Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Zunächst will ich noch einmal kurz auf die Nachwehen des extrem kurzen, vermeintlichen Putschversuch zurückkommen, und dann sehen, wie er sich auf die Entwicklung des Multipolarismus auswirkt. Dabei besonders auch die Beziehungen zwischen den Machtzentren Russland, Indien und China anschauen und welche Rolle die SOZ, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die diese Woche ein Gipfeltreffen abhält, neben BRICS für den Multipolarismus spielt.
Es gibt inzwischen unzählige „Analysen“ zu dem kurzen Drama, welches Jewgeni Prigoschins gegen die Autorität des russischen Staates aufführte. Und wie erwartet unterschieden sich die des Westens diametral von denen russlandfreundlicher Analysten oder auch neutraler Beobachter. Zu Letzteren gehört der indische Ex-Diplomat M.K. Bhadrakumar, der sich auch zu den Nachwehen dieser nicht ganz unblutigen Tragödie äußerte(1). Er schreibt:
„Am Montagabend wandte sich der russische Präsident Wladimir Putin zum zweiten Mal an die Nation mit der Absicht, den Putschversuch des Wagner-‚Gründers‘ Jewgeni Prigoschin vom 23. und 24. Juni zu Fall zu bringen. Es war eine durch und durch selbstbeweihräuchernde Rede - wohlverdient, vielleicht.“
Der Autor beschreibt dann die vier Hauptelemente der Rede. Da war zu Beginn das Hinweisen auf "Zurückhaltung, den Zusammenhalt und den Patriotismus", die das russische Volk gezeigt habe, seine "bürgerliche Solidarität und hohe Konsolidierung" und seine "feste Linie ... (bei) der ausdrücklichen Unterstützung der verfassungsmäßigen Ordnung".
Putin, so Bhadrakumar, habe westlichen Darstellung, auch ausgerechnet von Macron, energisch widersprochen, dass der Putschversuch Risse in dem Haus zeige, das er seit seiner Machtübernahme im Jahr 2000 aufgebaut habe.
Zweitens habe Putin hervorgehoben, dass die russische Führung schnell, entschlossen und effektiv gehandelt habe - "alle notwendigen Entscheidungen, um die entstandene Bedrohung zu neutralisieren und die verfassungsmäßige Ordnung, das Leben und die Sicherheit unserer Bürger zu schützen, wurden sofort, gleich zu Beginn der Ereignisse, getroffen". Was vielleicht ein bisschen viel Eigenlob war, das manchmal auf das Gegenteil hinweisen mag, möchte man hinzufügen.
Drittens habe Putin die "Meuterei-Verschwörer" aufs Schärfste als Menschen voller Bösartigkeit und böser Absichten verurteilt. Ihre politische Agenda als solche habe er jedoch außer Acht gelassen. Schließlich sei es bei einem Putsch um die Aneignung der politischen Macht gegangen, meint Bhadrakumar. Vermutlich, so der Autor weiter, sei das Thema viel zu heikel, um es in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Allerdings habe Putin das Thema doch noch am Rande angesprochen, indem er eine rätselhafte Vermutung darüber äußerte, dass, wenn der Putschversuch erfolgreich gewesen wäre, "die Feinde Russlands - die Neonazis in Kiew, ihre westlichen Gönner und andere Landesverräter" die Nutznießer gewesen wären, "aber sie haben sich verrechnet."
Putin sei dann nicht näher auf eine ausländische Beteiligung am Putschversuch von Prigoschin eingegangen. Die Tatsache, dass er sie überhaupt zum zweiten Mal erwähnt habe, insbesondere, dass sich externe Kräfte "verkalkuliert" hätten, müsse man jedoch sorgfältig beachten.
Interessanterweise habe Außenminister Sergej Lawrow, als er in einem Interview mit RT dazu befragt wurde, ebenfalls und eher kryptisch pariert: "Ich arbeite in einem Ministerium, das nicht damit beschäftigt ist, Beweise für ungesetzliche Handlungen zu sammeln, aber wir haben solche Agenturen, und ich versichere Ihnen, dass sie das bereits untersuchen."
