HIStory: Der misslungene Putsch gegen Präsident Roosevelt

Der Buchautor und Publizist Hermann Ploppa erläutert in HIStory kurz und sachlich historische Daten und Jahrestage von herausragenden geschichtlichen Ereignissen. Dabei werden in diesem Format Begebenheiten der Gegenwart, die mit einem Blick in die Vergangenheit in ihrer Bedeutung besser einzuordnen sind, künftig alle 14 Tage montags in einen geschichtlichen Kontext gebracht.

HIStory: Der misslungene Putsch gegen Präsident Roosevelt

In der heutigen Folge von HIStory erzähle ich Ihnen vom Attentat auf den amerikanischen Präsidenten. Nein, ich meine nicht den Anschlag auf Abraham Lincoln. Und auch nicht den auf John F. Kennedy. Was nur wenige wissen: auch der zweiunddreißigste Präsident der USA, Franklin Delano Roosevelt, geriet in das Visier eines Attentäters. Und entging dem Kugelhagel nur mit viel Glück. Doch hatten es die Superreichen auf Roosevelt abgesehen. Denn sie wollten den amtierenden Präsidenten durch einen Putsch ausschalten. Roosevelt versuchte nämlich, den amerikanischen Reichtum ein wenig von oben nach unten umzuverteilen. Das wiederum konnten die Superreichen so nicht stehenlassen.

Vor nunmehr fast sechzig Jahren konnte der Film „Seven Days in May“ in US-amerikanischen Kinos einen großen Erfolg landen. Große Hollywoodstars jener Tage spielten die Hauptrollen. Dabei waren: Kirk Douglas, Burt Lancaster oder auch Ava Gardner. Die sieben Tage im Mai führen uns in eine fantastische Welt, die gleichwohl ganz gut zum durchaus realen Kalten Krieg jener Tage passte: der fiktive US-Präsident Jordan Lyman hat gerade einen nuklearen Abrüstungsvertrag im Kongress absegnen lassen. Das passt Generalstabschef James Mattoon Scott jedoch gar nicht. Er entwickelt einen Sieben-Tage-Plan. Innerhalb einer Woche soll der US-Präsident gestürzt werden. Die atomare Eskalation soll in dieser Zeitspanne auf einen neuen gefährlichen Höhepunkt zugespitzt werden. Doch Colonel Casey aus dem Generalstab meldet den Putschplan seinem Präsidenten. Die Handlung für den Film liefert ein Roman, der ebenfalls den Titel „Seven Days in May“ trägt. Geschrieben hatten den Roman die Journalisten Fletcher Knebel und Charles Bailey. Genau dieses Buch führte im Jahre 1962 die amerikanischen Bestsellerlisten an.

Eine packende Story. Sowohl das Buch als auch der Film. Jedoch nur wenige Zeitgenossen ahnten, dass das Grundmuster der Geschichte auf einer wahren Begebenheit fußt.

Denn 1934 versuchten Wirtschaftsbosse und Börsenspekulanten, den diesmal ziemlich realen Präsidenten der USA zu stürzen. Stein des Anstoßes war kein Abrüstungsvertrag, sondern die Wirtschaftsreform. Wie im Film alarmierte auch in der Wirklichkeit ein General den Präsidenten.

Am 15. Februar 1935 präsentierte der Kongressausschuss für unamerikanische Umtriebe in seinem Abschlussbericht über die Putschpläne Beweise, „dass gewisse Individuen den Versuch unternommen haben, eine faschistische Organisation in diesem Land zu etablieren (…) Bewaffnete Streitkräfte zum Zweck der Errichtung einer Diktatur in faschistischer Manier oder einer Diktatur des Proletariats, oder aber einer Diktatur auf der Grundlage eines rassischen oder religiösen Hasses dürfen keinen Platz in diesem Land finden.“ <1>

