Uns droht eine schrille Nacht, ein Fest voller Geschrei und Panik — doch am Ende könnte ein Licht geboren werden: unser eigenes.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Ein Standpunkt von Kerstin Chavent.
So wie es aussieht, wird es in diesem Jahr keine stille Nacht geben. Es wird unruhig. Die ganze Welt ist in Aufruhr. Dennoch kann Frieden einkehren, und es kann wirklich und wahrhaftig ein König geboren werden. Wir sind es selbst. Der Weg in das innere Königreich ist kein bequemer. Viele Verdrehungen und Verfälschungen müssen aufgelöst werden. Es schmerzt, sich mit Lügen auseinanderzusetzen, es macht Angst, an seine eigene Dunkelheit heranzutreten, und es verunsichert, das Neue nicht zu kennen, was sich seinen Weg auf die Welt bahnt. Das ist Advent. Am Ende, das wissen wir, wartet eine Überraschung auf uns.
Weihnachten naht. Das Fest der Familientreffen, der Geschenke, der gemeinsam gesungenen Lieder, der duftenden Küchen, der Kerzen auf dem Adventskranz, die für viele die Geburt Jesu Christi ankündigen: ein Stern mitten in der dunkelsten Zeit des Jahres, die Verheißung eines neuen Lebens, ein Hoffnungsschimmer, wo alles verloren scheint. Mehr als in den vergangenen Jahren sehnen wir uns nach diesem Moment der Offenbarung: Es ist nicht zu spät. Es ist für uns eine Zeit angekommen.
Dieses Weihnachten wird kein ruhiges. Viele Familien werden sich nicht verbieten lassen, zusammen zu feiern. Sie werden sich das Fest nicht verderben lassen und nicht wie im vergangenen Jahr in kleinen, staatlich genehmigten Grüppchen um den Baum sitzen und ein trauriges „Oh du fröhliche“ durch die Gesichtsmaske hauchen. Oma und Opa werden nicht ihre Portion Truthahn allein in der Küche essen, während der Rest der Kernfamilie im Wohnzimmer speist. Die Älteren werden nicht draußen den Kältetod riskieren, weil es drinnen zu gefährlich ist, miteinander anzustoßen.
Wir werden nicht auf Abstand gehen. Auch wenn mit allen Mitteln versucht wird, aus dem Fest der Liebe ein Fest der Angst zu machen: Niemand kann uns davon abhalten, zueinander zu finden. Immer mehr kommen die Menschen zusammen, die den irrsinnigen, absurden, hirnrissigen Bestimmungen keinen Glauben mehr schenken. Sie haben verstanden, dass das ganze Eingesperre, Geimpfe und Geboostere nicht in ihrem Sinne ist und glauben an etwas Höheres als an die Angstmache. Viele erkennen, dass sie sich geirrt haben, und haben den Mut, es sich einzugestehen. Die große Verwechselung, die Verdrehung, die die Welt auf den Kopf gestellt hatte, wird immer offenbarer.
Geläutert
Dieses Weihnachten wird laut. Ob Jubel oder Wehklagen erklingen, das liegt an uns. Eine stille Nacht wird es sicher nicht werden. Die Glocken werden nicht süß klingen. In aller Offenheit werden sich Licht und Dunkelheit begegnen, Lüge und Wahrheit, Angst und Liebe. Mit voller Wucht treffen die Gegensätze aufeinander und stellen uns vor die Wahl: Entsetzen oder Entzücken? Reue oder Freude? Mit sprühenden Funken geht mehr als ein altes Jahr zu Ende. Welche Geister wir mit ihm verabschieden, das bestimmen wir.
