
Die EU-Chefdiplomatin wird für die EU immer mehr zum Problem, denn sie verprellt den globalen Süden, den die EU im Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte dringend braucht.
Ein Kommentar von Thomas Röper.
Ironisch könnte man sagen, dass Russland sich keine bessere EU-Chefdiplomatin als Kaja Kallas wünschen konnte, denn mit ihrem radikalen Russland-Hass und ihren unverschämten Forderungen an nicht-westliche Länder wie vor allem China, aber auch Indien oder Brasilien, stößt sie den gesamte globalen Süden vor den Kopf, zumal sie auch noch Israels Völkermord in Gaza und Israels illegalen Krieg gegen den Iran verteidigt. Im Grunde genommen tut sie genau das, was Russland sich wohl wünscht: Sie zerstört im globalen Süden die Reste des ehemals guten Rufes der EU und steht für die Doppelmoral des Westens, die im globalen Süden nicht nur die Regierungen, sondern auch die Menschen abstößt.
Darüber hat der italienische Journalist Thomas Fazi einen lesenswerten Artikel geschrieben, den ich übersetzt habe. Zum Verständnis sei gesagt, dass Fazi ein kritischer Journalist ist, der den Kurs der EU vor allem in Wirtschaftsfragen kritisiert, aber seine Artikel und Kommentare werden immer wieder auch in Mainstream-Medien veröffentlicht. Viele seiner Artikel werden bei UnHerd, einem als konservativ geltenden britischen Thinktank, veröffentlicht.
Beginn der Übersetzung:
Kaja Kallas ist die wahre Bedrohung für Europa. Sie verkörpert den Block in seiner schlimmsten Form.
Von Thomas Fazi | UnHerd
Obwohl Ursula von der Leyen vergangene Woche das Misstrauensvotum im Europäischen Parlament überstanden hat, hat das Ergebnis eine parteiübergreifende Unzufriedenheit mit ihrer zunehmend autoritären Führung offenbart. Die Unterstützung für die EU-Kommissionspräsidentin bröckelt.
Die auffälligste Veränderung kam von der rechtsgerichteten EKR-Fraktion, zu der auch Fratelli d’Italia gehören, die Partei von Georgia Meloni. Zuvor hatten diese Abgeordneten von der Leyen bei mehreren zentralen Vorhaben unterstützt, doch bei dieser Abstimmung stimmten nur wenige gegen das Misstrauensvotum, die meisten enthielten sich oder blieben fern. Bemerkenswert war auch die Unterstützung für den Antrag über dessen rechtspopulistische Urheber hinaus: Mehrere Abgeordnete der linken Fraktion sowie parteilose linksgerichtete Abgeordnete aus Deutschland und anderen Ländern unterstützten ihn ebenfalls. Insgesamt erhielt von der Leyen die Zustimmung von 360 Abgeordneten, das sind 40 weniger als bei ihrer Wiederwahl 2024.
Ein wesentlicher gemeinsamer Nenner dieser ansonsten sehr unterschiedlichen Kräfte ist die Ablehnung des konfrontativen Kurses der Kommission im Russland-Ukraine-Konflikt. Das Misstrauensvotum verwies ausdrücklich auf den Vorschlag der Kommission, eine Notfallklausel des EU-Vertrags zu nutzen, um das Parlament bei dem Kreditpaket in der Höhe von 150 Milliarden Euro zur Förderung gemeinsamer Waffenbeschaffung durch EU-Staaten mit dem Ziel, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu verstärken, außen vor zu lassen.
Es ist wichtig zu betonen, dass sich das Misstrauensvotum nicht nur gegen von der Leyen richtete, sondern gegen ihre gesamte Kommission, insbesondere gegen ihre Stellvertreterin Kaja Kallas, Vizepräsidentin der Kommission und Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, also das, was dem Posten des Außenministers der EU am nächsten kommt.
Kallas, die frühere Premierministerin Estlands – eines Landes mit nur 1,4 Millionen Einwohnern, also weniger als die Bevölkerung von Paris – wurde im Dezember vergangenen Jahres zur neuen Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ernannt. Seither verkörpert sie wie keine andere die toxische Mischung aus Inkompetenz, Irrelevanz und blankem Unsinn, die zunehmend die EU-Politik prägt.
Gerade in einer Zeit, in der der Krieg in der Ukraine unbestritten die größte außenpolitische Herausforderung Europas darstellt, wirkt Kallas mit ihrer tief verwurzelten Russland-Feindlichkeit – eine, die an Obsession grenzt – wie die denkbar ungeeignetste Besetzung. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag, bei ihrem Antrittsbesuch in Kiew, twitterte sie:
„Die Europäische Union will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“,
eine Aussage, die in Brüssel sofort für Unruhe sorgte, da sie nicht mit der etablierten EU-Rhetorik der zwei Jahre Krieg übereinstimmte.
„Sie benimmt sich immer noch wie die Premierministerin eines Mitgliedstaates“,
kommentierte ein Diplomat.
Nur wenige Monate vor ihrer Ernennung hatte sie vorgeschlagen, Russland in „kleine Staaten“ zu zerschlagen. Seither fordert sie immer wieder die vollständige Wiederherstellung der ukrainischen Grenzen von 1991, einschließlich der Krim. Eine solche Position schließt Verhandlungen faktisch aus.
Während selbst Donald Trump anerkennen musste, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine keine realistische Option ist, besteht Kallas auf genau diesem Ziel, trotz der Tatsache, dass das für Russland seit fast zwei Jahrzehnten eine rote Linie darstellt. Kallas erklärte sogar:
„Wenn wir der Ukraine nicht weiter helfen, sollten wir alle anfangen, Russisch zu lernen.“
Es macht nichts, dass Russland keinerlei strategischen, militärischen oder wirtschaftlichen Grund hat, die EU anzugreifen. Anfang dieses Jahres bezeichnete Kallas zudem die Bemühungen von Donald Trump, den Krieg zu beenden, als „schmutzigen Deal“, was dazu führte, dass US-Außenminister Marco Rubio im Februar ein geplantes Treffen mit ihr kurzfristig absagte.
Kallas’ Fixierung auf Russland hat dazu geführt, dass sie sich zu nahezu keinem anderen außenpolitischen Thema äußert. Der ehemalige britische Diplomat Ian Proud, der von 2014 bis 2019 an der Botschaft seines Landes in Moskau tätig war, bemerkte, sie wirke wie eine „Ein-Themen-Beauftragte“, die einzig und allein darauf aus sei, die seit einem Jahrzehnt bestehende EU-Politik der Nicht-Zusammenarbeit mit Russland aufrechtzuerhalten, egal, welche wirtschaftlichen Kosten das mit sich bringe.
Ihre aggressive, einseitige Rhetorik – oftmals ohne Rücksprache mit den Mitgliedstaaten – hat nicht nur offen EU- und NATO-kritische Regierungen wie jene in Ungarn und der Slowakei verprellt, sondern auch Länder wie Spanien und Italien irritiert. Diese teilen zwar grundsätzlich die Ukraine-Politik der NATO, jedoch nicht die Einschätzung von Kallas, die Moskau als unmittelbare Bedrohung für die EU sieht.
„Wenn man ihr zuhört, könnte man meinen, wir seien im Krieg mit Russland, das ist aber nicht die Position der EU“,
klagte ein EU-Beamter.
Rein formal ist die Aufgabe der Hohen Vertreterin, den Konsens der Mitgliedstaaten als verlängerter Arm des Rates widerzuspiegeln, und nicht, als supranationale Akteurin auf eigene Faust Politik zu betreiben. Doch Kallas sieht das offenbar anders und tritt wiederholt so auf, als spräche sie im Namen aller Europäer, ein von oben herab verordneter, antidemokratischer Stil, der symptomatisch ist für den autoritären Trend, den Ursula von der Leyen maßgeblich verstärkt hat.
Trotz ihrer Bekenntnisse zur Demokratie hat Kallas selbst kein demokratisches Mandat. Sie wurde nicht in ihr Amt gewählt. Ihre Partei, die estnische Reformpartei, erhielt bei der letzten Europawahl weniger als 70.000 Stimmen, also weniger als 0,02 Prozent der europäischen Bevölkerung. Von der Leyen hat ihre Kommission mit zahlreichen gleichgesinnten baltischen Beamten besetzt – eine Region mit gerade einmal sechs Millionen Einwohnern –, die nun zentrale Positionen in der Verteidigungs- und Außenpolitik bekleiden. Diese Personalpolitik spiegelt eine strategische Allianz zwischen den Zentralisierungsplänen der Kommissionspräsidentin von der Leyen und Weltsicht der Ultra-Falken aus der baltischen Politklasse wider. Beide eint ein kompromissloser Kurs entlang der NATO-Linie und eine tiefe Abneigung gegenüber jeglicher Diplomatie mit Moskau.
Der antirussische Eifer von Kallas machte sie zur idealen Kandidatin für das Amt, das sie bekleidet. Was dabei selten erwähnt wird: Ihre Familie war keineswegs Opfer sowjetischer Unterdrückung, sondern gehörte zur sowjetischen Mittelschicht – oder sogar Oberschicht.
Tatsächlich wurde Kaja Kallas in eine der einflussreichsten politischen Familien Estlands hineingeboren, eine Familie, deren Aufstieg maßgeblich durch das sowjetische System begünstigt wurde, das sie heute so vehement verurteilt. Ihr Vater, Siim Kallas, war ein führendes Mitglied der sowjetischen Nomenklatura und später eine Schlüsselfigur in der postsowjetischen Politik Estlands. Er war Premierminister und diente anschließend über ein Jahrzehnt als EU-Kommissar.
