
Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz sah sich schon als strahlender Held beim nächsten NATO-Gipfel im Sommer. Doch im Werben um politische Verbündete für sein Giga-Aufrüstungspaket muss der eiserne Friedrich erst einmal empfindlich Federn lassen.
Ein Kommentar von Hermann Ploppa.
Da stand er nun am Rednerpult. Der schlanke Hüne aus dem Hochsauerland. Friedrich Merz, der unerschrockene Macher. Er warb für sein Sondervermögen in Höhe von einer halben Billion Euro. Um das zu stemmen, muss eine Verfassungsänderung her. Mit seinem neuen Freund Lars Klingbeil von der SPD hat er die neue Große Koalition für die nächste Legislaturperiode schon in der Tasche. Jetzt fehlen ihm nur noch die Stimmen der Grünen, um im alten Bundestag schnell die ersehnte Verfassungsänderung für die Giga-Verschuldung Deutschlands durchsetzen zu können. Denn im neuen Bundestag könnten dem Merz die AfD oder sogar die sogenannte Linkspartei den Spaß am Schuldenmachen durch ihre verdammte Sperrminorität doch noch versalzen.
So weit, so schlecht. Der Weltmann aus Brilon wirbt gerade um die neue Fraktionsspitze der Grünen. Den Klingbeil und die Sozis hatte Merz schon geködert mit dem Versprechen, dass von dem riesigen Schuldenpaket auch etwas für Infrastruktur abfallen würde. Wir können uns denken: „Infrastruktur“ bedeutet wahrscheinlich vor allem Autobahnen, die von West nach Ost führen. Autobahnbrücken, die so verstärkt werden, dass auch noch tonnenschwere Abrams-Panzer reibungslos gen Russland rollen können. Und jetzt hier am Rednerpult des Bundestages wendet sich Merz direkt an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er kündigt an, dass von den 500 Milliarden Euro auch noch 50 Milliarden Euro für Klima- und Umweltschutz abgezwackt werden sollen. Schallendes Gelächter von den Bänken der AfD. Und der große Macher und Multimillionär, der zwei Privatjets in seiner Garage hat, faltet doch tatsächlich inständig bittend die Hände und appelliert an die Grünen: „WAS wollen Sie denn NOCH MEHR?“ Der große Mann ganz klein mit Hut.
Da ist Merz aber bei der neuen Fraktionsspitze der Grünen an der falschen Adresse. Die Fielmann-Covergirls von den Grünen haben nämlich Haare auf den Zähnen. Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge (nomen est omen?) hatte sich anscheinend schon lange darauf gefreut, so einen stinkreichen Macker mal gehörig zusammenzufalten. Gnadenlos attestiert Frau Dröge dem großen Friedrich eine Neigung zur Unehrlichkeit. Im übrigen sollte man Aufrüstungspaket und Infrastrukturpaket trennen, und Letzteres im nächsten Bundestag bearbeiten. Die grünen Damen genießen es sichtlich, Zünglein an der Waage zu sein. Die grüne Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann entlarvt sich allerdings selber, wenn sie dem CDU-Chef „mangelndes Verhandlungsgeschick“ attestiert <1>. Sozusagen: so einen Kuhhandel muss man doch diskret abwickeln. Merz hatte Frau Haßelmann angerufen, hatte aber nur ihren Anrufbeantworter erreicht. Auf dem AB hatte Merz seinen Wunsch vorgetragen, die Grünen für die Mega-Neuverschuldung mit in die Verantwortung zu nehmen. Die Grünen quasi an sich zu binden. Zugegeben: einen Heiratsantrag spricht man ja auch nicht auf den Anrufbeantworter der Umworbenen. Diese beiden Watschen waren schon mal eine empfindliche Schramme für unseren Schuldenritter.