Im Sturmgeheule brauchen wir etwas, woran wir uns festhalten können. Der Weihnachtsbaum wird es sicher nicht sein. Vom Boden getrennt steht er da in seiner künstlichen Pracht und kann uns nur mahnen, unsere Wurzeln tief in der Erde zu verankern. Machen wir es wie die Tanne, als sie noch im Wald stand. Lassen wir Wurzeln aus uns herauswachsen, die tief in den Boden hineindringen. Seien wir biegsam und flexibel, wenn der Sturm kommt. Beugen wir uns vor den Elementen. Widersetzen wir uns ihnen nicht, sondern lassen wir uns von ihnen läutern.
Die Luft vertreibt und löst auf, was uns das Atmen erschwert. Das Wasser spült fort, was uns blockiert. Das Feuer verbrennt, was wir nicht mehr brauchen und trennt das Tote vom Lebendigen. Zerzaust sind wir, durchgeschüttelt, erschüttert bis in unsere Grundfesten. Wir sind wach. Verwundert richten wir uns auf und reiben uns den Schlaf aus den Augen. Das alte Dekor ist verschwunden, der künstliche Glimmer, die klebrige Pracht. Der Lack ist ab. Doch das Kind ist noch da. Das Kind in der Krippe. Mit ausgestreckten Armen lächelt uns das Neugeborene zu.
Das Universum im Fingerhut
Es ist wahrhaftig ein König, der dort liegt. Sein Reich ist nicht von der materiellen Welt. Er herrscht nicht über Völker und Ländereien und verfügt über keinerlei Besitz. Er ist überhaupt kein Herrscher im eigentlichen Sinne. Seine Macht erstreckt sich über ein ganz anderes Reich, weit größer als alles, was wir mit unseren Augen sehen und unseren Händen umfassen können. Man kann es nicht sehen. Es ist das, was unsere Wissenschaft als Nichts bezeichnet und was in Wirklichkeit Alles ist.
Unsere Welt besteht vor allem aus Leere. 0,0001 Prozent Materie machen ein Atom aus. Der Rest ist Raum, in dem Energie zirkuliert. Das Universum, so heißt es, passt in einen Fingerhut. Alles hängt von den Informationen ab, die in den Raum eingespeist werden. Die Materie macht nur einen winzigen Teil des Existierenden aus. Alles Körperliche, jede Form ist wie die Spitze eines Eisbergs, unter der sich das Eigentliche verbirgt: die In-form-ation.
Imperien wurden errichtet, um über die Information zu herrschen — und damit über jede Form von Leben. Es sind die digitalen Kolosse, die heute die Welt lenken, unterstützt von den großen Medienunternehmen. Sie posaunen in alle Welt hinaus, was der Macht dient, die nach der Kontrolle über alles Existierende greift: Angst. Auf welcher Seite wir auch stehen — alle sind wir mehr oder weniger davon ergriffen. So steht der teuflische Nichtigmacher, der große Vernichter, kurz davor, das zu vollbringen, was bisher kein König, kein Feldherr, kein Anführer vollbracht hat: über die gesamte Welt zu herrschen.
Gekapert
Fast ist der uralte Plan erfüllt. Schon greift er mit kalten, metallischen Fingern in den Weltenraum hinein, immer auf der Suche nach neuen Ressourcen. Die Erde ist verbrannt, verdorrt, vergiftet, die Artenvielfalt dahin, die Menschen versklavt. Wie gelähmt sind die Massen. Allerorten lauert der Feind: Terroristen, Viren, Russen, ja selbst das Atmen ist lebensgefährlich. Beim Einatmen riskieren wir die Ansteckung, beim Ausatmen die Eskalation des Klimawandels. So wird uns das genommen, was uns Leben gibt: Atma, der Hauch, die Seele, das Selbst.
Mit der schwindenden Lebenskraft haben wir nahezu vollständig vergessen, zu was wir fähig sind. Wir wissen nicht mehr, dass ein einziger Gedanke, ein einziger Funke zur rechten Zeit am rechten Ort eine Weltmacht zum Einsturz bringen kann. Unermesslich ist die geistige Energie, die einem Menschen entspringt. Die Materie verhält sich so, wie der Geist es ihr befiehlt. Was wir seit Urzeiten wissen, ist heute hinreichend bewiesen. Eine Mutter kann ein Auto anheben, unter das ihr Kind geraten ist. Menschen können per Gedankenkraft Gegenstände in Bewegung setzen und verändern.
