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Bulgarien führt den Euro ein – Ist das der Anfang vom Ende der Gemeinschaftswährung?

Bulgarien führt den Euro ein – Ist das der Anfang vom Ende der Gemeinschaftswährung?

Ein Meinungsbeitrag von Rumen Milkow.

„Fehlprägung? Der Euro kommt nach Bulgarien – die Verwechslung ist schon da"

So stellt es der Fokus Anfang Juni in einem Beitrag über die Einführung des Euros in Bulgarien fest. Grund für den Fehler beziehungsweise die Verwirrung ist aber nicht, dass die Mehrheit der Bulgaren den Euro nicht will. Dieses Detail kommt im Fokus-Bericht über die für den 1. Januar 2016 geplante Euro-Einführung in Bulgarien gar nicht vor.

Dabei lehnen 57 Prozent – also die Mehrheit der Bulgaren – die Einführung des Euros ab, wie eine Meinungsumfrage Anfang des Jahres ergab. Zuvor hatte bereits die Partei „Wiedergeburt“, drittstärkste Kraft in Bulgarien, eine Volksbefragung gefordert und dafür im Inland auch schon 600.000 Unterschriften gesammelt. Berücksichtigt man, dass es nur neun Millionen Bulgaren gibt, von denen drei Millionen im Ausland leben, so ist dies eine enorme Zahl.

Weil der Wille der Mehrheit bei den Herrschenden keine Wirkung zeigte, hatte sich am 9. Mai, der in Bulgarien als „Tag der Befreiung“ und als „Europatag“ gefeiert wird, der parteilose Präsident Rumen Radev in die Diskussion eingeschaltet. Und dass, obwohl der Präsident in Bulgarien ähnlich dem deutschen Bundespräsidenten eigentlich eher eine repräsentative Funktion hat. Radev mahnte bei der Regierung mehr Demokratie an und fand klare Worte dafür:

„Es ist überraschend, dass Menschen, die als die größten Demokraten bezeichnet werden, sich gegen die Demokratie aussprechen.“

Das nun auch vom bulgarischen Präsidenten unterstützte Referendum wurde allerdings sogleich sowohl von der Regierung als auch vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig abgelehnt.

Seit dem Sommer ist die Einführung des Euros beschlossene Sache. Auch von Seiten der EU, die seit Jahren darauf drängt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) soll laut einer geleakten Tonaufnahme Bulgarien bereits vor drei Jahren in die Euro-Zone habe „schleusen“ wollen. Von der Leyen soll dabei explizit zugestimmt haben, die Regeln gegebenenfalls zu „umgehen“. 

Der Beitritt war unter anderem an der hohen Inflation gescheitert. Die Europäische Zentralbank (EZB) kommt nun zu dem Schluss, dass Bulgarien sämtliche Kriterien für den Beitritt zur Eurozone erfüllen würde. Ivelin Mihaylov, Vorsitzender der Partei „Velichy“ (Größe), sieht das anders. Gegenüber dem Bulgarischen Nationalradio sagte er im Juni:

„Alle Bulgaren, egal ob sie für oder gegen den Euro sind, wissen, dass Bulgarien die Kriterien für die Eurozone nicht erfüllt.“

Mihaylovs Meinung nach werde die Inflation künstlich unterdrückt. Er könne beweisen, dass die Berichte der Regierung manipuliert seien. 

Zuvor hatten Tausende in Sofia und in anderen Städten des Landes friedlich gegen die Einführung des Euro demonstriert. In der Hauptstadt Sofia hielt der Massenprotest „Zur Bewahrung des Lew“ fast sieben Stunden an. Unter den Demonstranten waren auch Abgeordnete der Parteien „Wiedergeburt“, „Velichy“ und „MECH“, die zuvor den Plenarsaal verlassen hatten. 

