Angloamerikanische Geopolitik lässt den Nahost-Konflikt eskalieren.
Ein Standpunkt von Wolfgang Effenberger.
Mitte der 1890er und Anfang der 1920er Jahre spielte der maßgebliche Mann an der Seite des Gold- und Diamantentycoons Cecil Rhodes, Lord Alfred Milner (1854) eine der wichtigsten Rollen bei der “Formulierung” der britischen Außen- und Innenpolitik. Als Gouverneur und Hochkommissar in Transvaal und dem Oranje-Freistaat führte seine Politik 1899 direkt zum Zweiten Burenkrieg (auch “Milners First War”). In diesem desaströsen Krieg schreckte Milner nicht davor zurück, die Frauen und Kinder der um ihre Freiheit kämpfenden Buren in Konzentrationslagern zu internieren. Nach dem schwer erkämpften britischen Sieg und der Annexion der Burenrepubliken wurde Milner zu deren erstem britischen Gouverneur ernannt. Nach dem Putsch gegen die Asquith-Regierung Anfang Dezember 1916 war er bis November 1918 eines der wichtigsten Mitglieder des Kriegskabinetts von Premierminister David Lloyd George. Milners Einfluss wirkte auf das britische Empire bis in den Zweiten Weltkrieg hinein.
Der wenig glückliche Premier Arthur Balfour wurde 1905 von Henry Campbell-Bannerman (1836-1908) abgelöst. Als einflussreiche Größe folgte im britischen Kabinett nach dem Premier der Kolonialminister. Dessen Stellvertreter war kein Geringerer als der junge Winston Churchill (1874-1965). Die Flucht des Leutnants Churchill aus der Gefangenschaft der Buren legte den Grundstein zum Heldenmythos(1).
Als gewiefter Premier des imperialistischen Großbritanniens rief Campbell-Bannerman zur Bildung eines Hochkomitees auf, das sich aus Vertretern arrivierter europäischer Kolonialmächte zusammensetzte: Großbritannien, Frankreich, Belgien, Holland, Portugal, Spanien und Italien. Die Mitglieder des Komitees waren ausgewiesene Fachleute auf den Gebieten Geschichte, Geographie, Wirtschaft, Öl, Landwirtschaft und Kolonialismus und sollten nach Wegen suchen, die Kontinuität der kolonialen Interessen der europäischen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. 1907 wurde dem britischen Premierminister der Bericht dieses Komitees unterbreitet. Er gipfelte in der Erkenntnis, dass die arabischen Länder und die muslimisch-arabische Bevölkerung eine massive Bedrohung für die europäischen Staaten darstellten und kam zu dem Schluss
„dass ein Fremdkörper in das Herz dieser Nation gepflanzt werden muss, um die Vereinigung ihrer Flügel zu verhindern und zwar auf eine solche Weise, dass ihre Kräfte sich in niemals endenden Kriegen erschöpfen werden. Dieser Fremdkörper konnte dem Westen als Sprungbrett für die Erlangung seiner Ziel dienen“(2)
In Sorge um die Aufrechterhaltung des britischen Imperiums empfiehlt die Studie weiter:
„1) Zerfall, Teilungen und Abspaltungen in der Region zu fördern.
2) künstliche politische Einheiten zu schaffen und sie der Kontrolle der imperialistischen Länder zu unterstellen.
3) Jede Art von Einheit zu bekämpfen, sei sie intellektuell, religiös oder historisch fundiert und praktische Maßnahmen zu ergreifen, um die Einwohner der Region zu spalten.
4) Zu diesem Zweck einen “Pufferstaat” in Palästina zu schaffen, in dem eine starke ausländische Bevölkerungsgruppe leben sollte, die ihren Nachbarn feindlich gesinnt und den europäischen Staaten und deren Interessen gegenüber positiv eingestellt sein würde.“
Zweifelsohne ebneten die Empfehlungen des Campbell-Bannerman-Komitees, so der israelische Professor Dan Bar-On, den Juden den Weg nach Palästina: Die Briten gaben damit ihre Zustimmung zur Politik der zionistischen Bewegung, Palästina von den arabischen Ländern abzuspalten und dort einen imperialistischen Nukleus zu schaffen, der den ausländischen Einfluss in der Region sichern würde.(3)
Die Balfour-Deklaration und die Folgen
Am 2. November 1917 versicherte der britische Außenminister – und vormalige Premier – Lord Balfour dem prominentesten Vertreter der zionistischen Bewegung in England, den Zweiten Lord Rothschild sein Einverständnis mit dem 1897 festgelegten Ziel des Zionismus, in Palästina den jüdischen Menschen eine „nationale Heimstätte“ zu schaffen. Zugleich versicherte er der nicht-jüdischen Bevölkerung, dass ihre Rechte nicht beschnitten würden.(4) Selbst wenn diese Garantie nicht ernst gemeint war, musste Balfour klar sein, dass sie nicht durchzusetzen war.
Heute scheint der Israel-Palästina-Konflikt mehr denn je unlösbar zu sein.
