Ein Kommentar von Peter Haisenko.
Mit mehr als fünf Prozent ist die Inflation so hoch, wie seit 30 Jahren nicht mehr. Der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel widerspricht der Regierung, die ein baldiges Abflauen der Inflation prognostiziert. Er fordert die EZB zum raschen Handeln auf, aber diese kann die aktuellen Preissteigerungen gar nicht beeinflussen.
Die alten „Regeln“ für Geldmenge im Verhältnis zu Inflation gelten schon lange nicht mehr, erleben aber gerade eine seltsame Renaissance. Fakt ist, dass im weltweiten Geldumlauf mehr als 100 Mal so viel Geld kursiert, als es dem Wert aller Waren und Dienstleistungen entsprechen würde. Das hat sich seit den 1990-er Jahren so aufgebaut. Der Effekt dieser finanzpolitischen Katastrophe hat aber keine nennenswerte Inflation bewirkt für das tägliche Leben. Im Bereich der teuren Güter wie Immobilien und Aktien hingegen ist schon lange eine kräftige Inflation im Gange. Die beruht auf der Null-Zins-Politik der EZB, denn deren billiges Geld wird verwendet zum Kauf von Immobilien und Aktien.
Eigentlich sollte diese Geldpolitik das Inflationsniveau auf etwa zwei Prozent anheben, aber auch das hat nicht funktioniert. Konnte es auch gar nicht, denn Geld ist ja bereits im vielfachen Überfluss im Umlauf und es gab auch an keiner Stelle einen Mangel an Waren, der zu Preisschüben hätte führen können. Einzig bei den Mietpreisen hat es funktioniert, aber gerade das ging am Ziel völlig vorbei. Es war aber absehbar, dass die galoppierenden Immobilienpreise steigende Mieten nach sich ziehen würden, denn die zu überhöhten Preisen gekauften Gebäude sollen gute Renditen abwerfen. Es ist einfach. Um mit einer Immobilie, deren Preis sich verdoppelt hat, prozentual dieselbe Rendite zu erzielen, muss auch die Miete verdoppelt werden. Weil es aber noch sehr viele Alt-Mietverträge gibt, hat sich das nur wenig auf das allgemein festgestellte Inflationsniveau ausgewirkt. Für das betroffene Individuum auf der Suche nach einer neuen Bleibe allerdings schon, und zwar drastisch.
Wegen der irrsinnigen Corona-Politik funktionieren die Lieferketten nicht mehr
Was also ist geschehen, dass jetzt die Inflation Rekordwerte verzeichnet? Es ist ähnlich wie vor 30 Jahren, also nach der sogenannten Wiedervereinigung. Die Nachfrage übersteigt die verfügbaren Waren. Nicht nur das. Damals brachen auch plötzlich die in der DDR für den Westmarkt produzierten Billigwaren weg und mussten durch Produkte ersetzt werden, die unter „normalen“ Bedingungen hergestellt werden mussten. Nur die schleunigst organisierten Produktionsverlagerungen in die ehemaligen Ostblockstaaten konnten das kompensieren, indem sie die schlechte Währungsparität und die somit billigen Arbeitskräfte benutzten. Das hat bis vor zwei Jahren funktioniert, auch mit billigen Wanderarbeitskräften aus unseren östlichen Nachbarländern, vor allem während der Ernte. Die aber durften nicht mehr kommen und so gab es einen Preisschub bei Spargel und anderen Feldfrüchten. Dessen Auswirkung auf die Inflation konnte noch durch die Absenkung der MwSt. verschleiert werden. Das war mit dem Jahr 2021 vorbei.
Wegen der irrsinnigen Corona-Politik funktionieren die Lieferketten nicht mehr. Containerschiffe liegen auf Reede, weil sie nicht entladen werden können und die Preise für den Transport von Containern haben sich verzehnfacht. Produktionsbänder stehen still, weil Komponenten für die Produktion fehlen und so kann die Nachfrage nicht befriedigt werden. Wer einen Neuwagen will, muss teilweise mehr als ein Jahr darauf warten. Vorbei also Rabattaktionen, die den Verkauf beflügeln sollten, und so muss der Kunde auch hier tiefer in die Tasche greifen. Das gilt letztlich für alle Sparten, deren Produktion von globalen Lieferketten abhängig ist. Dieser gesamte Vorgang hat nichts mit Geldmenge oder Zinspolitik zu tun. Die EZB hat also überhaupt keinen Hebel, um hier mit der Geldpolitik gegenzusteuern.
Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation funktioniert nur, solange es einen permanenten Mangel gibt. Das heißt, wenn in einen Mangelmarkt zusätzliches Geld fließt, das Nachfrage auslöst, die nicht mit ausreichend Ware befriedigt werden kann, dann steigen mit der Nachfrage die Preise. Diesen Zustand gibt es aber seit etwa den 1970-er Jahren nicht mehr, mit der kleinen Sonderzeit nach 1990 als Ausnahme. So muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Politik der Notenbanken schon lange keinen Einfluss mehr auf die Inflationsrate hat. Es ist vielmehr ein fein abgestimmtes Vorgehen der Gewerkschaften mit der Politik und den Großkonzernen, die mit den vorher abgesprochenen Lohnsteigerungen über die Höhe der Inflation bestimmt haben. Dabei ist auch zu beachten, dass es seitdem inflationsbereinigt kaum noch reale Lohnsteigerungen gibt. Es ist ein perfides Nullsummenspiel, das nur Unruhe erzeugt und suggerieren soll, es gäbe einen Fortschritt. Die Notenbanken haben darauf schon lange keinen Einfluss mehr.
Das billige, zusätzliche Geld versickert in den Bilanzen der Banken
Die sogenannte Finanzkrise 2008 hat gezeigt, wo die Notenbanken noch eingreifen können. Nämlich wenn es darum geht, Banken und Finanzkonzerne zu retten und so das gesamte System vor dem großen Crash zu bewahren. Mit der Null-Zins-Politik haben sie die sowieso schon irrsinnige Geldmenge im Umlauf weiter erhöht. Das wirkte sich aber nicht auf die Inflation aus, denn von diesem billigen, zusätzlichen Geld, ist nichts beim „Kleinen Mann“ angekommen. Es ist versickert in den Bilanzen der Banken und in die Aktienmärkte geflossen, wie die vollkommen überzogenen Aktienkurse aufzeigen. Und natürlich in die Immobilienmärkte, wie die dort zu beobachtenden Preissteigerungen belegen. Die Banken, und nur die, konnten Geld für Null-Zins aufnehmen und in Renditeobjekte investieren, um sich dem drohenden Verfall des Geldwertes durch den Ankauf von Realwerten, auch Aktien, zu entziehen.
Mit der Corona-Politik ist aber noch etwas anderes passiert, was die herkömmlichen Regeln der Geldpolitik auf den Kopf stellt. Großen Teilen der Bevölkerung wurde faktisch ein Arbeitsverbot ausgesprochen, aber das wird kompensiert mit Ausgleichszahlungen, denen keine Arbeitsleistung zugrunde liegt. Das heißt, dass zwar keine produktive Arbeit oder Dienstleistung erbracht wird, aber dennoch Geld an diejenigen ausgezahlt wird, die nicht arbeiten dürfen. Das bedingt, dass zwar Geld da ist, das aber nicht dafür ausgegeben werden kann, eine Leistung zu bezahlen, die ja nicht erbracht werden darf. Dieses Geld muss also in andere Kanäle fließen. Zum Beispiel in den Kauf von Autos oder anderer Industrieprodukte. Genau die sind aber wegen der gestörten Lieferketten schon knapp. So haben wir jetzt den Zustand, dass die alten Mechanismen wieder greifen, was Nachfrage, Angebot und Inflation betrifft. Die Notenbanken, die EZB, können da nicht regulierend eingreifen.
Das sollte auch Herr Nagel, der Bundesbankpräsident wissen. Wenn er etwas von seiner Aufgabe versteht, wovon auszugehen ist, dann ist seine Ansage an die EZB, sie solle jetzt eingreifen und zu einer „normalen Geldpolitik“ zurückkehren, pure Augenwischerei. Tatsache ist nämlich auch, dass eine Erhöhung der Leitzinsen in der jetzigen Situation die Inflation antreiben wird. Haben die Sparer während der letzten Jahre richtig viel Geld verloren, weil die Zinserträge die Inflation nicht ausgleichen konnten, werden sie mit einem höheren Leitzins wieder mehr Geld auf ihren Konten finden. Wegen der immanenten Inflationsgefahr werden sie geneigt sein, diesen Mehrwert schnell in reale Güter zu investieren und damit die Nachfrage weiter anzutreiben, eben für die jetzt im Mangel befindlichen Güter und damit die Inflation.
