Wie das liberale Weltbild die Sozialpolitik zertrümmert
Ein Meinungsbeitrag von Hannes Hofbauer.
Vor genau 65 Jahren, am 14. November 1955, schrieb Bundeskanzler Konrad Adenauer an seinen Arbeitsminister Anton Storch einen Brief, der seither die Arbeitsmarktpolitik nicht nur der BRD bestimmt. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hat davon eine Kopie erhalten:
„In mehreren Erörterungen über die konjunkturpolitische Lage ist von maßgeblicher Seite wiederholt die Auffassung vertreten worden, daß die Verengung des Arbeitsmarktes als eine der entscheidenden Ursachen für die ständigen Lohnforderungen der Gewerkschaften (...) angesehen werden müsse. Ich teile diese Ansicht in vollem Umfang. Mit Sorge sehe ich der weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes entgegen. Die sich bereits abzeichnenden Schwierigkeiten auf diesem Sektor müssen durch den Aufbau der Streitkräfte zwangsläufig verstärkt werden. Darüber hinaus ist noch nicht zu übersehen, ob und in welchem Umfange sich die gewerkschaftliche Forderung auf Arbeitszeitverkürzung durchsetzen wird (...).“
Der Kanzler ist in dreifacher Hinsicht sehr besorgt: Mit Forderungen nach mehr Lohn und weniger Arbeitszeit haben die Gewerkschaften direkt deutsche Kapitalinteressen im Visier, die sich eben erst mühsam von Kriegs- auf Friedensdividenden umgestellt haben. Und die Wiederbewaffnung der Bundeswehr entzieht dem Arbeitsmarkt zusätzlich Manpower. Was also tun in dieser schwierigen Lage? Adenauer weiß es:
„Ich halte es daher für dringend erforderlich, ein geschlossenes Programm zu entwickeln, das geeignet ist, einer solchen die gesamte Volkswirtschaft bedrohenden Entwicklung entgegenzuwirken. Ich weiß, daß sie meine Sorgen teilen. Sie haben anläßlich der Kabinettssitzung vom 15. Oktober d. Js. sich auch für den sofortigen Einsatz ausländischer Arbeitskräfte ausgesprochen. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft beabsichtigt, mit Ihnen gemeinsam dem Kabinett hierfür Vorschläge zu unterbreiten.“[1]
Nur wenige Wochen später unterzeichnet Adenauer mit seinem italienischen Amtskollegen Antonio Segni das erste Anwerbeabkommen für GastarbeiterInnen. Millionen von ihnen kamen in der Folge aus süd- und osteuropäischen Ländern nach Deutschland.
Ein anderer Rheinländer äußerte sich bereits vor 150 Jahren mit ebensolcher Offenheit zur Funktionsweise der Migration, allerdings vom gegensätzlichen Klassenstandpunkt aus:
„Zweitens hat die englische Bourgeoisie das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten. (...) Sie weiß, dass diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist.“[2]
Was Karl Marx im Januar 1870 glasklar auf den Punkt bringt, die sozio-ökonomische Funktion von massenhafter Arbeitsmigration, darüber getraut sich heutzutage kaum jemand auf der Linken offen zu sprechen.
Migration ist Ausdruck von Ungleichheit – weltweit
Die Erkenntnis ist ein Gemeinplatz: Massenmigration ist Ausdruck von Ungleichheit. Menschen, die an ihren angestammten Wohnorten keine Subsistenzperspektive mehr haben, suchen anderswo eine Überlebensmöglichkeit. Sichtbare Triebkräfte dieser Entwicklung wie ökonomische Partnerschaftsabkommen (der EU mit afrikanischen oder karibischen Staaten), Nutzungsverträge für erweiterte Fischfanggebiete und Kriege vertreiben Hunderte von Millionen aus ihrer Heimat. Die Jungen, Flexiblen, Schlecht- wie Gutausgebildeten folgen notgedrungen der Logik von Abwanderung aus strukturgeschwächten oder kriegszerstörten Peripherien und ihrer anschließenden Inwertsetzung in ökonomischen Zentralräumen. Dort werden sie zu billigen Arbeitskräften.
