Die Feindstaatenklausel in der UN-Charta | Von Wolfgang Bittner

Ein Standpunkt von Wolfgang Bittner.

Um nach den Erfahrungen zweier Weltkriege künftige Bedrohungen des Friedens zu verhindern, beschlossen 1945 – inspiriert von Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ – 51 Staaten die Charta der Vereinten Nationen, die am 24. Oktober 1945 in Kraft trat.[1] Die BRD und die DDR traten der Charta 1973 bei, seit 1990 ist das vereinigte Deutschland als Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen.

In der Charta wird ein Friedensgebot konstituiert, um „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen“. Internationale Auseinandersetzungen oder „Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten“, sollen “durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“ bereinigt oder beigelegt werden.

Kaum bekannt in der deutschen Öffentlichkeit ist, dass Deutschland nach der so genannten Feindstaatenklausel in den Artikeln 53 und 107 der Charta gegenüber den Gegnern des Zweiten Weltkriegs immer noch ein Feindstaat ist (Artikel 77 ist überholt [2]). Die Feindstaatenklausel besagt, dass Zwangsmaßnahmen ohne besondere Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat verhängt werden könnten, falls Deutschland erneut eine aggressive Politik verfolgen würde, was gegebenenfalls militärische Interventionen einschließt.

Artikel 53, Absatz 1 der Charta lautet: „…Ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats dürfen Zwangsmaßnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens regionaler Einrichtungen nicht ergriffen werden; ausgenommen sind Maßnahmen gegen einen Feindstaat im Sinne des Absatzes 2, soweit sie in Artikel 107 oder in regionalen, gegen die Wiederaufnahme der Angriffspolitik eines solchen Staates gerichteten Abmachungen vorgesehen sind; die Ausnahme gilt, bis der Organisation auf Ersuchen der beteiligten Regierungen die Aufgabe zugewiesen wird, neue Angriffe eines solchen Staates zu verhüten.“ Gemäß Absatz 2 bezeichnet der Ausdruck „Feindstaat“ jeden Staat, „der während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichners dieser Charta war“.

Artikel 107 der Charta lautet: „Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des Zweiten Weltkriegs in Bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeichnerstaats dieser Charta war, werden durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt.“

In diesem Zusammenhang ist noch der Artikel 52 von Bedeutung, der in Absatz 4 auf die Artikel 34 und 35 eingeht, deren Anwendung „nicht beeinträchtigt“ wird. Artikel 34 und 35 betreffen den Sicherheitsrat, der bei internationalen Streitigkeiten tätig werden kann. Des Weiteren wird auf die Artikel 11 und 12 verwiesen, die wiederum die Befugnisse der Generalversammlung zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit regeln.

Diskutiert wird, ob die sich aus den genannten Artikeln ergebende Feindstaaten-Regelung durch die Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen obsolet geworden ist.[3] Aber wenn dem so wäre, hätten diese Bestimmungen schon lange gestrichen werden können. Zwar wurde Deutschland im Vereinigungsvertrag von 1990 (Zwei-plus-Vier-Vertrag) „volle Souveränität“ zugesprochen,[4] aber die Vereinbarung wurde durch Zusatzverträge, zum Beispiel über Truppenstationierungen und militärische Zusammenarbeit, wieder relativiert.

Die damaligen Siegermächte, die eine bedingungslose Kapitulation erzwungen hatten, sind immer noch präsent, die Bundesrepublik Deutschland steht unter Kuratel der USA sowie unter latenter Beobachtung Großbritanniens und Frankreichs, auch wenn das bemäntelt wird und viele es nicht wahrhaben wollen. Wenn man diese Tatsache hinsichtlich der geopolitischen Situation, in der wir uns befinden, bedenkt, wird vieles klarer: Washington hat erhebliche Möglichkeiten, Druck auszuüben und auf Entscheidungen der deutschen Regierung einzuwirken, was ständig zu beobachten ist, zum Beispiel bei der Sprengung der Ostsee-Pipelines, der grenzenlosen Unterstützung der Ukraine und der verheerenden Aggressionspolitik gegenüber Russland.

Festzustellen ist, dass das Friedensgebot der UN-Charta allgemeine Gültigkeit beansprucht, in den vergangenen Jahren jedoch immer wieder verletzt wurde, insbesondere von den USA, die aufgrund ihrer völkerrechtswidrigen Interventionspolitik schon lange das Recht verwirkt haben, sich auf Menschenrechte und die Verteidigung demokratischer Freiheiten zu berufen.

Es ist davon auszugehen, dass weder die USA noch Großbritannien ein Interesse daran haben, die Feindstaatenklausel der UN-Charta zu annullieren, das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Dasselbe gilt für einen Friedensvertrag.[5] Die Gelegenheiten, zukunftsweisende, geordnete Verhältnisse zu schaffen, wurden nicht wahrgenommen, Deutschland steht seit 1945 unter Kuratel in einem permanenten Ausnahmezustand. Es ist dringend an der Zeit, sich aus dieser Vormundschaft zu befreien.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Deutschland – verraten und verkauft“ und „Ausnahmezustand – Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“, Verlag zeitgeist 2021 und 2023.