Der Mann, der die USA vor einer faschistischen Diktatur bewahrt hat, heißt in dieser wahren Geschichte Smedley Darlington Butler. Der Zwei-Sterne-General tat bis 1931 bei den Marines Dienst. Der drahtige Endfünfziger engagiert sich im Ruhestand für die Veteranen der zahlreichen Kriege, die die USA führten. Da waren die Veteranen des Ersten Weltkrieges. Dazu die Veteranen der kleinen Kanonenbootkriege, die die USA nebenbei noch gegen Nicaragua, die Philippinen, China oder Haiti führten. Smedley Butler, der legendäre Träger zweier Orden, die ihm der Kongress für besondere Tapferkeit verlieh, genießt bei den einfachen Rekruten ein außergewöhnliches Ansehen. Denn unablässig bearbeitet er Politiker und Wirtschaftsleute, mehr Geldmittel für die oft mittellosen oder verstümmelten Veteranen freizugeben. Im August 1932 kampieren Zehntausende verarmte Kriegsveteranen in Washington. Ihnen sind im Patman-Gesetz Geldmittel als Kompensation für ihren Kriegseinsatz in Aussicht gestellt worden. Präsident Herbert Hoover legt sein Veto ein. Es gibt also kein Geld für die Kriegshelden. Sie sind vergessen und verstoßen. Die Teilnehmer des sogenannten Bonus-March der Veteranen weigern sich, Washington wieder zu verlassen. Präsident Hoover kennt keine Gnade und lässt General MacArthur von der Leine. MacArthur verjagt die Veteranen mithilfe der Armee.

Butler hat ein offenes Haus für jeden Veteranen. So ist es auch nicht ungewöhnlich, dass im Juli 1933 zwei Herren in seinem Landhaus vorsprechen, die sich als Kriegsveteranen zu erkennen geben. Wie Smedley Butler sind auch Bill Doyle und Gerald MacGuire in der Veteranenorganisation American Legion organisiert. Von anderen Veteranengästen bei Butler unterscheidet die beiden Herren jedoch, dass sie von einem Chauffeur gebracht werden und als Veteranen ungewöhnlich gut gekleidet sind. MacGuire stellt sich als Börsenmakler an der Wall Street vor. Nach freundlicher Konversation kommen die Herren zur Sache: Der Marines-General Butler soll bei American-Legion-Versammlungen Reden halten für die Beibehaltung des Goldstandards als Deckung für den Dollar. Bei einem zweiten Besuch bringen die Herrschaften sogar einen ausformulierten Redetext mit, den Butler nur noch abzulesen braucht. So langsam wundert es Butler überhaupt nicht mehr, dass MacGuire überall auftaucht, wo der General sich öffentlich zeigt. Butler geht zum Schein auf die Avancen des neureichen Kriegsveteranen ein. Er fragt nach MacGuires Hintermännern. Dabei kommt heraus: Der Redetext für den Goldstandard stammt von dem Rechtsanwalt der Morgan-Bank, dem früheren demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Davis.

Da MacGuire andeutet, dass Butler für sein Engagement zugunsten des Goldstandards materiell belohnt wird, und die Versammlungen der American Legion durch bezahlte Claqueure beeinflusst werden sollen, fragt der General nach den Geldgebern. Bei Butler schrillen die Alarmglocken, als MacGuire an erster Stelle Colonel Grayson Mallet-Prevost Murphy als Hintermann offenbart. Murphy ist als Wall-Street-Börsenmakler durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Er ist Direktor von Guaranty Trust, Anaconda Copper, Goodyear-Reifen und bei dem Stahlkonzern Bethlehem Steel. Zudem ist Murphy Mitglied in der antisemitischen Organisation Order of 76.

Die American Legion war zunächst als parteiübergreifender Dachverband aller Kriegsveteranen gegründet worden. Jedoch hatten sich die Du Ponts, die Mellons und die Murphys in besagte American Legion eingekauft. So konnten sie den Vorstand der American Legion unter ihre Kontrolle bekommen. Nun wurden ganze Ortsverbände als Schlägertruppen gegen streikende Arbeiter umfunktioniert. Protestierende Farmer wurden geteert und gefedert. Veranstaltungen von jüdischen Künstlern wie Fritz Kreisler wurden gesprengt. <2>