Wir sind es, die wir unsere Welt nach unseren Vorstellungen gestalten. Damit wir von dieser Fähigkeit keinen Gebrauch machen, hat man uns Geschichten von unserer Schlechtigkeit, Schuldigkeit und Nichtigkeit erzählt. Alles wurde verdreht und verzerrt, bis wir schließlich glaubten, wir seien eine Fehlkonstruktion, die ruhig wieder vom Erdball verschwinden kann. Wir haben es geschluckt. Bis tief in unser Erbgut hinein haben wir uns die Lügen einimpfen lassen und stehen heute mit leeren Händen vor der Krippe, mit klammen Herzen und verwirrten Köpfen.
Verdreht
Unsere höchsten Werte wurden ins Gegenteil verkehrt und unsere heiligsten Symbole besetzt, damit wir sie nicht mehr benutzen können. Das Kind in der Krippe hat die Kirche Roms uns genommen, um ihre Gier und ihren Blutdurst mit ihm zu rechtfertigen (1). Alles bis hin zu unseren Seelen maßt sich der Vatikan an zu besitzen. Bis heute regelt das zwischen Hitler und Papst Pius XII abgeschlossene Reichskonkordat die Inhalte unserer Bildung an Schulen und Universitäten.
Auf die „heidnischen“ Kraftorte der Erde wurden Kirchen gebaut. Unermüdlich kaperten und okkupierten die hohen Herren „primitive“ Symbole, Orte und Feste und drückten ihnen ihren Stempel auf. Frauen klemmte man den Birkenbesen, Symbol der Reinigung, zwischen die Beine und machte sie zu Hexen. Die Freiheitsstatue Amerikas bekam einen Heiligenschein aufgesetzt, und Ishtar, eine in Mesopotamien verehrte, dem Planet Venus zugeordnete Göttin, wurde zum Logo der Kaffeehauskette Starbucks.
Unsere Welt ist voll von verkehrten und banalisierten Symbolen. Eines der bekanntesten unter ihnen dürfte die Svastika sein. Das kraftvolle Glückssymbol östlicher Glaubensrichtungen wurde zum Hakenkreuz und damit auf ewig befleckt. Das Siegel des Salomon, des größten und mächtigsten Königs des Volkes Israel, wurde mit dem Judenstern zum Schandmal degradiert. Der auch im Arabischen als Soliman bekannte weise Souverän soll über Geister, Dämonen und sogar den Teufel Macht gehabt haben.
Das vielleicht am meisten verdrehte Symbol unserer Zivilisation ist die Schlange. In vielen Kosmologien symbolisiert sie die schöpferische Kraft der Erde, die Häutung, die Verjüngung, die Erneuerung — das Leben. Sie windet sich am Stab des Asklepius, des Gottes der Heilkunde in der griechischen Mythologie und wurde zum Symbol des ärztlichen und pharmazeutischen Standes. In ähnlicher Form winden sich zwei Schlangen um den Hermesstab, der ursprünglich die Herolde bei der Überbringung von Nachrichten schützen sollte. Heute haben Wirtschaft, Handel und Armee dieses mächtige Symbol besetzt.
Den Weg bereiten
Eingeklemmt zwischen Vater Staat und Alma Mater — die geläufige Bezeichnung für unsere Universitäten — ist es nun an uns, uns von dieser Herrschaft zu befreien und die alten Symbole und heiligen Orte zu ihrer ursprünglichen Bedeutung zurückzuführen. Schauen wir uns um in diesem, wie Charles Baudelaire schreibt, Wald von Symbolen. Sehen wir hin, was einmal eins war. Dies ist die eigentliche Bedeutung des Begriffes Symbol: zusammenbringen. Fragen wir uns, was die Dinge wirklich bedeuten, denen wir begegnen. Was sagen sie uns? Woher kommen sie? Wer hat sie ursprünglich benutzt? Wer benutzt sie jetzt?
