Diether Dehm war jahrelang engster Mitstreiter von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine in der Linkspartei. Er gehört aber dem BSW nicht an. Bei der Berliner Friedenskundgebung am 13.9.25, vor der Kommunalwahl in NRW, war er anwesend, aber auf der Bühne nur indirekt zu hören: mit seinem für Dieter Hallervorden geschriebenen, millionenfach angeklickten Gedicht "Gaza Gaza".
Ein Meinungsbeitrag von Diether Dehm.
Wahlniederlagen systemkritischer Parteien sind nicht primär technisch-taktisch, sondern im historischen Ringen um Hegemonie und punktuelle Meinungsführerschaft zu interpretieren. Auch wenn die BSW-Spitze die NRW-Kommunalwahlen auf Facebook, X und Instagram „BSW gewinnt 57 Mandate!" umzujubeln versucht: auf dem Hintergrund von über 20.000 zu vergebenden Kommunalmandaten sind sie magerst. Klar war das BSW nicht überall angetreten. Aber auch Nichtantritte sind ja vorweggenommene Defizite.
"Wendungen" schreibt Brecht im Me-Ti, "finden in Sackgassen statt". Dazu müssen diese aber eingestanden, Weißwäscher und Schönfärberei zurückgedrängt werden. Damit praktikable Hegemonie-Studien ins Spiel kommen.
Das monströse Potenzial reaktionärer Gegenkräfte auf dem bürgerlichen Parkett von Wahlkämpfen stützt sich prinzipiell auf eine Kultur restaurativer Denk-Traditionen. Welche von oben immer aktuell inszeniert und angerufen werden. Statt diesen Traditionen mit linkem Verbalradikalismus zu trotzen, sollten sie aber aufgriffen und umfunktioniert werden. Mit populären Argumenten und einer Kultur, die gerade Nichtwählern, sozial Abgehängten und parteipolitisch wenig Gebildeten alternative Hoffnung geben. Und dies mit mutmachenden Einzelpersönlichkeiten! (Weshalb für eine Umbenennung des BSW ohne "Sahra Wagenknecht" jetzt wohl kein guter Zeitpunkt ist.)
Zuoft fielen Systemkritiker von unten auf mediale Lockrufe von oben herein. Wer aber zuoft ins Horn der Herrschenden tutet – etwa jetzt gegen "Rechtsaffine und Querdenker" oder gegen "den Kriegsverbrecher Putin" (Wagenknecht) – kann unversehens zur mausgrauen Figur auf hohem Ross werden, der kein Zauber und kein Anfang mehr innewohnt.
Also: Hände weg von Schlagworten, die in Sprachlabors der Geheimdienstlich-Mediale Komplex (GMK) ausgeklügelt hat (welcher mit dem Begriff „Tiefer Staat“ zu schlicht zu benennen ist, weil man den mit keinem tiefen Spatenstich ausheben kann).
Die Denkfabrikanten des GMK durchforsten permanent die Anrufbarkeit restaurativer Traditionen und die aktuellen Sollbruchstellen innerhalb von systemkritischen Organisationen und Friedensbewegung. (Allein der Bundesnachrichtendienst hat über 6.000 hochdotierte Mitarbeiter und einen Gesamtetat höher als der des Auswärtigen Amts).
Jedoch: von den feindlich-strategischen Empirikern und Spin-Doctors darf auch gelernt werden. Nicht per Anpassung. Aber eben dialektisch. Worauf der GMK nämlich aktuell seine Kräfte konzentriert: genau da muss besonders radikal dagegen gehalten werden! Nur eben auch besonders feinsinnig.
Der Kampf gegen atomare Weltkriegsdrohung hatte in den achtziger Jahren gewiss bessere Zeiten erlebt. Und damals: noch ohne Bomber über Gaza, ohne mutwillige Verlängerung der Metzeleien in der Ukraine durch die NATO. Und auch noch ohne ostdeutsche Mitdemonstranten. Die mageren Besucherzahlen seit zwei Jahren unter 50.000 bundesweit sind da durchaus eine "Meisterleistung" des GMK bei der Vertiefung von Spaltung.