Quellen

[1] Text: https://unric.org/de/wp-content/uploads/sites/4/2022/10/charta.pdf

[2] Artikel 77, der auf das internationale Treuhandsystem und entsprechende Treuhandgebiete eingeht, ist nach dem Beitritt Deutschlands zur UN gemäß Artikel 78 hinfällig geworden.

[3] Siehe: Resolution 49/58 der Generalversammlung vom 9.12.1994. Vgl. auch https://www.bundestag.de/resource/blob/484610/dc5a3c061feef095da5885a52b92134c/WD-2-147-07-pdf-data.pdf; sowie Ress/Bröhmer, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), „The Charter of the United Nations“, Vol. II, Oxford, 3. Aufl. 2012, Art. 107, Rdnr. 21; Ipsen (Hrsg.). Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 6 Rdnr. 131.

[4] Da der Zwei-plus-vier-Vertrag kein Friedensvertrag war, wie zum Teil unterstellt wird, befindet sich die Bundesrepublik Deutschland als mit dem Deutschen Reich identisches Völkerrechtssubjekt (vgl. https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2015_06/380964-380964) nach wie vor im Zustand des Waffenstillstands. Wie kompliziert die Rechtslage nach herrschender Auffassung ist, geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages hervor: https://www.bundestag.de/resource/blob/579362/47b6ac2d55fcb4c12dfcce3cedc0e7d0/WD-2-149-07-pdf-data.pdf

[5] Angeblich wären nach einem Friedensvertrag erhebliche Reparationen fällig geworden. Das wäre aber wohl kaum ein Hinderungsgrund gewesen, da die Berliner Regierung ohnehin ständig Millionen und Milliarden verteilt und auch verschleudert.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Drop of Light / shutterstock

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Kommentare (11)

11 Kommentare zu: “Die Feindstaatenklausel in der UN-Charta | Von Wolfgang Bittner

  1. Herr Bittner, meiner Ansicht nach könnte Russland zu recht sagen, dass Deutschland sich aggressiv verhält und sich dabei quasi militärischer Mittel bedient. Wäre Russland also berechtigt gegen Deutschland militärisch vorzugehen? Raketenangriffe usw?

    • Poseidon 1 sagt:

      Soll jetzt Putin auf Europa-Tour gehen um mit Raketen nach den Rechten zu schauen?
      Da sind mir die russischen Bauern die zur Hilfe kommen sehr viel lieber.
      https://www.youtube.com/watch?v=3X1uukhV3yA

    • Poseidon 1, als Antwort auf meine Frage kann man Ihre Einlassung wohl nicht verstehen.

    • Poseidon 1 sagt:

      Nee ,Herr Kaschek,da haben Sie vollkommen recht.

      Man muesste schon das Voelkerrecht konsultieren damit man weiss ob Russland jetzt
      mit Hyperschallraketen den NATO-Fuehrungsbunker in Ramstein sprengen darf wie in Lwiv.
      Vielleicht geht es ja ,wenn es sich hinterher entschuldigt und mit dem Schaden verrechnet
      den deutsche Waffen angerichtet haben?

      https://www.youtube.com/watch?v=rHT6dU1Tj0w

    • Poseidon 1, wenn ich es richtig verstehe, können Sie zur Beantwortung meiner Frage keinen relevanten Beitrag leisten und wollten aber ein wenig Ihres Senfes irgendwo dazu geben? Wenn es so ist, dann hätten Sie sich das getrost sparen können. Freundliche Grüße!

  2. GTMT sagt:

    Irgendwie erinnere ich mich, dass DE auch keine Atomwaffen besitzen darf/durfte usw usf.
    Leider wurde wohl doch recht viel aufgeweicht denn DE hat ja sofort 1999 einen Krieg initiiert – Jugoslawien & ist seitdem am Zündeln….

    Nein – DE sollte weiter als Feindstaat betrachtet werden von der internationalen Gemeinschaft! Die heutige Regierung mit eindeutiger Nazigesinnung in GRÜNROTGELB ist keinen Deut besser als das 3. Reich……

  3. Zivilist sagt:

    Die UN sind die Nachfolgeorganisation der Alliierten des WWII

    Ru kann die Leos also gleich an der Quelle neutralisieren, aber wie ist das mit 'befreundeten' Truppen,wie z.B. in Ramstein?

    Genscher wollte ja keinen Friedensvertrag, weil dann die Westeuropäer wieder über Reparationen reden können.

    • Nevyn sagt:

      Es ist ja seit einiger Zeit bekannt, dass der Ukrainekrieg von Ramstein aus geführt wird, offenbar nachdem die Russen den NATO-Führungsbunker bei Lwiv mit einer Hyperschallrakete gesprengt hatten. Herr Kujat erwähnte das neulich, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Gilt Ramstein damit nun als legitimes Ziel im Ukraine-Krieg?

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