Am 24. Juni 1920 hatte der einflussreiche britische Außenminister – vorher Vizekönig von Indien (1898-1905) – Lord Curzon im britischen Oberhaus vorsichtig zugegeben:
„Wir sind in der ersten Zeit des Krieges hingegangen, um Ägypten gegen die türkische Bedrohung zu verteidigen, und gewiss wäre, wenn eine feindliche Macht Palästina besetzt hielte, unsere Lage in Ägypten keineswegs sicher.“(5)
Und nur vier Wochen später ließ sich der “Manchester Guardian” über den strategischen Wert Palästinas als des sichersten und am wenigsten kostspieligen Bollwerks des Suezkanals aus. Anlässlich der Palästinadebatte im britischen Unterhaus stellte Labour-Party-Mitglied Colonel George Josiah Wedgwood klar und freimütig fest:
„Wir werden wohl unsere Armee in Palästina verstärken müssen. Wir brauchen eine gewisse Macht dort, um den Suez-Kanal zu schützen, da wir gezwungen sind, Palästina als Basis für seinen Schutz zu benützen.“(6)
Und in einer Rede in seinem Wahldistrikt sagte Ramsay MacDonald, ein “representative man” der englischen Arbeiterbewegung:
„In Palästina erfuhr ich, daß während des Kriegs unsere Regierung den früheren Oberkommissar ermächtigte, den Arabern mitzuteilen, wenn sie uns im Krieg unterstützten, würden wir ein arabisches Reich errichten … Parallel dazu versprachen wir, den Juden Palästina als Heimstätte zu geben und die jüdische Einwanderung in jeder Weise zu erleichtern, so daß die Juden schließlich die Mehrheit in Palästina bilden würden. Zugleich trafen wir ein drittes Abkommen und zwar mit Frankreich, wonach Syrien, Palästina und Mesopotamien zwischen England und Frankreich aufgeteilt werden sollten. Diese drei Verpflichtungen, von denen eine der andern widerspricht, wurden also übernommen, und unter solchen Umständen muß nun der Oberkommissar sich bemühen, unsere Ehre, unser Ansehen und unsere Autorität zu wahren.“(7)
Am 2. September 1921 hielt Martin Buber auf dem XII. Zionistenkongress in Karlsbad eine aufrüttelnde Rede, die er mit den Worten begann: „Die schwere Stunde der Erkenntnis, der Selbsterkenntnis, hat zu schlagen begonnen, und ihren Pendelschlag kann nichts mehr aufhalten… Es gilt Kritik zu üben an dem Innersten des Zionismus, an dem Innersten des gegenwärtigen Zionismus, an seinem Verhältnis zur Idee. Und wenn ich dies das Innerste und Wesentlichste nenne, so weiß ich mich eins mit dem Geiste des Mannes, der diesen Kongreß geschaffen hat und zu dessen Füßen ich einst gesessen habe, auch dann, wenn ich gegen ihn stritt.“(8)
Am Schluss seiner beachtlichen Rede ging Buber auf die Rückkehr nach Erez Israel ein, „die sich in den Formen einer stetig zunehmenden Einwanderung vollziehen muß, will kein fremdes Recht beeinträchtigen. In einem gerechten Bund mit dem arabischen Volke wollen wir die gemeinsame Wohnstätte zu einem wirtschaftlich und kulturell blühenden Gemeinwesen machen, dessen Ausbau jedem seines nationalen Glieder eine ungestörte autonome Entwicklung sichert. Unsere Kolonisation, die der Rettung und Erneuerung unseres Volkstums allein gewidmet ist, hat ja nicht die kapitalistische Ausbeutung eines Gebietes zum Ziel und dient nicht irgend welchen imperialistischen Zwecken, ihr Sinn ist die schaffende Arbeit freier Menschen auf gemeinschaftlicher Erde. In diesem sozialen Charakter unseres nationalen Ideals liegt die mächtige Bürgschaft für unsere Zuversicht, daß zwischen uns und dem arbeitenden arabischen Volke eine tiefe und dauernde Solidarität der wirklichen Interessen sich offenbaren wird, die alle von den Verwirrungen des Augenblicks erzeugten Gegensätze überwinden muß. Aus dem Bewußtsein dieser Verbundenheit wird sich in den Angehörigen beider Völker eine im öffentlichen und persönlichen Leben betätigte Gesinnung gegenseitiger Achtung und gegenseitigen Wohlwollens ausbilden. Dann erst wird wahrhaft sich in geschichtlicher Größe die Wiederbegegnung der zwei Völker vollziehen.“(9)
Nach all den geopolitischen Winkelzügen befürchtete Buber, „dass allem Anschein nach statt der von der Ehre befohlenen Pflicht eines Ausgleichs zwischen den Bevölkerungsteilen Palästinas die Machtlist des »divide et impera oder gar die von anderen Staaten wohlerprobte Kunst der “Ablenkung auf den Juden” vor der Seele steht“(10).
Als Beweis zitierte er oben genannten Labour-Politiker Mac Donald, der in Palästina zudem verlautbaren ließ:
„Ich fürchte, daß gewisse Kreise sehr darauf aus sind, den Haß zwischen den Arabern und den Juden zu schüren.“(11)
Doch auch die Männer der Labour Party, so Buber, dachten ebenso wenig wie irgendein ernstzunehmender englischer Politiker daran, auf Palästina zu verzichten.
„Sie kennen den strategischen und auch den großen verkehrs- und wirtschaftspolitischen Wert des Landes für das Imperium.“(12)
Etwas hoffnungsvoller stimmte Buber das Versprechen von Colonel Wedgwood, in Palästina “so bald wie möglich” die Selbstverwaltung einzurichten. Wann wird dies möglich sein, fragte Buber, um selbst die Antwort zu geben:
„Wir dürfen wohl als die Meinung der Labour Party annehmen: sobald ein ehrlicher, vollständiger und dauerverheißender Ausgleich zwischen den jüdischen und arabischen Volksinteressen vollzogen worden ist.“(13)
Seit den weisen Worten von Martin Buber in Karlsbad sind 103 Jahre vergangen. Die heutige Realität würde ihn sicherlich entsetzen und ihm die Schamesröte ins Gesicht treiben. Diese Realität trägt einen Namen: Benjamin Netanyahu, der “Amerikaner aus Jerusalem”(14).