Anti-Euro-Proteste in Sofia (Bulgarien) - Foto: Rumen Milkow

Demonstranten versuchten, die Eingänge zur Volksversammlung im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt zu blockieren. Redner des Protestes bezeichneten es als Verrat, dass die Entscheidung über den Beitritt genau an dem Tag veröffentlicht wird, an dem die bulgarische Nationalwährung Lew ihren 145. Jahrestag feierte. Nach Ansicht der Veranstalter war der Protest erfolgreich. Er habe gezeigt, dass nicht alle Bulgaren mit dem Beitritt zur Eurozone einverstanden seien. Den Grund für den schnellen Beitritt sehen sie im Geldbedarf der Rüstungsindustrie und des Verteidigungssektors.

Befürworter des Euros erhoffen sich durch ihn mehr Investitionen und zugleich leichteren Zugang zu EU-Krediten. Handel und Reisen würden erleichtert, Kosten beim Geldumtausch gespart. Kritiker des Beitritts befürchten in fiskalische Abhängigkeit zu geraten und dann wie das Nachbarland Griechenland aus Brüssel regiert zu werden.

Laut Deutscher Welle sind es zumindest „teilweise“ EU-Kredite, mit denen der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall ganz aktuell eine neue Munitionsfabrik für eine Milliarde Euro in Bulgarien aufbauen will. Mussten Munition und Waffen in Vergangenheit geheim und unter Umwegen beispielsweise über Polen in die Ukraine gebracht werden, soll dies nun ganz offiziell und direkt geschehen. Gegner dieser Kursänderung befürchten nicht nur eine Verschärfung des Konflikts, sondern auch eine höhere Verschuldung, da das Land jetzt leichter an EU-Kredite herankommt. Bulgarien gehörte Ende 2024 mit rund 24 Prozent Staatsschulden im Verhältnis zum BIP zu den am wenigsten verschuldeten Ländern der EU. Das könnte sich bald ändern. 

Dabei ist die Mehrheit gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine, wie eine Umfrage der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ vom Juli vergangenen Jahres ergab. Demnach halten 63 Prozent der Bulgaren eine Ausweitung der Munitions- und Waffenlieferungen an die Ukraine für eine „schlechte Idee“. Dies ist der höchste Wert in der Europäischen Union. Gefolgt wird Bulgarien von Griechenland mit 54 Prozent und Italien mit 53 Prozent. Zum Vergleich: Eine Umfrage für ZDF-„frontal“hatte im Februar dieses Jahres ergeben, dass 67 Prozent der Deutschen hinter der militärischer Unterstützung für die Ukraine stehen. Auch in diese Debatte hatte sich der bulgarische Präsident eingeschaltet. Bei einem Besuch Selenskyjs im Sommer 2023 in Sofia hatte Radev eine friedliche Beilegung des Konfliktes angemahnt:

„Ich bleibe dabei, dass es für diesen Konflikt keine militärische Lösung gibt und mehr und mehr Waffen ihn nicht lösen werden.“

Zurück zur Euro-Einführung. Bereits im Februar hatte es Proteste gegen den Beitritt Bulgariens zur Eurozone gegeben. Mehrere Tausend Menschen kamen dazu vor der Bulgarischen Nationalbank (BNB) in Sofia zusammen. Der Protest war kurzfristig von der drittgrößten Partei „Wiedergeburt“ organisiert worden. Die Partei, die sich selbst als patriotisch-konservativ sieht, wird im Westen als nationalistisch und prorussisch bezeichnet. Der Name der Partei geht auf die Zeit der Befreiung von den Türken im 19. Jahrhundert zurück. „Wiedergeburt“ ist in Bulgarien ein historischer Begriff, ähnlich wie im Westen „Renaissance“, das französische Wort für Wiedergeburt. 

Anti-Euro-Proteste in Sofia (Bulgarien) - Foto: Rumen Milkow

Aufgerufen zum Protest waren alle Bulgaren, die den Erhalt der Landeswährung, den Lew (Deutsch: Löwe), befürworten. Teilnehmer der Veranstaltung, darunter Vertreter anderer Parteien, auch linker, und ziviler Organisationen, befürchten den Verlust der Souveränität ihres Landes, eine weitere Verarmung der Bevölkerung im ärmsten Land der EU und die Übernahme von Schulden anderer Länder. Redner des Protestes betonten, dass sie nicht von Brüssel regiert werden wollen. Sie forderten weiterhin ein Referendum über die Euro-Einführung und den Rücktritt der Regierung, da diese nicht die Interessen Bulgariens vertritt. 

