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Auch EU gibt letzten Anschein von Souveränität auf | Von Norbert Häring

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Wie um den derzeit vieldiskutierten Vasallenstatus Europas zu unterstreichen, hat die EU-Wettbewerbskommissarin entschieden, eine Amerikanerin mit guten Beziehungen zu Apple und Amazon zur neuen Chefvolkswirtin zu machen. Das passt bestens in die erklärte US-Strategie, die Europäer als Hilfstruppen im Kampf mit China um die IT-Vorherrschaft zu requirieren und das Regulierungsumfeld dafür passend zu machen.

Ein Kommentar von Norbert Häring.

Die Entscheidung der EU-Wettbewerbskommissarin, die US-Amerikanerin Fiona Scott Morton, die viele Jahre als Beraterin von Apple und Amazon gearbeitet hat, zu ihrer Chefökonomin zu machen, hat im EU-Parlament und bei französischen Politikern wie deren Regierung, scharfe Proteste hervorgerufen. Die deutsche Politik blieb bezeichnenderweise still. Auch die Deutschen Medien blieben völlig stumm, bis ein Protestbrief aus dem EU-Parlament an die Kommission öffentlich wurde. Eines der schwierigsten und wichtigsten laufenden und künftigen Themen der EU-Wettbewerbspolitik ist der Umgang mit den amerikanischen Plattform- und IT-Giganten, die monopolähnliche Stellungen haben und sich nicht an europäische Gesetze, insbesondere zum Datenschutz halten und hier fast keine Steuern zahlen. Die Berufung von Scott Morton kommt in diesem Umfeld einem Vasallentreuschwur der EU gegenüber den USA gleich, alles zu tun, um der Leitmacht in ihrem Abwehrkampf gegen China um die IT-Vorherrschaft auf der Welt zu helfen. Den Hintergrund habe ich in einem längeren Stück Ende Juni erläutert, insbesondere, dass es sich dabei um ein Ziel allerhöchsten Ranges für die US-Regierung handelt und deshalb unbedingte Treue und Unterstützung von den „Verbündeten“ eingefordert wird. Geopolitik der Digitalisierung: Wie der Abwehrkampf der USA gegen China eine toll gewordene Welt erklärt Wer verstehen will, was derzeit auf der großen Weltbühne, in Europa und in Deutschland vorgeht, sollte die Berichte der National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI) und des Special Competitive Studies Project (SCSP) der USA kennen. Jeweils unter der Leitung des ehemaligen Google-Chefs Eric Schmidt haben diese Kommissionen im Auftrag von US-Regierung und Parlament aufgeschrieben, was nötig ist, um die globale Vorherrschaft der USA gegen China zu verteidigen. Die Umsetzung erleben wir gerade. Hier ein einschlägiger Auszug daraus:

„Wer verstehen will, was derzeit auf der großen Weltbühne, in Europa und in Deutschland vorgeht, sollte die Berichte der National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI) und des Special Competitive Studies Project (SCSP) der USA kennen. (…) Der Bericht des SCSP lässt keinen Zweifel an der zentralen Rolle der IT-Konzerne und Plattformen für die staatliche Machtausübung: „Die Art und Weise, wie Staaten die Macht ihrer Technologieunternehmen für sich nutzen können, ist heute ein wesentliches Element der Staatsführung in der Geopolitik, bei der Gestaltung der internationalen Ordnung und im grundlegenden systemischen Wettbewerb zwischen offenen Gesellschaften und geschlossenen Systemen.“ Die digitalen Plattformen nennt der SCSP-Bericht „Instrumente der Staatskunst, die zu mächtig sind, um sie zu ignorieren“. Denn die Plattformen hätten die Macht zu entscheiden, welche Information geteilt wird, wie schnell und wie „laut“ sie verstärkt wird und wer Zugang dazu hat. „Da sie Unmengen Daten besitzen, können digitale Plattformen helfen, tiefe Einsichten über globale Trends zu gewinnen, ebenso wie über einzelne Individuen“. Wer die Plattformen kontrolliert, wisse Bescheid über alles, was vorgeht in der Welt und kontrolliert die Menschen, und zwar nicht nur digital, denn: „In dem Maße, wie physische, digitale und biotechnische Technologien in der nächsten Dekade verschmelzen, wird der Wettbewerb der Plattform-Staatskunst sich ebenfalls über die digitale Welt hinaus ausbreiten.“ Wer sich fragt, warum die amerikanischen Internetplattformen und IT-Konzerne kaum behelligt von europäischen Datenschutz- und Steuerregeln fast machen dürfen, was sie wollen, findet hier jenseits der vordergründigen Erklärungen einen tiefer liegenden Grund.“