Die Veteranen in den unteren Rängen der American Legion nannten diesen inneren Führungszirkel spöttisch die „Royal Family“. Die „Königliche Familie“ knüpfte enge Kontakte zu faschistischen Organisationen in Europa. Mussolini zeichnete Murphy sogar mit dem Titel „Kommandant der Krone von Italien“ aus. Mussolini wurde später Ehrenmitglied der American Legion. Alvin Owsley, Funktionär bei der American Legion, schwadronierte 1922 in der Presse: „Was die Fascisti für Italien darstellen, das bedeutet die American Legion für die USA.“ <3>

Butler trifft auf einen weiteren Auftraggeber MacGuires. Den Besitzer der Singer-Nähmaschinenwerke, Robert Clark, kennt Butler noch aus dem China-Krieg. Der „Millionär-Leutnant“ erklärt dem General seine Motive: Er hat Angst, sein Vermögen von 30 Millionen Dollar könnte dank Roosevelts Maßnahmen in einer Inflation verdampfen. Eher investiere er aus seinem Konto 15 Millionen, um Roosevelt zur Kursänderung zu zwingen.

Wie Clark empfanden viele Millionäre im November 1932 den Erdrutsch-Sieg des Demokraten Franklin Delano Roosevelt bei der Präsidentenwahl als existentielle Bedrohung. Franklin Roosevelt hatte mit den Stimmen der Industriearbeiter und der kleinen Farmer in den Südstaaten eine komfortable Mehrheit gewonnen. Damit beendete der neue Präsident eine Ära, in der seit dem Bürgerkrieg der Geldadel der amerikanischen Ostküste ganz allein die Richtlinien der Politik bestimmte. Roosevelt bändigte die Börsenspekulationen durch entsprechende Sicherheitsgesetze und schuf mit staatlichen Investitionen Arbeitsplätze. Obendrein stärkte er die Infrastruktur in den notleidenden Südstaaten, was den kleinen Leuten größere Planungssicherheit ermöglichte. Das notwendige Geld beschaffte die neue Regierung zum Teil, indem sie mehr Geldnoten in Umlauf brachte. Das war der Tabubruch. Denn bislang galt ein fester Goldstandard. Der Geldadel fürchtete nun den Verlust seines Vermögens durch Inflation.

Während der Industrielle und Bankier Averell Harriman in der Konsolidierung der Massenkaufkraft und in entkrampften Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion bislang ungeahnte Geschäftsperspektiven erkannte, stemmten sich Mellon, Morgan und DuPont mit allen erdenklichen Mitteln dagegen. Sie wollten doch nicht ihre Macht mit Gewerkschaften und Farmerverbänden teilen.

Doch es gab offenkundig noch weitaus handgreiflichere Versuche, Roosevelts gefürchtete und gehasste Umverteilungspolitik von oben nach unten doch noch aufzuhalten. Wie bei John F. Kennedy sehen die Chronisten auch beim Attentat gegen Franklin Roosevelt nur einen verwirrten Einzeltäter am Werk. Nur durch einen glücklichen Zufall konnte Roosevelt seine Amtseinführung am 4. März 1933 erleben. Denn am 15. Februar 1933 fuhr Roosevelt zusammen mit dem Oberbürgermeister von Chicago, Anton Cermak, in einem offenen Cabriolet zu einer spontanen Kundgebung in Miami in Florida. Weil Roosevelt gehbehindert war, blieb er in seinem Auto sitzen, um zu der Menge zu sprechen. Der italienische Einwanderer Giuseppe Zangara hatte sich für acht Dollar einen Revolver gekauft. Er mischte sich unter die Menschen, die Roosevelt zujubelten. Da er zu kleinwüchsig war, stieg Zangara auf einen Stuhl, um Roosevelt ins Visier zu nehmen. Er schoss und traf vier Personen, aber nicht den designierten Präsidenten. Bei einem weiteren Schuss traf er jedoch den Oberbürgermeister von Chicago, Anton Cermak. Cermak erlag einige Tage später seinen Schussverletzungen. Der angebliche Anarchist Zangara schaffte es nicht, Roosevelt zu töten, und endete wenige Monate später auf dem elektrischen Stuhl. Die Kontakte Zangaras zur Mafia brachten allerlei Gerüchte in Umlauf, Zangara hätte eigentlich Cermak erschießen sollen, so die Erzählung, um eine Rechnung der Mafia mit dem Chicagoer Bürgermeister zu begleichen. Ob Zangaras Schüsse Roosevelt oder Cermak galten, können wir nicht mehr aufklären. Aber Roosevelt befand sich sowieso schon im Fadenkreuz der Mafia und der Faschisten, wie wir gleich sehen werden.