Am Ende der Veranstaltung wurden vor der BNB symbolisch drei Puppen mit den Gesichtern führender EU-Kommissionspolitiker verbrannt, unter ihnen Christine Lagarde. Nach Meinung der Teilnehmer hängt der Beitritt ihres Landes zur Eurozone von diesen Personen ab. Im Anschluss zogen die Teilnehmer zum Sitz der Europäischen Kommission, auf dessen Gebäude Farbbeutel geworfen und Scheiben eingeschlagen wurden. Auf die Eingangstür wurden Brandsätze geworfen, man versuchte in das Gebäude einzudringen, wenngleich erfolglos. Nach Angaben der Polizei, die zeitweise Reizgas zum Einsatz brachte, wurden sechs Demonstranten festgenommen. Zehn Polizisten hatten Farbe in die Augen oder ins Gesicht bekommen und mussten behandelt werden. 

Anti-Euro-Proteste in Sofia (Bulgarien) - Foto: Rumen Milkow

Diese Eskalation war eine Ausnahme bei den zahlreichen Protesten gegen die Euroeinführung in Bulgarien. Zuvor und auch danach verliefen diese immer friedlich, so auch der im Dezember 2022. Damals wurden rohe Eier und Toilettenpapier auf das Gebäude der EU-Kommission in der Rakowskistraße geworfen. Darüber hinaus wurde ein überdimensionierter Euro-Schein verbrannt und Bengalos gezündet. All dies wurde seinerzeit von den anwesenden Polizisten mit stoischer Gelassenheit hingenommen.

Vor allem ältere Bulgaren sind besorgt über die neue Währung. Sie befürchten einen Verlust der nationalen Identität und weitere Teuerungen, wie dies in anderen Beitrittsländern geschehen ist, zuletzt in Kroatien, das 2023 den Euro eingeführt hat. Da Bulgarien wichtige Kriterien in der Vergangenheit nicht erfüllt hatte, musste der Beitritt zur Eurozone bereits mehrfach verschoben werden, unter anderem vom 1. Januar 2025 auf den 1. Juli. 2025 und nun auf den 1. Januar 2026.

Neben Bulgarien erfüllt auch Rumänien nicht die Kriterien für den Beitritt. Polen, Ungarn und Tschechien erfüllen sie, sind aber bisher nicht beigetreten, obwohl sie dies laut dem Vertrag von Maastricht müssten. Auch Schweden hätte bereits beitreten müssen. Das Land will aber bis zur offiziellen Zustimmung durch ein Referendum seine eigene Währung behalten. Also genau das umgedrehte Szenario zu Bulgarien, wo ein solches Referendum nicht stattfinden soll, weil es keine Zustimmung bekommen würde. Dänemark, das den Euro ebenfalls noch nicht eingeführt hat, nimmt für sich eine sogenannte Opt-out-Klausel in Anspruch. Nach dieser ist das Land nicht verpflichtet, den Euro einzuführen. 

Aktuell scheint man sich in Bulgarien der Euro-Einführung ergeben zu haben. Seit dem Sommer sind Waren in den Geschäften des Landes sowohl im Lewa, als auch in Euro ausgepreist. Was auf den ersten Blick wie Apathie aussieht, ist nur allzu oft die im kollektiven Bewusstsein gespeicherte Gewissheit, dass man 500 Jahre Osmanisches Reich und 40 Jahre Kommunismus überlebt hat. Warum sollte es mit dem Kapitalismus und seinen Symbolen anders sein. Möglicherweise spielt auch der christlich-orthodoxe Glaube, der in Bulgarien aktuell ähnlich wie nach 1989 wieder an Bedeutung gewonnen hat, eine Rolle, und da die Aufforderung, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist.