Wer zum Beispiel am 13. September – einen Tag vor der Schlappe des BSW in NRW – auf der Friedens-Kundgebung am Brandenburger Tor den Beifall sensibel registriert hat, spürte: bei "Gaza" klatschten die einen mehr. Bei "Ukraine" die anderen. Diese Diskrepanz durchzieht nicht nur die Friedensbewegung, sondern Bekanntenkreise, Kneipenrunden und Werkhallen. Besonders bei Leuten, die irgendwann mal der CDU/CSU nahe gestanden hatten. Für den GMK ist diese Diskrepanz ein gefundenes Fressen!
Aber was wäre klug dagegen zu tun? Beide Themen – "Gaza" und "Ukraine" – haben ja durchaus einen gemeinsamen Nenner, gleichsam als ideologische "Auffanglinie": "Keine Rüstungsexporte!“ Darauf muss die Agitation künftig konzentriert werden. Aber auch das dazu notwendige Feindbild "Rheinmetall/BlackRock" (mit der Vervielfachung von Börsenwert durch Massenmord) wurde in den letzten Monaten keinesfalls genügend zum großen Konsens der Friedenskräfte ausgebaut!
Eine weitere Schwächung und Spaltung rührt aus der vom GMK immer undurchlässiger inszenierten, mit Berufsverboten und Skandalisierung bewehrten Brandmauer in der Friedensbewegung – hier zwischen BSW und AfD. Zwar hatten Oskar Lafontaine (BSW) und Tino Chrupalla (AfD) immerhin bei Servus.TV miteinander geredet. Am 31. Januar 2025. Aber leider viel zu spät, um kurz vor der Bundestagswahl noch eine gemeinsame Widerstandsperspektive gegen BlackRock/Rheinmetall zu ermutigen. Würden beide heute auf einer Bühne der Friedensbewegung zusammen auftreten, wären die Demo-Zahlen wohl ganz andere. Dann bliebe von der Brandmauer kein Stein auf dem anderen. Und die Angst, mit einem AfDler in einem Post zu erscheinen, wäre auch nicht mehr so lähmend.
Bis dahin speisen Innenminister und GMK – als ob von dieser AfD ein irgendein Umsturz bürgerlicher Demokratie und neuer Faschismus ausginge – per Kontaktsperre parlamentarische und damit außerparlamentarische Hoffnungslosigkeit. Was vor allem dem BSW schadet.
Im Frühsommer 2024, vor den Wahlen zu Europa, Thüringen, Sachsen und Brandenburg, geisterte noch die kindliche Hoffnung unter den sogenannten kleinen Leuten herum, ein "Bündnis Wagenknecht" könne mit der AfD "denen da oben Feuer unterm Arsch machen".
Das BSW wurde damals zweistellig gemessen. Mit medialem Trommelfeuer von außen durch NATO-Medien und mit Personen im Innercircle des BSW wurde daraus Anpassung an die Abgrenzungsvorgaben des GMK. Anstatt sorgsam mit diesen – auch naiven – Hoffnungen gegen die Staatsmacht umzugehen, verströmten Koalitionsschachereien in Thüringen und Brandenburg in Windeseile statt frischem Duft von Neuanfang: den Modergeruch von sattsam Bekanntem. Aufkeimende Renitenzen gegen einen dritten Weltkrieg und für Frieden mit Russland wurden zertreten. Daran leidet das BSW noch heute.
Aber auch eine neue Stärkung des Rechtsstaats (auch wenn dieser von "Rechten" gegen Behördenwillkür in Anspruch genommen wird) müsste vom BSW noch viel lauter postuliert werden. Nicht nur für die Neuauszählung der BSW-Stimmen. Die Tino Chrupalla, Rainer Rothfuß und sogar Björn Höcke auf Twitter/X gefordert haben.
Dabei gibt es genug, worüber BSWler mit AfDlern abseits der GMK-Vorgaben kultiviert streiten könnten. Etwa im Disput gegen libertäre Marktradikalität. Jetzt, nach dem jüngsten, krachenden Wahldesaster von Javier Milei (Spitzname: "die Kettensäge") in Argentinien mit 14 % hinter den Linksperonisten. Milei trat vor Jahren an, die Inflation zu überwinden. Jetzt kostet der Dollar dort 1.412 Pesos. Das BSW hätte hier also gute Karten. Gegen Leute in der AfD, die immer noch glauben, die Zerstörung von Kaufkraft schüfe Nachfrage, der Rückbau öffentlicher Investitionen einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung und das Zersägen des Nationalstaats einen starken Nationalstaat.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Smartphone vor Monitor, beide mit BSW-Werbung
Bildquelle: T. Schneider / shutterstock
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