Der Schoß ist fruchtbar noch

Von Bernhard Trautvetter.

In Sachsen gibt es nicht nur Gewalt gegen Flüchtlinge, Unterkünfte und Gegner der Rassisten. Die NPD-Landtagsfraktion fragt in ihrer Broschüre NSU-Ein Staatskonstrukt?: “Angesichts dieser Umstände muß sich eigentlich jeder noch selbständig denkende Bürger folgende Fragen stellen: Sind Teile der deutschen Geheimdienste aus dem Ruder gelaufen und hatten sie Kontakte zu oder doch mindestens ein Wissen um die Protagonisten des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“? Hatten ausländische Geheimdienste Wissen um die Existenz von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Untergrund? Und natürlich: Wie nahe sind sogenannte V-Leute der Geheimdienste dem mutmaßlichen Zwickauer Terrortrio wirklich gekommen? Klar ist auf jeden Fall schon zum jetzigen Zeitpunkt, daß es im personellen Umfeld des sogenannten NSU gleich eine ganze Reihe von V-Leuten gab.”

Interessant ist, was diese Broschüre nicht sagt. Sie unterstellt dem Staat eine Nähe zu der neofaschistischen Mörderbande nach dem Motto “Haltet den Dieb!”. Ein Spruch, den Räuber in Momenten der Tarnung rufen, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Sie weisen dabei in andere Richtungen und spielen sich als wachsame Bürger auf. Eigene Nähe zu den Terroristen blendet die NPD aus.

Die ARD berichtete schon 2012, dass Holger Apfel, der, ehe er in Mallorca ein Restaurant übernahm, die NPD-Landtagsfraktion führte, die er als parlamentarischen “Arm des ‘Nationalen Widerstands’, wie Apfel selbst ausführte,”(1) sah. Die ARD-Tagesschau dazu weiter: “Die NPD war und ist Stachel im Fleisch des Systems”, sagte er beispielsweise bei einer Rede 2007. Für die Bundesrepublik zeigte er nur Verachtung: Die parlamentarische Schwatzbude namens Landtag sei “nicht mehr als eine billige Karikatur einer wirklichen Volksherrschaft”, …. Die etablierten Politiker “vergewaltigen tagtäglich” die wahre Demokratie. … die Debatte über ein Verbotsverfahren bezeichnete er jüngst als “beispiellose Pogromhetze”.(2)

Der NPD-Funktionär Wieschke war mit den NSU-Terroristen im “Thüringer Heimatschutz”, der ehemalige NPD-Vize von Thüringen und als NSU-Unterstützer angeklagte Ralf Wohlleben waren 1996 auf Fotos von NPD-Demonstrationen zu sehen. Wieschke ist wegen eines Sprengstoff-Verbrechens verurteilt… Der zitierte ARD-Text präsentiert eine Vielzahl weiterer Gesetzesverstöße von NPD-Politikern. Doch hängt das Parteiverbot nicht an der Frage individueller Schuld von Parteimitgliedern und -Funktionären, sondern an der Frage, ob die Parteistruktur und -programmatik Gewalt für die Durchsetzung ihrer Ziele betrachtet und anwendet.

Günther Deckert, ehemaliger NPD-Funktionär schrieb 2013 an einen damaligen Journalisten der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten: „Aber, aber …, warum wandern sie nicht aus, die Türkei, Rumänien, Kongo usw. lassen grüßen.“(3) Der Kongo ist ein Kriegsgebiet, in der Türkei herrscht ebenfalls Gewalt gegen Antirassisten, die auch in Rumänien verfolgt werden. Die Häufung geistiger Vorbereitung der Anwendung von Gewalt ist auffällig und symptomatisch.

So plant die Jugendorganisation der NPD laut einer Rede des NPD-Funktionärs Richter auf einem Parteitag in Anklamm, „bedingungslos ein Leitbild“ zu verfolgen, „welches sich an Geschichte, Abstammung und Schicksal unseres Volkes“ ausrichte. Doch auch für die nötige Tarnung ist gesorgt, so warnte Richter in seiner Rede, man müsse natürlich „nach außen moderat und zeitgemäß agieren“.

Bis zur Landtagswahl in dem nordöstlichen Bundesland im Herbst 2016 planen die JN, mindestens zwei „Wahlkampf“-Zeltlager“ für junge Kameraden aus dem gesamten Bundesgebiet durchzuführen. Dort solle „knallharter politischer Aktivismus“ betrieben werden.(4)

Die Tarnung nach außen zeigt die Gefahr für die Demokratie, sie ist eine Selbstentlarvung, die mich das an ein Zitat von Viktor Klemperer erinnert: “Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen. Es ist mir merkwürdig ergangen mit dieser eigentlichen (philologisch eigentlichen) Sprache des “Dritten Reichs”. Ganz im Anfang, solange ich noch keine oder doch nur sehr gelinde Verfolgung erfuhr, wollte ich so wenig als möglich von ihr hören.”(5)

Fazit: Brecht sagte: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Die Lehre der Geschichte ist dem entsprechend diese: Die gegenwärtige Generation trifft keine Schuld an den Verbrechen des Naziregimes. Sie hat also auch keinen Grund, sich dafür zu schämen oder zu entschuldigen, wie es auch Sally Perel immer wieder betont. Aber die heute Lebenden haben die Verantwortung, zu verhindern, dass sich eine solche Katastrophe, von der sich die Menschheit vielleicht dann niemals wieder erholen kann, im Ansatz zu verhindern. Das ist eine viel größere Aufgabe als ein Verbot der NPD, das beim Ringen der Demokraten um eine Gesellschaft, die sich dem friedlichen Miteinander, der einzigen Chance der Menschheit auf Zukunft, verschreibt, nur eine Wegmarke in ein zukunftsverträgliches, anderes Leben sein kann, in dem kein Mensch mehr Mittel eines anderen Menschen sein kann und darf.

Diese Gesellschaft, die nur als nachkapitalistische Welt ohne Ausbeutung sogenannter (Lohn-)Abhängiger denk- und realisierbar ist, würde an das Primat der Aufklärung nach Kant anknüpfen: Behandele die “Person eines jeden anderen… niemals bloß als Mittel …”(6)

Quellen:

(1) https://www.tagesschau.de/inland/neonazisnpd100~_origin-9b1dfd9a-92d3-41d7-8998-bb3a2c48148c.html
(2) siehe (1)
(3) http://www.vvn-bda.de/morddrohung-gegen-antifaschistischen-redakteur/
(4) http://publikative.org/2015/02/06/von-der-wiege-bis-zur-bahre-braune-parallelwelt-im-nordosten/
(5) http://www.muz-online.de/sprache/lti.html
(6) https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/aa04/429.html

 

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Textes.

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