Der “Amerikaner aus Jerusalem” – Benjamin “Bibi” Netanjahu (1949)
Benjamin Netanjahu ist so eng mit den USA verbunden wie wenige andere internationale Staatschefs. Das mag auch erklären, warum er sich in Washington so wenig sagen lässt.
Er ist seit dem 29. Dezember 2022, wie schon zwei Mal zuvor, israelischer Ministerpräsident und der erste, der nach der Gründung in Israels geboren wurde (1949).
In Jerusalem wuchs er als Sohn eines Professors für jüdische Geschichte und Herausgeber der “Encyclopaedia Hebraica” auf, als er in die Oberstufe kam, zog seine Familie in die USA. Der Name Netanjahu ist nicht der ursprüngliche Familienname. Benjamins Großvater, Nathan Mileikowsky, veröffentlichte nach seiner Ankunft in Palästina Kolumnen unter dem Pseudonym Netanjahu („von Gott gegeben“).(15)”Bibi”wuchs in Cheltenham im US-Bundesstaat Pennsylvania auf, wo er auch seinen High-School-Abschluss machte.
Während des Abnutzungskriegs von 1967 bis 1970 zwischen Ägypten und Israel nahm er an zahlreichen grenzüberschreitenden Angriffen teil. Er wurde mehrfach im Kampf verwundet und 1972 im Rang eines Hauptmanns aus dem aktiven Dienst entlassen, blieb aber in der Reserve von Sajeret Matkal. Nach seiner Entlassung ging er zum Studium in die Vereinigten Staaten und erwarb einen Bachelor of Science in Architektur und einen Master of Science in Management.(16) Von 1976 bis 1978 arbeitete er zunächst als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group.(17) Von 1980 bis 1982 war er in Israel als Wirtschaftsmanager aktiv. Der damalige Botschafter Israels in den USA, Moshe Arens, wurde auf ihn aufmerksam und verhalf ihm 1982 zu einer Anstellung als stellvertretender Botschafter in Washington. Netanjahus nächste Position war 1984 die des Ständigen Vertreters Israels bei den Vereinten Nationen in New York. 1988 kehrte er nach Israel zurück, zog für den Likud als Abgeordneter in die Knesset ein und wurde zum Stellvertreter des neuen Außenministers Arens ernannt.(18)
Ende März 1993 wurde Netanjahu zum Parteichef des Likud gewählt.(19) 1995 war er als Oppositionsführer prominenter Redner in Protestkundgebungen gegen die Regierung des Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin (1922-1995), der am 4. November 1995 ermordet wurde – bis heute ein das Land bewegendes kollektives Trauma.(20) Im Mai 1996 trat Netanjahu erstmals das Amt des israelischer Ministerpräsidenten an – bis Mai 1999. Zwischen 2002 und 2003 bekleidete er das Amt des Außenministers und wechselte in das Amt des Finanzministers, welches er Mitte 2005 aus Protest gegen den Plan von Ministerpräsident Ariel Scharon zur Teilräumung der israelischen Siedlungen niederlegte.
Im April 2006 wurde Netanjahu mit der Wahl zur 17. Knesset Oppositionsführer und 2009 erneut Ministerpräsident. Dieses Amt konnte Netanyahu 2013, 2015, im April 2019 und im März 2020 in vorgezogenen Neuwahlen verteidigen.
Nach der Wahl im März 2021 gelang ihm keine weitere Regierungsbildung, so dass Naftali Bennett am 13. Juni 2021 zum israelischen Ministerpräsidenten ernannt wurde, Netanjahu wurde wieder Oppositionsführer. Bei den Parlamentswahlen im November 2022 erreichte sein ultrarechtes Bündnis die Mehrheit in der Knesset. Netanjahu wurde daraufhin erneut Ministerpräsident. Gegen ihn laufen seit mehreren Jahren verschiedene Strafverfahren wegen Korruption und Vorteilsnahme im Amt.
Im Zusammenhang mit Israels Kriegsführung im Gazastreifen hat am 21. Mai 2024 der Chef-Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs, der britische Anwalt Karim Asad Ahmad Khan KC (* 30. März 1970 in Edinburgh, Schottland) und seit Juni 2021 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag einen Haftbefehl gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant sowie gegen drei Hamas-Führer wegen angeblicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt.(21)
Benjamin Netanyahu hat es während der letzten 15 Jahre immer wieder geschafft, die alljährlich in New York stattfindende UN-Generalversammlung für seine aggressiven Auftritte zu nutzen.
Am 26. September 2009 war für ihn das Weltforum die Bühne, um als wütende Antwort auf die Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad das versammelte Gremium aufzufordern, den Iran wegen seines zivilen Atomprogramms hart zu bestrafen. Er sagte, das Land sei eine Bedrohung für die ganze Welt und die UN müssten sich gegen seine “Barbarei” zur Wehr setzen und den Iran angreifen.(22) Und Netanyahu hatte sichtbaren Erfolg:
Doch die Forderungen nach Maßnahmen blieben nicht aus. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy berief sich auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, in der die Abschaffung von Atomwaffen gefordert wird, und verlangte “sofortige” Maßnahmen gegen die iranische Regierung, um zu beweisen, dass die damalige G8-Gruppe es ernst meint.
