Europäische Grundrechte für alle – außer für Julian Assange | Von Mathias Bröckers

Ein Kommentar von Mathias Bröckers.

Am vergangenen Donnerstag haben das Free Assange Committee Germany und freeAssange.eu dem deutschen Bundestag eine Petition zum Schutz der Grund-und Menschenrechte von Julian Assange übergeben. Die Petition fordert den Bundestag auf, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um das Unrecht gegen Julian Assange zu beenden und seine Menschenrechte zu schützen. “Das Mindeste, das für Julian Assange passieren muss, ist die Verlegung in ein ziviles Krankenhaus“, heißt es in der Petition fest. Obwohl er seine Strafe wegen Kautionsverstoß seit September abgesessen hat, wird Julian Assange nach wie vor im Belmarsh Prison in London in Isolationshaft gehalten. Ohne ausreichenden Kontakt zu seinen Verteidigern und ohne die Möglichkeit, sich angemessen auf das Verfahren vorzubereiten, in dem es um seine Auslieferung an die USA geht, wo er laut Anklage für 175 Jahre im Gefängnis verschwinden soll. Dass sowohl diese Anklage – die seit Juli 2019 drei Mal geändert wurde – wie auch der Umgang der britischen Justiz mit dem Wikileaks-Gründer rechtlich höchst fragwürdig ist, dass dies von namhaften Juristen festgestellt wurde und der Folterbeauftragte der Vereinten Nationen, Nils Melzer, nach einem Besuch Assanges festgestellt hat, dass es sich bei der Behandlung Assanges um massive psychische Folter handelt – all dies ist seitens der deutschen Regierung und des Bundestags bisher hartnäckig ignoriert worden. Als einige Abgeordnete der Partei „Die Linke“ letztes Jahr dazu ein Experten-Hearing im Bundestag veranstalteten, lies sich aus den anderen Fraktionen kein Mensch blicken – und der UN-Beauftragte Melzer, der um einen Termin im Außenministerium gebeten hatte, wurde mit dem Hinweis abgefertigt, dass man keinerlei Grund sehe, das britische Rechtssystem in Zweifel zu ziehen.

Und, dürfen wir hinzufügen, das us-amerikanische natürlich auch nicht – und dass unser kleiner Heiko, der tief im Auspuff von Onkel Sam seine Anzüge aufträgt, dem pompösen Pompeo irgendein Widerwort zu geben wagt, oder gar auf die Idee kommt, dem wichtigsten investigativen Journalisten unserer Tage Asyl zu gewähren und ihn zum Whistleblower-Beauftragten der Bundesregierung zu machen – weil Transparenz für jede Demokratie einfach unverzichtbar ist…. okay, das wäre dann vielleicht ein bisschen viel verlangt für einen Außenminister vom Kleinkaliber Maas. Und von einer Regierung, deren Chefin es nur ein Schulterzucken wert ist, wenn ihr Handy von US-Geheimdienst abgehört wird.

Auf Ebene der Europäischen Union sieht es aber nicht besser aus: Im aktuellen EU-Bericht zur Lage der Grundrechte wird wortreich die Bedrohung von Journalisten und die Notwendigkeit eines Schutzes für Whistleblower betont – dass aber der wichtigste Journalist und Whistleblower überhaupt in einem europäischen Hochsicherheitstrakt schmachtet, weil er Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, wird vollkommen beschwiegen, der Name Julian Assange wird kein einziges Mal erwähnt. Dafür haben die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im Europäischen Parlament gesorgt.

Ein Antrag der linken, konföderierten Fraktion des Europaparlaments, in den Bericht zumindest den Hinweis aufzunehmen, „dass die Inhaftierung und strafrechtliche Verfolgung von Julian Assange einen gefährlichen Präzedenzfall für Journalisten darstellt, wie von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates bestätigt“, wurde mit 481: 191 Stimmen abgelehnt.

