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Keine Ausfahrt auf NATO-Schnellstraße in den großen Krieg | Von Rainer Rupp

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Teil 2 Ein Kommentar von Rainer Rupp. Teil 1 dieses Textes finden Sie hier (1)

Im August 1998 veröffentlichte der private Spionage- und Analysedienst Stratfor einen längeren Bericht über den umwerfenden Erfolg von US-Präsident Bushs „Neuer Weltordnung (NWO)". Stratfor war selbst überrascht, dass sich trotz des Unilateralismus der USA die NWO rasch zu einem globalen Renner entwickelt hatte, (Zitat) "zu einer Vision, die von einem Großteil der Weltelite geteilt wurde". Die NWO habe zweifelsfrei „eine neue Qualität“ in den Beziehungen zwischen kapitalistischen Staaten geschaffen.

"Alle Nationen waren jetzt vernünftig" – und den USA gefügig

Der Erfolg dieser "Ideologie der Neuen Weltordnung" liege darin, so Stratfor, dass grundlegende politische Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nationen, d. h. zwischen den Eliten der Nationen verschwunden waren. Statt ideologischer Streitigkeiten, waren alle Eliten der großen Nationen sich nun bezüglich der fundamentalen Prinzipien, also

„Marktwirtschaft und bürgerliche Demokratie, Förderung der globalisierten Finanzwirtschaft und Märkte einig“.

Demnach stimmten alle "vernünftigen Menschen" egal in welchem Land darin überein, dass Wirtschaftswachstum und Wohlstand, von dem vor allem die Eliten profitierten, alle anderen Interessen übertrafen. Daher hatten alle ein großes Interesse daran, diese neue internationale Stabilität nicht zu stören. (Zur Erklärung: Stratfor spricht hier von nichts anderem als von Wohlstand für die Eliten der US-Vasallenstaaten unter dem Regime der Pax Americana)

Die einzigen internationalen Probleme, welche die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten konfrontierten, so Stratfor weiter, waren "Schurkenstaaten" wie Irak und Nordkorea oder die Bedrohung der inneren Instabilität von Staaten wie z. B. in Jugoslawien und Somalia durch Bürgerkrieg oder auch Ausbrüche des internationalen Terrorismus. Aber laut Stratfor waren das nur noch " Randprobleme". Denn

"alle anderen Nationen waren jetzt vernünftig. Sie hatten alle die Notwendigkeit eingesehen, dafür zu sorgen, dass die Schurkenstaaten davon abgehalten werden, durch Bürgerkriege oder durch Ausbreitung von Terrorismus die Finanzmärkte zu beunruhigen".

Da die Eliten aller Nationen „im Rahmen der NWO ein gleich-großes Interesse an der Erhaltung gut funktionierender Finanzmärkte haben, waren sie folglich auch bereit, den USA bei der Lösung der marginalen Probleme (siehe Jugoslawien, Irak und Somalia) beizustehen". Damit die internationalen Finanzmärkte auch optimal funktionierten, hatte die US-geführte NWO laut Stratfor der Aufgabe, das internationale Wirtschaftssystem zu einem international-eingeebneten Spielfeld zu machen, absolute Priorität gegeben. Denn wenn die global operierenden Unternehmen nicht die Möglichkeit haben, ohne Einschränkungen durch Zölle, nationale Regularien, Deviseneinschränkungen und Investitionshindernissen nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten, ist eine Profitmaximierung nicht möglich.

Daher sei diese Aufgabe in die Hände einer Gruppe von multilateralen Organisationen delegiert worden, wie z. B. der Internationale Währungsfonds IWF, das GATT (seither von der Welthandelsorganisation (WHO) ersetzt), die Weltbank, die OECD und nicht zuletzt die NATO. Diese Organisationen "dienen alle dem gleichen Zweck und sie haben einen sehr guten Job gemacht", lobte Stratfor.

Für den US-Analysedienst war es auch „selbstredend", dass die Vereinigten Staaten, als weltweit führende Nation, auch eine besondere und entscheidende Rolle bei der Festlegung der Missionen der UNO und der anderen multilateralen Organisationen spielen.

