Ens broke the Trophy

Der Eurovision Song Contest 2024

Ein Meinungsbeitrag von Anke Behrend.

Kaum ein anderes mediales Mega-Event zeichnet den jeweiligen Zeitgeist auf so ikonische Art nach wie der Eurovision Song Contest, ehemals Grand Prix Eurovision de la Chanson. Geprägt von der brühwarm-biederen Spießigkeit der Nachkriegsjahre mit Schlagern so artig wie Häkeldeckchen, vorgetragen von anständig gekleideten, sorgfältig frisierten Damen und Herren unter Begleitung schwungvoller Tanzkapellen, bot er immerhin einigen die Chance zum internationalen Durchbruch. Zweimal nacheinander trat Udo Jürgens an mit späteren Welthits. Abba startete eine beispiellose Karriere auf der Bühne des Grand Prix von 1974. Und die deutsche Sängerin Nicole rührte 1982 zu Tränen mit ihrem kleinen Liedchen über ein winziges bisschen Frieden, brav schrammelnd auf einer riesigen weißen Gitarre. Ein bisschen Frieden, ein bisschen träumen. So schlicht war die Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre eingetütet worden in Schlagerkitsch, den man mitsingen und mitfühlen konnte.

Im Laufe der Jahrzehnte avancierte der Wettbewerb zu einer teils skurrilen Melange aus exzessiver Spießigkeit, schriller Banalität und belangloser Dramatik. Fast unmerklich wurde die Projektionsfläche Song Contest zum alljährlichen „Champions-League“-Finale der Homosexuellen-Szene. Oder wie Peter Rehberg, Sammlungsleiter im „Schwulen Museum Berlin“ es formulierte:

„Jede Generation schwuler Männer entdeckt ihr Glück beim ESC für sich aufs Neue.“ (1)

Politisch war der Wettbewerb schon immer – unterschwellig oder explizit. 2022 schloss man Russland wegen des Krieges in der Ukraine aus. Der Ausschluss Israels wurde 2024 gefordert, doch die veranstaltende „European Broadcast Union“ entschied:

„Die EBU setzt sich dafür ein, dass der Eurovision Song Contest eine unpolitische Veranstaltung bleibt, die das Publikum weltweit durch die Musik vereint“ (2).

Erwartungsgemäß verlief der ESC 2024 alles andere als unpolitisch: Propalästinensische Linke, Islamisten und Klimaaktivisten inklusive ihrer Ikone Greta Thunberg (3) protestierten zu Tausenden auf den Straßen im schwedischen Malmö gegen die Teilnahme der jungen Israelin Eden Golan, die nur unter massivem Polizeischutz zum Austragungsort gelangen konnte, Morddrohungen erhielt und zeitweise das Hotel nicht verlassen konnte. (4) Allerdings dürfte auch den Protestierenden klar gewesen sein, dass der Krieg in Gaza nicht bei einem Musikwettbewerb in Malmö entschieden wird und es letztlich nur darum gehen konnte, sich selbst aktivistisch zu inszenieren.

Als Favoriten des diesjährigen Wettbewerbs galten die nichtbinäre jedoch „männlich gelesene“ Person Nemo aus der Schweiz und der satanistisch daherkommende Act Bambie Thug aus Irland, ebenfalls nichtbinär aber „weiblich gelesen“ und mit den Farben der Transflagge im Outfit. Bambie Thug, die sich als „Gothic-Gremlin-Goblin-Hexe“ bezeichnet, sorgte nicht nur mit ihrer Performance für Aufsehen, sondern auch mit antisemitisch deutbaren Aussagen gegen die israelische Teilnehmerin. Queers, so auch nichtbinäre Personen, positionieren sich bekanntlich „for Palestine“. Homosexuelle allerdings verstört dies nicht ganz zu Unrecht, lässt die Toleranz für queeres Leben in islamischen Ländern doch eher zu wünschen übrig (5).

In dieser unübersichtlichen Gemengelage schien sich in der Person der israelischen Teilnehmerin Eden Golan die gesamte Tragik und Ambivalenz der aktuellen Weltlage zu manifestieren: Die 20-Jährige ist die Tochter einer jüdischen Ukrainerin und eines jüdischen Letten, die aus der UdSSR nach Israel auswanderten, später nach Moskau zogen und 2022 nach Israel zurückkehrten. Sie hat einen russischen und einen israelischen Pass. (6)

Mit dem Krieg in Gaza hat sie als Person ebenso wenig zu tun, wie die vielen gecancelten russischen Künstler mit dem Krieg in der Ukraine. Für die 21-jährige Thunberg und ihre diversen Mitstreiter war Golan als Vertreterin Israels allerdings als Feindbild und Sündenbock gesetzt. Wohlfeil wurde sie für Netanyahus Kriegskabinett moralisch in Sippenhaft genommen. Dennoch lieferte Golan eine beeindruckende Performance ab.