Einige Superreiche hatten nämlich bereits in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Gesellschaftsmodelle ausgetüftelt, die in eine ganz andere Richtung zielten als Roosevelts New-Deal-Politik. Die Rockefeller-, die Carnegie-Stiftung und auch die Harriman-Stiftung entwarfen Konzepte für die Neuzüchtung des von ihnen wahrgenommenen nordischen Herrenmenschen. Eugenik-Gesetze sollten für ein krankheitsfreies, immer arbeitsfähiges „Humankapital“ sorgen. <4> Ford und General Motors wiederum konstruierten ihre Fabrikanlagen mit den angrenzenden Arbeitersiedlungen als straff formierten Staat im Staate mit eigenen Geheim- und Sicherheitsdiensten.

Für diese Fraktion war das faschistische Italien das Gelobte Land. Wirtschaftsjurist John McCloy von der Wall Street akquirierte gigantische US-Kredite in Höhe von Einhundert Millionen Dollar für Italien und beriet den „Duce“ persönlich, wie er das Geld am besten einsetzt. <5> Das Trauma einer „linken“ Roosevelt-Regierung mit ihrem jüdischen Finanzminister Morgenthau führt bei den Ostküstenoligarchen zu einer Trotzreaktion. Die Börsen- und Devisengesetze des von ihnen als „Krüppel im Weißen Haus“ verhöhnten Roosevelt werden mit Hasstiraden der Presse gekontert. Gepriesen wird stattdessen der Mussolini-Faschismus als positives Gegenmodell. Im Juli 1934 zum Beispiel bringt die Wirtschaftszeitschrift Fortune aus dem TIME-Life-Konzern von Henry Luce das Schwerpunktthema „Mussolini und das italienische Wirtschaftswunder“. Chefredakteur Laird S. Goldsborough schreibt im Editorial dieser Ausgabe: „Der gute Journalist muss anerkennen, dass der Faschismus gewisse altbewährte Werte der Rasse bietet, ob das nun dem Zeitgeist passt oder nicht. Zu den Werten zählen wir: Disziplin, Pflichtgefühl, Mut, Ruhm und Opfer.“

So kommt es, dass General Butler Ende 1933 seinen treuen Schatten MacGuire für acht Monate los ist. Denn MacGuire soll für DuPont und Morgan auf einer Europareise erkunden, welche paramilitärische Terrororganisation am ehesten als Blaupause für eine entsprechende faschistische Massenorganisation in den USA zu gebrauchen ist. Später gelangt der Untersuchungsausschuss des Kongresses in den Besitz der Briefe, die MacGuire an Clark, DuPont und Murphy geschickt hat. MacGuire berichtet von seinen Besuchen bei der deutschen SA, den italienischen Fascisti und der französischen Croix de Feu. Am besten eigne sich für die Adaption in den USA, so resümiert MacGuire, die Croix de Feu. Deren Struktur sei so flexibel, dass die französische Terrortruppe im Ernstfall das Zehnfache ihrer Dauermitgliedschaft mobilisieren könne, also etwa fünf Millionen Männer.

Das erzählt MacGuire im August 1934 auch Butler. Butler tut so, als fände er diese Entwicklung gut. Und jetzt geht MacGuire so richtig aus sich raus: Roosevelt sei mit seiner Arbeit überfordert. Er brauche eine Schutzgarde, um seine Politik durchzusetzen. Auch müsse Roosevelt einen neuen Superminister an seine Seite bekommen, der die organisatorische Hauptarbeit macht. Roosevelt könne sich dann auf repräsentative Aufgaben konzentrieren. MacGuire kommt nun zur Sache: Wie wäre es, wenn General Butler selber die Rolle des neuen Superadministrators im Weißen Haus übernähme? Um die sozialen Belange der Veteranen zu vertreten, wäre es am besten, wenn unter Butlers Führung ein Marsch auf Washington von hunderttausend Veteranen stattfände. Butler bittet MacGuire um einen Beweis, dass seine Leute wirklich Einfluss haben. Und MacGuire trumpft auf: Ich mache zwei Voraussagen, die in vier Wochen eintreffen. Erstens, der jetzige Chefadministrator Hugh Johnson von Roosevelts National Recovery Agency wird dann gefeuert sein. Zweitens, eine neue Superorganisation wird gegründet, die das politische Steuer in den USA nach ganz rechts herumreißt.

