Nahe der polnischen Stadt Lublin ist die Eisenbahnstrecke in Richtung Ukraine durch einen Sprengstoffanschlag unterbrochen worden. Im Verdacht steht natürlich Russland. Nun kommt auch noch Druck von Trumps neuem Friedensplan für die Ukraine. Der Druck auf Europa wächst.
Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.
Entgleiste Drohnen
Erst waren es plötzlich und erwartet am Himmel über Europas Flughäfen auftauchende Drohnen, die den europäischen Bürger als Beweise für die russische Bedrohung dargestellt wurden. Dabei konnte bis heute keine einzige Drohne als Beweis vorgelegt und auch sonst keine Belege für die russische Urheberschaft erbracht werden. Stattdessen hatte NATO-Kommandeur Vandier während eines Gesprächs mit Journalisten in einem Nebensatz erwähnt, dass es sich um „zivile Drohnen“ gehandelt hatte, die „am Flughafen Kopenhagen den Flugverkehr lahmlegten. Für deren Abwehr gebe es [aber] schon Lösungen“ (1).
Oder ging es bei solchen Berichten eher darum, besonders den südeuropäischen Staaten die Notwendigkeit einer europäischen Drohnenabwehr deutlich vor Augen zu führen (2)? Denn bisher beteiligen sich nur frontnahe Staaten von den skandinavischen im Norden bis nach Rumänien im Süden an diesem sogenannten Drohnenwall. Selbst eine erneute Attacke auf belgische Flughäfen Anfang November hatte die südlichen europäischen NATO-Staaten anscheinend nicht umstimmen können. Die Berichte über gesichtete Drohnen im europäischen Luftraum hatte über Wochen die Öffentlichkeit in Atem gehalten.
Nun wurde ein neuer Fall vermuteter russischer hybrider Kriegsführung bekannt. In Polen waren die Gleise auf einer der wichtigsten Versorgungsstrecken in Richtung Ukraine gesprengt worden. Jedoch im Gegensatz zum Drohnenalarm wurde dieser schwerwiegenderen und vor allem belegten Attacke weniger Aufmerksamkeit zuteil. Dabei hätten die sichtbaren Zerstörungen mehr Gefahr vermitteln können als Medienmeldungen über vage Bedrohungen, die vielleicht sogar nur auf Provokateure oder Trittbrettfahrer zurück zu führen sind. Immerhin wurde Sprengstoff eingesetzt, was auf Entschlossenheit und einschlägige Fähigkeiten hinweist.
Der erste Verdacht fiel – wie konnte es anders sein – auf Russland. Aber nicht die Fähigkeiten, solche Anschläge auszuführen, wurden als naheliegender Grund für diese Vermutung angegeben, sondern „weil nur Russland ein Interesse daran hat, (…) die strategischen Verbindungen unseres Landes zur Ukraine zu unterbrechen.“(3). Doch anders als bei den Drohnenberichten scheint man bemüht, in der Öffentlichkeit nicht zu viel Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Denn die Berichte über die Drohnen hatte weniger den Blick der Öffentlichkeit auf eine russische Bedrohung gelenkt, sondern vielmehr auf die Unfähigkeit der westlichen Regierungen, ihre Bürger vor solchen Gefahren zu schützen.
Vieles kommt zusammen
Dennoch scheint man im Westen stärker beunruhigt, als die Öffentlichkeit erfährt. Beim europäischen Digitalgipfel am 18. November in Berlin soll Donald Tusk „eindrücklich berichtet haben von dem jüngsten Sabotageakt auf polnische Schienen“(4). Man scheint also diesem Anschlag doch mehr Bedeutung beizumessen, als nach außen dringt, zumal darüber hinaus „weitere Schäden an Gleisen festgestellt wurden.“(5). Dass das dem Präsidenten direkt unterstellte Nationale Sicherheitsbüro in die Ermittlungen einbezogen wurde, zeigt, wie ernst man die Sache nimmt.
Denn Sabotageakte besonders in Polen scheinen zuzunehmen. „In den vergangenen Monaten hatten polnische Behörden mehrfach Straftäter festgenommen, die im Auftrag Russlands Anschläge in Polen verübt haben sollen.“(6). Es handelt sich also nicht um Russen, sondern eher polnische Staatsbürger. Auch bei den Drohnensichtungen konnte keine direkte russische Beteiligung belegt werden. Sind Europas Führungskräfte deshalb so beunruhigt, weil sie befürchten, dass sich wachsender Unmut unter den eigenen Bürgern allmählich in gewalttätigen Aktionen bemerkbar machen könnte?
