Naher Osten
Erdogans Griff nach der Macht in Syrien und was das für Russland bedeuten könnte
Der türkische Präsident Erdogan zeigt deutlich, dass er faktisch hinter den neuen syrischen Machthabern steht. Was kann man daraus über den Sturz Assads schließen und was könnte das für die Zukunft der russischen Militärbasen in Syrien bedeuten?
Ein Kommentar von Thomas Röper.
Dass der Angriffsplan der Islamisten, die den syrischen Präsidenten Assad Anfang Dezember gestürzt haben, den in Syrien aktiven Staaten vorher bekannt war, wird immer offensichtlicher. Der Angriff war beispielsweise offensichtlich mit Israel koordiniert, denn er begann unmittelbar, nachdem Israel einen Waffenstillstand mit der Hisbollah ausgehandelt und so militärisch den Rücken frei für ein Eingreifen in Syrien hatte. Und Israel hat militärisch eingegriffen, Teile Syriens bei den Golanhöhen besetzt und mit Luftangriffen die syrische Luftabwehr, Munitionsdepots und die Kriegsmarine zerstört.
Auch die USA waren offensichtlich vorher informiert, denn wie vor einigen Tagen bekannt wurde, haben die USA ihre Truppenpräsenz in Syrien unmittelbar vor dem Angriff der Islamisten verstärkt und ihr Kontingent von etwa 900 auf 2.000 Soldaten verdoppelt.
Man darf also die Frage stellen, ob Russland von all dem nichts wusste und von den Vorbereitungen nichts mitbekommen hat, oder ob auch Russland, beispielsweise von der Türkei, vorher informiert wurde. Immerhin ist Erdogan sein gutes Verhältnis zu Putin wichtig und über Putin ist bekannt, dass er Wortbrüche sehr übel nimmt. Da es zwischen Russland, der Türkei, dem Iran und Assad Verhandlungen über die Zukunft Syriens gab und sogar von einem baldigen Treffen zwischen Erdogan und Assad in Moskau die Rede war, könnte Putin den von der Türkei organisierten Angriff der Islamisten als Wortbruch auffassen, weshalb man zumindest vermuten kann, dass die Türkei auch Russland informiert hat, um einen Vertrauensverlust Putins zu vermeiden.
Dafür spricht auch die erstaunlich unaufgeregte offizielle Reaktion aus Moskau auf Assads Sturz, aber da wir nicht wissen, was hinter den Kulissen los ist, ist das natürlich Spekulation.
Geopolitik ist schmutzig
Das Beispiel zeigt aus verschiedenen Gründen einmal mehr, dass Geopolitik ein schmutziges Spiel ist, bei dem es nicht um Religion oder irgendwelche Werte, sondern nur um handfeste Machtinteressen geht. Erdogan arbeitet seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien am Sturz von Assad, weil er den türkischen Einfluss auf Syrien ausdehnen will und auf eine Art Wiederbelebung des türkischen Einflusses in der Region hofft, wie es ihn zu Zeiten des Osmanischen Reiches gab.
Offensichtlich hat Erdogan dazu auch mit Israel zusammengearbeitet, obwohl er einer der schärfsten Kritiker des israelischen Krieges in Gaza ist und sich als eine Art Schutzherr der Palästinenser aufspielt. Wenn es um Macht geht, wird offensichtlich auch Religion zweitrangig.
Auch die USA haben den Angriff der Islamisten geschehen lassen, obwohl sie ihre Präsenz in Syrien mit dem Kampf gegen eben diese Islamisten begründen, die sich von Al-Kaida und dem IS abgespaltet haben und obwohl die USA auf den neuen Regierungschef Syriens ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt haben. Der Westen generell hat in Syrien plötzlich kein Problem mit eben den Islamisten, die er angeblich seit über zehn Jahren in Syrien bekämpft hat.
Und auch Russland ist mit der neuen syrischen Führung bereits in Kontakt, und obwohl Russland sie nach eigenen Angaben während ihres Angriffs gegen Assad bombardiert hat, haben die neuen Machthaber in Syrien sofort Sicherheitsgarantien für russische diplomatische Vertretungen und Journalisten und die russischen Militärstützpunkte gegeben, während sie die iranische Botschaft in Damaskus gestürmt und verwüstet haben.
Während der Westen die Öffentlichkeit belügt, weil er die Islamisten, die er angeblich bekämpft, in Wahrheit seit Jahrzehnten instrumentalisiert und unterstützt, ist Russlands Haltung konsequenter. Aber die russische Regierung ist pragmatisch und reagiert auf die entstehenden Realitäten. Als beispielsweise in Afghanistan die Taliban wieder die Macht übernommen haben, hat Russland sofort Gespräche mit ihnen begonnen, obwohl sie in Russland als Terrororganisation eingestuft sind, denn Russland hatte nur die Wahl, das beste aus der neuen Lage zu machen, oder eine Flüchtlingswelle aus Afghanistan (inklusive Terrorgefahr) zu riskieren.
Das gleiche gilt in Syrien. Russland ist sicher nicht glücklich über den Machtwechsel im Land, aber wenn es seine Militärstützpunkte in Syrien behalten und verhindern will, dass die aus Ex-Sowjetrepubliken in Syrien kämpfenden Islamisten als erfahrene Krieger nach Russland und in seine Nachbarländer zurückkehren, dann muss es sich mit der neuen Lage und der neuen syrischen Regierung arrangieren.
Und da kommt Erdogan ins Spiel. Ich spekuliere jetzt natürlich, aber ist es ausgeschlossen, dass Erdogan Putin über den anstehenden Angriff und seinen unabwendbaren Erfolg informiert und Russland angeboten hat, dass die Türkei einen Deal mit der neuen syrischen Regierung einfädelt, der die russischen Interessen in Syrien weitgehend rettet? Russlands Kerninteressen in Syrien sind schließlich recht bescheiden: Es will seine Militärstützpunkte behalten und verhindern, dass Terroristen aus Syrien in den post-sowjetischen Raum einsickern.