Der italienische Außenminister Franco Frattini gab im Namen der G8 Schützenhilfe: Der Iran wurde aufgefordert, die Anreicherung von Uran, auch für zivile Zwecke, innerhalb von drei Monaten einzustellen. Mit harten neuen Sanktionen wurde gedroht, falls das Land der Aufforderung nicht nachkommt. Dabei hat der Iran als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags jedes Recht auf ein ziviles Atomprogramm – Israel soll sogar als Nichtunterzeichner des Atomwaffensperrvertrags über Atomwaffen verfügen. Also hat der Iran eine Aufgabe des Programms ausgeschlossen.
Dem US-Chefredakteur (mit israelischem Pass) des The Atlantic-Magazins, Jeffrey Goldberg (*1965) fiel bei Netanyahus Reflexionen auf den Iran (“Der Iran hat damit gedroht, einen Staat auszulöschen”) die Verwendung der gleichen weltgeschichtlichen Begriffe auf wie bei dessen Vater.
Dieser Konfrontationskurs bis zur gegenseitigen Vernichtung lässt angesichts der gemeinsamen unübertroffenen Kulturgeschichte verzweifeln. Im ehemaligen Persien lebten Juden seit dem babylonischen Exil, ein Jahrtausend, bevor die Anhänger Mohammeds den Islam nach Persien brachten. Einer der Helden der Bibel ist der persische König Cyrus, der die Juden vor 2.500 Jahren aus ihrer babylonischen Gefangenschaft in das Land Israel zurückbrachte. (Einige Jahre nachdem Harry Truman 1948 den wiedergeborenen Staat Israel anerkannte, erklärte er: „Ich bin Cyrus.“)(23)
Nach der Gründung Israels unterhielten der Iran und Israel bis zum Sturz des Schahs 1979 enge diplomatische Beziehungen. Im 1. Golfkrieg (Irak – Iran) von 1980 bis 1988 unterstützten die USA den Irak, während Israel in den Iran Waffen lieferte. Das macht den aktuellen Konflikt noch weniger verständlich.
Hatte im September 2010 US-Präsident Barack Obama in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung Israelis und Palästinenser zu den ersten direkten Friedensgesprächen seit mehr als 20 Monaten gebracht, so hatte sich im September 2011 die Dynamik im Nahen Osten nicht zuletzt durch die Revolutionen in mehreren arabischen Ländern komplett gedreht. Eine neue Welle der Gewalt wurde angesichts größerer antiisraelischen Emotionen befürchtet.(24)
Die 2010 aufgenommenen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern waren erfolgreich blockiert, wofür sich die Konfliktparteien gegenseitig die Schuld zuwiesen. Israel warf den Palästinensern und ihrem Präsidenten Mahmud Abbas vor, dass sie die Bedingungen für die Verlängerung des Siedlungsstopps nicht erfüllt haben, während aus palästinensischer Sicht Israels Premier Benjamin Netanjahu nur auf einen Anlass gewartet hatte, um den befristeten Stopp des Siedlungsbaus zu beenden. Als Antwort auf Obamas Zusicherung, den Siedlungsbau zu stoppen und anzuerkennen, dass die Linien von 1967 Ausgangspunkt der künftigen Grenzziehung zwischen Israel und dem Palästinenserstaat sein müssen und nur durch einvernehmlichen Gebietstausch verändert werden können, suchte Netanyahu erfolgreich Unterstützung bei der US-Opposition, den Republikanern.
In der Generalversammlung 2011 war es ein wichtiges Ziel, die Zuspitzung des Konflikts um die staatliche Anerkennung Palästinas durch die UN zu vermeiden und eine neue Perspektive für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche zu eröffnen.
Die meisten der in der UN vertretenen Länder haben Palästina bereits anerkannt – abgelehnt wird die Eigenstaatlichkeit Palästinas federführend von Israel und den USA und deren engsten Freunden. Sie bestimmen auch über die Ergebnisse im Sicherheitsrat. Dort müssten neun der 15 Mitglieder mit Ja stimmen – in der UN-Generalversammlung wäre eine Zweidrittel-Mehr gesichert. Hier wird deutlich, wie wenig demokratisch die UN aufgebaut ist, und dass die Siegermächte des 2. Weltkriegs mit ihrem Veto im Sicherheitsrat alles blockieren können.
Gaza – ein gewollter Unruheherd?
Während der israelischen Militäroperation “Wolkensäule” zwischen 14. und 21. November 2012 richteten sich die Luftangriffe gegen Einrichtungen und Mitglieder der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. Initiator geheimer Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas war der israelische Staatsbürger und aixpaix.de-Autor Gershon Baskin. Dank seiner Verhandlungen wurde der 2011 entführte israelische Soldat Gilad Schalit freigelassen. Unter Itzhak Rabin war er Berater für den israelisch-palästinensischen Friedensprozess.
Die israelischen Tageszeitung Haaretz ermöglichte ihm, die Ergebnisse seiner Verhandlungen öffentlich zu machen: So gab es nicht nur einen fragilen Waffenstillstand, sondern obendrein noch einen handfesten Vorschlag der Hamas für einen ernsthaften und dauerhaften Waffenstillstand mit Israel(25). Diesen hatte Verhandlungspartner, der Militärchef der Hamas Ahmed al-Dschabari mitentwickelt. Er gehörte zu den ersten gezielten Todesopfer der damaligen israelischen Gaza-Offensive! Während die israelische Propaganda den Tod des Top-Terroristen feierte, er wurde auch für die Gefangennahme des israelischen Soldaten Gilad Schalit verantwortlich gemacht, versicherte Baskin, dass der Hamas-Führer für die Raketenangriffe der letzten Monate nicht nur nicht verantwortlich war, sondern obendrein seine Truppen in Marsch gesetzt hatte, um die Raketenabschüsse anderer Gruppen zu unterbinden!
