Kampagne gegen Brosius-Gersdorf? Wie bitte? Frau Brosius-Gersdorf ist die Kampagne!
Ein Meinungsbeitrag von Roberto J. De Lapuente.
Geschickt eingefädelt, Bayerischer Rundfunk! Dort fragte man letzte Woche, wie die Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf, jener Frau, die als Richterin zum Bundesverfassungsgericht berufen werden soll, ins Laufen kam. Ja, wie denn eigentlich? Oder wollen wir diese Frage nicht fürs Erste zurückstellen und kurz überlegen, wie Frau Frauke Brosius-Gersdorf ins Laufen kam? Warum zum Henker ist die Causa so wichtig, dass wir täglich an allen Fronten des Alltags – ja, wir können militärischen Duktus, muss man jetzt ja auch können! – mit dieser an sich so öden Geschichte konfrontiert werden? Wo man auch geht und steht, irgendwo flackert immer ein Display mit dem nicht so ganz sympathischen Gesicht dieser Dame auf.
Vielleicht ist es ja so, dass die Kampagne viel früher begann, nämlich just in dem Moment, da ersonnen wurde, diese Frau für jenes Amt zu nominieren. Die, die dafür verantwortlich sind, wussten sicher ziemlich genau, wen sie da ins Rennen schicken. Eine staatstragende Persönlichkeit – was für das Amt auch gar nicht schlecht wäre. Problem ist nur: Ihre Positionen sind nur staatstragend, wenn Sozialdemokraten und Grüne regieren, wenn der Staat also von einer Fußgängerampel regiert wird – solche Ampeln haben bekanntlich keine Gelbphase. Dass gewisse Positionen – eben jener Schwangerschaftsabbruch bis Ultimo – für einige Mandatsträger der Union nicht tragbar sind, hätte man nicht wissen können – nein, man darf sicher sein: Man wusste es! Die Sozialdemokraten – im Verbund mit den Grünen? – wollten aber die besagte Frau durchboxen, dem Koalitionspartner eine reinwürgen.
SPD: Show-Partei Deutschlands
Koalitionsfähig ist das freilich nicht – regierungsfähig unter Umständen auch nicht. Aber durchtrieben allemal. Nach dem ersten Zögern, dem dann eine schnelle Zusage von Friedrich Merz folgte, hätte die SPD schon auf Ausgleich bedacht sein müssen – Verfassungsrichter als Waffe gegen die eigenen Partner einzusetzen: Das ist neu. Die SPD führt, das ist durchaus auch neu, wahrscheinlich einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik, Mitglied einer Koalition, die sich selbst als eine der Mitte sieht, die eher konservativ ausgerichtet arbeitet – und dennoch kämpft man gegen dieses Konservative an, als sei es der Teufel persönlich. Der Bundeskanzler ist übrigens nicht konservativ, ist er nie gewesen; er wollte nie bewahren, strebte immer nach einem neuen Menschentypus, dem homo oeconomicus. Dem sollten die Wurzeln beschnitten und die Identität genommen werden, Stichwort hierzu: Mobilität und Schwächung der Gewerkschaften. Denn wer wegen eines Jobs von Landshut nach Geesthacht zieht, der verliert seine Anbindung – und wenn darüber hinaus die Gewerkschaften schwächeln, hat er auch dort niemanden in der Fremde. Das war die Logik der neoliberalen Reformer vor 20 Jahren. Merz war stets Apologet dieses Credos. Konservativ ist diese Auflösung der Bande nicht, eine menschenverachtende Progressivität schon eher.
Dieser Friedrich Merz ist also anfällig für das, was Nancy Fraser – um Himmels willen, nicht die ehemalige Innenministerin, die hieße dann Faeser – einst als einen »progressiven Neoliberalismus« bezeichnete. Er ist die Schnittstelle, an der die Ideen zweier recht konturloser Parteien, wie es die SPD und die Grünen sind, andocken können. Merz ist deswegen längst kein aufgeweckter Bursche, der für all diese Geistesblitze zu begeistern wäre. Aber wenn sie ihm nützen, sind ihm die Folgen gleichgültig, und er wird zum Parteigänger seines Koalitionsfeindes SPD.