Lawrow habe sich jedoch zu Medienberichten geäußert, wonach Washington die Aufhebung bestehender Sanktionen gegen Wagner PMC in Erwägung ziehe. "Ich glaube nicht, dass die USA ihre Haltung geändert haben. Es ist nur eine weitere Bestätigung dafür, dass die Vorgehensweise der USA davon abhängt, was die USA von einem bestimmten ausländischen Akteur in diesem speziellen Stadium brauchen, sei es auf der internationalen Bühne im Allgemeinen oder in einem bestimmten Land", zitiert der Autor Lawrow. Allerdings habe Lawrow behauptet, dass die US-Geheimdienste mit dem Erfolg des Staatsstreichs am 24. Juni gerechnet hätten.
Viertens habe Putin die Gründe für seine Entscheidung erläutert, "die Mehrheit der Soldaten und Kommandeure der Gruppe Wagner (die) auch russische Patrioten sind, die ihrem Volk und ihrem Staat gegenüber loyal sind". Putin habe seine "Dankbarkeit" für die richtige Entscheidung ausgedrückt, die sie getroffen hätten, "sich nicht auf ein brudermörderisches Blutvergießen einzulassen und aufzuhören, bevor der Punkt erreicht ist, an dem es kein Zurück mehr gibt." Dann habe er ihnen angeboten, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium oder einer anderen Strafverfolgungs- oder Sicherheitsbehörde zu unterzeichnen oder "nach Hause zurückzukehren" - oder sogar nach Belarus zu gehen.
Für die russische Öffentlichkeit sei dies vielleicht der am sehnlichsten erwartete Teil von Putins Rede, als er sagte: "Ich werde mein Versprechen halten. Auch hier steht es jedem frei, seine eigene Entscheidung zu treffen, aber ich glaube, die Entscheidung wird die der russischen Soldaten sein, die einsehen, dass sie einen tragischen Fehler begangen haben."
Wie in seiner ersten Rede am Samstag habe Putin Prigoschin immer noch nicht namentlich erwähnt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow habe jedoch am Montag mitgeteilt, dass ein Strafverfahren gegen Prigoschin eingestellt werden soll. „Die russische Öffentlichkeit wird dies akzeptieren.“
Offensichtlich habe Putin, der für die öffentliche Meinung im eigenen Land sensibel sei, sorgfältig berücksichtigt, dass um die Wagner-Kämpfer wegen ihres Mutes, ihres Heldentums, ihres Patriotismus und ihrer Loyalität ein Personenkult in Russland betrieben werde. Die Saga der Befreiung von Bakhmut, ein monatelanger Zermürbungskrieg, habe das ukrainische Militär ausgehöhlt und sei zu einem entscheidenden Moment des Krieges geworden.
Ebenso würde ein bedeutender Teil der russischen Menschen mit dem in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit - nicht nur aus den Reihen der Wagner-Partei - geäußerten Gedanken übereinstimmen, dass der Kreml den Krieg in die Länge ziehe. Offensichtlich habe der Kreml beschlossen, dass es klug sei, Prigoschin nicht wegen Aufwiegelung zu verfolgen. Aber der Letztgenannte habe möglicherweise eine Büchse der Pandora geöffnet.
Nun nehme die Geschichte eine neue Wendung. Am 27. Juni habe Putin bei einem Treffen mit Militärangehörigen im Kreml eine weitere Rede gehalten, offenbar um denjenigen, die in den verhängnisvollen Tagen des Putschversuchs im Einsatz waren, seine "Dankbarkeit" auszudrücken. Putin habe den ausgewählten Zuhörern versichert, dass "alles getan werden wird, um die Familien unserer gefallenen Kameraden zu unterstützen" usw. Dann habe Putin seine Rede mit einem abrupten Exkurs in eines der bestgehüteten öffentlichen Geheimnisse Russlands geschlossen - nämlich dass die Firma Wagner ein Abkömmling des russischen Staates sei.