„Musste der Militärchef wegen seiner Verhandlungsbereitschaft sterben“(26), fragte damals Baskin. Diesen Verdacht teilten neben ihm auch andere wie Uri Avnery und Haaretz:
„Israels Ministerpräsident Netanyahu führt mit der Militäraktion Wahlkampf! Da müssen die Feindbilder passen und da kann es nicht sein, dass der Erzfeind Hamas auf einmal praktikable Lösungsvorschläge für ein Israel bedrückendes Problem schafft“(27).
11 Jahre später hielt Benjamin Netanjahu während seiner Rede auf der 78. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zwei Karten des Neuen Mittleren Ostens hoch, um zu zeigen, wie sich Israel – ein kleines Land, isoliert, umgeben von einer feindlichen arabischen Welt – seit 1948 ausgeweitet hat. Nicht eingezeichnet waren weder das Westjordanland noch der Gazastreifen.(28) Das forderte den Leiter der Palästinensischen Mission in Deutschland, Laith Arafeh, heraus:
“Es gibt keine größere Beleidigung für jedes Grundprinzip der Vereinten Nationen, als zu sehen, wie Netanjahu vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine ‘Landkarte Israels’ zeigt, die das gesamte Land vom Fluss bis zum Meer umfasst und Palästina und sein Volk negiert”.
Weiters warf Arafeh Netanjahu vor,
“das Publikum mit Rhetorik über ‘Frieden’ in der Region zu verwirren, während er gleichzeitig die am längsten andauernde kriegerische Besetzung in der heutigen Welt festigt”(29).
Vor der Generalversammlung spannte dann Netanyahu den Bogen über drei Jahrtausende, beginnend beim großen Führer Mose, der sich an das Volk Israels wandte, als es im Begriff war, in das Gelobte Land einzuziehen. Mose sagte, dass sie dort zwei Berge vorfinden werden, die einander gegenüber liegen: Den Berg Gerizim, auf dem ein großer Segen verkündet wird und den Berg Elbal, auf dem ein großer Fluch lastet. Das Schicksal des Volkes Israel würde von der Entscheidung zwischen dem Segen und dem Fluch abhängen.
Heute wird sich die Menschheit entscheiden müssen, „ob wir den Segen eines historischen Friedens mit grenzenlosem Wohlstand und Hoffnung genießen oder den Fluch eines schrecklichen Krieges, von Terrorismus und Verzweiflung erleiden“(30)wollen.
Netanyahu betonte seine Friedenshoffnungen, die er mit dem 2020 abgeschlossenen Abraham-Abkommen verband – mit den Vereinigten Staaten (unter Trump) geschlossene Friedensverträge mit vier arabischen Staaten Vereinigten Arabische Emirate, Bahrain, Sudan und Marokko: „Ein Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Und heute sehen wir alle die Segnungen dieser Abkommen“(31). Netanyahu war überzeugt, „dass wir an der Schwelle zu einem noch dramatischeren Durchbruch stehen: einem historischen Frieden mit Saudi-Arabien“(32)und versprach, einen neuen Korridor des Friedens und des Wohlstands zu errichten, der Asien über die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Jordanien und Israel mit Europa verbindet. Nach einer Analyse des unabhängigen britischen Journalisten Richard Medhurst dürfte es sich hier um den Bau des Ben-Gurion-Kanals handeln, der das östliche Mittelmeer mit dem Golf von Akaba verbinden soll.(33)
Medhurst sieht als Ziel des Projekts eine Maritime Dominanz zwischen den USA und Israel gegen die Völker des Nahen Ostens und stellt abschließend fest:
„Im Kontext eines umfassenderen – von den USA geführten – Krieges im Nahen Osten ist das Ben-Gurion-Kanal-Projekt Teil der hegemonialen militärischen Agenda der USA“.(34)
Dieser neue “Korridor des Friedens” ist eine von den USA ausgehende Kampfansage an das chinesische Projekt der neuen Seidenstraße: “One Belt, One Road”, zu der Anfang September 2023 90 Staaten ihr Interesse bekundet haben.(35)
In seiner UN-Rede betonte Netanyahu mit Nachdruck: „Frieden kann nur erreicht werden, wenn er auf der Wahrheit beruht. Er kann nicht auf Lügen beruhen“(36). Hier muss man ihm unbedingt zustimmen. Allerdings wirkt eine solche Aussage angesichts der mit hohem Propagandaaufwand betriebenen Vertreibungen und Kriege Israels gegen die palästinensische Bevölkerung wie blanker Hohn.
Mit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 sind alle Hoffnungen auf einen raschen und nachhaltigen Frieden im Nahen Osten verflogen, seither wird unerbittlich gekämpft: “Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht vergeben”(37), sagte Netanjahu am 6. Dezember 2023.
Im Mai 2024 kommunizierte der israelische Unterhändler Gershon Baskin – pflegt seit 18 Jahren Kontakte zur Hamas und war zeitweise offiziell von der israelischen Seite beauftragt – für zwei Wochen über einen geheimen Kanal mit der Hamas über ein Abkommen, das innerhalb von drei Wochen den Krieg beendet. Hamas lässt alle Geiseln frei, Israel zieht sich aus dem Gazastreifen zurück und gibt eine vereinbarte Anzahl palästinensischer Gefangener frei. Das war dem US-Präsidenten Joe Biden, seinem Sonderbeauftragter Brett McGurk und dem CIA-Chef, dem israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, dem Regierungschef von Katar und dem Leiter des ägyptischen Geheimdienstes bekannt.
