Wenn aus Pflugscharen Schwerter werden
Von Bernd Lukoschik.
Also haben nun auch unsere christlichen Kirchen – zumindest in den oberen Etagen – zum Ukrainekrieg, insbesondere zu der Frage „Wie halten wir es mit Waffenlieferungen?“ Stellung bezogen.
Früher
Früher schlug man sich mit dem Sprüchlein „Schwerter zu Pflugscharen“ friedensfreudig an die Brust, denn die Welt war ja noch in Ordnung: Unsere und auch der Kirchen Friedenstruppe US-NATO war mit ihren Missionen – die immer Angriffskriege, also illegale Kriege, waren – für „Demokratie und Freiheit“ unablässig unterwegs. Die Späne, die bei diesem Hobeln anfielen – in Vietnam, Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen und so weiter – nahm man für unsere höheren Werte und unsere Ressourcensicherheit billigend in Kauf.
Zumindest hörte man von den Kirchen kaum eine Verurteilung dieser Waffengänge und der traditionell die USA- und GB-Kriege charakterisierenden brutalen, die Zivilbevölkerung in keiner Weise schonenden Kriegsführungen.
Man hörte auch nie davon, dass die Kirchen Waffen für die von der NATO Überfallenen gefordert hätten, weder für die Serben noch die Iraker noch die Afghanen noch die Libyer! Wie gesagt, es war alles in Ordnung.
Und plötzlich jetzt
Jetzt ist alles anders. Da tritt nun jemand auf, dem es nicht gefällt, wie die genannten Nationen ins Fadenkreuz der Regimechange-Programme des Wertewestens zu geraten, und der wertewestlichen Ukraine-Mission für Demokratie und Freiheit doch tatsächlich etwas entgegensetzen will. Leider mit Gewalt, und das ist, gemessen an ethischen und völkerrechtlichen Maßstäben, verwerflich.
Aber ließen und lassen die NATO-Allmachts-Obsessionen der letzten Jahrzehnte der Ethik je eine Chance? Und kann man auf Dauer erwarten, dass die übrige Welt die knallharte Realpolitik des Wertewestens in Umsetzung angeblicher Sicherheitsinteressen in Demut bis in alle Ewigkeit hinnimmt?
Eine andere Sprache als seine Sprache, versteht der Wertewesten leider nicht. Der „Big Stick“ ist in der US-Mentalität historisch zutiefst verankert.
Es ist bezeichnend, wie viele Staaten – in Afrika, Lateinamerika und Asien geradezu aufatmen und sich von dem Vorgehen Russlands ein Ende der US-Hegemonie erhoffen. Man hat, etwas gewöhnlich gesprochen, die Schnauze voll vom Wertewesten und ersehnt eine multipolare Welt.
Nun wendet jemand aus dem Nicht-NATO-Lager Gewalt an, und noch dazu im Modus des Angriffskriegs, unseres Privilegs! Ein Sakrileg!
Und da meinen unsere Kirchenfürsten: Unsere eigene Gewalt ist zwar nicht unbedingt erfreulich aber wegen unserer höheren Ziele, die nur der Wertewesten haben kann, entschuldigt. Fremde Gewalt ist per se verabscheuungswürdig. Insbesondere wenn sie von Russland ausgeht. Und da ist es unerlässlich, mit Gewalt zu antworten.
Also freie Fahrt für maßlose völkerrechtswidrige Sanktionen und Waffenlieferungen mit dem Ziel: Jeder Schuss ein Russ!
Die Bischöfin
Die Hamburger und Lübecker Bischöfin Kirsten Fehrs brachte den Paradigmenwechsel auf das Predigerwort: „Waffenlieferungen könnten das kleinere Übel sein.“ (1) Hat sich die Bischöfin vom unbedingten Pazifismus der grünen Gandhi-orientierten Sturm-und-Drang-Tage also abgewendet?
So recht wohl ist der Ehedem-Pazifistin anscheinend doch nicht. Sie schiebt nach: „Waffen können den Frieden bringen, wenn sie kurzfristig einen Aggressor stoppen und wehrlose Menschen schützen.“
Der „Wenn“-Satz ist wichtig: Alles kommt also darauf an, ob der Aggressor kurzfristig gestoppt werden kann und wehrlose Menschen vor Tod und Verderben geschützt werden.
Der Bischof
Der katholische Militärbischof Dr. Overbeck braucht die Einschränkung des „Wenn“-Satzes anscheinend nicht (2). Er formuliert kategorisch: Es sei sittlich legitim, dass Deutschland und die NATO Waffen liefern. Ganz in der Tradition der Militärbischöfe.
Jesus
Bevor die Bischöfin und der Bischof sich mit ihren Worten dem politischen Mainstream unterwarfen, wohl wissend, dass ihre Worte von den kriegerischen und Kriegswaffen exportierenden Interessengruppen erwartet werden, hätten sie einfach einmal in sich gehen sollen: Können – um an der Bischöfin Wenn-Satz anzuknüpfen – im gegebenen Fall durch Waffen Menschen geschützt werden?
Vor der Formulierung ihrer Sätze vom kleineren Übel und der friedensstiftenden Wirkung von Waffen als Entscheidungskriterium, hätte sie und ihr Kollege einfach in ihre Bibel schauen sollen. Im Lukasevangelium 14, 31–33 stehen folgende Worte Jesu:
„Oder welcher König, der sich anschickt, mit einem andern König Krieg zu führen, setzt sich nicht zuvor hin und überlegt, ob er mit zehntausend Mann dem entgegenzutreten vermag, der mit zwanzigtausend Mann gegen ihn anrückt? Geht das nicht, so schickt er eine Gesandtschaft ab, solange jener noch fern ist, und sucht um friedliche Verständigung nach (...)"