Er sagte: "Diejenigen, die für dieses Unternehmen, Wagner, gearbeitet haben, waren in Russland geachtet. Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, und ich möchte, dass sich jeder der Tatsache bewusst ist, dass alle Finanzmittel, die die Wagner-Gruppe erhielt, vom Staat kamen. Die gesamte Finanzierung kam von uns, vom Verteidigungsministerium, aus dem Staatshaushalt.
Dann zitiert der Autor Putin:
"Allein zwischen Mai 2022 und Mai 2023 hat die Wagner-Gruppe 86.262 Millionen Rubel (ca. 1 Milliarde Dollar) vom Staat erhalten, um die Gehälter und Prämien der Soldaten zu zahlen... Aber während der Staat den gesamten Finanzbedarf der Wagner-Gruppe gedeckt hat, hat der Eigentümer des Unternehmens, Concord, 80 Milliarden Rubel (940 Millionen Dollar) vom Staat erhalten, oder sollte ich sagen, verdient, und zwar durch Voentorg, den Lebensmittel- und Kantinenlieferanten der Armee. Der Staat deckte seinen gesamten Finanzbedarf, während ein Teil des Konzerns - ich meine Concord - gleichzeitig 80 Milliarden Rubel verdiente. Ich hoffe, dass dabei niemand etwas gestohlen hat oder zumindest nicht viel gestohlen hat. Selbstverständlich werden wir all dem nachgehen."
Das wäre eine böse Überraschung für Prigoschin in Weißrussland, meint Bhadrakumar, wenn die russischen Behörden gegen ihn wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten in seinem Unternehmen ermitteln würden! Dies würde Prigoschin dort treffen, wo es weh tut, denn seine Mutter Violetta Prigozhina ist als Eigentümerin von Concord Catering aufgeführt. Möglicherweise werde auch das riesige Geschäftsimperium, das der Oligarch dank staatlicher Unterstützung aufgebaut hat - Concord Management and Consulting (Bau- und Immobilienentwicklung), LLC Megaline (das 2016 die meisten Bauaufträge für das russische Militär erhalten hat) usw. - auf den Prüfstand kommen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass der Kreml einen fehlgeleiteten Oligarchen bestraft, der sich in die haifischverseuchten Gewässer der russischen Politik verirrt hat. Prigoschin werde wissen, dass er in den kommenden Monaten - und möglicherweise sogar für den Rest seines Lebens - einige wichtige Entscheidungen zu treffen hat.
Natürlich werden Prigoschins künftige Schritte nicht nur in Moskau, sondern auch in den westlichen Hauptstädten aufmerksam verfolgt, die noch lange nicht davon überzeugt sind, dass das letzte Wort zu den dramatischen Ereignissen gesprochen ist.
Nach der Gründung von Wagner als privates Militärunternehmen - ähnlich wie Aegis, das britische private Sicherheits- und Militärunternehmen, oder Academi, das in großem Umfang mit dem US-Militär und der CIA zusammenarbeitet - habe das russische Verteidigungs- und Sicherheitsestablishment sein Kleinkind einfach einem mächtigen Oligarchen übergeben, um daraus ein Vermögen zu machen (und möglicherweise einen Teil der Beute mit seinen Mentoren zu teilen), dessen eigentliche Kompetenz im Gaststättengewerbe, im Bauwesen und in der Immobilienentwicklung liege!
Wenn nationale Sicherheits- und Verteidigungsverträge in Schmutz und Vetternwirtschaft verstrickt sind, sei das ein Zeichen von Dekadenz. Wenn die USA ihre hybriden Kriege - sei es in Afghanistan oder im Irak, in der Karibik oder in Afrika - nicht mehr gewinnen, sei das Grundproblem die hydraköpfige Korruption, die ihre Tentakel über die herrschende Elite bis hin zum Pentagon, dem Kongress und dem Weißen Haus ausbreite.
