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HIStory: Die deutsche Rassenhygiene

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Der Buchautor und Publizist Hermann Ploppa erläutert in HIStory kurz und sachlich historische Daten und Jahrestage von herausragenden geschichtlichen Ereignissen. Dabei werden in diesem Format Begebenheiten der Gegenwart, die mit einem Blick in die Vergangenheit in ihrer Bedeutung besser einzuordnen sind, künftig alle 14 Tage montags in einen geschichtlichen Kontext gebracht.

HIStory: Die deutsche Rassenhygiene

Heute befassen wir uns mit der deutschen Rassenhygiene. Vermutlich werden nicht alle Zuschauer etwas mit diesem Begriff anfangen können. Es gab in den Vereinigten Staaten von Amerika schon seit Ende des Neunzehnten Jahrhunderts die Bewegung der so genannten Eugenik. Wir berichteten schon einmal darüber (1). Wissenschaftler, Politiker, Wirtschaftsbosse und Medienleute dachten damals, dass man alle Übel der Zeit wie Krankheit, Irrsinn, Kriminalität oder andere ungeliebte Abweichungen von der Normalität ganz einfach abschaffen konnte, indem man die biologische Beschaffenheit der Menschen verändert. Da man damals noch nicht in die Zellstruktur der Lebewesen eingreifen konnte, blieb als Steuerung nur die bereits bekannte Zuchtwahl. Was man bei Tieren bereits seit Jahrtausenden erfolgreich praktizierte, musste doch auch bei Menschen möglich sein?

Nun, eine mit der Eugenik verwandte Variante gab es auch in den deutschsprachigen Ländern. Man nannte diese Variante: Rassenhygiene. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde behauptet, die Rassenhygiene sei der perfide Stichwortgeber der Nazipolitik gewesen. Letztendlich seien Verbrechen gegen Behinderte in Deutschland und der Holocaust im besetzten Polen auf die deutsche Rassenhygiene zurückzuführen.

Stimmt das? Dieser Frage wollen wir heute nachgehen. Fangen wir mit dem Begriff „Rassenhygiene“ an. In diesem Kompositum stecken ja die Begriffe „Rasse“ und „Hygiene“. Was hat es damit auf sich?

Der Begriff „Hygiene“ hat sich im Volksgebrauch auf die Bereiche Sauberkeit und Körperpflege verengt. Das ist aber nur ein Aufgabenfeld der Hygiene. Hygeia war bei den antiken Griechen die Göttin der Gesundheit. Hygiene bedeutet in diesem Sinne die Erhaltung und Herstellung von gesundheitsfördernden Bedingungen. Das umfasst die Gesunderhaltung des Einzelnen genauso wie die Gesunderhaltung der Gruppe, in der ein Einzelwesen lebt.

Die Hygiene wurde im 19. Jahrhundert als eigenständige wissenschaftliche Disziplin etabliert, und Max von Pettenkofer besetzte Mitte des Jahrhunderts den ersten universitären Lehrstuhl für Hygiene. In den Krankenhäusern begann man, medizinisches Besteck und die Berufsbekleidung gründlich zu sterilisieren, was bis dato nicht üblich war. Die Menschen wurden dazu angehalten, sich mit Seife zu waschen, was auch noch nicht allgemein üblich war. Die Adligen hatten zuvor ihren Körper durch Puder olfaktorisch veredelt. Anstatt dass die Stadtbewohner ihre Hinterlassenschaften auf die Straße kippten, wurden diese nun durch geschlossene Rohre zur Stadt hinausgeleitet, um sich im Fluss bis zur Unkenntlichkeit aufzulösen. Die Folgen der neuen Reinlichkeit machten sich rasch angenehm bemerkbar: die Lebenserwartung stieg an, die Menschen wurden gesünder.

Angesichts dieser beeindruckenden Erfolge kamen nun Biologen, Gesellschaftswissenschaftler und Mediziner auf die Idee, dass man auch das gesamte Volk als Körper auffassen könnte. Was spricht dagegen, auch den „Volkskörper“ zu pflegen und zu reinigen? War denn dieser Volkskörper nicht krank und musste therapiert werden? Durch das gedrängte Leben der Menschenmassen in der Stadt waren viele unerfreuliche Dinge augenfällig geworden, die in der Weite des Landlebens eher übersehen wurden. Kranke, Missgestaltete, Kriminelle, Asoziale, Alkoholiker, Prostituierte oder obdachlose Kinder. Und die Stadt mit ihrem unpersönlichen Zusammenleben machte gewiss auch vieles möglich, was im engen Verband des Dorfes geächtet worden wäre. Und das Wort „Rasse“?