Das neue Schulden- und Verfassungspaket muss noch vom alten Bundestag abgenickt werden. Keine Frage. Bei den Grünen geht es nur darum, wie man – Entschuldigung! – frau sich am öffentlichkeitswirksamsten auf den Deal einlässt. Und dann muss das Ganze noch vom Bundesrat durchgewunken werden. Und da könnte sich ausgerechnet der Aiwanger Hubert aus der bayrischen Landesregierung von den Freien Wählern querstellen mit einem energischen „Nein!“ <2> Und schon könnte es nichts mehr werden mit der Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Schließlich könnte sich auch noch das Bundesverfassungsgericht als dritte Säule der Gewaltenteilung querstellen.
Aber: keine Sorge! Wird schon. Da schadet dem Friedrich nämlich auch nicht, dass er bis zur letzten Bundestagswahl immer wieder betont hat, dass es mit der CDU definitiv keine Abschwächung der Schuldenbremse geben werde <3>. Doch Merz hat von seinem politischen Urahn Konrad Adenauer die Weisheit inhaliert, die der Kölner Altmeister folgendermaßen in Worte zu kleiden wusste:
„Watt kümmert misch mäin Jeschwätz von Jästern!“
Doch was bedeutet der Schuldenritt des Friedrich für die Wirtschaft?
Die Philosophie der Mega-Verschuldung
Also: jetzt erst mal schön durchatmen!
Denn die 500 Milliarden Euro Verschuldung erstrecken sich über zehn Jahre. Das heißt also: jedes Jahr werden wir doch „nur“ mit 50 Milliarden Euro in die Schuld- und Zinsknechtschaft geschubst. Ist doch alles ganz easy. Die Zentralbank schöpft ex nihilo, aus dem Nichts nämlich, Papierscheine, auf denen in Summe der Betrag von einer halben Billion Euro steht. Das gibt die Bundesbank an private Banken, die das Geld dann wiederum der Regierung mit Zins und Zinseszins ausleihen. Und die bezahlt damit europäische Rüstungskonzerne, die dafür Rüstungsgüter liefern. Es ist pure Verschwörungstheorie, dass dabei auch viel Geld in der Korruption versickern würde. So etwas passiert doch nur im Orient, oder in der Ukraine. Oder? Nun ja: Das Verteidigungsministerium der USA wurde schon vor der zweiten Amtszeit von Donald Trump wiederholt vom Washingtoner Kongress aufgefordert, Rechenschaft abzulegen über die Steuergelder, die im Pentagon versickert sind. Bis heute ist das Pentagon dieser Auskunftspflicht nicht nachgekommen <4>. Seltsam. Und das in einer Demokratie?
Aber bei uns doch nicht?
Einen beruhigenden Aspekt hat das ganze Geschacher um die Abschaffung der Schuldenbremse ja doch. Denn es ist klar, dass die Rest-NATO ganz genau weiß, dass sie es jetzt mit Russlands kampferprobten Streitkräften noch nicht aufnehmen kann. Ein Krieg gegen Russland ist auch für die durchgeknalltesten Falken im NATO-Raumschiff in der Gegenwart nicht einmal denkbar. Deshalb diese astronomischen Summen für Aufrüstung.
Allerdings ist der Militärisch-Industrielle Komplex der Europäischen Union schon lange im Aufbau. Schon lange vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im Februar 2022 war klar, dass Europa den eigenen Bedeutungsverlust in der Weltpolitik am besten durch eine eigene Militärgroßmacht wiedergutmachen kann <5>. Putins Krieg in der Ostukraine war hier nur die lange ersehnte Steilvorlage, um richtig durchzustarten. Und jetzt kann man auch der lahmenden Konjunktur mit gewaltigen Geldspritzen in die Rüstung wieder aufhelfen.