Unweigerlich habe Wagner unter Prigoschin denselben Weg eingeschlagen wie die privaten Militärfirmen der USA - über die der berühmte, in Moskau lebende Whistleblower Edward Snowden in seinem Buch Permanent Record offen geschrieben hat. Das Vermächtnis von Prigoschin gebe dem Kreml also einen zwingenden Grund, den Augiasstall zu säubern. Ob dies geschehen wird oder nicht, werde die Zeit zeigen.
Soweit die innerrussischen Probleme. Aber haben sie evt. Konsequenzen für die Beziehungen des Landes zu anderen wichtigen Playern im großen Spiel des Multipolarismus?
Die Dreierbeziehung
Kommen wir deshalb zur Beziehung Russlands mit Indien, der Beziehung Indiens mit den USA und Russlands mit China. Eine komplizierte Dreiecksbeziehung mit Konfliktpotential, aber auch vielen Möglichkeiten. Darüber hat Alexander Korybko „philosophiert“(2).
Obwohl Indien sich geweigert habe, der "NATO Plus"-Organisation beizutreten, und Außenminister Dr. Jaishankar die Bedeutung der Beibehaltung strategischer Beziehungen zu Russland bekräftigt habe, behaupten Mainstream-Medien fälschlicherweise, Indien habe Russland den Laufpass gegeben. Sie hätten wohl aus ideologischen Gründen nicht anerkennen können, dass die USA endlich eingesehen haben, dass es sinnlos ist, Indien in eine Vasallenrolle zu zwingen, und dass Indien trotz der Spannungen mit China weiterhin Russland nahe steht.
Russia Today habe weltweit auf die jüngste Arbeit eines russischen Wissenschaftlers über die bilateralen Beziehungen zu Indien aufmerksam gemacht. Gleb Makarevich ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Studien über die Region des Indischen Ozeans am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Seine angesehene Position zeuge von seinem Fachwissen zu diesem Thema, über das er erstmals im Valdai-Club, einem der führenden russischen Think Tanks, berichtet habe.
Sein Artikel, so berichtet Korybko weiter, habe ursprünglich den Titel "Same Same, but Different: The Peculiarities of Strategic Relations in the Russia-India-China-USA Quadrangle" getragen, wurde aber von RT unter dem Titel "Love Triangles aren't an option" neu veröffentlicht. Inhalt: „Können Russland und Indien freundlich bleiben, ohne ihre chinesischen und amerikanischen Partner zu verärgern?" Obwohl RT den Artikel leicht bearbeitet haben, wie sie am Ende schrieben, bleibe der Kern des Artikels erhalten. Kurz gesagt, habe Makarevich argumentiert, dass Russland und Indien sich nicht von den Beziehungen des jeweils anderen zu Dritten beeinflussen lassen sollten.
Auch in Russland müsse man anerkennen, dass jeder seine objektiven nationalen Interessen so verfolgt, wie ihre Führungen sie verstehen, ohne die Absicht, die damit verbundenen Interessen ihres jahrzehntelangen strategischen Partners zu schädigen.
RT könnte sich dazu entschlossen haben, Makarewitschs Ratschlag zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen, um allen zu versichern, dass Russland die jüngste Ausweitung der militärisch-technischen Beziehungen Indiens mit den USA nach dem jüngsten Besuch von Premierminister Modi Ende letzten Monats NICHT als ein Problem für ihre Beziehungen betrachtet. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow habe zuvor gegenüber TASS erklärt, dass Indien trotz dieses Abkommens "einer unserer größten Partner in diesem Bereich" bleibe.
„Die Medien haben ihr Publikum zu der Überzeugung gebracht, dass der Verzicht auf Russland heutzutage eine Voraussetzung für eine Partnerschaft mit den USA ist, während die Altmediengemeinschaft ihr Publikum zu der Überzeugung gebracht hat, dass gute Beziehungen zu China eine Voraussetzung für eine solche mit Russland sind, aber beide wurden durch die jüngsten Ereignisse eines Besseren belehrt.“
Indiens Balanceakt zwischen den USA und Russland sei aufrechterhalten worden. Dieses Ergebnis habe die Behauptungen beider Lager über die internationalen Beziehungen als zu simpel entlarvt, was die Notwendigkeit eines detaillierteren und genaueren Modells zur Erklärung des Ganzen verdeutlicht habe. Deshalb sei es wichtig gewesen, dass RT den Ratschlag von Makarevich von Ende April erneut veröffentlichte.