Daran ist nichts neu. Kapitalverwertung beruht zu einem Gutteil auf der Nutzbarmachung dieser sozialen Destabilisierung. Von den Arbeitsmigrationen im 19. Jahrhundert über das Zwangsarbeitsregime der Nationalsozialisten zu den Gastarbeiter-Anwerbeabkommen ab den späten 1950er Jahren und dem Massenexodus von Arbeitskräften im Zuge des Zusammenbruchs von RGW und Sowjetunion bis zu den Wanderungen der Muslime seit Mitte der 2010er Jahre spannt sich ein Bogen ständiger Migration. Sie nimmt beharrlich den Weg von der Peripherie ins Zentrum. Ihre Funktion im Prozess der Kapitalverwertung zu benennen, sträubt sich die Linke beharrlich. Sie verheddert sich im schweren Schicksal des Migranten/der Migrantin und vergisst darüber die sozio-ökonomischen Folgen für Herkunfts- und Zielländer kritisch zu beleuchten.
Dies ist umso irritierender, als bei Lichte besehen klar ist, wer die Pull-Kräfte sind und welche Interessen dahinterstehen. Auch ist es kein Zufall, dass von den Anwerbeabkommen der 1950er Jahre bis zu Merkels Willkommensgruß aus 2015 es immer die Unternehmerpartei war, die – dem liberalen Impetus nach Kostensenkung folgend – die Arbeitsmigration angeschoben hat.
Die entscheidende Migrationsursache unserer Tage, die zu großräumigen Wanderungsbewegungen führt, liegt im sich ändernden Verhältnis von sozialer Differenz und regionaler Disparität. Eine Studie der Entwicklungshilfegruppe Oxfam hat das schamlose Auseinanderklaffen sozialer Unterschiede eindrucksvoll unterstrichen. Derzufolge besitzen acht weiße Männer soviel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.[3] Die drei Reichsten – Bill Gates, Amancio Ortega und Warren Buffet – verfügen jeder für sich über ein Nettovermögen zwischen 60 und 75 Mrd. US-Dollar, das entspricht dem Staatshaushalt von Polen oder Neuseeland.
Für massenhafte Arbeitsmigration wichtiger als diese obszöne soziale Differenz ist jedoch, dass sich in den vergangenen 200 Jahren die Ungleichheit zwischen Ländern und Regionen extrem verschärft hat. Der Weltbank-Ökonom Branko Milanović hat den Versuch gemacht, globale Ungleichheit zu quantifizieren. Dafür trennt er den Faktor Klasse vom Faktor Ort und erklärt, wie sich soziale Differenz in den vergangenen zwei Jahrhunderten klein- bzw. großräumig verändert hat. Anfang des 19. Jahrhunderts, so seine Erkenntnis, waren nur 20% der globalen Ungleichheit auf unterschiedliche Einkommen zwischen Ländern zurückzuführen, 80% wurzelten im jeweiligen Land selbst. Das heißt, der Klassengegensatz vor Ort war dominant.
Mitte der 1970er Jahre drehte sich dieses Verhältnis um. Globale Ungleichheit wurzelt nun zu 80% im Faktor Ort. Die weltweiten regionalen Disparitäten übertreffen kleinräumig vorhandene Klassenunterschiede. In erschreckend konkreter Zahl: Die durchschnittliche Einkommenserwartung eines Kongolesen (der aus einem der statistisch ärmsten Länder der Welt stammt) ist 93 Mal geringer als die seines US-amerikanischen „Bruders“.[4] Das Treibmittel für Subsistenzmigration könnte nicht stärker sein.
Osteuropa als Arbeitskräftelieferant
Es genügt indes der Blick auf innereuropäische regionale Disparitäten und soziale Differenzen, um das Ausmaß, das die Pull- und Push-Kräfte seit dem Zusammenbruch des politischen Ostens erreicht hat, erfassen zu können. Nach meist dreistelliger Hyperinflation in den Jahren 1989 bis 1992, die sämtliche nicht eingelösten Konsumversprechen der kommunistischen Epoche vom neu entstehenden Markt nahm, und einer De-Industrialisierung, in der die Produktion von Industriegütern im selben Zeitraum zwischen 40% und 70% sank, standen die Länder Osteuropas – mit Ausnahme Tschechiens und Sloweniens – sozio-ökonomisch verheert da.[5]
Millionen von OsteuropäerInnen fielen aus formellen Beschäftigungsverhältnissen heraus. Wer dennoch lohnarbeitete, tat dies Mitte der 1990er Jahre in Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien für einen Brutto-Stundenlohn von umgerechnet 3 bis 4 DM, in Rumänien für 1,40 DM. Selbiger lag in Deutschland-West bei 44 DM, in den neuen Bundesländern bei 26,50 DM.[6] Bei Lohndifferenzen von 1:15 bis 1:30 begannen die Aufnahmegespräche Brüssels mit den künftigen EU-Mitgliedern. Zehn Jahre später, zum Zeitpunkt der EU-Osterweiterung 2004, lagen sie bei 1:8 bis 1:20.