Vier Wochen später ist Hugh Johnson tatsächlich seinen Job los. Und die neue Superorganisation trägt den Namen American Liberty League (ALL). Kassenwart ist Grayson Murphy, Hauptsponsor Robert Clark. Im Vorstand findet sich die Crème der US-Hochfinanz: J. P. Morgan, DuPont, Andrew Mellon, William S. Knudsen vom Autokonzern General Motors, Joseph N. Pew vom Petroleumkonzern Sun Oil, um nur einige wenige zu nennen. Angeschlossen sind der American Liberty League solche Terrorgruppen wie Sentinels of the Republic, Committee to Uphold the Constitution sowie die Silver Shirts. Allesamt Schlägertruppen, die gekleidet sind wie die deutsche SA und auch genauso auftreten. Der General ist nun entschlossen, möglichst bald den Präsidenten zu warnen. Doch vorher verständigt er den investigativen Journalisten Paul Comley French. Dieser kontaktiert den Kreis um MacGuire und kommt durch Undercover-Methoden zu ähnlichen Schlüssen wie Butler. Auch der Vorsitzende des unabhängigen Verbandes Veterans of Foreign Wars, James van Zandt, war bereits von MacGuire angesprochen worden.

Doch bevor Butler Roosevelt warnen kann, lädt ihn der Kongressausschuss gegen unamerikanische Umtriebe vor, um in genau dieser Angelegenheit auszusagen. Der später durch Senator Joseph McCarthy in Verruf geratene Kongressausschuss war bereits in den dreißiger Jahren aktiv. Damals ermittelte der Kongressausschuss gegen unamerikanische Umtriebe gelegentlich auch gegen Rechtsextreme in den USA <7>. Die Ausschussvorsitzenden Samuel Dickstein und John McCormack haben bereits von dem geplanten Putsch gehört und ein Verfahren eröffnet.

Dickstein und McCormack wollen nicht nur MacGuire ausführlich befragen. Auch vor sechzehn mächtigen Persönlichkeiten im Hintergrund wollen sie nicht haltmachen. Als Butler am 20. November vor dem Ausschuss aussagt, veröffentlicht die Zeitung The Philadelphia Record zeitgleich die Enthüllungsgeschichte von Paul Comley French. Andere Zeitungen übergehen das Thema oder versuchen, Butler zu diskreditieren, allen voran die New York Times. Am 22. November fühlt sich der New Yorker Oberbürgermeister Fiorello La Guardia, der mit der Sache gar nichts zu tun hat, bemüßigt zu sagen, das mit dem Putsch sei ein Scherz gewesen, den auf einer Cocktailparty jemand dem einfältigen Butler gesteckt habe. Seitdem wurde die Angelegenheit in der Mainstream-Presse nur noch als „Cocktail-Putsch“ veralbert.

Der Kongressausschuss macht die Sache noch schlimmer. Denn am 26. November 1934 legt er einen Zwischenbericht vor. Der beginnt mit dem Satz: „Dieser Ausschuss hat nicht genug Beweise, die eine Vorladung von Leuten wie John Davis, General Hugh Johnson, General James G. Harbord, Thomas W. Lamont, Admiral William S. Sims oder Hanford MacNider rechtfertigen würden.“ Zugleich betont der Ausschuss, es gäbe nicht die geringste Veranlassung, die beeideten Aussagen Butlers zu bezweifeln. Butler belastet aber gerade die vom Ausschuss genannten Herren.