Auf dem Gipfel in Berlin war man der Meinung, „all diese Schauplätze müsse man zusammen betrachten“(7), denn viele Entwicklungen schwächen derzeit das politische Durchsetzungsvermögen der Europäer. Gemeint sind damit die nachlassende Geschlossenheit des Westens, die Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung, der Vormarsch der russischen Armee und nun auch noch die Korruptionsskandale in Kiew. Letztere schaffen böses Blut in der ukrainischen, aber auch in der europäischen Bevölkerung. Geld, das für die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung fehlt, versickert in der Ukraine. Das erschwert die Bereitschaft besonders bei den Europäern, Kiew weiter zu unterstützen.
Trotz aller Hilfe für die Ukraine aus dem Westen, ist Russland dem Sieg näher denn je zuvor. Kiew steht vor der Zahlungsunfähigkeit, wenn nicht bald weitere Milliarden für die Finanzierung des Krieges ankommen. Dessen sind sich die europäischen Regierungen bewusst. Trotzdem scheiterte die Verwendung der eingefrorenen russischen Gelder zur Besicherung der geplanten Reparationsanleihe zugunsten der Ukraine bisher an den unterschiedlichen Interessen der EU-Staaten. Zu allem Überfluss hat nun auch noch der amerikanische Präsident einen neuen Friedensvorschlag gemacht, der sowohl die Ukraine als auch ihre europäischen Förderer unter Druck setzt.
Opfer eigener Hirngespinste
Die Europäer erhalten nun die Quittung für ihr borniertes Denken. Aus Angst vor Russland, die sie über die Jahrzehnte aufgebaut und gepflegt hatten, haben sie sich den Amerikanern an den Hals geworfen. Diese sollten sie mit ihrem atomaren Schutzschild vor einer russischen Gefahr schützen, die eigentlich nie bestanden hat – außer in ihren Köpfen. Nun hängen sie am Gängelband der USA. Sie haben sich von diesen, aber auch von politischen Kräften im eigenen Land eine Abhängigkeit von russischen Energieträgern einreden und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ausreden lassen. Mit deren Sprengung haben sie sich wortlos die Nabelschnur zu Russlands billiger Energie durchtrennen lassen.
Wenn man selbst keine Energiequellen hat, ist es dumm zu glauben, unabhängiger werden zu können, indem man den Anbieter wechselt. Nun haben sich die Europäer abhängig gemacht von amerikanischen Energieträgern, die wesentlich teurer sind als die russischen. Ob Europa bei den Amerikanern und anderen in besseren Händen ist, wird sich noch zeigen. Denn es wurden auch schon amerikanische LNG-Lieferungen auf hoher See umgeleitet, wenn andere Märkte höhere Preise boten. Jetzt sind die Europäer nicht mehr nur vom amerikanischen Atomschirm abhängig, sondern auch noch von deren Energielieferungen.
Sie haben das Hirngespinst genährt, Russland eine strategische Niederlage beibringen zu können, wohl auch in dem Hintergedanken, Russland zu zerlegen, was in ihrer werteorientierten Sprache als Dekolonisierung bezeichnet wird. Auf Drängen von Kriegstreibern wie Boris Johnson, Joe Biden und all jenen, die den Russen nie den Sieg im zweiten Weltkrieg verziehen haben, sind sie mit Hurra in den Ukraine-Krieg gestürmt. Sie waren überzeugt, dass Russland nicht lange durchhält. Mit gewaltigen Milliardensummen haben sie Kiew unterstützt. Nun sind beide finanziell am Anschlag, die Ukraine und die Europäer.
Die Amerikaner haben früh genug den Absprung geschafft. Sie geben keine neuen Gelder mehr an Kiew, und was sie an Waffen in die Ukraine liefern, lassen sie sich von den Europäern bezahlen. Diese zahlen bereitwillig aus Angst, die Russen könnten siegen. Sie reden sich ein, dass die Russen am Djnepr nicht Halt machen. Das sind Auswüchse ihres eigenen Denkens, und es entspricht nicht den Verlautbarungen der Russen. Nun aber droht die Niederlage der Ukraine und damit sind auch all die investierten Milliarden futsch. Die USA und Russland verständigen sich über den Frieden in der Ukraine, ohne die Europäer und die Ukrainer zu fragen. Denn Trump will Frieden, weil er Geschäfte machen will.