„Wann immer ich mit der Hamas in Kontakt stehe [u.a. mit dem hochrangigen Sprecher der Hamas, Ghazi Hamad, W.E.] teile ich den zuständigen israelischen Beamten mit, was ich von der Hamas höre und was ich der Hamas sage“(38). Nach 14 Tagen unterband Netanyahu persönlich die Aktivitäten von Baskin, der überzeugt ist, dass er keine Einigung will. Für Baskin ist die Hamas bereit, eine Vereinbarung über die Freilassung aller Geiseln innerhalb von drei Wochen unter der Bedingung zu treffen, dass der Krieg beendet wird.
„Das habe ich“, so Baskin, „einem der drei führenden israelischen Verhandlungsführer über Whatsapp geschrieben. Er schrieb zurück: ‘Der Ministerpräsident weigert sich, den Krieg zu beenden’“(39)
Auf die Frage der taz, warum er seine Verhandlungstätigkeiten veröffentlicht, antwortete Baskin:
„Meine Botschaften haben zu nichts geführt, deshalb spreche ich zu den Medien. Zehntausende protestieren in Israel bereits für ein Abkommen. Die israelische Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, dass die Möglichkeit besteht, alle Geiseln in drei Wochen nach Hause zu bringen. 40.000 bis 50.000 Palästinenser*innen sind getötet worden, die meisten von ihnen unschuldige Zivilist*innen, keine Kämpfer*innen. Der Gazastreifen ist zerstört. 2 Millionen Menschen sind obdachlos, Krankheiten breiten sich aus. Diese menschengemachte Tragödie muss enden.“(40)
Zur 79. Generaldebatte der UN-Vollversammlung wollte Israels Regierungschef erst gar nicht fahren. Dann sei er doch gefahren,
„um für mein Volk zu sprechen. Um für mein Land zu sprechen, um für die Wahrheit zu sprechen … Doch wir haben es mit grausamen Feinden zu tun, die unsere Vernichtung wollen, und wir müssen uns gegen sie verteidigen. Diese grausamen Mörder, unsere Feinde, wollen nicht nur uns vernichten, sondern sie wollen unsere gemeinsame Zivilisation zerstören und uns alle in ein dunkles Zeitalter der Tyrannei und des Terrors zurückführen.“(41)
Vor seinem Auftritt hatten einige Delegationen den Raum verlassen, darunter der Iran, den Netanjahu als Bedrohung für die ganze Welt bezeichnete und der Führung in Teheran damit drohte, dass „der lange Arm Israels“jeden Ort im Iran erreichen könne.
„Wenn Ihr uns schlagt, dann werden wir Euch schlagen …Es gibt keinen Ort im Iran, den der lange Arm Israels nicht erreichen kann – und das gilt für den gesamten Nahen Osten.“(42)
Von den verbliebenen Delegationen wurde Netanyahu mit Jubel und Buhrufen empfangen.
Die Palästinenserorganisation Hamas rief Netanjahu auf, den Gazastreifen zu verlassen und die Waffen niederzulegen, um den Krieg zu beenden.
„Dieser Krieg kann beendet werden. Alles, was die Hamas tun muss, ist, sich zu ergeben, die Waffen niederzulegen und die Geiseln freizulassen“, sagte Netanjahu.
Wenn die Hamas dies nicht tue, „dann werden wir kämpfen, bis wir einen vollständigen Sieg errungen haben“. Dazu gebe es keine Alternative.
Dann zauberte Netanyahu eine weitere Botschaft für diese Versammlung und für die Welt außerhalb dieses Saals aus dem Hut:
„Wir sind am Gewinnen. Meine Damen und Herren, während Israel sich in diesem Sieben-Fronten-Krieg gegen den Iran verteidigt, könnten die Grenzen zwischen Segen und Fluch nicht deutlicher sein. Dies ist die Karte, die ich letztes Jahr hier vorgestellt habe. Es ist eine Karte des Segens. Sie zeigt Israel und seine arabischen Partner, die eine Landbrücke zwischen Asien und Europa bilden. Zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer werden wir über diese Brücke Eisenbahnlinien, Energiepipelines und Glasfaserkabel verlegen, und dies wird dem Wohl von 2 Milliarden Menschen dienen“.
Netanjahu zeigte Karten des Nahen Ostens unter den Titeln „Der Fluch“ und „Der Segen“ und bezeichnete den Iran als Bedrohung für die ganze Welt. (43)
Der Karte des Segens stellte er dann die zweite Karte des Fluchs gegenüber:
„Es ist die Karte eines Bogens des Terrors, den der Iran vom Indischen Ozean bis zum Mittelmeer geschaffen und durchgesetzt hat. Irans bösartiger Bogen hat die internationalen Wasserwege stillgelegt. Er schneidet den Handel ab, zerstört die Nationen von innen heraus und bringt Millionen von Menschen ins Elend. Auf der einen Seite ein heller Segen – eine Zukunft voller Hoffnung. Auf der anderen Seite eine dunkle Zukunft der Verzweiflung. Und wenn Sie glauben, diese dunkle Karte sei nur ein Fluch für Israel, dann sollten Sie noch einmal nachdenken“. Dann wies Netanyahu auf die Gefahr einer nicht eingedämmten iranischen Gefahr hin. Der Iran würde viele Länder im Rest der Welt gefährden, weil der Iran versucht, seinen Radikalismus weit über den Nahen Osten hinaus durchzusetzen. Aus diesem Grund würde er Terrornetzwerke auf fünf Kontinenten finanzieren und ballistische Raketen für Atomsprengköpfe bauen, um die ganze Welt zu bedrohen. Aus diesem Grund müsste die Hamas verschwinden. Würde die Hamas ein Teil eines Nachkriegs-Gaza sein, wäre es so, als würden in einer Nachkriegssituation nach dem Zweiten Weltkrieg den besiegten Nazis 1945 erlaubt worden sein, Deutschland wieder aufzubauen.