Die Implementierung der vier kapitalistischen Freiheiten – Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft – erfolgte im Zuge des Überstülpens des EU-Rechtsbestandes im Jahr 2004 auf acht frühere Länder bzw. Regionen aus dem kommunistischen Osten. Sechs von ihnen besaßen kurz zuvor nicht einmal eine eigene Staatlichkeit, sondern waren territoriale Bruchstücke der drei multinationalen Gebilde Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien.[7] Die sogenannte ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit legitimierte ab dem Zeitpunkt der EU-Aufnahme 2004 bzw. 2007 (für Bulgarien und Rumänien) eine Arbeitsmigration, die auch zuvor massenhaft, jedoch meist illegal stattgefunden hatte.
Allerdings gelang es Deutschland und Österreich bei den Aufnahmegesprächen, den legalen Zugang zu ihren Arbeitsmärkten auf sieben Jahre hinauszuzögern. Das Vereinigte Königreich war da nicht so zimperlich, hörte nicht auf gewerkschaftliche Warnungen und öffnete den Arbeitsmarkt zum 1. Mai 2004 – beispielsweise für Polen. Die Folgen sind bekannt: Lohndumping, explodierende Mieten und steigende Unzufriedenheit der britischen ArbeiterInnen. Sie hatten ihren Marx gelesen, der ihnen das Beispiel mit den Importen irischer Arbeitskräfte aus 1870 erzählte. Bei erster Gelegenheit rächte sich die britische Arbeiterschaft ... und stimmte 2016 für den Brexit.
Im selben Jahr 2016 näherte sich auch der IWF der sozio-ökonomischen Wirklichkeit. In einer Studie bestätigte er den enormen Verlust an Menschen, mithin: Arbeitskräften im Osten Europas. Zwischen 1990 und 2012 migrierten der IWF-Studie zufolge knapp 20 Millionen OsteuropäerInnen in Richtung Westen. Die Auswanderungskurve steigt seit 1990 exponentiell an und dreht sich 2004 nochmals ruckartig nach oben. Ohne Emigration, so die Erkenntnis der Studie, läge das Bruttonationalprodukt in den Jahren zwischen 1995 und 2012 durchschnittlich (also von Land zu Land unterschiedlich) um 7% höher.[8]
Diese Aussage zerstört die Erzählung vom bereichernden Charakter der Migration für die Herkunftsländer. Und sie zerstört auch die Fabel von der Migration als „Quelle des Wohlstands“, wie sie im UN-Migrationspakt des Jahres 2018[9] aufgetischt wird. Ganz abgesehen davon, dass jeder kritisch denkende Mensch bei solch einer Bestimmung reflexartig nachfragen müsste: Wohlstand für wen?
Der menschliche Aderlass, den die osteuropäische Peripherie für die zentralen westeuropäischen Arbeitsmärkte bis heute gewärtigt, liest sich noch dramatischer, wenn man sich ansieht, wer da aus Polen, Bulgarien oder der Slowakei in den vergangenen Jahren nach Deutschland, Österreich oder das Vereinigte Königreich gegangen ist. Es waren junge, aktive Männer und Frauen, die in ihrer Heimat keine Chance auf ein Weiterkommen hatten. In dieser Gruppe der Aktiven zwischen 20 und 45 Jahren verlor Bulgarien bis 2017 41,5%, Lettland 38%, Rumänien 28% und Polen 15% jener Menschen, die eine Volkswirtschaft am Laufen halten müssten.[10]
Arbeitsmigration aus der osteuropäischen Peripherie hält ganze Sektoren im Westen des Kontinents am Leben. Ein Beispiel dafür ist das Gesundheitswesen. Länder wie Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Serbien und die Ukraine bilden Ärzte und Krankenschwestern aus, die dann ihr Berufsleben in Deutschland, Großbritannien oder Skandinavien verbringen.
Der volkswirtschaftliche Schaden für die Herkunftsländer ist enorm, ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit innerhalb der EU und Anwerbe-Initiativen in sogenannten Drittstaaten bilden den Rahmen dieser Entwicklung. Als Schubkraft dient die extrem unterschiedliche Entlohnung; während ein Arzt in Rumänien Ende der 2010er Jahre mit durchschnittlich 400 bis 500 Euro monatlich rechnen konnte, lockten im Westen Monatslöhne von 4000 bis 5000 Euro.