USA gegen Europa
Es ist ein weithin gerne gepflegter Irrtum, dass der Krieg dem Geschäft dient. Die meisten Geschäfte brauchen den Frieden. Deshalb will Trump Frieden. Denn am Krieg ist nicht mehr viel zu verdienen. Die Ukraine ist pleite, und die Europäer pfeifen auch schon aus dem letzten Loch. In ihrer verzweifelten Lage versuchen sie sogar schon, sich die beschlagnahmten russischen Zentralbankgelder unter den Nagel zu reißen, um den Krieg weiter finanzieren zu können. Ohne dieses Geld können sie nicht mehr viel in den amerikanischen Rüstungsschmieden bestellen. Zudem wird der Ruf in Europa immer stärker, die eigene Rüstungsindustrie zu stärken. Von Europa ist also für die USA nicht mehr viel Neues an Waffengeschäften zu erwarten.
Mit Zöllen hat Trump die Europäer weiter geknebelt. Wer in die USA exportieren will, muss mehr zahlen. Noch lieber ist ihm aber, wenn europäische Unternehmen gleich in den USA investieren, um Zölle zu vermeiden. Die Unterwürfigkeit von der Leyens gegenüber Trump in der Zollfrage hat Europas Wirtschaft geschwächt. Teure Energie, hohe Zölle und Sanktionen gegenüber Russland sind die besten Argumente für europäische Unternehmen, die Zelte in Europa abzubrechen und sie in den USA aufzustellen – oder in China. Aus Angst vor Russland haben die Europäer selbst ihre wirtschaftlichen Grundlagen geschwächt, und die USA saugen sie weiter aus.
Aus dem lohnenden russischen Markt haben sich die Europäer selbst hinausgedrängt durch die Sanktionen, die ihren Unternehmen die Wirtschaftstätigkeit dort untersagten. Stattdessen lockt Russland die Amerikaner mit Geschäften. Nicht umsonst führte Kirill Dmitrijew als Leiter des russischen staatlichen Investmentfonds RDIF die Verhandlungen mit Steve Wittkof als Unterhändler von Donald Trump; beide kennen sich gut aus in Wirtschaftsfragen. Dmitrijew weiß, was Russland den USA an Geschäften anbieten kann. Aber dafür braucht es Frieden, und deshalb will auch Trump endlich Frieden
An der Ukraine selbst ist für die Amerikaner nicht mehr viel zusätzlich zu verdienen. Sie selbst hat in den USA keinen Kredit mehr und was sie an Waffen noch bestellen kann, läuft über die Konten der Europäer; aber auch deren Dispo schrumpft. Was in der Ukraine noch werthaltig war, hat sich Trump schon längst im April dieses Jahres mit Abkommen wie dem Mineral-Rohstoff-Abkommen gesichert. Darin war eine gemeinsame paritätische Ausbeute der ukrainischen Rohstoffe vereinbart worden. Doch um die Rohstoffe heben und die sonstigen Geschäftsvereinbarungen umsetzen zu können, brauchen die USA ein Ende der Kämpfe.
Dabei sollen die Europäer und auch Selenskyj nicht weiter im Weg stehen. Für europäische Unternehmen dürfte aufgrund der Abmachungen zwischen der Ukraine und den USA nicht mehr viel nach dem Krieg übrigbleiben. Durch ihre Nibelungentreue und Unterwürfigkeit gegenüber den Amerikanern hat die europäische Führung selbst alle Vorteile aus der Hand gegeben. Sie wurde Opfer ihres eigenen Weltbildes, das in seinen wesentlichen Annahmen auf Hirngespinsten beruht: Die Russen bedrohen uns, und die Amerikaner beschützen uns. Das ist die Grundlage ihrer Entscheidungen, mit denen sie sich selbst den meisten Schaden zugefügt hat.
Quellen und Anmerkungen
(1) FAZ 22.10.2025: Drei Anforderungen für den Schutz vor russischen Drohnen
(2) Siehe Rüdiger Rauls 14.10.2025: Drohen mit Drohnen
(3) FAZ 19.11.2025 aus„Gazeta Wyborcza“ (Warschau): Neue Dimension von Russlands Sabotage
(4) FAZ 21.11.2025: Als habe Putin es diktiert
(5, 6) FAZ 18.11.2025: Explosion an Bahnstrecke in Richtung Ukraine
(7) FAZ 21.11.2025: Als habe Putin es diktiert
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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas
Bildquelle: Alexandros Michailidis / shutterstock
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