Nur die Politik könnte den Auswüchsen der Finanzmärkte Einhalt gebieten
Der Punkt ist also, dass Geld im hundertfachen Überfluss im weltweiten Umlauf ist. Daran wird sich nichts, aber auch gar nichts, ändern, wenn die EZB den Leitzins anhebt. Das Geld ist ja schon da, es ist nur den „Eliten“ vorbehalten. Die vervielfachen es weiter, in ihren Casinos, den Börsen und Finanzmärkten. Auch darauf hat die EZB keinen Einfluss. Nur die Politik könnte das ändern, indem sie die Auswüchse der Finanzmärkte verbietet und zu den Regeln vor 1990 zurückführt. Dann aber würden die Finanzmärkte zusammenbrechen und der große Crash wäre da. Auf der anderen Seite aber werden die Staatshaushalte reihenweise in die Pleite gehen müssen, wenn auch für die Kredite der Staaten wieder höhere Zinsen fällig sind. Relativ zu Null-Zinsen oder gar negativen.
Mit höheren Leitzinsen werden aber auch Häuslebauer massive Zukunftsangst erleben. Sie haben mit ganz niedrigen Zinsen kalkuliert und ihre Immobilie deswegen zu überhöhten Preisen gekauft. Wenn sie jetzt für die Verlängerung ihrer Hypothekenkredite deutlich höhere Zinsen einrechnen müssen, dann wissen sie jetzt schon, dass sie die dann fälligen höheren Gebühren nicht mehr leisten können. Viele der Immobilien werden an die Banken fallen, zu unanständigen Konditionen. Der gesamte Immobilienmarkt kann zusammenbrechen und das wird auch die Großinvestoren treffen.
Wir sitzen im Schlamassel, aber wer genauer hinsieht, den überrascht das nicht. Es war absehbar, geradezu unausweichlich, dass das im künstlichen Koma liegende Finanzsystem zusammenbrechen muss – früher oder später oder eben jetzt. Es gibt keinen Regelmechanismus mehr, der die laufende Inflation eingrenzen könnte. Die Geldpolitik der Notenbanken kann es jedenfalls nicht. Wir befinden uns also in einem Umbruch, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Sämtliche Tarifverträge werden neu ausgehandelt werden müssen, wieder und wieder, und genau das wird es sein, was die Inflation weiter antreibt. Genauso werden Mietsteigerungen unausweichlich werden, und zwar jenseits aller „Mietpreisbremsen“. Auch daran kann die Geldpolitik der Notenbanken nichts ändern.
Was immer die EZB versucht: Es kann immer nur falsch sein
Je nachdem, wie hoch die Leitzinsen steigen werden, wird die Investitionstätigkeit unattraktiver werden. So, wie es in den 1970-er Jahren auch schon war, weil die Renditen am Kapitalmarkt besser waren, als bei Realinvestitionen. Bleibt als Fazit festzustellen, dass die EZB nicht nur handlungsunwirksam ist, sondern sogar alles nur falsch sein kann, was immer sie versucht. In jedem denkbaren Fall wird es negative Auswirkungen haben und den Niedergang beschleunigen, bis hin zu chaotischen Zuständen. So ist meine Forderung, die Zinsen bei Null zu belassen und eine Grundrenovierung des gesamten Systems in Angriff zu nehmen.
Die Corona-Politik hat gezeigt, dass es wider alle Regeln zumindest eine zeit lang funktionieren kann, wenn man Menschen einfach Geld in die Hand gibt, damit sie überleben können. Geld aus dem Nichts, Geld ohne zu arbeiten, mit dem sie die Dinge kaufen können, die noch im Überfluss vorhanden sind oder die sie dringend brauchen, ganz gleich, was sie kosten. Und weil so schon der Nachweis erbracht ist, dass das alte System das Ende seiner Funktionsfähigkeit überschritten hat, muss über ein System nachgedacht und diskutiert werden, das zumindest die Möglichkeit wahrt, nicht wieder in wenigen Jahrzehnten am selben Punkt anzukommen, wo wir gerade sind.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 12. Februar 2022 bei anderweltonline.
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Bildquelle: Stefan Dinse / shutterstock
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