Das französische Wort „race“ meint ursprünglich nur: Gattung, Geschlecht, Stamm oder Sippschaft. In diesem Sinne findet man in vielen älteren deutschen Schriften das Wort Rasse als „Race“ geschrieben. Im 19. Jahrhundert bürgert sich das heutige Verständnis des Wortes „Rasse“ ein. Wobei, das kann man gleich vorausschicken, unter den Rassetheoretikern ein heilloses Durcheinander entsteht, welche Rassen es gibt, und wer zu welcher Rasse zu zählen ist. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun, dass die neuen Theoretiker des 19. Jahrhunderts diesen Rassen biologisch festgelegte Eigenschaften zuschreiben.

Wer einer gewissen Rasse zugehört, so postulieren diese Denker, der hat nur eine eingeschränkte Entscheidungsfreiheit. Hier kommt nämlich ein weiterer Begriff hinzu: die Erblichkeit. Der Mensch denkt und handelt im Wesentlichen, wie es ihm die Erbanlagen seiner Rasse vorgeben, so dachte man. Und wenn ein Mensch einer bestimmten Rasse sich mit einem Menschen einer anderen Rasse verbindet, dann kann der Nachwuchs recht unangenehme Mischeigenschaften mitbringen, die zu unliebsamen Folgen für ihn selber und noch vielmehr für die Gesellschaft führen können. Die Erbanlagen – gute wie schlechte - zu Fromm und Nutzen der Gesellschaft zu fördern oder aber zu unterdrücken – das ist nun die Aufgabe der Rassenhygiene.

Unter den Persönlichkeiten, die in Deutschland eine neue krankheits- und verbrechensfreie Menschenrasse züchten wollten, befanden sich Denker aller politischen Richtungen: neben Deutschnationalen oder anglophilen Anbetern der nordischen Herrenrasse finden wir auch erklärte Sozialisten, Lebensreformer und Freidenker wie Wilhelm Schallmayer, Magnus Hirschfeld oder den Vordenker der SPD, Alfred Grotjahn. Neben Vertretern von Klassen- und Rassenarroganz profilierten sich Leute, die den ehrlichen Wunsch hatten, über den Hebel der revolutionierten Biologie die Lebensqualität der Menschen anzuheben und sie für alle Zeiten von schrecklichen Krankheiten zu befreien.

Aus diesem Personal ragt allerdings Alfred Ploetz durch seinen unstillbaren Ehrgeiz und seine menschenverachtenden Ansichten heraus. Ploetz hatte in den USA eine eugenisch ausgerichtete Kommune besucht und inhalierte tief die aggressive amerikanische Eugenik. Wieder in Deutschland, ätzte Ploetz in seinen Schriften gegen die Schwachen und Behinderten. Zudem wollte Ploetz die deutsche Rassenhygiene zum Vorreiter der Internationale der Eugeniker machen. Jedoch zeigte ihm der erste internationale Eugenik-Kongress in London im Jahre 1912, dass er mit seinem heterogenen Häufchen Rassenhygieniker aus Deutschland gegen die in einer viel höheren Liga spielenden Amerikaner und Engländer nicht anstinken konnte. Als Folge des Ersten Weltkriegs wurden die deutschen Rassenhygieniker von ihren internationalen Gesinnungsgenossen bis weit in die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein gemieden und geächtet.

Und während die amerikanischen Eugeniker jede Menge empirische Feldstudien machten, konnten die Rassenhygieniker aufgrund von Geldmangel nur Vermutungen und Spekulationen zu Papier bringen. Eine Ausnahme macht Eugen Fischer. Fischer unternimmt vor dem Ersten Weltkrieg eine Forschungsreise in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika, aus der der heutige Staat Namibia hervorging. Dort gab es auf einem Hochplateau eine abgeschlossene Gruppe von Siedlern, die sich selber Rehoboter Bastards nannten. Es handelt sich um Nachkommen burisch-holländischer Siedler mit einheimischen Frauen des afrikanischen Volks der Khoi, die fälschlich als so genannte „Hottentotten“ bezeichnet wurden. Die Rehoboter Bastards betrachteten sich eher als Holländer denn als Afrikaner und kämpften auf der Seite der deutschen Kolonisten gegen die Ureinwohner.

