwölf Betroffenen wird vorgeworfen, als «Propagandisten» für Russland tätig oder gar an geheimdienstlichen Aktivitäten beteiligt zu sein. Die Verordnung beruft sich auf die Erklärung von Kaja Kallas, sogenannte Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, vom 18. Juli dieses Jahres. Darin hatte die estnische Politikerin «die anhaltenden böswilligen Aktivitäten Russlands als Teil umfassender, koordinierter und langjähriger hybrider Kampagnen, die darauf abzielen, die Sicherheit, Resilienz und demokratischen Grundlagen der Union, ihrer Mitgliedstaaten und ihrer Partner zu bedrohen und zu untergraben, auf das Schärfste» verurteilt.
In der Verordnung werden keinerlei Beweise für die Vorwürfe gegen die Betroffenen angeführt. Dafür wird viel gedeutet und meist die Verbreitung falscher Narrative ebenso wie Meinungsäußerungen als Grund genannt. Deshalb werden sie als mitverantwortlich für Handlungen und Maßnahmen der russischen Regierung im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt oder als deren Unterstützer bezeichnet.
Das trifft auch den ehemaligen Schweizer Armee- und Nachrichtendienstoffizier Jacques Baud. Ihm wird wahrheitswidrig vorgeworfen, er sei «regelmäßig Gast in prorussischen Fernseh- und Radioprogrammen». Weiter heißt es:
«Er fungiert als Sprachrohr für prorussische Propaganda und verbreitet Verschwörungstheorien, indem er beispielsweise die Ukraine bezichtigt, ihre eigene Invasion herbeigeführt zu haben, um der NATO beizutreten.»
Der ehemalige Offizier der Schweizer Armee und des Schweizer Nachrichtendienstes hat für die NATO ebenso wie für die UNO und die OSZE gearbeitet, um Konflikte zu lösen. Er analysiert seit mehreren Jahren die internationale Sicherheits- und Militärpolitik, vor allem seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022.
In mehreren Büchern, zahlreichen Beiträgen sowie Interviews hat er sich kritisch mit der Entwicklung und insbesondere der westlichen Politik auseinandergesetzt. Dabei warnt er insbesondere vor Fehlentscheidungen in Folge unrealistischer Einschätzungen und der Ignoranz gegenüber den russischen Interessen und Sichtweisen.
Die Vorwürfe aus der EU bezeichnete Baud bereits nach dem ersten Bekanntwerden am Samstag gegenüber Transition News als «absurd». Auf Nachfrage am Montag wollte er sich verständlicherweise noch nicht weiter dazu äußern, um erst mit seinem Anwalt die Situation zu klären.
Die am Montag erlassene Durchführungsverordnung des EU-Rates stützt sich auf die «Verordnung (EU) 2024/2642 des Rates vom 8. Oktober 2024 über restriktive Maßnahmen angesichts der destabilisierenden Aktivitäten Russlands». Darin werden den von Sanktionen betroffenen Personen «das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen» sowie das Verbot an andere, den Betroffenen Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, angekündigt. In der Verordnung heißt es auch:
«Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, insbesondere mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, den Verteidigungsrechten und dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Diese Verordnung sollte unter Achtung dieser Rechte angewandt werden.»
Doch in der Realität erfahrenen die Betroffenen meist erst aus Medienberichten von den gegen sie erlassenen Maßnahmen und den damit verbundenen Folgen. Sie erhalten keinerlei offizielle Mitteilung aus Brüssel dazu, die auch den Hinweis auf Möglichkeiten enthalten müsste, Widerspruch oder Berufung einlegen zu können. In Absatz 6 der Verordnung vom 8. Oktober 2024 heißt es noch:
«Das Verfahren zur Änderung der Liste in Anhang I dieser Verordnung sollte unter anderem vorsehen, dass die benannten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen die Gründe für ihre Aufnahme in die Liste erfahren, um ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten.»
«Sollte» bedeutet juristisch aber nicht «muss», was einen deutlichen Unterschied macht. Und so unterbleibt das anscheinend. Das Vorgehen verstößt gegen grundlegende Menschenrechte und die EU-Grundrechte, auf die sich der EU-Rat in seiner Verordnung beruft.
