Der Finger in der Wunde

Ein Meinungsbeitrag von Anke Behrend.

Aufarbeitung!

Dröhnt es – ungehört – in Dauerschleife. Und nichts wäre dringender angesichts der vergangenen Jahre des Unrechts und des Leids, das vielen von uns angetan wurde. Endlich Recht bekommen, offiziell, nicht nur aus „unseren“ Kreisen. Es den Anderen amtlich beweisen können, darum geht es: Ihr habt falsch gelegen. Ihr müsst euch entschuldigen. Mindestens! Wir wollen Genugtuung und die Wiederherstellung unsere Ehre, unseres Ansehens und unsere Würde. Wir wollen, dass ihr begreift, was ihr getan habt. Dass ihr es nie wieder tut. Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als unser Recht!

Aufarbeitung!

Denn so kann es doch nicht enden. Im Nichts. Als wäre nichts gewesen. Gehen Sie weiter. Wir machen jetzt Klima. Die Wissenschaft ist sich einig. Und Experten haben wir auch schon. Nein Expert_innen. Damit ihr gar nicht wisst, worüber ihr euch zuerst empören sollt. Und damit ihr alle wieder mitmacht.

Darum brauchen wir die Aufarbeitung. Darum schreiben wir nun seit Monaten die gleichen Texte, in denen immer das Gleiche steht, nur die Autoren sind immer andere, und reih um dann doch wieder die gleichen. Sie schreiben genau das, was wir eh schon wissen und jeder bereits gesagt, gelesen, gehört und geschrieben hat. Und dann jubeln wir wie beim ersten Mal und finden die Texte, die wir schon hundertmal gelesen haben ganz großartig. Brillant! Sensationell! Like!

Aufarbeitung!

Wieder und wieder zeigen wir uns gegenseitig die menschenverachtenden Aussagen, Fotos und Videos, denn die Anderen erreichen wir nicht. Jedesmal fährt einigen von uns dabei der Schock in die Glieder wie damals im Winter ’21, als sie uns an den Kragen wollten mit der Impfpflicht. Als uns Politiker und Medien zu Aussatz herunterschrieben und uns für die Blockwarte zum Abschuss freigegeben hatten. Das kannte man bisher nur aus Büchern. Und dann kommt die Angst zurück und die Wunde heilt nicht.

Sind die etwa traumatisiert? Aufarbeitung muss sein. Keine Rücksicht auf Verluste. Wer das nicht aushält, kann ja gehen. Oder sich einfach impfen lassen. Nein warte. Das war ein anderer Text. Wir wollen natürlich niemanden re-traumatisieren. Wir sind ja empathisch. Frieden, Liebe, ihr wisst schon.

Aufarbeitung!

In den Medien passiert etwas, zögerlich, halbherzig. Das Narrativ darf nicht sterben, vor allem nicht plötzlich und unerwartet. Deshalb muss immer betont werden, dass es nur wenige sind, die Anderen aber viele. Alles richtig gemacht. Aber wir kennen die Zahlen. Uns macht ihr nichts vor. Und die anderen? Fühlen sich bestätigt. Beharren, wir wussten es ja nicht besser. Bei jedem Versuch, sie zu stellen, verfestigen sich ihre Rechtfertigungen. Keine Spur eines Zweifels, keine Einsicht. Oder sie sind immer schon kritisch gewesen, konnten es nur nicht sagen. Hier 3 Minuten 30 im Nachmittagsmagazin, dort ein Artikel im Lokalteil. Das reicht nicht. Interessiert nicht. Die anderen Skandale sind zu groß. Man ist müde. Und so suhlen wir uns seit Monaten in den alten Tweets von Lauterbach und posten Woche für Woche Videoschnipsel mit den ekelhaft blasierten Einlassungen von Experten, Sängern, Komikern … es sind so viele. Zu viele.

Aufarbeitung?