Die Grünen haben – wie auch die Linken – sich in Wahlkämpfen der letzten Jahre immer als Alternative zum Rechtsradikalismus empfohlen. Das war deren Kontur. Nicht inhaltlich glänzte man, sondern dadurch, nicht rechts zu sein. Die Sozialdemokraten zogen bald nach. Ihr Wahlargument: Wir sind nicht rechts. Was sie sonst waren? Keiner wusste es, nicht mal die Sozis selbst. Deren Parteihülse ist weitestgehend entkernt. Was bleibt, ist die Konturierung durch Absetzung von anderen. Das ist in Zeiten, da man inhaltlich aber ziemlich konform geht, nicht so einfach: Nur die zur Schau gestellte Haltung erlaubt es noch, sich von anderen abzuheben. Das hat man besonders gut gesehen, als SPD und Grüne den Bundestag nutzten, um die Abstimmung zum sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz zur Show umzufunktionieren. Es gibt offenbar keinerlei Schamgefühl, staatliche Institutionen für solche Spektakel zu missbrauchen. Die Causa Brosius-Gersdorf sollte man dringend als eine zum Besten gegebene Haltungsanzeige betrachten.
Grundrechte bei Impfpflicht und Schwangerschaftsabbruch
Oder eben als Kampagne. Es ist daher schon ein Stück weit raffiniert vom Bayerischen Rundfunk – oder interpretiere ich mehr rein, als man dem öffentlich-rechtlichen Dritten zutrauen dürfte? –, die Kampagne der Sozialdemokraten dadurch zu kaschieren, dass man das Widerstreben gegen diese als Kampagne deklariert. Es kann ja sein, dass mittlerweile auch eine Gegenkampagne läuft – Politik und Medien funktionieren heute nur noch so. So gut wie alles ist inszeniert und Kampagne. Manche sind geschickt, bemerkt man kaum. Andere sind plump und durchschaubar. Das Geraune um die Angelegenheit der Frauke Brosius-Gersdorf ist eher eine aus dem Lager letzter Kampagnen. Sie war so platt, dass es Widerworte geben musste – die SPD hat diese sicher eingepreist, weil sie den Bundeskanzler »so gut leiden kann«, wie ein Großteil der Bevölkerung. Mit dem Unterschied, dass die Bevölkerung kein Teil der Koalition ist, auch wenn manche Politikeransage annehmen lässt, dass man das in Berlin gerne so sähe.
Jetzt kommt es aber: Sie musste so platt sein, denn das war die Voraussetzung, mal wieder von der Staatskrise sprechen zu können, die man bei den Sozialdemokraten und den Grünen so gerne herbeifleht. Die Krise ist deren Überlebenselixier. Hat sich Ihr Leben eigentlich verändert, werter Leser, weil nun zunächst keine Verfassungsrichter berufen wurden? Stimmt, die Bahn ist unpünktlich – aber das war sie auch vorher schon, vermutlich ist dieser unerfreuliche Raub Ihrer Zeit nicht darauf zurückzuführen. Aber sonst so? Wahrscheinlich fällt Ihnen nichts ein, was diese vermeintliche Krise für Sie verändert hat – aber in Berlin wissen die Politiker der Fußgängerampel, dass der Staat kurz vor dem Kollaps steht. Nicht wegen der Bahn, die unzuverlässig ist, oder anderer Probleme aus Ihrem Alltagsleben: Nein, weil die Richterwahl für Karlsruhe verlegt wurde. Parallelwelt nennt man das gemeinhin – oder eben Theater und Show.
Teil der Kampagne ist es nun auch, die Frau als wundervolle Juristin darzustellen – wissenschaftlich versiert, faktenbasiert und was sonst noch alles gut klingt. Bei Markus Lanz habe sie ganz entzückend gesprochen und einige Themen, die man ihr vorwarf, nochmal aufgedröselt. Dabei sei zu sehen gewesen, wie virtuos sie sich in der Juristerei auskenne. Echt? An einer Stelle sagte sie sinngemäß, dass damals nun mal die Mehrheit der Bevölkerung für eine Covid-Impfpflicht gewesen sei. Ach, das erklärt natürlich, warum diese Juristin auch für so eine Pflicht sein musste. So viel Volkstribunin hätte man ihr gar nicht zugetraut – Problem nur: Grundrechte sind ja keine Interpretationen von Mehrheiten oder Minderheiten, sondern verbriefte Rechte, die zu gelten haben, auch wenn sie mehrheitlich abgelehnt werden. An anderer Stelle sprach sie über den Schwangerschaftsabbruch und stellte die Abwägung von Grundrechten zwischen Embryo, Fötus und austragender Frau in Relation. Dass das komplex ist: geschenkt! Dass aber Grundrechte abgewogen werden können, hat sie in ihrer Rede zur Impfpflicht ja eindrucksvoll gezeigt.