Es überrascht kaum, dass Kaja Kallas direkt nach ihrem Studienabschluss 2010 in die Politik einstieg und der Reformpartei ihres Vaters beitrat. Ebenso wenig überrascht es, dass sie seinem Weg nach Brüssel folgte, nachdem sie von 2021 bis 2024 als Premierministerin von Estland diente. Es liegt nahe, dass hier nicht nur persönlicher Ehrgeiz, sondern auch elitäre Kontinuität und ererbtes Privileg eine Rolle spielten. Man fragt sich unweigerlich, ob ihre aggressive Russland-Politik Überzeugung oder bloß Karrierekalkül ist.
Ein Vorfall wirft ein besonders aufschlussreiches Licht auf ihr geopolitisches Verhalten. Im Jahr 2023, noch als Premierministerin von Estland, forderten drei große estnische Tageszeitungen ihren Rücktritt, nachdem bekannt wurde, dass das Transportunternehmen ihres Ehemanns trotz des Ukraine-Kriegs weiter Geschäfte mit Russland machte. Kallas wies die Vorwürfe zurück und weigerte sich zurückzutreten, was ihr den Vorwurf der Heuchelei einbrachte: einerseits den vollständigen wirtschaftlichen Bruch mit Russland zu fordern, andererseits die Russland-Geschäfte der eigenen Familie zu dulden.
Alles in allem ist Kallas für das Amt vollkommen ungeeignet, denn sie begeht einen Missgriff nach dem anderen. Erst kürzlich beleidigte sie beinahe alle irischen Bürger, als sie andeutete, Irlands Neutralität sei darauf zurückzuführen, dass das Land keine Gräueltaten wie „Massendeportationen“ oder die „Unterdrückung von Kultur und Sprache“ erlebt habe – eine absurde Aussage angesichts der britischen Kolonialvergangenheit und der Gewaltgeschichte Nordirlands.
“Der antirussische Eifer von Kallas machte sie zur idealen Kandidatin für ihr Amt”
Einige ihrer Fehltritte zeigten deutlich weitreichendere Folgen. Bei einem kürzlichen Treffen mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi forderte Kallas, China solle Russlands Vorgehen in der Ukraine verurteilen und sich der „regelbasierten internationalen Ordnung“ unterwerfen. Yi, üblicherweise ein zurückhaltender Zeitgenosse, reagierte ungewöhnlich scharf auf diese Forderung und betonte, dass China Russland zwar nicht militärisch unterstütze, aber auch einen russischen Sieg nicht ablehne, andernfalls würde der Fokus des Westens sich schließlich auf China richten.
Damit spielte er wohl auf eine frühere Aussage von Kallas an:
„Wenn Europa Russland nicht besiegen kann, wie soll es dann mit China fertig werden?“
Dass eine hochrangige EU-Vertreterin für internationale Beziehungen derart konfrontativ formuliert, offenbart eine erschreckende diplomatische Unbeholfenheit.
Dass Kallas sich berufen fühlt, China über Völkerrecht und die „regelbasierte Ordnung“ zu belehren, zeigt nicht nur eine bemerkenswerte Blindheit gegenüber Europas schwindender Bedeutung in globalen Angelegenheiten, sondern auch einen frappierenden Mangel an Selbstreflexion hinsichtlich der Doppelmoral, die man der EU in Peking und im Globalen Süden vorwirft.
Während sie lautstark russische Angriffe auf Zivilisten verurteilt, hat Kallas die israelischen Gräueltaten in Gaza entweder verharmlost oder sogar gutgeheißen. Ein kürzlich durchgesickerter EU-Bericht bestätigt, dass Brüssel längst anerkannt hat, dass Israel in Gaza Kriegsverbrechen unter Anwendung von „Aushungern, Folter, wahllosen Angriffen und Apartheid“ begeht. Doch Kallas hat Israel dafür weder verurteilt noch die Beziehungen hinterfragt. Ebenso schwieg sie zu den Drohungen aus den USA, Grönland zu annektieren und unterstützte die US-israelischen Luftschläge gegen den Iran, die eine klare Verletzung des Völkerrechts darstellen.
Diese selektive Moralpolitik hat das Ansehen der EU – insbesondere im Globalen Süden – nachhaltig beschädigt. Doch allein Kallas dafür verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Denn letztlich ist nicht sie das eigentliche Problem, sondern das System, das Figuren wie sie überhaupt erst möglich macht. Ein System, das die lautesten Falken belohnt, Demokratie gering schätzt und staatsmännisches Handeln durch Auftritte in sozialen Medien ersetzt. Wenn Europa diesen Weg weitergeht, verliert es nicht nur seinen Platz in der Welt, sondern es wird zum deutlichsten Ausdruck des allgemeinen westlichen Niedergangs in Richtung Kakistokratie:
Eine Regierung, besetzt von den Schlechtesten, Unfähigsten und Skrupellosesten.
Thomas Fazi ist Kolumnist und Übersetzer. Sein neuestes Buch „The Covid Consensus“ (Der Covid Konsens) ist gemeinsam mit Toby Green erschienen. Man kann ihm auf X unter @battleforeurope folgen
Ende der Übersetzung
Quellen und Anmerkungen
Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 16. Juli 2025 auf anti-spiegel.ru.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Gints Ivuskans / shutterstock
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