Was haben wir uns da eigentlich vorgestellt? Einen Show down? Diese Krise endet nicht wie ein Blockbuster mit einem Happy End: Das Gute triumphiert! Credits an alle Mitwirkenden. Denn was würde passieren, wenn jetzt alles herauskäme? Wenn die 63 Prozent Mitmacher plötzlich nicht mehr auf der „richtigen“ Seite stünden? Wenn sie begreifen müssten, was sie getan haben und was man mit ihnen getan hat? Würde es Rachegelüste geben? Rufe nach Vergeltung? Und all das in der jetzigen Situation mit einem Krieg fast vor der Haustür und innenpolitischer Instabilität?

Aufarbeitung.

Es wird sie geben. Es werden sich Wissenschaftler finden, vielleicht Historiker, die die notwendigen Daten erheben. Journalisten werden die Akten sichten, unsere Bücher lesen, unsere Filme schauen. Sie werden Dokumentationen produzieren und ihrerseits Bücher schreiben. Und ja, dann werden wir höchstwahrscheinlich Recht bekommen. Vielleicht nicht in allen Punkten. Aber immerhin. Aber wann wird das sein? Keine Ahnung. Wir werden uns gedulden müssen bis „Corona“ in die Ferne gerückt ist und verblasst wie eine absonderliche Mode, für die man sich heute schämt. Ein altes Foto mit einer schrecklichen Frisur – und dann diese Maske im Gesicht. Wie konnten wir nur …? Meine Güte, was für ein Wahnsinn. Wie hieß der gleich, der da irgendwas von „verzeihen“ faselte? Jörg? Nein, Jens, glaub ich. Der hatte so ein eckiges Gesicht. Buschmann? Nein. Egal.

Bis dahin müssen wir uns gedulden und loslassen, aber nicht vergessen. Und die Wunden heilen lassen.

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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Just dance / Shutterstock.com

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Kommentare (4)

4 Kommentare zu: “Der Finger in der Wunde

  1. dirkfleck sagt:

    Ein großartiger Text. Da fällt mir ein beeindruckendes Statement des US-amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau (1817 – 1862) ein: „Wir wollen uns die Ärmel aufkrempeln und unseren Weg bahnen durch den Dreck und Schlamm von Meinung, Vorurteil, Tradition, Blendung und Schein, die den Erdball überschwemmen, durch Paris und New York, durch Kirche und Staat, durch Dichtung, Philosophie und Religion, bis wir auf festen Grund und solide Felsen stoßen. Diesen Ort können wir Wirklichkeit nennen und sagen: Das IST, einen Irrtum gibt es nicht. Und dann beginne ein Realometer einzurammen, damit künftige Zeiten erfahren, wie hoch die Wellen von Trug und Schein zeitweilig schlugen.“

    • Nevyn sagt:

      "Diesen Ort können wir Wirklichkeit nennen und sagen: Das IST, einen Irrtum gibt es nicht."

      Ein sehr weiser Rat. Allein, wie man diesen "Ort" findet oder genauer gesagt erfährt, der keinen Irrtum mehr zulässt, das bleibt ein Mysterium.
      Mit dem Intellekt jedenfalls nicht; so viel ist sicher.

  2. Norbobot sagt:

    Aufarbeitung hat noch nie statt gefunden! Alles wird immer im Sinne der Mächtigen manipuliert und lokal zurecht gebogen. Und selbst wenn etwas wie Aufklärung/Aufarbeitung umgesetzt wird, hat es keinerlei Lerneffekt. Der Spruch: "aus der Geschichte lernen…" ist kompletter Blödsinn. Egal, wieviel ich gelernt habe, ich teile es nur in einer definierten Blase und kann es nie an die nächste Generation weiter geben. Diese muss durch immer wieder erneuten Schmerz ihre eigenen Lehren von neuem erfahren. Deswegen stimmt wohl auch eher der Spruch: "jede Generation hat ihren Krieg"

  3. Merlina sagt:

    …den Finger an der Wunder, ein fast treffender Titel Ihres Beitrags, Anke Behrend!
    …sind diese Ergüsse nicht bereits schon alle Finger – in – der Wunde derjenigen, die aufmerksam und interessiert, zugewandt und lösungsorientiert unterwegs sind!?
    Ich bewundere Ihr Temperament und möchte glauben, dass SIE positiv motivieren wollen…
    …das lösen Sie bei mir leider so nicht aus.
    Viel Erfolg beim nächsten Mal!

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