„Da jedoch alle Nationen jetzt die gleichen grundlegenden Interessen haben, folgt daraus, dass keine vernünftige Nation sich dem US-Führungsanspruch und dessen Entscheidungen widersetzt."

(Anmerkung: Wenn Stratfor von „vernünftigen Nationen“ spricht, dann sind damit stets die oberen Führungsschichten, also die sogenannten „Eliten“ gemeint.)

Die europäische Dimension der NWO

Wie sehr diese US-Ideologie von der NWO insbesondere in der EU auf fruchtbaren Boden gefallen ist, lässt sich exemplarisch an der Person Robert Coopers festmachen. Cooper begann seine diesbezügliche Karriere als Chefberater des britischen Premiers Tony Blair. Von dort ging er zur EU und wurde "Generaldirektor für Äußere und Politisch-Militärische Angelegenheiten" im Generalsekretariat des EU-Rats und hatte damit ständigen Umgang mit Ministern und Staatschefs. In dieser Rolle hat Cooper laut Wikipedia auch die Philosophie der „Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik maßgeblich geprägt". Dafür wurde er später von der Queen zum Ritter geschlagen und so gut wie von allen Regierungen der EU-Mitgliedsländer mit Orden und Ehrungen überhäuft.

Orden und Ehrungen wofür? Für Forderungen wie diese aus seinem ersten Buch, die dann in der EU auch prompt umgesetzt wurden, unter wohlwollender US-Aufsicht:

"Wir brauchen eine neue Art von Imperialismus, einen Imperialismus, der mit den Menschenrechten und den kosmopolitischen Werten kompatibel ist: ein Imperialismus, der sich zum Ziel setzt, Ordnung und Organisation zu bringen."

Nach dem US/NATO-völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien hat Cooper zwischen zwei Arten des "neuen Imperialismus" unterschieden: Da wäre zunächst das, was er als "freiwilligen Imperialismus" bezeichnet, dessen Träger die angeblich „demokratischen" (!) Institutionen der westlichen Welt sind, wie der "Internationale Währungsfonds" (IWF) oder die "Weltbank".

Laut Cooper bringen diese Institutionen "all jenen Staaten Hilfe, die freiwillig ihren Weg zurück in die globale Wirtschaft der internationalen Gemeinschaft finden wollen". Das heißt nichts anderes, als dass all jene Staaten, die sich beugen und bereit sind, sich ihre wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Verfasstheit von den undemokratischen, NWO-kontrollierten Institutionen IWF und Weltbank vorschreiben zu lassen, keine Angst zu haben brauchen vor "humanitären" Bombardements.

Allen anderen Staaten aber, die sich nicht freiwillig der NWO unterwerfen, droht Cooper mit „gut nachbarschaftlichem Imperialismus", d. h., dass "verantwortliche" Staaten, z.B. die USA, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland zuerst wirtschaftliche und politische Zwangsmaßnahmen verhängen und dann, wenn das nichts genutzt hat, militärisch intervenieren, um Instabilitäten im globalen Dorf zu verhindern, damit die Finanzmärkte nicht verschreckt werden.

Als leuchtendes Beispiel für den "gut nachbarschaftlichen Imperialismus" verweist Cooper in seinem Buch von 2002 "The Postmodern State and the World Order (Der postmoderne Staat und die Weltordnung)" auf die erfolgreiche "humanitäre Intervention" der NATO im Kosovo. Das dort errichtete NATO-Protektorat zeige wie kein anderes Beispiel, wie gut "der neue Kolonialismus (!) Ordnung und Organisation" bringen kann.

In vielen Schriften und Reden entwickelt Cooper im Laufe der Jahre die EU-Doktrin des "neuen, liberalen Imperialismus" weiter. Dabei unterstreicht er im Umgang mit sogenannten Problemstaaten "die Notwendigkeit von doppelten Standards". Eine weitere Steigerung kommt in seinem nächsten Buch, "The Breaking of Nations" (auf Deutsch: "Wie man Nationen gefügig macht"). Dort heißt es:

"Untereinander sollten die Europäer auf der Grundlage des Rechts und gemeinsamer Sicherheit operieren. Aber außerhalb Europas sollten sie die raueren Methoden früherer Zeiten anwenden – Gewalt, Präventivschläge, Hinterlist und was sonst noch alles nötig ist. Denn wenn wir uns im Dschungel befinden, dann müssen wir auch die Gesetze des Dschungels anwenden";

im Original: "When in the jungle, one must use the laws of the jungle."

Laut einer weiteren Stratfor-Analyse funktionierte diese Version der Neuen Weltordnung für eine Weile sehr gut für die USA. Auch die internationalen Eliten konnten gut davon profitieren. Auch habe es "unter den Eliten der beteiligten Nationen keine namhaften Konflikte gegeben". Daraus wurde dann die bekannte Phrase gestrickt, dass „Demokratien keine Kriege gegeneinander führen“.

Störenfried Russland

Während in Russland noch das Jelzin-Regime herrschte, sah man im Westen gute Chancen auch Russland in diese US-geführte neue Weltordnung hineinzuziehen.

Dann aber kam 1998/99 der russische Finanzkollaps, bei dem Hilfe vom Westen ausblieb und IWF und Weltbank tatenlos dem Absturz Russlands zusahen. Diese Untätigkeit des Westens, verbunden mit kaum verdeckter Vorfreude westlicher Geier auf reiche Beute in Form des gigantischen Rohstofflagers Sibirien, gaben der zukünftigen Entwicklung Russlands einen entscheidenden Abstoß in eine andere Richtung. Denn sie förderte neue auftauchende politische Kräfte im Land, die Russlands Zukunft nicht im Westen sahen.

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In dem Chaos, das von westlichen Beratern der russischen Regierung im Verein mit lokalen Oligarchen angerichtet worden war, entstand der Keim, aus dem in den nachfolgenden 25 Jahren der mächtigste Widersacher der NWO geworden ist. Und die russische Bevölkerung steht zu 85 Prozent hinter ihrem Präsidenten Putin. Zugleich hat sich das wirtschaftlich, moralisch und militärisch wiedererstarkte Russland, als unüberwindbarer Widersacher gegen die US-geführte, "regelbasierte Ordnung" erwiesen, so heißt nämlich die 1991 aus der Taufe gehobene Neue Weltordnung heute. Zugleich ist Russland gemeinsam mit seinem strategischen Partner China zum Leuchtturm der Hoffnung vieler Länder des Globalen Südens geworden, die sich aus der räuberischen Umklammerung der westlichen Neo-Kolonialisten befreien wollen.

Kein Plan B: Auf der Schnellstraße in den Krieg

Und jetzt kommen wir zurück auf die eingangs geschilderte Lage in der Ukraine. Inzwischen dürfte auch klar geworden sein, wieso die politischen, medialen, wissenschaftlichen und militärischen Eliten in Europa kein Problem damit hatten und haben, die vitalen Interessen ihrer eigenen Völker zu missachten, solange es ihnen selbst gut geht und sie die Rückendeckung der befreundeten Eliten in Europa und jenseits des Atlantiks haben.

Das Wichtigste für diese Leute sind die Finanzmärkte, von denen sie alle kräftig profitieren. Denn trotz der katastrophalen Wirtschaftslage in allen Ländern des kollektiven Westens erklimmen die Börsen dort dank geldpolitischer Manipulationen ständig neue Höchststände, was die Eliten weiter bereichert, während aufgrund der gleichzeitigen Geldentwertung die arbeitende Bevölkerung immer ärmer wird.

Deutsche Phantasien: Russland niederringen

Nach wie vor gelingt es den Eliten dank Ihrer willigen Presstituierten, dem Gros der Bevölkerung vorzugaukeln, dass sie alles im Griff haben, egal ob in der Ukraine, bei der Inflationsbekämpfung, beim Wirtschaftswachstum etc. Aber der Moment, an dem die Realität den Schleier der Lügen, der Manipulationen und des Schönredens zerreißt, kommt unaufhaltsam näher.

Je länger diese tragische Entwicklung anhält, desto weniger Optionen zur Rettung oder Milderung der Lage bleiben übrig. Der Westen ist an seine Belastungsgrenze gekommen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten zeigen sich jetzt innerhalb des Westens wieder tiefe Bruchlinien zwischen den Eliten auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Realisten und Pragmatiker wollen mit den Russen verhandeln, während Extremisten vom Typ der eingangs erwähnten Kriegstreiber mit einem direkten Waffengang zwischen Russland und der NATO liebäugeln.