So ergeht es auch Baud, wie er am Montag kurz bestätigte. Er habe alle bisherigen Informationen zu dem Vorgang auch nur aus den Medien bekommen, hatte er am Samstag auf Nachfrage erklärt. Er wisse daher nicht, wie er rechtlich gegen die Sanktionen vorgehen könne.
In dem 17. EU-Sanktionspaket wurden im Mai dieses Jahres bereits die beiden in Russland lebenden und arbeitenden deutschen Staatsbürger und Journalisten Alina Lipp und Thomas Röper sowie der deutsche Journalist Hüseyin Doğru aufgeführt. Der Vorwurf gegen sie lautet ähnlich wie gegen Baud und die anderen jetzt ins Visier Genommenen: Sie sollen «russische Propaganda» verbreitet und durch ihre Berichterstattung zu «destabilisierenden Aktivitäten» beigetragen haben. Für alle von den Sanktionen Betroffenen gibt es kaum rechtliche Möglichkeiten, gegen die EU-Maßnahmen vorzugehen.
Röper macht in einem aktuellen Beitrag auf anti-spiegel.ru auf die Folgen der von Sanktionen Betroffenen aufmerksam:
«Alles Vermögen, das ein Sanktionierter in der EU hat, wird eingefroren, man kann sich also de facto keine Lebensmittel mehr kaufen, keine Miete bezahlen und so weiter. Und einem Sanktionierten einen wirtschaftlichen Vorteil zukommen zu lassen, also ihm beispielsweise Geld zu leihen, damit er seine Miete bezahlen kann, ist strafbar. Sanktionierte müssen stattdessen beim Staat um die Erlaubnis betteln, diese Ausgaben aus ihren eigenen Mitteln, die die EU eingefroren hat, bestreiten zu dürfen. Allerdings entscheidet der Staat dabei, welche Summe er dafür als angemessen betrachtet.»
Und er schreibt weiter:
«Außerdem gilt für Sanktionierte die Reisefreiheit nicht mehr, denn die Einreise in EU-Staaten ist ihnen verboten. Wer als Deutscher auf der Sanktionsliste steht, darf Deutschland also weder per Flugzeug, Bahn, Auto und so weiter verlassen, weil man dabei durch das Gebiet anderer EU-Staaten fahren oder es überfliegen müsste. Und umgekehrt gilt, wer zum Zeitpunkt der Sanktionierung außerhalb der EU ist, hat praktisch keine Chance, wieder nach Hause zu kommen.
Auch der Rechtsschutz, den es in der EU angeblich gibt, ist ausgehebelt, denn man kann nur dann einen Anwalt einschalten, wenn der Staat erlaubt, dafür Mittel aus dem eigenen, aber eingefrorenen, Vermögen zu verwenden.»
Das Vorgehen der EU gegen andere, missliebige Sichtweisen und Meinungen kann nicht anders als «totalitär» bezeichnet werden. Es widerspricht jeglichen rechtsstaatlichen Regeln, die die EU gleichzeitig von anderen einfordert. Das zeigt sich auch daran, dass die Betroffenen kaum Möglichkeiten haben, sich gegen die verordneten Maßnahmen, die ihre Existenz bedrohen, zu wehren.
Es bleibt abzuwarten, wie die Schweiz mit den EU-Sanktionen gegen Baud umgeht, die sich zum zweiten Mal gegen einen Schweizer Staatsbürger richten. Als Erste traf es die schweizer-kamerunische Online-Influencerin Nathalie Yamb. Ihr wird vorgeworfen, sie unterstütze «nachdrücklich Russland, folgt der von Moskau vorgegebenen Sprache und nimmt insbesondere Frankreich und den Westen ins Visier, um sie vom afrikanischen Kontinent zu verdrängen».
Bisher wurden fast alle antirussischen Sanktionen durch Bern übernommen, allerdings nicht die vom Mai 2025 gegen Lipp, Röper, Yamb und 18 weitere Journalisten verschiedener Länder. Darauf hatte Peter Hanseler im Juni dieses Jahres hingewiesen.
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Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen den ehemaligen Schweizer Offizier und Analysten Jacques Baud verweisen wir auf das Interview, das wir im vergangenen Jahr mit ihm geführt haben: https://apolut.net/im-gespraech-jacques-baud-2/
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Dieser Beitrag wurde am 15.12.2025 auf Transition News veröffentlicht.
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