Kolportiert wird überall nur der erste Satz. Zum entscheidenden Hieb holt das Time-Magazin aus dem Luce-Presseimperium am 3. Dezember 1934 aus. Titelgeschichte des Hefts: „Putsch ohne Putschisten“. Die Aussagen Butlers werden lächerlich gemacht: General Butler wird in einem Cartoon gezeigt, wie er auf einem weißen Pferd voranreitet, gefolgt von 500.000 ihm ergebenen Veteranen, auf dem Marsch nach Washington. Lastzüge von Remington und DuPont liefern Waffen und Munition. In einer schicken Limousine folgen J.P. Morgan und Thomas Lamont. Dann führt das Time-Magazin ernsthaft aus: Schon lange habe kein Militäroffizier mehr so viel Schaum geschlagen wie Butler, der sich erst kürzlich in einer Ansammlung von Juden mit großen Sprüchen hervorgetan habe. Und da Time weiß, dass die Sprache der Bilder oft mehr bewirkt als Texte, sind drei launige Fotos beigefügt. Bild 1: Ein etwas blöde dreinschauender Butler, der sich am Ohr kratzt. Text dazu: „Er war taub für Diktaturen“. Bild 2: Bankier J.P. Morgan, gütiger Patriarch. Text: „Mondschein lieferte die Belustigung“. Bild 3: Grayson Murphy als zackiger Kriegsheld uniformiert. Text wiederholt seine Aussage: „Alles Phantasie!“

Tatsächlich behelligt der Dickstein/McCormack-Ausschuss keinen größeren Magnaten aus dem Hintergrund mit Vorladungen. Am 3. Januar 1935 ist die letzte Sitzung, und am 15. Februar wird der Abschlussbericht vorgelegt. Befund Nummer eins: Es ist bewiesen, dass einflussreiche Kreise eine faschistische Massenorganisation in den USA aufbauen wollten. Zweitens: Eine Beziehung zu ausländischen faschistischen Organisationen konnte nicht ermittelt werden. Drittens, eher handwarm: Die faschistische Organisation diente dem Zweck, eine Diktatur in den USA zu errichten. Viertens: Butlers, Van Zandts und Frenchs beeidete Aussagen sind glaubwürdig.

Durch die Veralberungskampagne seitens der großen Presseorgane war das allgemeine Interesse an dem Thema abgeflaut, und die Artikel über den Abschlussbericht begrub man auf den hinteren Seiten der Tageszeitungen. Eher zufällig entdeckt John Spivak, Redakteur der linken Zeitung New Masses, dass der Abschlussbericht nur in gekürzter Form veröffentlicht worden ist. Den Kürzungen zum Opfer fiel unter anderem die Zeugenaussage von French, dass MacGuire das Geld für einen faschistischen Putsch von dem Morgan-Anwalt John Davis und von der National City Bank erhalten hat. Und dass der Remington-Konzern die Waffen bereitstellen wollte. Nach solchen gravierenden Befunden durch den Kongressausschuss wäre eigentlich eine Anklageerhebung durch das Justizministerium wegen Hochverrats fällig gewesen. Doch die Justiz blieb untätig.

Der Fall hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Die Hintergründe der dilettantischen Putschversuche wurden nie ganz aufgeklärt. Das liegt auch am schwer zu ergründenden Verhalten Roosevelts gegenüber seinen Feinden an der Wall Street. Wenn Roosevelt seine Wirtschaftserholung schnell zum Erfolg führen wollte, konnte er sich vermutlich keinen gewaltsamen Machtkampf mit den Eliten leisten. Die Putschisten waren bloßgestellt. Das musste ausreichen. Als Roosevelt 1936 triumphal wiedergewählt wurde, löste sich die American Liberty League auf. Die rechten Eliten begannen, systematisch in die Regierung einzusickern und an der profitablen Aufrüstung zu verdienen. Die Superreichen der USA hatten gelernt, dass sie so schnell Roosevelt und seine Mehrheiten nicht loswerden. Sie begannen, eine langfristige Strategie zu entwickeln, die sich über Jahrzehnte erstrecken sollte. Mit diesem Mehrgenerationen-Projekt hatten sie schließlich Erfolg. Denn wir sind jetzt überwältigt vom einstweiligen Sieg des Neoliberalismus und des Marktradikalismus. Die Wurzeln dieses Übels finden sich in jenen Dreißiger Jahren der Roosevelt-Ära.