Die Punktevergabe gestaltete sich wie immer zäh. Im ersten Durchgang vergaben die Länder ihre Jury-Punkte, dann folgten die Publikumspunkte aus dem Televoting. Nemo lag von Beginn an vorn. Das entscheidende Kopf-an-Kopf Rennen vor dem letzten Publikumsvotum lieferten sich der kroatische Act Baby Lasagna, der in folkloristischem Outfit optisch auf die Tradition seiner Heimat setzte, und der Schweizer Nemo, der nach den Jury-Votings einen erheblichen Punktevorsprung vorweisen konnte. Im Split-Screen mit beiden Künstlern hätte der Kontrast zwischen der alten Welt des Kroaten in Tracht und der durch Nemo verkörperten Postmoderne größer kaum sein können.

Eden Golan war mit Hilfe der Publikumspunkte aus dem Televoting immerhin auf den fünften Platz gevotet worden. Vielleicht war dem Publikum klar, dass der Titel der 20-jährigen Jüdin nicht nach der Politik Israels zu bewerten war und der Protest sich gegen die Regierung nicht aber gegen diese junge Frau zu richten hat. Oder war es vom nichtbinären Nemo überfordert? Das deutsche Publikum gab Eden Golan die volle Punktzahl. Mit insgesamt 323 Stimmen erreichte sie den zweitbesten Gesamtwert im Televoting und landete am Ende hinter der Ukraine und Frankreich.

Gewonnen hat den ESC 2024 dann schließlich der Schweizer Nemo, der mit seinem nichtbinären Outfit und dem Titel (break) „The Code“ genau auf der Reiseflughöhe des progressiven Zeitgeistes unterwegs gewesen war. Memo kassierte die meisten Jury-Punkte und konnte vom Kroaten Baby Lasagna trotz überragendem Televoting nicht eingeholt werden. (7)

Jedoch – wie gewonnen, so zerronnen: Als Nemo den Siegertitel noch einmal auf der Bühne performte, zerbrach er nicht nur den Code, sondern zerdepperte auch die gläserne Trophäe. Man mag das als kleines Malheur werten oder aber als Sinnbild für den blinden, narzisstischen Eifer einer Bewegung, die linkisch einreißt, was andere aufgebaut haben.

Und Deutschland? Ja, Deutschland nahm natürlich auch teil und landete farblos auf dem 12. Platz.

Quellen und Anmerkungen

(1) https://www.goethe.de/ins/us/de/kul/wir/swl/qpe/21717907.html

(2) https://www.spiegel.de/kultur/tv/eurovision-song-contest-esc-ausschluss-israels-gefordert-ebu-lehnt-ab-a-08eb93e0-f8b1-45d2-ae43-83aaf5ac8ea4

(3) https://www.n-tv.de/leute/Polizei-in-Malmoe-fuehrt-Greta-Thunberg-ab-article24934998.html

(4) https://www.fr.de/politik/proteste-gegen-israel-eurovision-song-contest-teilnahme-esc-kritik-eden-golan-malmoe-zr-93061757.html

(5) https://www.queeringaza.com/

(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Eden_Golan

(7) https://www.rnd.de/medien/esc-finale-2024-platzierungen-und-punkte-im-ueberblick-das-ist-der-gewinner-BLVXEZ5HFZEJDMA6IEDZOI2BWQ.html

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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: rarrarorro / Shutterstock.com

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Kommentare (3)

3 Kommentare zu: “Ens broke the Trophy

  1. Ellery sagt:

    Einmal mehr wird bewiesen – in der unerträglichen Penetranz und Dominanz des Vorgeführten an Satanismus, Sexismus und Pornografie -, dass primär nicht zählt: "Musik verbindet uns.", sondern vielmehr "Alles für die Quote" und damit ein Treppchen hinauf an der Pyramide, wo zuoberst Geld und Macht stehen…
    Selbst Kinder "durften" sich zu den diesbezüglich teils schon früh gezeigten Darbietungen davon überzeugen.

  2. Mateo sagt:

    Es ist peinlich dazu noch eine Meinung zu haben, aber völlig unentschuldbar dies auch noch zu publizieren. Ebenfalls peinlich dies dann auch noch zu kommentieren (ich)…… In grosser Hoffnung, dass dieser Event und seine Gefolgschaft möglichst bald aussterben.

    • snejnisor sagt:

      Der Zeitgeist hat seine Träger. Zu denen haben wir nicht so viele Kontakte und verstehen sie auch nicht besonders gut. Aber sie existieren, und insofern ist der Beitrag für uns vielleicht uninteressant , aber leider nicht irrelevant.
      Mein Gefühl sagt, dass dieses Event und seine Gefolgschaft das letzte Drittel meines Lebens überdauern.
      Den 'Wind of Change' gibt's gar nicht, nur ein Rinnsal, dass sich über ungezählte Generationen hinweg in den Fels der Gewohnheiten hineinfrisst.
      (Sorry, bin ein bischen betrunken.)

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