Dabei lässt sich die aktuelle Situation in der Ukraine, die vom Westen als Rammbock ausgenutzt wird und dabei selbst zerstört wird, wie folgt skizzieren:

Erstens: Russland hatte auf dem Schlachtfeld von Anfang an eindeutig die Oberhand, egal ob militärtechnisch, oder in Bezug auf Strategie und Taktik, oder auf Reserven, oder auf Ausbildungsstand und Moral der Soldaten, oder auf die Unterstützung und Einigkeit der russischen Bevölkerung. Die Ukraine hat längst verloren, selbst wenn sie noch einige Zeit in selbstzerstörerischem Wahn weiterkämpfen kann. Fest steht jedoch, dass der Ukraine die Zeit davonläuft.

Zweitens: ist die Führung der Ukraine ungeachtet ihrer Schwäche weiterhin nicht bereit, auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zu Bedingungen einzugehen, die für Russland akzeptabel sind. Der russische Präsident Wladimir Putin hat wiederholt bekräftigte, dass Moskau grundsätzlich offen für Gespräche bleibt, allerdings nicht auf Grundlage von "Wunschdenken", sondern ausgehend von den Realitäten an der Front.

Die mangelnde Flexibilität des Kiewer Regimes ist nicht verwunderlich. Für Präsident Wladimir Selenskij persönlich und zumindest für sein Kernteam gibt es bei der unausweichlichen Niederlage kaum eine Möglichkeit, die Katastrophe zu überleben, die sie ihrem Land zugefügt haben. Sie waren willfährige Werkzeuge der Menschen verachtenden Kriegstreiber in Washington, deren Ziel es war und ist, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Sie alle haben versagt und werden auf der Strecke bleiben.

Und Drittens: besteht zumindest in NATO-Europa nach dem Scheitern des Projektes Ukraine die Möglichkeit, dass auch dort die Eliten auf der Strecke bleiben, weil sie zur Unterstützung der Strategie Washingtons die vitalen Interessen ihrer eigenen Völker verkauft und diese ins wirtschaftliche Elend geführt haben.

Ein Zusammenbruch der ukrainischen Front wird es den West-Eliten unmöglich machen, die bisherigen Lügen aufrecht zu halten. Selbst die gutgläubigsten Schafe im Westen werden sich von den herrschenden Eliten in Politik und Medien abwenden. Letztere fürchten sich zu Recht vor dem Tag, an dem die Zeitenwende der Abrechnung beginnt.

Der Westen zerstört sich selbst

Die Westeliten haben in ihrer Abgehobenheit von jeglicher Realität nie daran gedacht, dass ihre ursprünglichen, ihrem Wunschdenken entsprungenen Pläne zur Destabilisierung der russischen Gesellschaft und zur strategischen Schwächung des russischen Militärs scheitern könnten. Daher haben sie keinen Plan B. Sie haben keinen Ausweg, weshalb sie mehr und mehr von Panik ergriffen werden.

Panik

In der Tat können die westlichen Gedankenspiele und die öffentliche Thematisierung eines Nuklearwaffeneinsatzes in der Ukraine nur mit Panik erklärt werden. In dieselbe Kategorie fortgeschrittenen Wahnsinns fallen auch Pläne, westliche Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, womit wir dem großen Krieg einen gewaltigen Schritt näherkämen. Das Problem ist, dass die selbstherrlichen West-Eliten im Taumel ihrer Siegessicherheit es unterlassen haben, auf ihrer Schnellstraße in den großen Krieg vor dem Abgrund eine Ausfahrt einzuplanen.

Quellen und Anmerkungen

 

Teil I und II basieren auf dem Manuskript einer Rede, die Rainer Rupp am 23. März 2024 im HoffART-Theater Darmstadt gehalten hat. Die Veranstaltung war organisiert von der Regionalgruppe den „NachDenkSeiten“ und dem „Deutschen Freidenker-Verband e.V.“

(1) https://staging.apolut.net/keine-ausfahrt-auf-nato-schnellstrasse-in-den-grossen-krieg-von-rainer-rupp/

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Tatyana Mi / Shutterstock.com


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