Damit wir sehen, hören und verstehen können, ist es notwendig, allerlei Zeug aus dem Weg zu räumen, um den Weg frei zu machen. Das ist alles andere als bequem, und es verlangt uns vieles ab. Der Königsweg ist kein Sonntagsspaziergang. Königswege sind nicht die Straßen, die Königen und Pharaonen vorbehalten waren, sondern das, was der griechische Mathematiker Euklid von Alexandria bezüglich der Geometrie herausgefunden hatte: Es gibt keinen kurzen, leicht begehbaren Weg. Es ist anstrengend und es tut weh.
Initiationsreisen sind keine Wochenendtrips. Sie konfrontieren uns mit dem Schwärzesten in uns und bringen uns an unsere äußersten Grenzen. Der Königsweg verlangt Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit, Durchhaltevermögen und Flexibilität. Wir kommen nur dann auf ihm weiter, wenn wir zugleich das Dunkelste und das Hellste in uns erkennen, das Schwere und das Leichte, das Hohe und das Tiefe. Er ist ein diffiziler Balanceakt zwischen unseren Schwächen und unseren Stärken, der uns gleichermaßen Mut und Demut abverlangt.
Zur Sonne!
Um uns nicht zwischen dem scheinbar Widersprüchlichen zu verlieren, brauchen wir eine solide Mitte und viel Vertrauen in unsere Kraft. Nur so können wir die alte Welt des Entweder-Oder verlassen und eintreten in eine neue Welt des Sowohl-als-Auch, in der sich die Gegensätze nicht mehr ausschließen, sondern miteinander verbinden. Es ist, als rieben sich die Trennungslinien aneinander ab. Immer dünner werden die Schleier, immer durchlässiger werden sie für das Licht.
Das ist es, was wir jetzt für uns und andere tun können: uns selbst immer transparenter machen, klarer, leuchtender. Konfrontieren wir einander nicht brutal mit unseren jeweiligen Wahrheiten. Tragen wir in uns das Raue, Störrische, Undurchlässige ab. Spüren wir in uns hinein, welche Gefühle die, die wir jetzt treffen, in uns auslösen und weisen wir sie nicht zurück. Begegnen wir uns selbst mit Nachsicht und Milde und geben uns den letzten Schliff, um uns geschmeidig zu machen.
Die Zeit ist vorbei, in der wir mit Hammer und Meißel an uns gearbeitet haben. Wir haben uns nicht geschont. Immer wieder haben wir uns selbst hart an die Kandare genommen, haben uns getreten und gepeitscht und sind daran fast zugrunde gegangen. Jetzt geht es darum, mit weichen Tüchern letzte Hand anzulegen. Seien wir sanft zu uns. Tun wir uns selber Gutes. Fühlen wir hin zu diesem Kind, zu dem Kind in uns, dem Zarten, Verletzlichen, und flüstern ihm liebevolle Worte zu: Ich bin bei dir. Ich verlasse dich nicht. Ich liebe dich.
So naht das Ende des Geburtskanals. Das neue Leben kommt auf die Welt, wenn es am dunkelsten ist. In der letzten Zeile des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach heißt es
"Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht".
Ob wir einer Religion angehören oder nicht: In dieser außergewöhnlichen Zeit dürfen wir sie so deuten, dass die Menschenfamilie sich auf den göttlichen Funken besinnt, der im Herzen jedes Einzelnen von uns glänzt und nur darauf wartet, zu einer Sonne zu werden.
+++Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 11. Dezember 2021 im Rubikon – Magazin für die kritische Masse. +++ Bildquelle: Romolo Tavani / shutterstock
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