Im Gespräch

Im Gespräch: Hauke Ritz (“Der Kampf um die Deutung der Neuzeit”)

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Der deutsche Philosoph und Publizist, Dr. Hauke Ritz, ist ein Kieler Nordlicht und lebt in Berlin. Heute beschäftigt er sich vor allem mit der Geopolitik. Seine als Buch veröffentlichte Dissertation „Der Kampf um die Deutung der Neuzeit“, im Fach Philosophie an der FU Berlin, beschäftigt sich mit der geschichtsphilosophischen Diskussion in Deutschland vom Ersten Weltkrieg bis zum Mauerfall.

Das Buch erschien bereits 2013 im Wilhelm Fink Verlag. Ritz ist zudem Autor in diversen Publikationen zur deutschen und internationalen Politik.

Zuletzt lehrte Ritz an einer russischen Universität und bekam den Beginn des Ukraine-Krieges hautnah mit. Er beschreibt, wie sich nach drei Wochen bereits ein patriotisches Gefühl in der Bevölkerung breitmachte. Man fühlte sich zunehmend vom Westen schlecht behandelt und kam überein: „Wir stehen das durch.“ Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in Moskau und St. Petersburg hat eine westliche Sichtweise.

Die Fragen, was ist die Neuzeit und was die extreme Gewalt des 20. Jahrhunderts hervorgebracht haben, trieben ihn um. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass der Mensch zum Referenzpunkt der Welt gemacht wurde, statt andersherum. Und diese Bewegung könnte der Auslöser gewesen sein, dass wir es heute mit Großtechnologien zu tun haben, die in der Lage sind, die gesamte Menschheit auszulöschen. Es hat in den letzten Jahren eine enorme Radikalisierung eingesetzt, wie auch am Ende des Mittelalters. Ritz sieht uns in einer großen Krise und am Ende der Neuzeit.

Der Niedergang der europäischen Hochkultur, von einer organischen Kultur hin zu einer synthetischen Kulturindustrie, die immer mehr kommerzialisiert wurde und von autoritären Systemen für ihre manipulativen Interessen missbraucht wurde, macht er verantwortlich, dass die Massen nach und nach formiert wurden.

Neue Kulturentwicklungen wurden in der Geschichte immer massiv für Propagandazwecke eingesetzt. Seit dem Kalten Krieg nutzen PR-Strategen die Massenformierungstechniken massiv, und das mit langfristigen Effekten. Es kommen immer raffiniertere Techniken zum Einsatz, vor allem mit der zunehmenden Digitalisierung. Mikrogruppen werden angesprochen, denen bestimmte Ideen zugespielt werden, mit denen sie sich identifizieren sollen.

Ritz beschreibt, dass während des Kalten Krieges eine neue Linke geschaffen wurde, die nicht mehr kommunistisch war und den Kapitalismus nicht ernsthaft bedrohte. Sie durften sich um Kriegsschauplätze kümmern, wie z. B. Frauenrechte, Rassismus oder Kritik an der katholischen Kirche. Aber nicht um die Eigentums-, System- und Umverteilungsfragen.

Momentan herrscht ein Machtkampf zwischen Staaten und den Monopolisten. Staaten wie Russland und China wollen den Staat erhalten, während der Westen den Monopolisten nahezu freien Lauf lässt und Stück für Stück die Macht übergibt. Russland allerdings hat das Potential als Gegenentwurf der westlichen Idee zu stehen. Das Land hat einen großen Bezug zu seiner Geschichte und Kultur, seiner europäischen Kultur. Das wird allerdings vom Westen als „rechts“ deklariert und als Bedrohung wahrgenommen. Ritz stellt die Frage, warum man überhaupt darüber diskutiert, ob Russland zu Europa gehört? Es ist europäisch mit seiner Musik, Literatur und Philosophie.

Seit dem 1. Weltkrieg versuchte der „Wertewesten“ Russland aus dem europäischen Kulturkreis herauszureißen. Seither existiert ein geteilter europäischer Kulturraum, erläutert Ritz. Russland versuchte in den letzten Jahrzehnten sich immer wieder mit den europäischen Kulturzentren zu verbinden. Gorbatschow und Putin gingen mit einem großen Grundvertrauen auf Europa zu und wurde zurückgewiesen. Allerdings stellt Ritz fest, dass sich Europa nicht erneuern kann, solange es kulturell zerrissen ist. Die Kultur macht uns zum Menschen.

Im Gespräch mit Michael Meyen wünscht sich Ritz, dass ein Bewusstsein entsteht, in dem Kultur geschützt und nicht zum Missbrauch machtpolitischer Ziele eingesetzt wird; und dass wir Menschen wieder eine Kultur benötigen, die freie Diskussionsräume schafft, wo das bessere Argument gewinnt.

Inhaltsübersicht: 0:02:07 Erfahrungen in Russland in Kriegszeiten 0:12:12 Wandel vom Philosophen zum Geopolitologen 0:21:26 Politik soll Realität wahrnehmen wie sie ist – Abstieg des Westens 0:36:54 Kalter Krieg als kulturhistorische Dimension 0:43:19 Aufbau einer neuen Linken 0:55:54 Verhältnis zwischen Humanität und Technik 1:02:01 Russland als Antagonist des Westens 1:16:08 Presse als Macht 1:23:04 Der Westen als fragile Gesellschaft 1:28:06 Missbrauch von Kultur für machtpolitische Ziele


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