Eugen Fischer muss das Geld für diese Expedition aus verschiedensten Quellen einwerben. Vor Ort betätigt er sich als teilnehmender Beobachter und stellt seine Dienste als Arzt zur Verfügung. So gewinnt er das Vertrauen der Rehoboter. Fischer will wissen, ob sich die Vererbungsgesetze, die der Mönch Gregor Mendel durch Beobachtung an Erbsen festgestellt hat, auch auf Menschen anwenden lassen. Dazu lässt er sich Stammbäume der Rehoboter zeigen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Mendelschen Erbsen-Erbgesetze auch auf Menschen übertragen lassen. Bei der Mischung der Rassen überwiegt in der Nachkommenschaft weder der afrikanische noch der europäische Anteil. Bemerkenswert ist, dass Eugen Fischer den Begriff der „Luxurierung“ einführt. Das heißt, dass „Mischlinge“ durchaus auch bei einzelnen Messdaten (Körpergröße, Schädelindex etc.) die Elternrassen übertreffen können, so wie im Gegenzug auch „hybridierende“ Individuen Messwerte unterhalb der Ausgangswerte aufweisen können: das bezeichneten die deutschen Rassenhygieniker als: „Pauperierung“. Bei den Rehobotern gibt es Personen, die die Buren an Körpergröße geringfügig übertreffen. Krankheitsanfälligkeiten und angeborene Schwächen sind bei den Bastern selten zu finden. All das hat Fischer in einem dicken Buch zusammengetragen und im Anhang mit reichlich Bildmaterial ausgestattet. Mit dieser Studie konnten sich die Rassenhygieniker zum ersten Mal auf der internationalen Bühne sehen lassen.

Infolge der Zerrüttungen durch den Ersten Weltkrieg und den Vertrag von Versailles tritt in Deutschland eine Brutalisierung des gesellschaftlichen Klimas ein. Hier bringen die Autoren Binding und Hoche mit einer provokanten Streitschrift die Tötung „unwerten Lebens“ in die Debatte ein. Allerdings ist die Ablehnung durch die breite Mehrheit der Bevölkerung immer noch sehr deutlich. Soziale Verbände befinden sich in der Auflösung. Familien sind in der Krise. Beziehungen werden zunehmend als schwierig empfunden. Der Bedarf an lebenspraktischer Beratung ist groß. Besonders die Sexualität wird neu gedacht. Jetzt landen eugenische Autoren wie der Schweizer August Forel mit Lebensberatungsbüchern echte Bestseller und so kommt endlich auch die Rassenhygiene aus der Außenseiterrolle in der Mitte der Gesellschaft an.

Der ebenso clevere wie perfid antisemitische Münchner Verleger Julius Lehmann landet schon die ganze Zeit einen Bestseller nach dem anderen. Er übersetzt eugenische Bücher aus den USA ins Deutsche: darunter Madison Grant: „Der Untergang der großen Rasse“; oder Lothrop Stoddard „Der Kulturumsturz: Die Drohung des Untermenschen“ und ähnliche Ergüsse. Lehmann hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg ein deutsches Grundlagenwerk bei drei Koryphäen der Rassenhygiene bestellt. 1921 bringt Lehmann das kanonische Grundlagenwerk der deutschen Rassenhygiene auf den Markt, den so genannten Baur/Fischer/Lenz. Der richtige Titel: „Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ von den Autoren Erwin Baur, dem uns bereits bekannten Eugen Fischer und dem eine Generation jüngeren Fritz Lenz. Dieses Buch wird in fünfter Auflage noch im Zweiten Weltkrieg verlegt.

Doch von Auflage zu Auflage wird der Inhalt immer mehr der Nazi-Ideologie angepasst. Die erste Auflage, die ja auch Adolf Hitler in seinem Luxusknast Landsberg gelesen haben könnte, kommt noch sehr gemäßigt daher. Die beiden Alten: Fischer und Baur, steuern auch nur etwa zehn Prozent zum Buch bei und sollen erkennbar dem Nachwuchsstar Fritz Lenz den roten Teppich auslegen. Darum stellen wir hier mal thesenartig die Kernaussagen des Fritz Lenz vor:

Krankheit ist nach Lenz ein Problem der richtigen Anpassung an die Umwelt. Dabei sind seiner Meinung nach so gut wie alle Krankheiten erblich, und Lenz geht die meisten Krankheiten in seinem Text durch. Besonders stark ist der Erblichkeitsfaktor bei Geisteskrankheiten. Durch Alkoholismus kann es hingegen zu Mutationen kommen.