Wie schade, dass Indien und nicht Deutschland Vorreiter dieser Politik der souveränen Neutralität und des praktizierten Multipolarismus ist.
Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit
Der Autor fährt dann fort darauf hinzuweisen, dass dieses Deutlichmachen der indischen Haltung wichtig sei, weil es am Vorabend des diesjährigen Gipfeltreffens der Führer der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ oder in Englisch SCO) in Indien stattfand. Es sei vorgeschlagen worden, dass sich die SOZ aufgrund neu entdeckter Hindernisse für die multilaterale Zusammenarbeit mehr auf die Vermittlung multipolarer Prinzipien an die Gesellschaften ihrer Mitglieder als auf wirtschaftliche oder andere Formen der Zusammenarbeit konzentrieren solle.
Auf dem Treffen, das gerade begann, als ich diese Zeilen schrieb, werden die zunehmenden Spannungen zwischen China und Indien eine Rolle spielen, ebenso wie die Ausdehnung der Gruppe nach Westasien, sowohl formell durch die Aufnahme des Irans als offizielles Mitglied als auch informell durch die Gewährung des Status einer Dialogpartnerschaft an einige Golfkönigreiche, meint Korybko. Das bedeute, dass eine Einigung in größeren Fragen immer schwerer werde. Es sei auch kritisiert worden, dass bei den Medienkonsumenten unbeabsichtigt unrealistische Erwartungen hinsichtlich der Rolle der SOZ in der entstehenden Weltordnung geweckt wurden.
Die SOZ, so Korybko, sollte die neu entdeckten Hindernisse für ihre Effektivität akzeptieren, die sich aus den zunehmenden Spannungen zwischen China und Indien und der weiteren Expansion der Gruppe ergeben, um sich mehr auf die Angleichung der multipolaren Weltsicht aller Beteiligten zu konzentrieren als auf die Verfolgung anderer Initiativen, die weniger Aussicht auf Erfolg haben.
Korybko geht dann in einem weiteren Artikel näher auf die bevorstehende Sitzung der Führung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ein(3).
Dieses Gipfeltreffen sei das richtige Format, wenn man bedenkt, dass die Spannungen zwischen China und Indien in letzter Zeit zugenommen haben und ein persönliches Treffen zwischen den Staatsoberhäuptern der beiden Länder zum jetzigen Zeitpunkt nicht wünschenswert sei. Dementsprechend dürfe man keinen Durchbruch erwarten, da der ungelöste Grenzstreit zwischen Indien und China die Fähigkeit der Gruppe zur multilateralen Zusammenarbeit bei größeren Themen von gemeinsamem Interesse stark beeinträchtige, was auch für die BRICS gelte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kluft zwischen den beiden auf absehbare Zeit bestehen bleibe, bedeute, dass sie von Beobachtern der Alt-Media-Community (AMC) nicht mehr ignoriert werden kann. Diese hätte bisher aus Angst, dass ihre Worte die SCO noch mehr schwächen würden, davor zurückgeschreckt, darüber zu sprechen. Was dazu geführt hätte, dass ihre Anhänger unrealistisch große Hoffnungen in das Potenzial der Gruppe setzten, nachdem sie über die Schwere der Probleme im Unklaren gelassen wurden.