„Das ist unvorstellbar. Es ist lächerlich. Das ist damals nicht passiert, und es wird auch jetzt nicht passieren. Aus diesem Grund wird Israel jede Rolle der Hamas in einem Nachkriegs-Gaza ablehnen. Wir wollen den Gazastreifen nicht umsiedeln. Was wir wollen, ist ein entmilitarisierter und entradikalisierter Gazastreifen. Nur dann können wir sicherstellen, dass diese Runde der Kämpfe die letzte Runde der Kämpfe sein wird“(43).
Am Ende seiner von Hass durchzogenen Rede hatte Netanyahu eine Botschaft für die Welt:
„Israel wird diese Schlacht gewinnen. Wir werden diesen Kampf gewinnen. Das Volk Israel lebt jetzt, morgen und für immer“.
Rede des jordanischen Königs Abdullah II. auf der 79. Sitzung
Im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts habe er inmitten regionaler Konflikte, globaler Umwälzungen und humanitärer Krisen an diesem Rednerpult gestanden: „Und doch kann ich mich nicht an eine Zeit erinnern, die gefährlicher war als diese. Unsere Vereinten Nationen stehen vor einer Krise, die ihre Legitimität infrage stellt und das globale Vertrauen und die moralische Autorität zu zerstören droht“(44).Dann geht er darauf ein, dass die himmelblaue Flagge, die über UN-Unterkünften und -Schulen in Gaza weht und dort unschuldige Zivilisten vor israelischen Militärbombardierungen schützen soll, seit fast einem Jahr angegriffen wird.
UN-Hilfslastwagen würden nur wenige Kilometer von hungernden Palästinensern entfernt festgehalten und humanitäre Helfer, die stolz das Emblem der UN tragen, ins Visier genommen. Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen werden missachtet, seine Stellungnahmen ignoriert.
Für Königs Abdullah II. bröckelt das Vertrauen in die Grundprinzipien und Ideale der UNO:
„Die harte Realität, die viele sehen, ist, dass einige Nationen über dem Völkerrecht stehen, dass sich die globale Gerechtigkeit dem Willen der Macht beugt und dass die Menschenrechte selektiv sind; ein Privileg, das nach Belieben gewährt oder verweigert werden kann“(45).
Die Untergrabung der internationalen Institutionen und der globalen Rahmenbedingungen stellt für ihn eine der größten Bedrohungen für unsere globale Sicherheit dar.
Die Angriffe auf israelische Zivilisten am 7. Oktober letzten Jahres wurden nicht nur von Jordanien, sondern von Ländern auf der ganzen Welt verurteilt, aber das beispiellose Ausmaß des Terrors, das seit diesem Tag in Gaza herrscht, sei durch nichts zu rechtfertigen.
„Der Angriff der israelischen Regierung hat zu einer der höchsten Sterberaten in den jüngsten Konflikten, einer der höchsten durch Krieg verursachten Hungerraten, der größten Zahl an amputierten Kindern und einem beispiellosen Ausmaß an Zerstörung geführt. Diese israelische Regierung hat mehr Kinder, mehr Journalisten, mehr Helfer und mehr medizinisches Personal getötet als in jedem anderen Krieg in jüngerer Zeit“. Insgesamt seien seit dem 7. Oktober fast 42 000 Palästinenser getötet worden.
In Ermangelung einer globalen Rechenschaftspflicht würden wiederholte Gräueltaten normalisiert. Dadurch droht eine Zukunft geschaffen zu werden, in der überall auf der Welt alles erlaubt ist. „Ist es das, was wir wollen?“, fragt Abdullah. Deshalb müsste für den Schutz des palästinensischen Volkes ein Sicherheitsmechanismus in den besetzten Gebieten eingerichtet werden, der den Schutz von Palästinensern und Israelis vor Extremisten gewährleisten kann, die die Region an den Rand eines totalen Krieges bringen. Die Vorstellung von Jordanien als alternative Heimat lehnt Abdullah vehement ab.
„Wir werden die Zwangsumsiedlung von Palästinensern, die ein Kriegsverbrechen darstellt, niemals akzeptieren“.
Immer wieder hätte Israel versucht, Sicherheit durch militärische Mittel zu erreichen. Auf jede Eskalation sei eine Pause gefolgt, bis zur nächsten, tödlicheren, während die Weltgemeinschaft den Weg des geringsten Widerstands gehen würde. Sie akzeptiere den Status quo der anhaltenden militärischen Besatzung der Palästinenser und gibt gleichzeitig Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung ab.
„Denn beide Völker verdienen es, ihr Leben in Würde, frei von Gewalt und Angst zu leben.
Und der einzige Weg, dies zu erreichen, ist ein gerechter Frieden, der auf internationalem Recht, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und gegenseitiger Anerkennung beruht.
Das ist etwas, worin wir uns als Nationen und Menschen überall vereinen können und müssen.“(46)
Welch eine von Empathie für alle Menschen getragene Rede!
Dagegen hatte Netanyahu nur Verachtung und Vernichtungsphantasien für seine Gegner. Keine Empathie für Leid der Palästinenser seit der Vertreibung und Flucht der arabischen Palästinenser (verankert im Bewusstsein als Nakba – Katstrophe oder Unglück) während des Palästinakrieges (1947-1949) im Mandatsgebiet Palästina und dem daraus entstandenen Staat Israel. Einher ging die Enteignung ihres Landes, des Eigentums und des Besitzes von rund 700.000 Palästinensern. Mit der Nakba ging auch die Zerstörung der Gesellschaft, Kultur, Identität, politischen Rechte und nationalen Bestrebungen der Palästinenser einher. Netanyahu zeigt nicht einmal Empathie für die eigenen Bürger.