Theorien über die menschliche Erblichkeitslehre werden durch Analogieschlüsse anhand von Erkenntnissen bei Tieren und Pflanzen entwickelt. Vorsichtige Spekulation und Induktion sind erlaubt. Hinzu kommen Genealogie (also Stammbaumforschung) und Demographie. Vielversprechend sind nach Lenz auch die Ansätze in der Zwillingsforschung. Lenz benutzt den Begriff „seelisch“ für Dinge, die wir als intellektuell oder kognitiv bezeichnen würden. Seelische Begabungen sind erblich. Frauen und Männer haben verschiedene Arten von Intelligenz und Begabung. Es erinnert an Lavater, wenn Lenz rundheraus verkündet, man könne aus der Schädelgröße auf die intellektuelle Potenz schließen.

Die weiteren Aussagen in Thesenform:

  • Ob jemand oben oder unten in der Gesellschaft steht, ist bedingt durch seine Erbanlagen;
  • es gibt unter den genetisch Bevorzugten (Begabten) viele Verrückte. Das ist normal; die Abkunft eines Menschen ist wichtiger für seine Beurteilung als dessen auf den ersten Blick erkennbare Merkmale – Genotyp vor Phänotyp;
  • es gibt eine hierarchische Qualitätsabstufung unter den Rassen;
  • die Juden werden wertfrei behandelt. Sie stehen mit der nordischen Rasse auf einer Niveaustufe – sehr intelligent, begabt, einfühlsam, sozial kompetent. Es wäre eine Überlegung wert, ob das eine Prozent deutscher Juden nicht von den Deutschen aufgesogen werden sollten, so meditiert Lenz; dagegen spräche, dass ein Zuzug von Ostjuden zu erwarten sei. Dieser Zuzug müsse auf jeden Fall unterbunden werden.
  • Rassenkreuzungen können durchaus sehr produktiv sein. Es gibt nicht nur, wie Fischer gesagt hat, ein körperliches Luxurieren, sondern auch ein geistiges Luxurieren, sagt Lenz. Luther, Goethe, Beethoven sind nämlich – das würde selbige vermutlich sehr erstaunen – Ergebnisse von Rassenkreuzungen.
  • die wichtigste Maßnahme zur Verbesserung der Rassenqualität ist die Auslese; es gibt auch eine unerwünschte Auslese, das ist die Gegenauslese oder Kontraselektion. Die findet z.B. dadurch statt, dass die oberen Kreise der Gesellschaft sich weniger oder gar nicht fortpflanzen, die „Minderwertigen“ aber umso mehr. Die natürliche Auslese kann beschränkt sein durch soziale Maßnahmen zugunsten der „Minderwertigen“.
  • Früher haben Epidemien für eine heilsame Auslese gesorgt. Das ist heute nicht mehr der Fall. An die Stelle der Epidemie muss die Rassenhygiene treten. Die Tuberkulose ist heilsam, weil sie die „Minderwertigen“ hinwegrafft. Geschlechtskrankheiten sind ganz übel, weil sie gerade die Wagemutigen hinwegraffen. Geschlechtskrankheiten sind die größten Feinde der nordischen Rasse!
  • Ganz schlimm sind die modernen Kriege. An ihnen nehmen unsere Besten teil, während sich die „Minderwertigen“ munter vermehren. Gerade der Erste Weltkrieg war eine furchtbare Katastrophe für die nordische Rasse.
  • welchen Beruf jemand ergreift, wird durch die Erbanlagen bestimmt. Die Berufstätigen sind schon physiognomisch, in ihrem Körperbau und den Gesichtszügen, deutlich zu unterscheiden;
  • die besseren Rassen bilden immer die Oberschicht in einer Nation;
  • zur Kriminalität neigen immer nur bestimmte Rassen. Ja, man kann bei den geborenen Verbrechern Züge des Neandertalers entdecken!
  • außerordentlich gefährlich ist es, wenn Begabte nur wenige Kinder in die Welt setzen; es müssen die oberen Gesellschaftssegmente mehr Nachwuchs zeugen als die unteren Segmente. Eine Gesellschaft kann nur ihr Niveau anheben, wenn ein Bevölkerungsstrom von oben nach unten sickert. Und nicht umgekehrt die „Minderwertigen“ sich vermehren und so langsam nach oben aufsteigen und die ausgestorbenen Ränge der Hochwertigen ausfüllen;