Nicht unerwähnt bleiben soll das „bulgarische Orakel“, mit dem im Normalfall die 1996 verstorbene bulgarische Hellseherin Baba Wanga gemeint ist. In diesem, nicht ganz so ernst zu nehmenden Fall, ist ein anderes bulgarisches Orakel gemeint. Dieses besagt: Mit wem sich Bulgarien verbündet, der verliert den Krieg. So ist es im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg passiert, als Bulgarien Verbündeter Deutschlands war. Danach gehörte Bulgarien dem Warschauer Vertrag an, der den Kalten Krieg verlor. Heute ist das Land Mitglied der NATO und der Europäischen Union. Anfang nächsten Jahres soll Bulgarien nun, wie bereits erwähnt, den Euro einführen, der dann untergehen könnte.

Auch die bereits erwähnte bekannte bulgarische Seherin machte eine eher düstere Prophezeiung. Baba Wanga will bereits für dieses Jahr einen schweren Krieg in Europa "gesehen" haben. Dieser soll ein noch nie dagewesenes Maß an Zerstörung mit sich bringen und den Beginn der Apokalypse einläuten. Laut der New York Post soll 2025 ganz und gar das Ende der Welt beginnen. Einen Lichtblick gibt es immerhin: Die Menschheit soll laut Baba Wanga erst im Jahr 5079 ausgelöscht werden. 

Wer vorher noch ein kleines Geschäft machen will, und bei dem es nicht zu Gold oder Bitcoin reicht, kann auf bulgarische Münzen zurückgreifen. Die aktuellen Ein- und Zwei-Lewa Münzen sehen den bereits geprägten bulgarischen Ein- und Zwei-Euro Münzen zum Verwechseln ähnlich – gleiches Motiv, ähnliches Gewicht –, sind aber nur die Hälfte wert. Das liegt daran, dass sie 1:1 den Wert der DM-Mark haben und ein Euro 1,96 DM bzw. Lewa entsprechen. 

Aber Vorsicht: Wer die Münzen wissentlich in Umlauf bringt, um andere Verbraucher zu täuschen, macht sich strafbar. Vielleicht dann lieber direkt nach Bulgarien reisen und wenn schon nicht die DM, so doch zumindest eine Währung in der Hand zu halten, die genau ihren Wert hat. So einiges ist in Bulgarien noch für weniger zu haben als in der Heimat – im Schnitt für die Hälfte. Das dürfte sich im nächsten Jahr mit der Einführung des T€uros ändern. Vielleicht kommt, wenn das bulgarische Orakel recht haben und Bulgarien ein zweites Griechenland werden sollte, die DM wieder. Wer weiß? 

Noch ist nicht aller Tage Abend in Bulgarien. Im Sommer hat eine Bürgervereinigung namens „Doyran 2025“ ein Verfahren für ein Referendum mit Fragen zur Mitgliedschaft Bulgariens in der Europäischen Union und der Eurozone eingeleitet. Wie das Bulgarische Nationalradio Ende September berichtete, will laut der Anwältin Rumyana Chenalova die Bürgervereinigung mit der Klage vor dem Gericht in Luxemburg beweisen, dass die Entscheidung des EU-Rates über den Beitritt Bulgariens zur Eurozone unrechtmäßig ist.

Die Bürgervereinigung begründet dies unter anderem damit, dass die Inflation höher lag als angeben. Die Daten des Bulgarischen Nationalen Instituts für Statistik seien nicht korrekt. Darüber hinaus würde der Wille von mehr als 60 Prozent der Bulgaren, die gegen einen Beitritt zur Eurozone sind, missachtet. Allerdings würde ein Referendum, sollte es zugelassen werden, höchstwahrscheinlich erst Anfang 2026 stattfinden. Dann wäre Bulgarien bereits in der Eurozone.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Anti-Euro-Proteste in Sofia (Bulgarien)
Bildquelle: Rumen Milkow


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