In Deutschland arbeiten 2017 42.000 Ärzte und Ärztinnen[11], die ihre Ausbildung anderswo, meist in Süd- bzw. Südosteuropa, erhalten haben. Die meisten von ihnen kommen aus Rumänien, gefolgt von Griechenland. Das sind ca. 12% des gesamten deutschen Bestandes. Die volkswirtschaftliche Gewinn-Verlust-Rechnung ist einfach: Wenn die Ausbildung eines Arztes in Deutschland zwischen 200.000 und 400.000 Euro kostet, macht das bei 42.000 Ärzten, die von anderswoher auf dem Ticket des „freien Arbeitsmarktes“ ins Land kommen, ca. 12,6 Mrd. Euro aus, die sich Deutschland mit diesem Arbeitskräfteimport erspart. Wenn man jetzt noch die durch den Zuzug von Hochqualifizierten steigenden Steuereinnahmen hinzuzählt, so ist das Win-Loose-Geschäft zwischen Deutschland und dem Osten Europas perfekt.
Noch dramatischer stellt sich die Lage im Vereinigten Königreich dar. Im Jahr 2018 machten die auswärts ausgebildeten 51.000 Ärzte knapp 30% der gesamten Ärzteschaft auf der Insel aus.[12] Das heißt auch, dass Großbritannien auf den ständigen Zuzug billiger GesundheitsarbeiterInnen angewiesen sind, weil es schlicht nicht mehr in der Lage ist, die Ausbildung eigener Kräfte zu schultern.
Die Verantwortlichen in Berlin gehen denselben Weg. So betreibt die staatliche Entwicklungshilfeorganisation „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) mit viel Geld ein Programm zur Ausbildung von medizinischem Pflegepersonal in Bosnien-Herzegowina; aber nicht für dortige Kranke oder Alten, sondern für deutsche Kliniken. Das Goethe-Institut kooperiert dabei mit Sprachkursen vor Ort. Die Direktorin einer Sprachschule in Tuzla, Alisa Kadić, antwortet auf die Frage, wie sie das System findet, mit zynischem Unterton: „Das ist gut für alle, vor allem für die deutschen Unternehmen, für die es viel teurer wäre, wenn sie ihre Angestellten in Deutschland ausbilden müssten.“[13]
Einer der bosnischen Krankenpfleger, Braša Baraković, der die Chance der GIZ-Ausbildung zur Auswanderung nützt, erzählt, wieviel ihn die Sache kostet. Für den Kurs selbst berappt er 2600 „Konvertible Mark“ (KM), der Deutschunterricht schlägt mit 465 KM und die Prüfungsgebühr nochmals mit 265 KM zu Buche. Das sind alles in allem umgerechnet 1665 Euro.[14] Den Rest der Ausbildung trägt der deutsche Steuerzahler über das Entwicklungshilfebudget.
Eine Studie des „Centre for European Policy Studies“ (CEPS) nahm sich der europäischen Arbeitsstatistik an, um die gesparten Ausbildungskosten und die erhöhten Steuereinnahmen, die durch Migration in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entstehen, zu berechnen. Im Auftrag des Transportunternehmens „Movinga“ sichtete man drei Bereiche, in denen hochqualifizierte MigrantInnen tätig sind, die Bereiche „Mint“ (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), Bildung & Wissenschaft sowie Gesundheitswesen. In der vergangenen zehn Jahren war es an erster Stelle das Vereinigte Königreich, das von der untersuchten EU-Binnenmarktmigration profitierte, und zwar im Ausmaß von knapp 24 Mrd. Euro, gefolgt von Deutschland mit einem Mix aus Ersparnis durch auswärtige Ausbildung und höherem Steuereinkommen von 18 Mrd. Euro.
Ein Blick auf das österreichische Gesundheitssystem macht die Folgen des Brain Drain deutlich: Von 20.000 während der vergangenen Dekade zugewanderten Fachkräften errechnete CESP ein Haushaltsplus (über Steuern) von 600 Mio. Euro und eine Ersparnis in der Ausbildung von weiteren 700 Mio. Euro.[15] Das Plus in den Einwanderungsländern hinterlässt in den Herkunftsländern entsprechend klaffende finanzielle und soziale Lücken.