  • auf den Mann kann man noch eher verzichten als auf die Frau. Die ist ganz zentral wichtig bei der beabsichtigten Rettung der nordischen Rasse. Darum sollen gerade die intelligenten Frauen, die an die Universitäten drängen, eben dieses sein lassen und sich ganz auf die Rolle als Mutter konzentrieren. Die Rasse braucht gerade den hochwertigen Baustein der klugen Frauen;
  • Völkerwanderungen und soziale Wanderungen sind wichtig für die Qualitätsanhebung. Darum müssen die Menschen der nordischen Rasse auswandern in alle Welt – Wanderauslese.
  • Was ist also zu tun für die Rassenhygiene? Verbot von Alkohol, wie in den USA. Verbot von Tabak, Umweltgiften und sparsamer Umgang mit Röntgenstrahlen.
  • Rücksichtslose Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Meldepflicht, Einführung von Gesundheitsministerien (die gab es damals noch nicht).
  • Für alle Bürger die Ausstellung eines Ärztlichen Gesundheitszeugnisses. „Minderwertige“ können sich aussuchen, ob sie lebenslang eingesperrt werden wollen, oder ob sie sich lieber freiwillig sterilisieren lassen.
  • Euthanasie ist für Eugenik kein Thema, da Betroffene sich sowieso nicht fortpflanzen. Aber Euthanasie ist ein Gebot der Humanität im Falle von unheilbar Kranken und de facto Hirntoten, die nur noch künstlich ernährt werden.
  • Im Prinzip soll Rassenhygiene nicht mit Zwangsmaßnahmen arbeiten, sondern mit Überzeugung und Freiwilligkeit. Bitte keinen Zwangsstaat! Wünschenswert ist ein „schlanker Staat“.
  • Ein anderes Steuerrecht soll Familien mit vielen Kindern unter die Arme greifen. Gerade die Höherwertigen sollen früher heiraten und früher Kinder in die Welt setzen.
  • Bei der Einwanderung muss selektiv vorgegangen werden. Besonders Menschen aus Südosteuropa sollen – nach dem Vorbild der USA – nicht in Deutschland einwandern dürfen. Dagegen sollen nordische Menschen aus Deutschland auswandern und die Erde bevölkern. Und zwar ganz bevorzugt nach Osten, soll heißen nach Russland – möglichst eine Million nordische Menschen pro Jahr!
  • Rassenhygiene muss als Ziel in die Verfassung der Weimarer Republik eingebaut werden.
  • Sozialismus oder Kapitalismus? Keiner von beiden ist erstrebenswert. Kapitalismus mit seinem Egoismus führt zum Aussterben der Guten. Sozialismus behandelt alle Menschen gleich. Das geht gar nicht. Die Begabten müssen bevorzugt werden.
  • Rassenhygiene darf keinesfalls herhalten als Begründung zur Kostendämpfung im Gesundheits- und Sozialwesen!
  • Die beste Herrschaftsform ist eine „wahre Aristokratie“, also eine Herrschaft der rassisch besten;
  • Unterricht: weg mit dem humanistischen Bildungsplunder! Her mit Naturwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre!
  • Sport soll nicht gleichwertig sein mit geistigen Fächern. Kein Sport-Krampf! Stattdessen viel Bewegung an der frischen Luft. Einen herausgehobenen Rang in der Erziehung muss das Fach Biologie, und dort besonders: Rassenhygiene erhalten!
  • Nicht Sprachen und Kulturen sind entscheidend, sondern Rassen. Dementsprechend sollen sich alle Staaten mit nordischer Bevölkerung zu einem Völkerbund unter Führung der USA zusammentun. Irgendwann ist die Zeit reif für die „Blonde Internationale“.
  • Auch wenn Mischehen keine Katastrophe sind, sollten sich die Menschen der nordischen Rasse nur mit ihresgleichen paaren. Die anderen Rassen sollten es genauso halten.

Soweit der Inhalt des „Baur/Fischer/Lenz“. Es ist erstaunlich: die zeitgenössischen Kritiker bescheinigten den Autoren ein hohes Maß an „Wissenschaftlichkeit“, „Objektivität“ und „Ausgewogenheit“. Es handelte sich bei den Rezensenten in der Mehrzahl um Professoren. Ein nicht unerheblicher Teil der Rezensenten bestand erwartungsgemäß aus Mitstreitern, wie z.B. die Herren Rüdin oder Verschuer. Aber auch Gelehrte außerhalb des eugenischen Zitierkartells, wie Max Marcuse oder Rezensenten aus der Sowjetunion hatten an dem wissenschaftlichen Anspruch des Autorentrios nichts auszusetzen.

Damit haben wir ziemlich erschöpfend die Kernaussagen der deutschen Rassenhygiene zum Vortrag gebracht. Zwei dieser Kernaussagen werden sicher unsere Vorstellungen der Rassenhygiene ein wenig durcheinanderschütteln. Da ist zum einen die im Großen und Ganzen eher positive Beurteilung der Rolle der Juden in Deutschland: gleichrangig mit den nordischen Menschen und assimilationsfähig. Die deutsche Rassenhygiene war grundsätzlich nicht antisemitisch oder antijüdisch eingestellt. Mit Max Marcuse oder Magnus Hirschfeld befanden sich prominente Juden in den Reihen der Rassenhygieniker.

Sie waren in die Vorstände der Kreisverbände gewählt worden. Zum anderen die positive Wirkung, die Lenz der so genannten Rassenmischung zuspricht. Die fundamental großen Deutschen wie Luther, Goethe oder Beethoven sind das Ergebnis einer Rassenmischung? Das hatte ja auch schon Eugen Fischer bei seiner Rehoboter-Studie postuliert. Beide Kernaussagen: positive Einschätzung der Juden und positive Bewertung von Rassenmischungen, stehen in einem diametralen Gegensatz zu den Kernaussagen der Nazis.

Hitler behauptet in seinem Grundlagenwerk Mein Kampf, dass jede Rassenmischung zwangsläufig zu Degeneration führen müsse. Diese Aussage hat Hitler direkt von der amerikanischen Eugenik übernommen. Und Hitlers Einschätzung der Juden dürfte allgemein bekannt sein und muss hier nicht weiter erläutert werden.

Wie gesagt: die deutschen Rassenhygieniker deckten das gesamte politische Spektrum von ganz rechts bis ganz links ab. Der Linke Magnus Hirschfeld kämpfte für die Entkriminalisierung der Homosexualität – mit eugenischen Argumenten: da Homosexualität angeboren sei, könne man den Menschen nicht bestrafen. Der jüdische Sexualforscher Max Marcuse argumentierte ebenfalls vom Fundament der Eugenik aus. Es ist die sexuelle Frage, die der Rassenhygiene Interesse und Zuspruch weiter Kreise verschafft.

Was uns nun allerdings überrascht: auch katholische Geistliche propagierten die Rassenhygiene. Es ist ein Mann aus einem für rassenhygienische Diskurse eher unverdächtigen Milieu, der mit eugenisch gefärbter Lebenshilfe die Massen in Großveranstaltungen zu begeistern weiß: die Rede ist von dem Jesuitenpater Dr. Hermann Muckermann. Ein brillanter Kopf; ein geschulter Rhetoriker; ein Mann, der mit der deutschen Sprache exzellent umzugehen weiß – auch wenn sein Deutsch mitunter etwas altbacken und blumig daherkommt. Ein Mann, der als Priester mit dem offenen Ohr am Beichtstuhl die moralischen Abgründe seiner Schäflein aus allen Gesellschaftsschichten so intim kennt wie wohl kaum sonst jemand aus der Eugenikerszene. Der großes Verständnis für die sozialen Probleme hat. Die weltlich eingestellten Rassenhygieniker sind von der Schützenhilfe durch den volkstümlichen Seelsorger hellauf begeistert.

Aus heutiger Sicht ist schwer zu begreifen, wie das zusammengeht: Christentum und Eugenik. Wir denken an den Kulturkampf zwischen Evolutionslehre und Kreationismus in den USA. Ist Eugenik nicht Frevel am göttlichen Schöpfungsplan? Unsere Bischöfe opponieren gegen die Gentechnik, weil der Mensch damit Gott ins Handwerk pfuscht. Oder etwa nicht? Papst Franziskus hat sich die genverändernde mRNA-Corona-Impfung verpassen lassen und hat diese Impfung auch seinem gesamten Vatikanstaat verordnet.

Das Meinungsbild in der Katholischen Kirche sah am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts ganz anders aus als heute. Man hatte sich noch kein Urteil zur Eugenik gebildet. Möglicherweise war der Kurie noch in schmerzlicher Erinnerung, dass sie die kulturelle Vorherrschaft in Europa eingebüßt hatte, weil sie sowohl die kopernikanische Wende als auch die Aufklärung zunächst bekämpft hatte und später dem Trend hinterher laufen musste. Möglicherweise wollte man diesmal alles besser machen und gleich in vorderster Reihe dabei sein. Jedenfalls war Monsignore Muckermann nicht der einzige Katholik von Rang, der sich für die Eugenik stark machte. Und der führende Rassenhygieniker Fritz Lenz bekannte freimütig: Muckermanns Tätigkeit habe die „... Zustimmung der maßgebenden Stellen der Katholischen Kirche gefunden.“

Die Befürworter der Eugenik in der Katholischen Kirche hatten freie Fahrt bis zum 31. Dezember 1931. Da nämlich veröffentlichte Papst Pius XI. seine Enzyklika „Casti Connubii“. Ein Machtwort des Stellvertreters des Herrn, das sich in der Hauptsache für die Institution der Ehe als göttliches Sakrament stark macht. Kein sehr menschenfreundlicher Text. Frauenemanzipation wird ebenso gegeißelt wie gleichgeschlechtliche Liebe. In einem Unterabschnitt wird die Eugenik offen beim Namen genannt und als Vergehen gegen das Sakrament der Ehe (Pius XI. bezieht sich auf gesetzliche Eheverbote und Unfruchtbarmachung) scharf verurteilt.

Hätte ein Papst einen solchen Bannspruch bereits 1920 erlassen, würden wir uns jetzt nicht mit Hermann Muckermann beschäftigen müssen. Denn dann wären Katholiken und Rassenhygieniker fortan getrennte Wege gegangen. Dadurch, dass Muckermann verkündete, Eugenik sei ein gottgefälliges Werk, hatten Katholiken keine Gewissenskonflikte, zunächst den Rassenhygienikern und sodann Adolf Hitler zu folgen. Adolf Hitler präsentierte in „Mein Kampf“ eine Synthese aus katholischer Sündenlehre und eugenischen Glaubenssätzen, was darin gipfelt, dass Hitler die Erbsünde, seit Augustinus ein Herzstück katholischer Glaubenslehre, mit dem Verstoß gegen die eugenischen Erbgesetze vereinigt. Hitler stilisierte sich selber zum gottgesandten Messias der Rassereinheit. Kein Katholik hat ihm da jemals widersprochen, kein kurialer Advokat Klage gegen Hitler wegen Gotteslästerung erhoben.

Der Jesuit Muckermann und viele andere Priester verschafften neben der sexuellen Revolution den bislang isolierten Rassenhygienikern eine Massenbasis. Muckermann und seine politischen Mitstreiter aus der Zentrumspartei haben Hitler ungewollt die Tore zum katholischen Teil Deutschlands weit geöffnet. Und in Bayern fanden nun einmal die entscheidenden Entwicklungsjahre der NSDAP statt. Gerade im katholischen Süddeutschland wäre Hitler gescheitert, wenn ihm der Papst die Enzyklika „Casti Connubii“ bereits anfangs der Zwanziger Jahre entgegengeschleudert hätte.

Wer von den Rassenhygienikern geglaubt hatte, das 1933 eingesetzte Naziregime würde sie nun mit offenen Armen empfangen, der sah sich übel getäuscht. Die Nazis rekrutierten ihre eigenen, stramm auf die US-amerikanische Spielart ausgerichteten Eugeniker. Die deutschen Rassenhygieniker konnten ihre Lehren widerrufen oder mussten sich ins Ausland begeben.