Auch die großen Medien, die mit Julian Assange zusammengearbeitet und mit den Wikileaks-Enthüllungen weltweit Schlagzeilen produzierten – heute vor zehn Jahren erschienen ihre Aufmacher zu „Cablegate“, den von Wikileaks publizierten Diplomatendepeschen, die tiefe Einblicke in die Usancen der US-Außenpolitik gewährten – haben für den Kollegen, der aufgrund von fingierten Ermittlungsverfahren in die ecuadorianische Botschaft fliehen musste, dort acht Jahre isoliert war und nun in einem britischen Hochsicherheitstrakt für Schwerverbrecher gehalten wird, bis dato kaum einen Finger gerührt. Und auch von der für politische Gefangene weltweit zuständigen Institution „Amnesty International“ kommt bisher nur Lauwarmes – zwar wurde im Februar der US-Justizminister aufgefordert, die „Anklage gegen Assange fallen zu lassen“, die aktuellen unerträglichen Haftbedingungen aber werden mit keinem Wort erwähnt. In einem offenen Brief an „Amnesty International Deutschland“ fordern Unterstützer von Assange deshalb jetzt Antworten auf die Frage, warum eine „eine öffentlich hoch angesehene Institution für Menschenrechte wie AID sowohl das Rechtsgutachten des UNO-Menschenrechtsrates wie auch die Untersuchungsergebnisse des UN-Sonderberichterstatters über Folter“ nach wie vor ignoriert.

Diese Ignoranz gerade derjenigen, die in Reden und Leitartikeln ständig „Pressefreiheit“ und „Demokratie“ betonen – also Politiker, Parlamente, Großmedien und Institutionen wie „Amnesty“ – ist unerträglich. Denn es geht hier längst nicht mehr um das Einzelschicksal eines Menschen, sondern darum, wie es der UN-Beauftragte Nils Melzer ausgedrückt hat, „einen Präzedenzfall zu verhindern, der das Schicksal der westlichen Demokratien besiegeln würde. Denn wenn es erst einmal zu einem Verbrechen geworden ist, die Wahrheit zu sagen, während die Mächtigen straffrei ausgehen, wird es zu spät sein, den Kurs zu korrigieren. Unsere Stimme wird dann vor Zensur und unser Schicksal vor uneingeschränkter Tyrannei kapituliert haben“.

Edward Snowden hat das prägnant auf den Punkt gebracht: „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“ Dass die oben genannten Instanzen und Institutionen zu dem schreienden Unrecht schweigen, das Julian Assange angetan wird, macht deutlich, dass sie schon mit mehr als einem Bein nicht auf Seiten des Rechtsstaats und der Menschenrechte, sondern auf der Seite der Verbrecher stehen.

+++

Mathias Bröckers schrieb zuletzt „Klimalügner – Vom Ende des Kaputtalismus und der Zuvielisation“ und „Don’t Kill The Messenger – Freiheit für Julian Assange“ (Westendverlag) . Er bloggt auf broeckers.com

Die Bücher „Der Fall Julian Assange“ von Nils Melzer, „Freiheit für Assange“ von Mathias Bröckers und „Permanent Record“ von Edward Snowden werden in diesem Zusammenhang empfohlen.

+++

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++

Bildquelle:  John Gomez / shutterstock

+++

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

+++

KenFM jetzt auch als kostenlose App für Android- und iOS-Geräte verfügbar! Über unsere Homepage kommt Ihr zu den Stores von Apple und Google. Hier der Link: https://kenfm.de/kenfm-app/

+++

Abonniere jetzt den KenFM-Newsletter: https://kenfm.de/newsletter/

+++

Jetzt KenFM unterstützen: https://www.patreon.com/KenFMde

+++

Dir gefällt unser Programm? Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten hier: https://kenfm.de/support/kenfm-unterstuetzen/

+++

Jetzt kannst Du uns auch mit Bitcoins unterstützen.

BitCoin Adresse: 18FpEnH1Dh83GXXGpRNqSoW5TL1z1PZgZK


Amnesty International Belmarsh Prison Cablegate edward snowden eu europäische union Europäisches Parlament folter Heiko Maas Julian Assange Menschenrechte Nils Melzer un WikiLeaks 

Auch interessant...

Kommentare (15)

Hinterlassen Sie eine Antwort