Und der tapfere General, der sich der Demokratie und der amerikanischen Verfassung verpflichtet fühlte? Smedley Butler legte sich auf eine radikalpazifistische Position fest und scheiterte an dem unauflösbaren Dilemma, ob man jede Aufrüstung ablehnen oder aber gegen die Nazis militant vorgehen solle. Als die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 in Frankreich einmarschierte, starb Butler, noch nicht einmal sechzigjährig.

Wir lernen aus der Geschichte, wie wir die Zukunft besser machen.

Anmerkungen und Quellen:

<1> Über die Putschpläne gibt es ein Buch: Jules Archer: The Business Plot to Seize the White House. New York 1973

<2> George Seldes: Facts and Fascism. New York 1943, S. 109 ff

<3> Alvin Owsley war in den 30er und 40er Jahren US-Botschafter in Irland und Dänemark

<4> Edwin Black: The War against the Weak. New York/London 2004. Hermann Ploppa: Hitlersw amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. Marburg 2016

<5> Walter Isaacson/Evan Thomas: The Wise Men. New York 1988. S.119ff

<6> Henry Luce gehörte mit Oligarchen wie Harriman oder Prescott Bush der ultra-elitären Studentenverbindung Skull & Bones an. Siehe auch die entsprechende Ausgabe von History auf diesem Kanal.

<7> HUAC: House Un-American Activities committee

Bildquellen:

https://content.time.com/time/covers/0,16641,19341203,00.html

https://commons.wikimedia.org/

https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Fletcher-und-Charles-W-Bailey-Knebel+Sieben-Tage-im-Mai-Roman/id/A02rjJRd01ZZS

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Kommentare (5)

5 Kommentare zu: “HIStory: Der misslungene Putsch gegen Präsident Roosevelt

  1. zivilist sagt:

    Also die Oligarchen aus I, D, F & US züchten sich ein funktionierendes Proletariat, aber Mord und Putsch gegen ihren Widersacher Roosevelt scheitern

    (Übrigens wurde auch das Vermögen des Roosevelt Clans mit Opium Schmuggel nach China gemacht > John Pilger's neuer Film)

    Roosevelt ist 'nur' gewählt, muß seinen Wählern also Erfolge liefern und verhält sich den Oligarchen gegenüber entsprechend.

    If you can't beat them, join them, stürzen sich die Oligarchen in Roosevelts zweiter Amtszeit in die Aufrüstung und das größte Geschenk, daß er erhält, ist Hitler's Kriegserklärung. Das Geschäftsmodell bleibt bis kürzlich top.

    Die Lage der Bereicherungsökonomie ist aber so kastrofal, daß die Zucht einer funktionierenden Dienerschaft auf ihre eigenen Kosten erste Priorität erhält: Corona

  2. chorab sagt:

    Es ist das Verdienst Ploppas, die bemerkenswerte historische Figur, Smedley Butler, ausführlich zu würdigen.

    Was vielleicht noch erwähnt werden sollte – oder habe ich das überhört? – , das ist Butlers späte Einsicht, dass er sich jahrzehntelang für die Kriege des Kapitals hat einspannen lassen.

    Vielleicht kann z.B. der Westend-Verlag, Rubikon etc. Butlers Memoiren "War is a racket" – "Krieg ist ein Geschäft" auf Deutsch herausbringen?

    • zivilist sagt:

      ' Das unauflösbare Dilemma ' eben

      'racket' haben Sie SSEEEHHR frei übersetzt, das ist der Tennis oder Badminton Schläger

  3. Herr Ploppa, bis Heute 23,45 Uhr, ist von irgendwelchen Lernerfolgen NIX zu sehen, eher das Gegenteil.

    • Andi Jack sagt:

      Deine/Ihre Aussage ist leider so allgemein formuliert, dass ich damit gar nichts anfangen kann. Ich antworte deshalb auf deinen Kommentar, weil ich von Herrn Ploppa über die Hintergründe der politischen Auseinandersetzungen in den 1930er Jahren, mit Blick Roosevelts Reformpolitik, einiges dazu gelernt habe.

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