Das ist Realpolitik der besten Art. Und eine ethisch eingebundene zudem: Dieser König will weder seine Soldaten noch seine Untertanen auf dem Schlachtfeld opfern. Ihm geht es im Gegenteil um ebendiese, für sie wollte er Krieg führen. Und wird durch eine aussichtslose Kriegsführung sein Volk ins Verderben gestürzt: Dann lässt er die Finger davon und sucht nach einer Verständigung, die unter Umständen eine bedingungslose Kapitulation sein muss. Der obrigkeitlich verordnete „Heldentod“ ist keine ethisch vertretbare Alternative.
Dieses erstaunlich klare Kriterium im Lukasevangelium hätten die Bischöfin und der Bischof auf die Realität des Ukrainekriegs anwenden sollen.
Die Realität
Im Folgenden spielt es keine Rolle, ob Putin der großmachtsüchtige, irrationale und verbrecherische Führer der russischen Horden oder ob er ein klar und strategisch denkender Staatsmann ist, der das Wohl seines Volkes im Auge hat.
Es geht darum, ob westliche Waffenlieferungen und überhaupt die Unterstützung der Ukraine gegen Russland zu rechtfertigen sind oder ob der Wertewesten sich nicht vielleicht schlicht an der Zivilbevölkerung der Ukraine versündigt, indem er mit seinen Waffen einen von Beginn an verlorenen Krieg am „Leben“ erhält und damit zu verantworten hat, dass das ukrainische Volk ohne jeden Sinn zu immer neuen Opfern gezwungen und das Land zunehmend zur Wüste wird. So ist jeder Tag eines nicht zu gewinnenden Krieges, auch wenn es gegen einen Aggressor geht, ein Verbrechen.
In einem Interview unter dem Titel „Die ukrainische Armee ist besiegt. Was bleibt, sind Aufräumarbeiten“ wird der CIA-Experte Larry C. Johnson befragt.
Der Interviewer: „Warum versuchen die Medien, die ukrainische Bevölkerung zu überzeugen, dass sie in ihrem Krieg gegen Russland siegen werden? Wenn das, was Sie sagen, stimmt, dann sterben all die Zivilisten, (...) in einem Krieg, den sie nicht gewinnen können. Ich verstehe nicht, warum die Medien die Menschen bei etwas so Ernstem in die Irre führen wollen. (...)“
Larry C. Johnson: „Das ist eine Kombination aus Ignoranz und Faulheit (...) Es ist eine massive Propagandakampagne. (...) Jetzt haben wir einen neuen Hitler. Wladimir Putin. Dies ist ein altes gescheitertes Drehbuch. (...) Wenn sie nicht mit Fakten argumentieren können, bleibt ihnen nur die Beschimpfung.“
Der Interviewer: „Letzte Woche war Colonel Douglas McGregor zu Gast in der Tucker Carlson Show. Seine Ansichten über den Krieg ähneln auffallend Ihren. Hier ist, was er sagte: Der Krieg ist für die Ukrainer wirklich vorbei. Sie wurden in Stücke zermahlen, daran besteht kein Zweifel, (...)“
Colonel Douglas MacGregor, einst aktiver Soldat, dann renommierter Militärwissenschaftler, und der CIA-Experte Johnson sind nur Beispiele für viele Militärfachleute, die feststellen: Die Ukraine hat gegen Russland keine Chance, und der Krieg ist eigentlich bereits verloren. Jede weitere Sekunde Krieg schafft nur neues sinnloses Leid und Tod in der Bevölkerung.
Das Jesuswort als Richtmaß
Nimmt man das Jesuswort aus dem Lukasevangelium als Richtmaß, dann bleibt nur ein Schluss: Waffenlieferungen an die Ukraine verlängern den aussichtslosen Krieg und sind mit Jesus aufs Schärfste zu missbilligen.
Die Ukraine hat bereits verloren. Die Waffen verlängern nicht nur diesen bereits verlorenen Krieg, sondern sollen entsprechend ihrer Zweckbestimmung Menschenleben vernichten – vorzugsweise russische Soldaten. Indem unsere Bischöfe die Waffenlieferungen befürworten, machen sie sich mitschuldig.
Waffenlieferungen sind, nicht nur unter Beachtung der Worte Jesus in einer aussichtslosen Lage sittlich nicht vertretbar, sondern wer, wie Selensky, in dieser Situation einen Krieg mit allen noch zur Verfügung stehenden Mitteln fortsetzt oder denjenigen mit Waffenlieferungen unterstützt oder dies auch nur befürwortet, begeht ein Verbrechen.
Und dieser Schluss gilt unabhängig davon, wie man Putin einschätzt, ob als Psychopathen oder nicht, und unabhängig davon, ob es sich nun um einen Angriffskrieg handelt oder nicht. Man misst einfach die Kirchen und nicht nur sie an Jesus Christus.
Nachbemerkung
Die Jesusworte Lukas 14, 31–33 kannte ich noch nicht, zumindest habe ich immer über sie hinweggelesen. Ich danke Friedemann Willemer sehr dafür, dass er sie mir bewusst gemacht hat, und insbesondere, dass er mir bewusst gemacht hat, dass sie ein wunderbares ethisch-politisches, höchst aktuelles Handlungskriterium bedeuten.
Quellen: 1.Waffenlieferungen können das kleinere Übel sein“, sagt die Bischöfin, welt.de vom 15.4.2022 2. „Ein Krieg ist niemals gerecht“, Bischof Overbeck in domradio.de vom 23.4.2022 3. Die Ukraine dient US/NATO als Kanonenfutter, von Rainer Rupp, apolut.net
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Renata Sedmakova / shutterstock
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