„Der indische Außenminister Dr. Jaishankar erinnerte letzte Woche daran, dass sich die Beziehungen zu China nie wieder normalisieren werden, solange der Grenzstreit ungelöst bleibt. Das soll nicht heißen, dass die SOZ keinen Sinn hat, sondern nur darauf hinweisen, dass die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt einander nicht genug vertrauen, um das volle Potenzial ihrer Gruppe aufgrund dieses heiklen Themas freizusetzen.“
Die oben beschriebenen Spannungen zwischen China und Indien und die allmähliche Erweiterung der SOZ würden zu einem veränderten Tempo beitragen, bei dem es natürlich schwieriger werde, den Konsens zu erreichen, der für eine sinnvolle Zusammenarbeit in großen Fragen von gemeinsamem Interesse erforderlich ist, ganz zu schweigen von der Umsetzung dieser Pläne. Dies sei jedoch keine potentiell negative Entwicklung, denn niemand hätte von vornherein erwarten dürfen, dass sich die extrem unterschiedlichen Länder immer auf alles einigen.
Die SOZ werde ihren Gründungszweck, die gemeinsame Bekämpfung der drei Geißeln Terrorismus, Separatismus und Extremismus, beibehalten, aber die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit werde wahrscheinlich weit hinter dem zurückbleiben, was sich ihre enthusiastischsten Befürworter vorstellen. Gleichzeitig könnten die Mitglieder der SOZ enger zusammenarbeiten, um die Menschen in ihren Organisationen über den globalen Systemwechsel zur Multipolarität aufzuklären, insbesondere über die Auswirkungen, die dieser auf ihre jeweiligen Regionen haben wird.
Hier könne die SOZ angesichts der neu entdeckten Hindernisse für ihre Wirksamkeit ihren Platz in der entstehenden Weltordnung finden. Durch eine engere Zusammenarbeit bei dieser Art von öffentlichen Bekanntmachungen könnten Milliarden von Menschen gegen jene ideologischen Viren geimpft werden, die darauf abzielen, sie zu spalten und zu beherrschen, auch durch die Verschlimmerung bereits bestehender terroristischer, separatistischer und extremistischer Herausforderungen. In der Praxis könne dies auf organisatorischer und regionaler Ebene erreicht werden.
In diesem Fall sei es für die USA vergleichsweise schwieriger, sie durch Informationskriege zu spalten und zu beherrschen, was dazu führen könnte, dass die politischen Entscheidungsträger von der Basis weniger unter Druck gesetzt werden, eine härtere Gangart gegenüber dem Nachbarn einzuschlagen.
Präsident Xi und Premierminister Modi, so der Autor, genießen in ihren Gesellschaften hohes Ansehen, und ihre Worte haben ein immenses Gewicht, wenn es darum geht, die Wahrnehmung ihrer Bürger zu prägen, daher sei es von großer Bedeutung, dass sie sich zusammenfinden, um ähnliche Zukunftsvisionen zu unterstützen. Was Westasien anbelangt, so wäre es für die von Peking vermittelte Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien von großer Bedeutung, wenn deren Führer sich im Rahmen der SOZ darauf verständigen würden.
Fazit
Die inner-russischen Probleme scheinen derzeit weniger Einfluss auf die Entwicklung der Multipolarität zu haben als der Grenzkonflikt zwischen Indien und China. Und wie immer spielen kleine Gruppen von Extremisten bei der Aufwiegelung von Massen eine große Rolle. Es scheint, als ob jene „Autokraten“, die vielleicht lieber heute als morgen Grenzkonflikte beseitigen würden, um dem Ziel der Multipolarität schneller näher zu kommen, weniger Gewalt über die öffentliche Meinung haben, als jene grandiosen Demokratien, die ihnen erklären wollen, was Demokratie ist.
Zu schade, dass Deutschland in diesem Zukunftsszenario keinerlei Rolle mehr spielt, da seine Politiker sich vollumfänglich als Vasallen identifizieren. Was spätestens seit der Zerstörung der NordStream-Pipeline auch dem letzten Deutschen bewusst geworden sein sollte.
Quellen und Hinweise:
Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen unter https://twitter.com/jochen_mitschka
1.https://www.indianpunchline.com/prigozhin-goes-into-exile-but-left-behind-a-can-of-worms/ 2.https://korybko.substack.com/p/korybko-to-gleb-makarevich-your-advice 3.https://korybko.substack.com/p/this-weeks-virtual-sco-leaders-summit +++
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+++ Bildquelle: Salma Bashir Motiwala / shutterstock
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