In den Berichten kann man auch nachlesen, wie unzufrieden die US-Regierung damit ist, dass die Europäer versuchen, die IT-Plattformen der US zu regulieren und damit deren gemeinsamen Kampf mit den Plattformen gegen China behindern. Aus meinem Bericht:

„Wenn die Konzerne der US-dominierten Sphäre durch Datenschutz daran gehindert werden, bestimmte Anwendungen zu entwickeln und auszurollen, dann machen sie weniger Geschäft und bekommen weniger Daten als die chinesischen Konzerne. Und das darf nicht sein. Denn die globale Dominanz der USA ist allemal wichtiger als Datenschutz. Also bloß keine „übermäßig restriktiven regulatorischen Regime als Antwort auf KI-Skepsis und Angst“ aufsetzen. Weder in den USA selbst, noch bei den Alliierten. Die Bestrebungen der EU, KI durch ein KI-Gesetz zu regulieren und dabei besonders problematische Anwendungen auch zu verbieten, wird in dieser Richtung schon als innovationsfeindlich eingestuft, wegen zu hoher Kosten der Regelbefolgung. (…) Wir (sollten) laut SCSP lieber nur so viel regulieren, dass Exzesse vermieden werden, die die Öffentlichkeit zu sehr gegen KI aufbringen und zu einer Gegenbewegung in Richtung rigider Überregulierung führen könnten. Ideal sei die Nationale KI-Strategie der Briten, die sich bisher weitgehend in Floskeln erschöpft. Mit anderen Worten: Die USA werden in Sachen KI-Regulierung nicht mit Europa kooperieren. Ihre Konzerne werden ungebremst mit der Entwicklung aller denkbaren Anwendungen fortfahren, und erst, wenn sich große Probleme mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit zeigen, wird reguliert.“

Angedeutet wird auch, wer sich darum kümmert, dass die Europäer mitmachen:

„Außerdem wurde ein Joint Artificial Intelligence Center (JAIC) von Militär und Geheimdiensten geschaffen. Dieses Gemeinsame Zentrum für Künstliche Intelligenz, hat unter anderem die Aufgabe, die Aktivitäten in dieser Richtung mit den US-Alliierten abzustimmen. (…) Ein Office of Technology Transition Initiatives (Büro für Technologiewende-Initiativen) im Außenministerium oder in dessen Entwicklungshilfeorganisation USAID soll daher laut SCSP mit Expertenteams im Ausland Partnerregierungen in Sachen Netzwerkarchitektur, Cybersicherheit und „digitale Freiheit“ beraten.“

Man fragt sich bei der Bewerbung von Scott Morton für ihre Beraterpostion bei der EU, was denn eine amerikanische Yale-Professorin mit sicherlich äußerst lukrativen Beraterverträgen mit Apple und Amazon dazu motiviert, sich um einen vermutlich deutlich schlechter bezahlten Job im nicht ganz so schönen Brüssel zu bewerben. Mit dieser Berufung gibt die EU-Kommission nach der Bundesregierung ebenfalls jeden Anschein auf, souverän zu agieren. Passend dazu hat die EU-Kommission vor einigen Tagen einen Beschluss veröffentlicht, wonach ihr mit der US-Regierung vereinbartes EU-US Data Privacy Framework einen angemessenen Datenschutz für in den US gespeicherte und verarbeitete Daten aus der EU gewährleiste, auch wenn alle Welt erwartet, dass diese offenkundig falsche Einstufung vom Europäischen Gerichtshof gekippt werden wird, wie zuvor schon die Vorgängerabkommen Safe Harbor und Privacy Shield. Es ist nun einmal so, dass der CLOUD-Act der US-Regierung Zugang zu allen bei US-Unternehmen gespeicherten Daten garantiert und das nicht US-Bürger in den USA in solchen Fragen keinen nennenswerten Rechtsschutz genießen. Durch ihre wissentlich falschen Behauptungen in Sachen Angemessenheit des Datenschutzes, unter gezielter Nutzung der langen Dauer von Gerichtsverfahren dagegen, ermöglicht die Kommission es den US-IT-Konzernen und ihren Kunden über Jahrzehnte hinweg die europäischen Datenschutzvorschriften zu brechen. Mein Fazit von Ende Juni gilt weiterhin:

„Die Machtverhältnisse sind so, dass die EU und erst recht Deutschland sich an diesen wenig aussichtsreich erscheinenden Kampf der USA um die Bewahrung ihrer globalen Dominanz beteiligen müssen. Aber je willfähriger das geschieht, und je weniger das öffentlich diskutiert und kritisiert wird, desto rücksichtsloser wird das auch gegen unsere Interessen vorangetrieben werden.“

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 17. Juli 2023 bei norberthaering.de

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Bildquelle: mixmagic/ shutterstock


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