Soziale Verwerfungen und regionale Auseinanderentwicklungen sind zwangsläufige Folgen einer solchen Entwicklung. Der IWF, der in der bereits oben zitierten Studie die Massenabwanderung aus dem Osten des Kontinents als wachstumshemmend für die Herkunftsländer der MigrantInnen beschrieben hat, zieht daraus allerdings nicht den Schluss, den Sinn der forcierten Mobilität in Zweifel zu ziehen oder gar, diese durch nationalstaatliche Entwicklungsstrategien zu bremsen, sondern fordert im Gegenteil Länder wie Polen, die Slowakei oder Rumänien auf, „eine weitere Liberalisierung von Immigrationsregimen auch für gelernte Arbeiter ins Auge zu fassen.“[16]
In anderen Worten: Warschau, Bratislava und Bukarest sollen ihrerseits billige Arbeitskräfte aus der Ukraine, Belarus und Albanien ins Land holen. Genau dies ist in den vergangenen zwei Jahren passiert, indem die Ausstellung von Arbeitsvisa für Drittstaatenangehörige teilweise extrem erleichtert wurde. Seither werken drei Millionen Ukrainer in der Industrie und Bauwirtschaft Polens, die slowakische Automobilindustrie, die freilich deutschen, französischen oder koreanischen Eigentümern gehört, ist ohne ukrainische Billigarbeiter nicht mehr denkbar; und die rumänische Textil- und Bekleidungsindustrie arbeitet mit philippinischen Frauen. Sie ersetzen jene Millionen von RumänInnen, die in Spanien Erdbeeren pflücken oder in der italienischen Landwirtschaft tätig sind. Die Migrationsspirale dreht sich weiter.
Das liberale Credo von der angeblichen Notwendigkeit eines ständigen Zuzugs billiger Arbeitskräfte in Hochpreisländer wiederholt ständig das folgende Postulat: „Wir brauchen Migration, weil die schmutzige, schwere Arbeit hier niemand machen will.“ Bei nüchterner Betrachtung stößt man unschwer auf das Verhältnis von Kapital und Arbeit, um dem ideologieschwangeren Postulat etwas entgegensetzen zu können. Denn die schwere, schmutzig Arbeit will nur deshalb in Deutschland niemand machen, weil sie schlecht bezahlt ist. Würden Bauarbeiter und Altenpflegerinnen soviel verdienen wie Bankmanager, fänden sich genug heimische Arbeitskräfte und müssten nicht ständige auswärtige ins Land geholt werden. Dabei weiß jeder Mensch, dass die Arbeit am Bau oder am Krankenbett gesellschaftlich wertvoller ist als die eine Bankmanagers.
Hinweis: Von Hannes Hofbauer ist zum Thema erschienen: "Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert." Wien 2018. Promedia Verlag
Quellen und Anmerkungen:
[1] Brief von Konrad Adenauer an Anton Storch vom 14. November 1955 (Entwurf. Bundesrepublik Deutschland. Der Bundeskanzler. (händisch eingetragene Aktenzahl 7-80200-3393/55) Privatbesitz.
[2] Karl Marx, Resolutionsentwurf des Generalrats über das verhalten der britischen Regierung in der irischen Amnestiefrage. Januar 1870, MEW , Bd. 16, S. 388
[3] https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2017-01-16-8-maenner-besitzen-so-viel-aermere-haelfte-weltbevoelkerung (15.2.2020)
[4] Branko Milanović, Die ungleiche Welt. Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht. Berlin 2016, S. 142
[5] Siehe die Statistiken aus: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition 1995, Wien 1995, S. 38ff.
[6] Institut für Deutsche Industrie (1996), zit. in: Hans-Jürgen Wagener/Heinko Fritz, Transformation-Integration-Vertiefung. Zur politischen Ökonomie der Osterweiterung. In: Dies. (Hg.), Im Osten was Neues. Aspekte der EU-Osterweiterung. Bonn 1998, S. 32
[7] Es waren dies Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei und Slowenien
[8] Nadeem Ilahi/Anna Ilyina/Daria Zakharova, Emigration Slows Eastern Europe’s Catch Up With the West, 20. Juli 2016. Siehe: https://blogs.imf.org/2016/07/20/emigration-slows-eastern-europes-catch-up-with-the-west/ (20.2.2020)
[9] UN-Migrationspakt von 2018, Punkt 8. Siehe: https://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf (19.2.20)
[10] Gerald Oberansmayr, Europa hat uns zerstört. In. Werkstatt-Blatt 1/2018. Linz 2019, S. 8
[11] http://stats.oecd.org/Index.aspx?QueryId=68336 (17.2.2020)
[12] Ebd.
[13] Zit. in: Jean-Arnault Dérens/Laurent Geslin, Kein Bleiben in Banja Luka. Aus: Le Monde Diplomatique vom Juni 2018, S. 8f.
[14] Ebd.
[15] Zit. in: Die Presse vom 14. Februar 2020
[16] Nadeem Ilahi u.a. (2016)
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 06. September 2024 auf Makroskop.eu
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Free Wind 2014 / shutterstock
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