Wer startete nun die Kampagne gegen diese Frau?
Beide Themenfelder lassen sich natürlich nur bedingt vergleichen, das Abwägen von Grundrechten ist bei der Impfung Schattenboxen gewesen, weil die Nicht-Impfung nicht das Grundrecht anderer verletzte. Beim Schwangerschaftsabbruch ist das anders. Dennoch geht es bei beiden Themen genau darum – dass man Abstriche beim Grundrecht machen muss, hat der Kompromiss, den man in den Neunzigern beim Schwangerschaftsabbruch machte, ja gezeigt. Gesellschaftlich hat sich dieser Weg auch bewährt. Damals war es den beiden christlichen Kirchen zu verdanken, dass das Thema noch eine ethische Komponente behielt. Eine Abtreibung konnte und sollte keine beliebige Arztleistung sein – und sie sollte nicht bis zum letzten Moment möglich gemacht werden. Dass man sich letztlich darauf verständigte, die Grundrechte eines Embryos als geringfügiger zu erachten als die der austragenden Frau, kann sicher als gangbarer Kompromiss angesehen werden. Dass das anders wiegt, wenn das Kind im Leibe fast fertig ist – und dafür spricht sie sich durchaus aus, auch wenn der ansonsten so geschätzte Friedrich Küppersbusch dies unterschlägt in seinem Video zur Sache, siehe hier: Protokoll des Rechtsausschusses aus dem Februar –, ist freilich auch Verhandlungssache. Und das nicht nur von Juristen, sondern von allen, die in dieser Gesellschaft leben. Es ist eine ethische, keine juristische Frage: Denn in der Juristerei kann man alles so hinbiegen, dass es juristisch einwandfrei erklärbar ist. Brosius-Gersdorf hat das bei Lanz in der Tat gut sichtbar gemacht, als sie von der Impfpflicht sprach und dort selbst Grundrechte wegfachsimpelte.
Nur eines war dabei eher nicht so deutlich, wie es Sozialdemokraten und Grüne gerne gehabt hätten: die Expertise. Das Fachfrauische trat nicht ganz so gewichtig hervor, wie das kolportiert wurde. Es musste aber natürlich behauptet werden, denn noch ein gesetzter Teil der Kampagne musste bedient werden: toxische Männlichkeit. Die sei es, die immer dann zur Geltung komme, wenn eine hochqualifizierte Frau in ein Amt strebe. Die Kampagnen, die dann anrollen, seien von Männern getragen. War das nicht ein Herr Laschet, der wegen einer Kampagne doch nicht Bundeskanzler wurde? Hat sich nicht ein Herr Habeck gegrämt, weil man ihn immer wieder angriff? Und was ist mit Herrn Trump, den man dauernd angeht? Sind das alles verkappte Frauen, Opfer toxischer Kerle? Und ist Frau Baerbock doch ein Typ, weil sie einer hochqualifizierten Frau namens Helga Schmid den Posten in New York nicht vergönnte? Frau Baerbock brach übrigens eine Lanze für Frau Brosius-Gersdorf: Sie sei so qualifiziert – und es sei freilich eine Schande, wie Männer ihr das verweigern.
Nun aber nochmal, Bayerischer Rundfunk: Wer startete die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf? Eine Antwort zur Güte: Die SPD war es – vielleicht mit Zuspruch der Grünen. Sie installierten diese Personalie mit genauer Vorkenntnis dessen, was geschehen könnte: die Diskreditierung der Union – und die Stigmatisierung der Union als potenzieller großer Koalitionspartner der AfD. Denn wenn die Union in der AfD-Frage einknickt und wieder mal der Unmut der NGO-Öffentlichkeit als große Bürgerempörung inszeniert wird, dann weiß Merz eines sicher: Den Schritt zur AfD kann er nicht wagen. Denn Tendenzen gibt es bereits für eine Annäherung, mauschelt man in Berlin, die AfD melonisiere sich schließlich Schritt für Schritt. Die SPD muss Merz dauerhaft unter Druck setzen, der AfD nicht nachzugeben. Tut er es, verschwindet die Sozialdemokratie in der jetzigen Form in der Versenkung.
+++
Dieser Beitrag erschien zuerst am 21. Juli 2025 auf overton-magazin.de.
+++
Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
+++
Bild: Bundesverfassungsgericht
Bildquelle: U. J. Alexander / shutterstock
+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit der:
Spenden-Kryptowährung „Nackte Mark“: https://apolut.net/unterstuetzen/#nacktemark
oder mit
Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoin
Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/
+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.
+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/
+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut