Wer in Syrien welche Interessen hat
In einem Überraschungsangriff haben Nachfolgeorganisationen von Al-Qaida und dem IS die syrische Armee in nur etwa 10 Tagen überrannt und die Kontrolle über Syrien übernommen. Wer hat in dem Land welche Interessen?
Ein Kommentar von Thomas Röper.
Die geopolitische Interessenlage ist in Syrien so komplex, wie wohl nur an wenigen Orten der Welt. Das zeigte sich nun bei dem Blitzkrieg, in dem die syrischen Nachfolgeorganisationen von Al-Qaida und dem IS – also Islamisten, die von westlichen Medien und Politikern gerne als „Rebellen“ oder „syrische Opposition“ bezeichnet werden – die syrische Armee in nur etwa zehn Tagen überrannt und die Macht in Syrien übernommen haben, denn dieser Blitzkrieg wäre ohne Unterstützung aus dem Ausland nicht möglich gewesen.
Auch Länder, die eigentlich Gegner sind, haben dabei koordiniert zusammen gegen die syrische Regierung gearbeitet, weshalb es interessant ist, sich die Interessen der beteiligten Länder anzuschauen.
USA
Die USA haben das generelle Interesse, ihre Macht im Nahen Osten zu erhalten, weshalb sie seit dem sogenannten arabischen Frühling versuchen, Assad zu stürzen. Assad war den USA aus mehreren Gründen ein Dorn im Auge: Erstens war er ein Verbündeter des Iran, den die USA im Nahen Osten zum Feind Nummer 1 erklärt haben und zweitens beherbergte Syrien seit Jahrzehnten den einzigen russischen Marinestützpunkt im Mittelmeer, den die USA loswerden wollen, seit er eröffnet wurde. Hinzu kommt, dass ein Bruch Syriens mit dem Iran nach dem Sturz von Assad es dem Iran wesentlich schwerer machen würde, seine Verbündeten Hisbollah und Hamas gegen Israel zu unterstützen.
Als der sogenannte arabische Frühling begann, ging es auch noch um eine geplante Gaspipeline vom persischen Golf nach Europa, mit der die USA Russland schwächen wollten, indem arabisches Erdgas russischem Erdgas in Europa Konkurrenz machen sollte. Assad hatte den Bau der Pipeline durch sein Land verweigert, weil er ein Verbündeter Russlands war. Aber das Thema ist heute nicht mehr aktuell, nachdem die USA es geschafft haben, Russland weitgehend vom europäischen Gasmarkt zu verdrängen und die USA selbst dort ihr Flüssiggas verkaufen.
Um Assad zu stürzen, haben die USA damals die CIA-Operation „Timber Sycamore“ gestartet (Details dazu finden Sie hier), mit der Islamisten außerhalb Syriens bewaffnet wurden, um gegen Assad zu kämpfen. Deutsche Medien haben darüber nie berichtet, sie erzählen stattdessen bis heute das Märchen von einem Volksaufstand gegen Assad, der sich angeblich zum syrischen Bürgerkrieg ausgewachsen haben soll. Im Spiegel beispielsweise gibt es nicht einen Artikel darüber, wer im Spiegel-Archiv nach „Timber Sycamore“ sucht findet 0 (in Worten Null) Artikel.
Die USA halten seit Jahren völkerrechtswidrig Teile Ostsyriens besetzt und begründen das mit der angeblichen Notwendigkeit, die dortigen Kurden zu verteidigen. In Wahrheit geht es den USA darum, die dortigen syrischen Ölquellen zu plündern und das Öl mit LKW über den Irak auszuführen. Wer das Öl kauft und wohin das Geld aus den Ölverkäufen geht, kann man nur raten, aber vermutlich geht zumindest ein Teil des Geldes in schwarze Kassen der CIA, mit denen die US-Geheimdienste Operationen durchführen können, ohne darüber im US-Parlament Rechenschaft ablegen zu müssen. So etwas hat die CIA immer wieder getan, weshalb das die naheliegendste Erklärung ist.
Die Kurden in Ostsyrien sind ein Ableger der PKK, die nicht nur in der Türkei, sondern in den meisten Staaten der Welt (darunter auch Deutschland, die EU, die NATO etc.) als Terrororganisation eingestuft ist. Das jedoch erwähnen westliche Medien nie, denn wenn sie über die US-Truppen in Syrien berichten – natürlich ohne zu erwähnen, dass die USA völkerrechtswidrig Teile Syriens besetzen -, dann wird der westlichen Öffentlichkeit erzählt, die USA würden – ganz selbstlos natürlich – die Kurden vor Erdogan und Assad schützen.
Die USA haben seit Jahrzehnten eine Tradition der Unterstützung islamistischer Terroristen, angefangen von der Unterstützung der afghanischen Mudschahidin gegen die Sowjetunion, aus denen dann die Taliban und Al-Qaida wurden. Auch wenn die USA Al-Qaida als Terrororganisation einstufen, arbeiten sie trotzdem immer wieder mit Al-Qaida zusammen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die USA in Syrien ihr Ziel erreicht haben. Assad ist gestürzt und der russische Marinestützpunkt in dem Land dürfte bald Geschichte sein. Inwieweit die USA den Blitzkrieg der islamistischen Terroristen unterstützt haben, werden wir wohl nicht so bald erfahren, aber dass sie ihn unterstützt haben, steht außer Frage.
Zum Einen haben sich die von den USA unterstützten Kurden an dem Blitzkrieg der Islamisten beteiligt und die USA haben die Kurden laut Medienberichten mit Luftangriffen unterstützt, zum anderen wurde gemeldet, dass die Islamisten von ukrainischen Spezialeinheiten in modernen Kampftechniken ausgebildet wurden. Das passt ins Bild, denn die Ukraine bildet auch in der Sahelzone im Auftrag westlicher Länder Islamisten aus, um dort gegen Regierungen zu kämpfen, die dem Westen gegenüber ungehorsam sind.
Türkei
Die Türkei strebt unter Erdogan die Rolle als führende Regionalmacht der Region an und Erdogan will sich als Retter und Schutzpatron der Moslems präsentieren. An den Versuchen, Assad nach dem sogenannten arabischen Frühling zu stürzen, war Erdogan von Beginn an beteiligt. Auch Erdogan hat dabei auf die Unterstützung von Al-Qaida und IS gesetzt. Die Tanklaster mit dem Öl aus den syrischen Ölquellen, die damals noch der IS kontrolliert hat, gingen seinerzeit über die Türkei zu ihren Käufern im Westen, und damaligen Meldungen zufolge hat Erdogans Schwiegersohn daran gut verdient.
Als Russland 2015 in den Syrienkrieg eingegriffen und den IS zusammen mit der syrischen Armee und iranischen Milizen innerhalb von zwei Jahren besiegt hat, war die letzte Zuflucht der Islamisten die syrische Region Idlib im Nordwesten der Türkei, wo sie quasi unter dem Schutz der Türkei standen, was in einem Waffenstillstandsabkommen festgeschrieben wurde. Erdogan begründete diese Allianz unter anderem mit dem türkischen Wunsch, die Millionen syrischer Flüchtlinge aus der Türkei zurück nach Syrien bringen zu wollen.
Erdogan will seinen Einfluss auf Syrien aus mehreren Gründen ausdehnen. Einerseits sind da seine Träume, an die Größe des Osmanischen Reiches anzuknüpfen und die führende Regionalmacht im Nahen Osten zu werden, andererseits geht es dabei um den Kampf gegen die PKK und ihre syrische Tochterorganisation, die von den USA unterstützt wird. Um die Kurden zu bekämpfen, hat Erdogan syrische Grenzgebiete besetzt und dabei seinerzeit sogar eine militärische Konfrontation mit den US-Truppen riskiert, die Nordostsyrien besetzt halten.
Die französische Nachrichtenagentur AFP hat berichtet, dass die Islamisten bei ihrer Offensive von der Türkei nicht nur unterstützt wurden, sondern sogar ihre Befehle vom türkischen Geheimdienst bekommen haben. Und am 7. Dezember, dem Tag vor dem Sturz Assads, hat Erdogan den Islamisten viel Erfolg beim Vormarsch auf die syrische Hauptstadt Damaskus gewünscht.
Mit dem Sturz der syrischen Regierung durch von Erdogan unterstützte Islamisten hat Erdogan in der Region wahrscheinlich einige seiner Ziele erreicht und an Einfluss gewonnen, wobei man natürlich abwarten muss, wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt. Syrien könnte als Staat auch zerfallen, wie es in Libyen passiert. Daran hat aber niemand in der Region ein Interesse, weshalb ich die Wahrscheinlichkeit für gering halte.
Vor allem der Iran, der ebenfalls Bedeutung als Regionalmacht im Nahen Osten will, wurde durch den Sturz Assads stark geschwächt, dazu kommen wir gleich noch. Erdogan dürfte die Schwächung des Iran aber nur recht sein.
Israel
Auch Israel will seine Macht in der Region ausbauen und die aktuelle, national-faschistische israelische Regierung strebt sehr offen ein Groß-Israel an, das den Gazastreifen und das Westjordanland annektiert. Was dabei aus den dort lebenden Palästinensern wird, fragt im Westen niemand. Das Ziel der aktuellen israelischen Regierung ist offensichtlich deren Vernichtung oder Vertreibung.
Das erste Ziel Israels ist es, den Iran zu schwächen, der die Hamas in Gaza und die Hisbollah im Libanon unterstützt. Diese Unterstützung lief bisher über Syrien, was einer der Gründe dafür ist, dass der Iran Assad so stark unterstützt hat, um die Nachschubwege für die Hisbollah und die Hamas zu sichern.