Die heilende Kraft der Konjunkturspritze
Kein Wunder, dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung angesichts der Konjunkturbelebung durch Kriegsvorbereitung jubiliert. Schon wenn man die Webseite des DIW aufmacht, ruft sie uns freudig erregt entgegen: „Sondervermögen würde Wirtschaft aus der Krise holen“ <6>. Ist das nicht der gute alte John Maynard Keynes, der hier Urstände feiert? Diesmal in Kampfuniform <7>? Keynes hatte die Weltwirtschaft aus der Großen Depression, die dem Schwarzen Freitag im Jahre 1929 nachfolgte, herausgeholt. Staat und Zentralbank sollten bei schwächelnder Konjunktur billiges Geld zu niedrigen Zinsen in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Das in die Gesellschaft injizierte Geld würde sich durch eine angeregte Wirtschaft vermehren, und die Gelder würden in Form von höheren Steuereinnahmen zum Staat zurückkommen. Würde die Konjunktur zu schnell laufen, also erhitzen, dann sollte die Zentralbank wieder Geld einziehen und die Zinsen erhöhen, um Kredite teurer und weniger attraktiv zu machen. US-Präsident Franklin Delano Roosevelt hatte die Rezepte von Keynes widerwillig umgesetzt. Die Heilung der kapitalistischen Wirtschaftskreisläufe erfolgte dann allerdings erst so richtig mit den fetten Aufträgen an die Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg.
So in etwa sieht das auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit dem aktuellen Sondervermögen von 500 Milliarden Euro. Die halbe Billion Euro Sonderschulden würden sich im Zuge der Wirtschaftsstimulation in eine Wertschöpfung verwandeln, bei der am Schluss mindestens eine Billion Euro gewonnen seien. Nun hat sich allerdings seit den Zeiten von Keynes und Roosevelt einiges fundamental geändert. Denn in der Nachkriegszeit waren die Politiker dazu übergegangen, auch in Zeiten der Hochkonjunktur das Geld nicht wieder aus dem Kreislauf herauszuziehen. Damit wollten die Politiker dauerhaft gute Laune bei ihren Wählern auslösen. Und zum Dank wollten sie dann vom Volk wiedergewählt werden. Die Strafe folgte auf dem Fuße: die sogenannte Stagflation. Das heißt: es stellte sich eine konjunkturelle Stagnation bei gleichzeitiger Inflation ein. Das war die Stunde der marktradikalen Bilderstürmer, die die Stagflation mit der Zerstörung öffentlicher Wirtschaftssektoren bekämpfen wollten. Das brachte außer einer Verödung der Wirtschaft und Gesellschaft rein gar nichts Positives.
Das hinderte denn auch die Biden-Regierung nicht daran, mit einem ausgabefreudigen Feuerwerk der guten Laune die Wirtschaft der USA in eine Schuldenorgie zu treiben. Trump und seine Freunde wollen jetzt die Schulden mit brachialen Methoden verringern. Allerdings sind die Folgen der trumpistischen Rosskur bislang verheerend. Die Finanzkreise an der Wall Street fliehen mit ihrem gigantischen Vermögen gerade nach Europa, und besonders nach Deutschland. Denn hier in Deutschland ist für die Investoren das Gelobte Land. Friedrich Merz lädt ein zur gigantischen Schuldenorgie. Das schuldenfinanzierte Pulver ist in den USA bereits verschossen. Jetzt kann man das deutsche Sparschwein schlachten, bis nichts mehr drin ist.
Es gibt auch böse Zungen, die folgende Geschichte ausstreuen: Friedrich Merz war ja von Frau Merkel aus dem Berliner Politzirkus verjagt worden. Daraufhin agierte Merz zehn Jahre als Chef des legendären Vermögensverwalters Blackrock. Als die Luft nach Merkels Abgang wieder rein war, kehrte Merz in die Politik zurück. Und die Leute fragten sich nach so viel Drehtüreffekt: Ist Merz jetzt weiterhin dabei, die Ziele von Blackrock auf dem politischen Weg durchzusetzen? Und obendrein wispern die bösen Zungen, Larry Fink habe nach der Bundestagswahl das neue politische Drehmoment seines ehemaligen deutschen Filialleiters erkannt und dem Merz nahegelegt, nach dem Ende des Schuldenfeuerwerks in den USA ein neues Schuldenfeuerwerk in Deutschland zu entfachen. Zu fromm und nutzen der Investoren, Spekulanten und Blackrock, versteht sich.
