Eine Rezension von Eugen Zentner.
Die Corona-Politik hat eine riesige Protestwelle ausgelöst. Nie zuvor seit der deutschen Revolution 1989 gingen so viele Menschen auf die Straße, um für ihre Freiheitsrechte zu demonstrieren. Im Zuge dieser Bewegung sind sämtliche Initiativen entstanden, unter denen die Freedom Parade zweifellos zu den schillerndsten gehört. Das liegt in erster Linie an der Mentalität der Organisatoren und Teilnehmer um den Aktivisten Captain Future, die die Philosophie vertreten, dass Protest auch Spaß machen muss. Den bewies die Truppe, indem sie in den letzten zweieinhalb Jahren mit Tanz und guter Laune Licht ins Dunkel brachte. Keine Aktion schien dabei verwegen genug zu sein, um sie nicht auszuführen. Was Captain Future und seine Mitstreiter während der Corona-Zeit alles anstellten, zeichnet nun eine neue Dokumentation nach. Der zweistündige Film zieht einen weiten Bogen von März 2020 bis zur Gegenwart und konzentriert sich weniger auf die politisch-gesellschaftlichen Ereignisse als auf die Protestkultur eines Kollektivs, das – so ungemütlich es auch wurde, sich die gute Laune nie nehmen ließ.
Der Wirkungsort dieser „renitenten Feierbiester“ ist die Hauptstadt. Dort begannen die Demonstrationen gegen die Corona-Politik an dem geschichtsträchtigen Rosa-Luxemburg-Platz, wohin sich trotz Versammlungsverbot anfangs wenige Hundert Menschen begaben. Originelle Aufnahmen rufen ins Gedächtnis, wie ruppig es zu dem Zeitpunkt zuging. Die Polizei ging mit harter Hand vor, führte willkürliche Verhaftungen durch, erteilte Platzverweise und verhängte Geldstrafen. Dennoch trauten sich von Woche zu Woche immer mehr Menschen auf die Straße und trugen dazu bei, dass Demonstrationen unter strengen Auflagen erlaubt wurden. Captain Future aka Michael Bründel kam schließlich auf die Idee, eine Tanzveranstaltung anzumelden, um Emotionen und Botschaften auf lockere Weise zu transportieren.
Er sei DJ, erklärt der Aktivist im Film seinen damaligen Impuls. Das Tanzen bilde einen großen Bestandteil seines Lebens. Wegen der Maßnahmen konnte er dieser Leidenschaft nicht nachgehen – wie so viele aus der bunten Berliner Club-Szene. Also meldete Bründel eine Demonstration an, die Tanz und Protest verband. Bei dieser Aktion schlüpfte er in die Rolle des Captain Future, der mit gelbem Umhang und gleichfarbiger Augenmaske sofort für Aufmerksamkeit sorgte. Fanden die ersten Veranstaltung noch auf dem Alexanderplatz statt, setzten sich der Superheld und seine Mitstreiter irgendwann in Bewegung. Die Freedom Parade war geboren und zog immer mehr Menschen an. Die meisten von ihnen, berichten sie in den Interviews zwischen den Aufnahmen, vermissten das Tanzen genauso wie Captain Future und fühlten sich hier gut aufgehoben.
Die Dokumentation bezeugt, dass die Teilnehmer auf ihre Kosten kamen. In Laufe der insgesamt siebzehn Straßenumzüge wurde gefeiert, gesungen und natürlich getanzt. Captain Future heizte die Stimmung mit passender Musik an, mal mit Motivationsklassikern wie «Eye of the Tiger», mal mit selbstproduzierten Hits wie «Damit hält man das nicht auf», in dem ein Zitat Christian Drostens zur Wirksamkeit der Masken wiederholt wird. In dieser Zeit wurde die Freedom Parade Teil einer deutschlandweiten Protestbewegung, die sich in stetig größeren Veranstaltungen kundtat. Der Film zeichnet sie chronologisch nach und geht auf die wichtigsten Stationen ein, zu denen vor allem die Großdemonstrationen in Berlin, Leipzig, Stuttgart oder Wien gehören. Immer mit dabei sind die „renitenten Feierbiester“ rund um Captain Future.