Israels Ziel war der Sturz Assads, um die Nachschubwege von Hisbollah und Hamas aus dem Iran abzuschneiden. Das Ziel dürfte Israel nun erreicht haben.
Dass die Islamisten ihr Vorgehen mit Israel koordiniert haben, sieht man daran, dass der Angriff der Islamisten an dem Tag erfolgte, als Israel seinen Waffenstillstand mit der Hisbollah geschlossen und einen kleinen Grenzstreifen syrischen Gebietes besetzt hat, das an die von Israel völkerrechtswidrig besetzten Golanhöhen angrenzt. Am Tag des Sturzes von Assad hat die israelische Armee gemeldet, weitere Truppen dahin verlegt zu haben, um eine „Pufferzone“ zu bilden.
Israel dürfte die radikalen Islamisten, die in Syrien nun wohl die Macht übernehmen werden, keineswegs als Freunde ansehen, aber das oberste Ziel Israels war es, den Iran aus Syrien zu verdrängen, und das ist gelungen. Mit den folgenden Problemen befasst man sich eben später.
Das Beispiel zeigt die Verworrenheit der Interessen in Syrien, denn Erdogan präsentiert sich öffentlich als einer der schärfsten Kritiker Israels, wenn es um den Völkermord in Gaza geht, und fordert, die israelische Regierung wegen Völkermord vor Gericht zu stellen. Zwischen Israel und der Türkei herrscht offiziell Eiszeit.
Trotzdem haben die Türkei als Schutzmacht der Islamisten und Israel ihr Vorgehen gegen Assad offensichtlich koordiniert. Politik hat eben nichts mit Moral zu tun, sondern es geht nur um Macht. Erdogan und der israelischen Regierung war es wichtig, Assad zu stürzen, also hat man das Vorgehen in Syrien trotz aller Differenzen offensichtlich koordiniert.
Russland
Russland wollte in Syrien erstens seine Militärstützunkte erhalten, zweitens den langjährigen Verbündeten Assad stützen und drittens die Islamisten bekämpfen, weil viele der Radikalen aus moslemischen Regionen Russlands und aus ehemaligen Sowjetrepubliken nach Syrien gekommen sind. Putin sagte nach dem russischen Eingreifen in Syrien sehr offen, dass Russland diese Leute lieber in Syrien vernichtet, als darauf zu warten, dass die in Syrien siegen und dann bewaffnet und kampferfahren in ihre Heimatländer zurückkehren.
Mit dem Überraschungsangriff der Islamisten dürfte Russlands Politik in Syrien gescheitert sein und ob die neue syrische Regierung die russischen Stützpunkte weiterhin erlaubt, steht in den Sternen.
Ob Russlands Scheitern damit zusammenhängt, dass es militärisch in der Ukraine beschäftigt ist und daher keine Kraft für den Kampf in Syrien hatte, wie im Westen behauptet wird, halte ich für unwahrscheinlich. Russland hat massive Luftangriffe gegen die Islamisten geflogen, aber für den Kampf am Boden war immer in erster Linie die syrische Armee zuständig. Und die ist offenbar zusammengebrochen und einfach vor dem Angriff geflohen, weshalb auch die iranischen Milizen sich aus den Kämpfen zurückgezogen haben, weil sie ohne die syrische Armee, die immer die Hauptlast der Kämpfe am Boden getragen hat, nichts ausrichten konnten.
Interessant dürfte sein, wie sich das Verhältnis zwischen Putin und Erdogan weiter entwickelt, denn Erdogan sich hat in Syrien offen gegen Russland gestellt. Noch im Sommer war die Rede davon, dass es dank russischer Vermittlung bald zu einem Treffen zwischen Assad und Erdogan und zu einer Friedenslösung in Syrien kommen könnte.
In Moskau dürfte es nun ein sehr großes Misstrauen gegenüber Erdogan geben, was sich wohl auch vor der Öffentlichkeit nicht verstecken lassen wird. Erdogan, der sich gerne als Vermittler zwischen Kiew und Moskau ins Spiel bringt, weil er sich damit rühmt, zu beiden Seiten des Ukraine-Konfliktes gute Beziehungen zu haben, dürfte aufgrund des Vertrauensverlustes, den es in Moskau nun wohl geben wird, beispielsweise als Vermittler in der Ukraine ausfallen.
Was das türkische Verhalten in Syrien für andere russisch-türkische Projekte bedeutet, bleibt abzuwarten.
Iran
Der Iran hat in seinem Kampf gegen Israel eine schwere Niederlage eingesteckt und es bleibt abzuwarten, wie er sich davon erholt. Ob er andere Wege findet, die Hisbollah und die Hamas zu unterstützen, steht in den Sternen. Genauso ist ungewiss, wie sich das auf seine Position bei der Annäherung an die arabischen Staaten auswirkt, die derzeit stattfindet.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 08. Dezember 2024 bei anti-spiegel.ru
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Bildquelle: Valentina Petrov / shutterstock
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