Als einziger unterwirft sich Fritz Lenz radikal der Nazi-Eugenik und macht im Terrorregime Karriere. Eugen Fischer darf seinen Lehrstuhl behalten. Als er allerdings auch unter den Nazis weiterhin seine These vertritt, dass bei Rassenkreuzungen Nachkommen auch über dem Niveau ihrer Erzeuger sich befinden können, erlebt er einen von den Nazis erzeugten Shitstorm, dass ihm die Ohren klingeln. Eugen Muckermann befindet sich im Fadenkreuz der Nazis. Der Ex-Reichskanzler und katholische Zentrumspolitiker Franz von Papen schmuggelt ihn nach Belgien ins sichere Exil. Max Marcuse emigriert nach Palästina. So ist mit dem Jahr 1933 das Ende der deutschen Rassenhygiene markiert.

Fritz Lenz bekommt 1944 manische Depressionen und taucht ab. Nach dem Krieg kann er jedoch völlig unbehelligt an deutschen Universitäten weiter lehren. Muckermann bekommt in der Bundesrepublik ebenfalls erneut eine Professur und stirbt hochgeehrt 1962. Aber das Interesse an der Rassenhygiene war erloschen. Denn die Biologie hat die Analyse organischen Lebens in den molekularen Bereich hinein verfeinert. Heute kann man die Genstruktur direkt manipulieren. Da braucht man keine Pferdezüchterlogik der Selektion und Auslese mehr.

Das ist allerdings kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen.

Wir lernen aus der Vergangenheit, wie wir die Zukunft besser machen.

Quellen und Anmerkungen:

  • https://staging.apolut.net/history-aufstieg-und-fall-der-eugenik/
  • Fischer, Eugen: Die Rehoboter Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen. Jena 1913.Die Hamitentheorie geht zurück auf den englischen Afrikaforscher John Hanning Speke (1827-1864). Nach Spekes Ansicht war das Ausmaß geistiger und organisatorischer Fähigkeiten untrennbar gekoppelt an die Helligkeit der Hautfarbe. Ganz oben auf der Helligkeits-/Intelligenzhierarchie stünden die germanischen Nordmenschen – ganz unten entsprechend die Menschen mit vollkommen schwarzer Haut in Zentralafrika. Kulturelle Leistungen in Afrika sind nach seiner Meinung nur entstanden auf Betreiben der hellhäutigeren Afrikaner, und das waren in seiner Wahrnehmung in erster Linie die so genannten Hamiten.
  • Schallmayer, Wilhelm: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker. Eine staatswissenschaftliche Studie auf Grund der neueren Biologie. Jena 1903.
  • Alfred Ploetz: Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum Socialismus. Grundlinien einer Rassen-Hygiene, 1. Theil. Fischer, Berlin 1895, hier: S.146
  • Fischer, Eugen: Die Rehoboter Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen. Jena 1913.
  • Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Leipzig 1920. Online verfügbar unter: http://www.staff.uni-marburg.de/~rohrmann/Literatur/binding.html
  • Hermann Muckermann S.J.: Kind und Volk. Der biologische Wert der Treue zu den Lebensgesetzen beim Aufbau der Familie. Freiburg 1922.
  • Erwin Baur, Eugen Fischer, Fritz Lenz: Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Band I. München 1921.Wissenschaftliche Darstellungen
  • Weingart, Kroll, Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt/Main 1992
  • Stefan Kühl: Die Internationale der Rassisten – Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1997
  • Heiner Fangerau: Das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921-1941. Bochum 2000

Bildquellen:

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  2. Erwin Baur/Eugen Fischer/Fritz Lenz: Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, München 1921 © J. F. Lehmanns Verlag, München 1921
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  27. https://www.zobodat.at/personen.php?id=8474 - gemeinfrei
  28. https://m.facebook.com/tagesschau/photos/a.10151270623184407/10159327895739407/
  29. https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Papst-Pius-XI+Die-Enzyklika-Casti-Connubii-%C3%BCber-die-Hoheit-und-W%C3%BCrde-der-reinen-Ehe-Authentische/id/A02uk6tF01ZZ7
  30. https://www.gdw-berlin.de/fileadmin/themen/b05/b5-bex2-wuerde-d.php - gemeinfrei
  31. https://www.gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/02-rassenwahn-und-menschenzucht - gemeinfrei

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Alfred Grotjahn Alfred Ploetz Baur/Fischer/Lenz Binding und Hoche Casti Connubii Deutsche Rassenhygiene Dr. Hermann Muckermann Erwin Baur Eugen Fischer