Sie stellten ihren Protest selbst dann nicht ein, als die Demonstrationen stark eingeschränkt und schließlich verboten wurden. Es folgten Aktionen, die den Namen „ziviler Ungehorsam“ wirklich verdienen. Sie wurden immer ausgefallener und immer verrückter. Ob in Kaufhäusern, in der S-Bahn, vor dem Glühwein-Stand oder beim Kölner Karneval, überall sorgte die Truppe tanzend für Unruhe und rief mit ihren originellen Auftritten die Sicherheitskräfte oder die Polizei auf den Plan. In der Dokumentation zeigen ganze Montagesequenzen ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Teilnehmer der Freedom Parade von den Beamten wegrennen, während diese dabei eine nicht immer gute Figur machen. Diese Szenen zählen zu den eindrücklichsten im Film. Sie bieten viel Unterhaltung und bilden auf authentische Weise die Geisteshaltung der Truppe ab, in der sich ein Hang zum Abenteuer zeigt. „Es sind Punks der Widerstandsbewegung“, sagt einer der Teilnehmer im Interview. „Sie haben Sachen gemacht, die sich sonst keiner getraut hat.“
Nach den Aktionen wurde abends in Privatwohnungen gefeiert. Aber auch dort bekamen die „renitenten Feierbiester“ Besuch von der Polizei, womit das Katz-und-Maus-Spiel von vorne begann. Mal versteckten sie sich im Keller, mal verließen sie das Haus durch einen Hinterausgang, mal gelang es den Beamten, ihnen zuvorzukommen. Bisweilen gingen diese sehr brachial vor, wie eine Szene verdeutlich, in der die Polizisten die Eingangstür regelrecht zu Kleinholz verarbeiten. Die Punks der Widerstandsbewegung hatten viel Spaß, so viel lässt die Dokumentation durchblicken. Sie mussten aber auch viel einstecken. Polizeigewalt durchzieht den Film genauso wie die Tanzszenen. Bisweilen wird es recht unappetitlich. Die dramatische Musik im Hintergrund unterstreicht, dass der Protestalltag nicht nur von Amüsement begleitet war.
Einer ließ sich jedoch nie aus der Ruhe bringen – Captain Future. Wer den Film schaut, bekommt den Eindruck, dass er die Hälfte der Zeit in Polizeigewahrsam verbrachte. Sämtliche Aufnahmen zeigen, wie Polizisten ihn abführen. Während sie schnaufen, schimpfen und vor Aggression beben, lässt der Aktivist die Prozedur stets stoisch und mit breitem Lächeln über sich ergehen. In diesem Grinsen tut sich ein unbändiger Widerstandswille kund, den keine Macht kleinbekommt. Viele in der deutschlandweiten Demonstrationsbewegung haben die Herangehensweise kritisiert, auf Demonstrationen zu tanzen oder Musik zu spielen. Die Truppe um Captain Future demonstriert jedoch eindrucksvoll, wie effektiv das ist. Während andere Initiativen aus Frust das Handtuch geschmissen haben, strotzen die „renitenten Feierbiester“ weiterhin vor Energie. Sie gehen noch immer regelmäßig auf die Straße und versetzen das Establishment in Aufruhr.
Noch heute versammelt sich die Truppe montags nach einem Spaziergang vor der geschichtsträchtigen Gethsemanekirche im Stadtteil Prenzlauer Berg zu einer Kundgebung. Dort wird jedes Mal das Lied «Tanz um dein Leben» gespielt, der die Philosophie der Aktivisten treffend auf den Punkt bringt. Unter diesem Titel präsentiert die Dokumentation ein außergewöhnliches Zeitdokument, in dem die Ereignisse humorvoll konserviert werden – mit lustigen Animationen, spektakulären Aufnahmen und berührenden Stimmungsbildern. Nicht wenige Menschen in Deutschland konnten die Corona-Krise nur mit Humor aushalten. Die Teilnehmer der Freedom Parade haben ihn kultiviert und mit ihren Aktionen vielen Menschen Hoffnung gegeben, wie eine Dame im Film versichert. Wer ihn schaut, wird ebenfalls Kraft schöpfen. Denn er veranschaulicht, dass es in der schweren Zeit durchaus möglich war, Spaß am Leben zu haben, ohne sich von den Problemen abzuwenden. Die Punks der Widerstandsbewegung waren stets mittendrin statt nur dabei. Sie begaben sich tanzend in den Sturm. Sie erlebten die Geschichte nicht nur hautnah – sie haben sie gemacht.
Hier den Film in voller Länge anschauen: https://vimeo.com/753854644
Hier gibt es weitere Informationen zur filmischen Dokumentation: https://freedomparade.de/dokudeutsch/
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