Nun gibt es allerdings auch Indizien dafür, dass Merz schon vor der Bundestagswahl sozusagen hinter vorgehaltener Hand über eine Modifizierung der Schuldenbremse nachgedacht habe <8>. Ob mit oder ohne Larry Fink: der Staat wird durch die Mega-Schuldknechtschaft bei den privaten Investoren in die Insolvenz getrieben, da der Staat heutzutage schon lange nicht mehr die Gestaltungsmacht hat, die ihm einstmals eigen war. Am Ende der zehn Jahre steht wahrscheinlich nicht so sehr der heiße Krieg als vielmehr die Staatsinsolvenz. Dann ist das öffentliche Vermögen mitsamt aller Bürgerrechte an die großen Finanzwale verpfändet.
Unsere Chance
Aber all das ist kein Grund zum Bettnässen.
Wir sind nicht so schwach und machtlos wie die gleichgeschalteten Medien es uns immer wieder eintrichtern wollen. Die Eliten sind zutiefst zerstritten. Der Kopf der transatlantischen Machtausübung in den USA hat sich von selber vom europäischen Rumpf getrennt. Die europäischen kopflosen Elitestrukturen zucken gleichermaßen planlos wie sinnentleert vor sich hin <9>. Eine europäísche Macht auf der Basis militärischer Stärke ist lächerlich und schlicht undurchführbar. 26 Regierungen kloppen sich ständig um Normen, Zuteilungen von Wohltaten und politischen Einfluss. Der Macron will uns mit seinem nuklearen Schutzschirm der Force de Frappe aus De Gaulles Zeiten vor dem bösen Iwan schützen. Force de Attrappe. Sollen wir lachen oder weinen? Kleinbritannien will den russischen Bären erlegen und kriegt bei Seemanövern noch nicht einmal seinen Flugzeugträger aus dem Hafen heraus.
Eine weitere schuldenfinanzierte Geldspritze wird die politische Impotenz der europäischen Eliten eher verschlimmern als beheben.
Die klassische Verteilung der Schauspielerrollen mit den Besetzungen: der Sozialdemokrat, der Konservative und der Liberale und stetig wechselnde Regierungen für immer das gleiche Drehbuch ist schlicht und ergreifend ausgereizt. Das System hat seine einstige Elastizität eingebüßt. Das System ist hart geworden. Und damit zerbrechlich. Immer hilfloser reagieren die abgeschminkten Knallchargen auf den Erfolg neuer Akteure mit neuen Drehbüchern auf der Theaterbühne. Betrachten wir doch nur mal das hilflose Agieren in Rumänien gegen den Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu.
Das Problem besteht darin, dass sich keine basisdemokratischen Denkfabriken und keine Netzwerke bilden, die schlüssig und zusammenhängend in politische Strategien gießen können, was sich gerade abspielt. Noch immer schauen stattdessen alle gebannt und ehrfürchtig auf das miserable Theaterstück, das uns die Mächtigen in ihrer Phantasielosigkeit vorführen.
Wenn wir das politische Vakuum nicht für eine wahre Demokratie nutzen, dann haben wir es nicht besser verdient.
Quellen und Anmerkungen
<1> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/finanzpaket-bundestag-sondersitzung-100.html
<3> https://www.n-tv.de/politik/Was-Merz-im-Wahlkampf-sagte-und-was-jetzt-article25589350.html
<4> https://responsiblestatecraft.org/pentagon-audit-2666415734/
<5> Claudia Haydt/Jürgen Wagner: Die Militarisierung der EU – Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Großmacht. Berlin 2018
<6> https://www.diw.de (Link aufgrund der Länge gekürzt)
<7> John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money. Cambridge 2008.
<9> https://www.youtube.com/watch?v=ebrWrSfhl7g&t=34s
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Ryan Nash Photography / shutterstock
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