Erdogan demonstriert seine Macht
Die Türkei zeigt offen, dass sie in Syrien nun de facto das Sagen hat und dass dort ohne die Türkei nichts mehr geht. Ibrahim Kalın, der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, besuchte Damaskus schon am 12. Dezember, vier Tage nach dem Sturz Assads, und am 22. Dezember reiste der türkische Außenminister Fidan als erster ausländischer Spitzenpolitiker zur neuen syrischen Regierung und traf deren Chef, auf den die USA ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt haben und der sich mit Fidan brav im Anzug fotografieren ließ.
Bei dem Besuch wurde die Wiedereröffnung der türkischen Botschaft in Damaskus verkündet und einen Tag später erklärte Erdogan, man sei mit den neuen Machthabern in Syrien in engem Kontakt und er plane bereits einen Besuch in Damaskus. Außerdem verkündete Erdogan, die Türkei wolle Syrien helfen, in ein oder anderthalb Jahren eine 300.000 Mann starke Armee aufzubauen, damit sich die neue Regierung gegen alle Bedrohungen verteidigen kann.
Macht Erdogan Trump eine Freude?
Die USA halten seit vielen Jahren völkerrechtswidrig die Teile Nordostsyriens besetzt, in denen sich die syrischen Ölquellen befinden, die sie ausbeuten und das Öl über den Irak an offiziell unbekannte Käufer verkaufen. In dem Gebiet leben auch die syrischen Kurden unter der YPG, einer Tochter der Terrororganisation Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die erbittert gegen die Türkei kämpft. Dass die USA die Erzfeinde von Erdogan unterstützen, sorgt seit Jahren für Konfliktstoff zwischen der Türkei und den USA.
Der gewählte US-Präsident Trump wollte die US-Truppen schon 2019 aus Syrien abziehen, was aber am Widerstand aus dem Pentagon scheiterte, was – nebenbei gesagt – viel darüber aussagt, wer in den USA wirklich die Macht hat: der Präsident oder der Tiefe Staat bestehend aus einem gut eingespielten bürokratischen Apparat, der notfalls auch Entscheidungen des Präsidenten verhindert, wenn sie gewissen Kreisen in den USA nicht gefallen.
Daher dürfte sich Erdogan angesichts von Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ermutigt fühlen, gegen die YPG vorzugehen, was Trump einen zusätzlichen Vorwand für den Abzug der US-Truppen aus Syrien liefern würde, weil Syrien natürlich keine militärische Konfrontation mit einem NATO-Land wie der Türkei wert ist. Trump dürfte Erdogan für den Vorwand für den Abzug der US-Truppen sogar dankbar sein, denn er war immer gegen das Engagement der USA in Syrien.
Folgerichtig überrascht es nicht, dass türkische Medien am 24. Dezember berichtet haben, die Türkei könnte militärisch gegen PKK vorgehen, und dass Erdogan am 25. Dezember erklärt hat:
„Wir sind entschlossen, die Terrororganisationen in Syrien zu zerschlagen, insbesondere den IS und die Arbeiterpartei Kurdistans, die das Überleben unserer beiden Länder bedrohen. Diese separatistischen Verbrecher werden sich entweder selbst von ihren Waffen verabschieden oder mit ihnen auf syrischem Boden begraben werden. Wir werden die Terrororganisation, die versucht, eine Mauer aus Blut zwischen uns und unseren kurdischen Brüdern zu errichten, vernichten.“
Weiter sagte er, die Terrorgruppen in Syrien seien
„eine Quelle der Bedrohung für Syrien, den Irak und die Türkei“
und fügte hinzu:
„Das einzige NATO-Mitglied, das sie im Nahkampf bekämpft, ist die Türkei. Und wir dürfen uns in diesem Bemühen nicht einschränken lassen. Unser einziges Ziel ist es, Frieden, Ruhe und Stabilität in jeden Teil unserer Region zu bringen, angefangen mit Syrien. Für andere mag die Sicherheit und Ruhe in Syrien zweitrangig sein. Wir können es uns nicht leisten, so zu denken, denn wir haben eine 900 Kilometer lange Grenze mit Syrien.“
Die Naivität der Kurden
Die Frage wird nun sein, ob die Kurden nachgeben, oder den Kampf aufnehmen und wie sich die USA verhalten, die ihre Truppen in der Region haben und sich bisher als Schutzmacht der Kurden aufspielen. Denkbar ist, dass Erdogan mit seinem Angriff bis nach Trumps Amtseinführung wartet, um der Biden-Regierung keine Gelegenheit zu geben, Erdogans Pläne zu stören und Trump weitere Steine in den Weg zu legen.
Die Kurden träumen seit weit über hundert Jahren von einem eigenen Staat und sie fallen immer wieder auf die USA und Großbritannien rein. Im Ersten Weltkrieg wurden sie von den Westmächten gegen das Osmanische Reich eingesetzt, aber einen eigenen Staat haben sie nach dem Krieg nicht bekommen. So war es immer wieder, sei es, als sie den USA vor einigen Jahrzehnten gegen Hussein im Irak oder nun gegen Assad geholfen haben. Am Ende wurden die Kurden immer ihrem Schicksal überlassen.
So wird es auch dieses Mal sein, aber die Kurden scheinen aus ihrer Vergangenheit nichts zu lernen.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 25. Dezember 2024 bei anti-spiegel.ru
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Bildquelle: Sasa Dzambic Photography / shutterstock
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