Er denkt seit jeher wie die US-Eliten in geopolitischen Dimensionen. Seine Kriegsrhetorik ähnelt der des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dessen Amtszeit am 21. Mai 2024 ablief und er jetzt nur noch als Macht- oder Befehlshaber fungiert. Beide führen Stellvertreterkriege für die USA gemäß dem im September 2014 in Kraft getretenen Dokument TRADOC 525-3-1 “Win in a Complex World 2020-2040”. Es geht um nichts weniger als den Kampf um die von den USA dominierte unipolare Welt.
Quellen und Anmerkungen
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022).
1) https://www.g-geschichte.de/plus/wie-leutnant-churchill-den-buren-entkam/
2) Wolfgang Effenberger/Reuven Moskovitz: Deutsche und Juden vor 1939 Stationen und Zeugnisse einer schwierigen Beziehung. Höhr-Grenzhausen 2013, S. 248
3) Adwan, Sami/Bar-on, Dan et al. Das Historische Narrativ des Anderen kennen lernen. Palästinenser und und Israelis. Eine Schulbuchinitiative als Beitrag zur Verständigung in Israel und Palästina. Beit Jallah 2003, deutsche Übersetzung Berlin 2009, S. 10
5) Martin Buber: Streiflichter. In: Der Jude 1922, Nr. 7, S. 393-396
6) Zitiert in Effenberger/Moskovitz 203 S. 372 wie JR vom 21.März 1922, S. 144
7) Nach einem Telegramm des jüdischen Korrespondenzbureaus vom 23. März 1922
9) Ebda.
10) Martin Buber: Streiflichter. In: Der Jude 1922, Nr. 7, S. 396
11) Ebda.
12) Effenberger/Moskovitz 2013, S. 373
13) Martin Buber: Streiflichter. In: Der Jude 1922, Nr. 7, S. 396
14) https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-07/benjamin-netanjahu-washington-usa-besuch-israel
15) Michael Schilliger: Netanyahus Legende: Die biblische Geschichte über einen zornigen Propheten und seine Söhne. In: Neue Zürcher Zeitung. 4. November 2023
16) außerdem hat er Politikwissenschaft an der Harvard University und am MIT studiert. Er ist auch Autor verschiedener Bücher über den internationalen Terrorismus.
17) Michael Barbaro: A Friendship Dating to 1976 Resonates in 2012. In: New York Times, 7. April 2012, abgerufen am 24. Juli 2014 (englisch).
18) https://web.archive.org/web/20140809000213/http:/jafi.org/NR/exeres/33F95D85-5681-450E-9F81-28A21A849E7B; https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1993-03-26-mn-15373-story.html
19) Serge Schmemann: In: New York Times, 30. März 1996, abgerufen am 24. Juli 2014 (englisch) unter http://www.nytimes.com/1996/03/30/world/israeli-opposition-chief-making-comeback.html
20) https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/netanyahu-rabin-and-the-assassination-that-shook-history/
22) https://news.antiwar.com/2009/09/24/netanyahu-leads-call-for-harsh-m…
23) https://www.trumanlibrary.gov/education/presidential-inquiries/recognition-israel; https://www.commentary.org/articles/meir-soloveichik/i-am-cyrus/
24) https://www.cicero.de/aussenpolitik/kann-der-konflikt-um-palaestina-noch-geloest-werden/43126
25) https://www.xn--israelpalstina-eib.de/Nahostkonflikt-Artikel/Steinbicker-Netanyahus-Wahlkampf.html
26) Ebda.
27) Ebda.
28) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/nahostkonflikt-benjamin-netanjahu-israel-palaestinenser-un-vollversammlung-kritik. Das Dokument wurde1993 freigegeben.
29) Ebda.
31) Ebda.
32) Ebda.
33) Das Ben-Gurion-Kanal-Projekt war ursprünglich ein “geheimes” US-amerikanisches Projekt, das 1963 von der Lawrence Livermore Nationales Laboratorium (LLNG), ein strategischer Think Tank (mit Schwerpunkt auf nuklearer Strahlung) im Auftrag der U.S. Department of Energy (US-Energieministerium) geplant wurde. Das LLNG-Projekt wurde als Reaktion auf die Verstaatlichung des Suezkanals im Juli 1956 durch den Präsidenten Gamal Abdel Nasser (1956-1970) formuliert. Ziel war es, den Suezkanal zu umgehen. Nach dem “geheimen” Dokument, das von der LLNG (1963) erstellt und von Business Insider, Juli 2023, zitiert wurde, wurde ein strategischer Plan ins Auge gefasst: “Einen alternativen Suezkanal durch Israel mit 520 Atombomben zu sprengen”. Der Plan bestand darin, 520 vergrabene Atomexplosionen zu verwenden, “um den Ausgrabungsprozess durch die Hügel in der Negev-Wüste zu unterstützen. Das Dokument wurde1993 freigegeben.
36) Ebda.
38) https://taz.de/Israelischer-Kontaktmann-zur-Hamas/!6035476/
39) Ebda.
40) Ebda.
41) https://gadebate.un.org/sites/default/files/gastatements/79/il_fl.pdf
42) Ebda.
44) https://gadebate.un.org/sites/default/files/gastatements/79/il_fl.pdf
46) Ebda.
47) Ebda.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: lev radin / Shutterstock.com
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