Standpunkte

Anmerkungen zu einer sterbenden Art | Von Roberto J. De Lapuente

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Ein Standpunkt von Roberto J. De Lapuente.

Wir haben uns das Aussterben der Menschheit in jeder Zeit apokalyptisch vorgestellt. Dass es heimlich und leise geschieht, noch dazu in der menschlichen Hülle, hätten wir eher nicht erwartet. Aber genau das geschieht hier und jetzt; auch während Sie diese Zeilen lesen, sind wir am Aussterben.

Die Frage, die sich für uns Pessimisten stets stellte, lautete ungefähr wie folgt: Werden wir als Spezies nach einem Atomkrieg oder noch einem Klimakollaps vom Erdenrund verschwinden? Für beide Szenarien sprach einiges, den faktisch existierenden Overkill haben wir allerdings seit Jahrzehnten aus den Augen verloren, weil wir uns einflüstern ließen, dass das Ende der Geschichte erreicht sei. Und was das Klima betrifft, war schon lange vor der aktuellen Protestbewegung klar, dass da was nicht ganz so optimal läuft, der Club of Rome mahnte bereits in den Siebzigern. Aussterben: Das war in unserer Vorstellung immer nur dieser eine Weg, den die Dinosaurier eingeschlagen hatten. Einfach vom Angesicht der Erde getilgt zu werden nämlich.

Doch vermutlich kommt es anders. Die Menschheit, wie wir sie kennen, sie lieben und hassen, sie bestaunen und ablehnen, mit all ihren Makeln und liebenswürdigen Facetten, als Schöpferin von atemberaubender Architektur und architekturraubenden Massenvernichtungswaffen: Sie wird uns langsam aber sicher abhandenkommen. Nein, es werden auch dann noch Kreaturen über diesen Planeten wandeln, die menschliche Züge aufweisen. Aber das sind nur Hüllen, die aus einer anderen, aus einer menschlichen Zeit stammen. Früher oder später wird sich vielleicht auch die Verpackung wandeln; das Relikt des menschlichen Körpers transformiert eines Tages, ganz so, wie das Innere – altmodisch als Seele bezeichnet – modifiziert wird, dass es am Ende alles Menschliche einbüßt.

Internet der Körper

Es klingt vielversprechend: Wir optimieren unsere Körper, setzen Nano-Technologie ein, um uns körperlich kontrollieren zu können, medizinisch transparenter zu machen. Der menschliche Traum vom ewigen Leben scheint nur über den Umweg des physischen Upgradens verwirklicht werden zu können. So weit hat man über Jahrhunderte nicht gedacht, als man vom ewigen Leben träumte. Schrieb man Geschichten, in denen Protagonisten nicht sterben konnten, machte man sich keine Gedanken, wie genau das bewerkstelligt werden konnte. Die Figuren starben halt einfach nicht. Orlando oder der Highlander: Who Wants to Live Forever? In der Realität muss man jedoch etwas dafür tun. Was genau, lässt sich im Silicon Valley betrachten. Dort arbeitet man an der Unsterblichkeit. Sie sei definitiv möglich, erklären Geldgeber wie zum Beispiel Peter Thiel.

Smartwatches, die Schritte zählen und den Blutdruck messen, kennen wir alle schon. Interessant wird die Geschichte offenbar für einige Visionäre erst, wenn man sie mit Nanorobotern vernetzt, die durch unseren Körper gejagt werden. Dann sind wir rund um die Uhr, Tag wie Nacht, Werk- und Feiertage, im Bilde darüber, was in unserem Innersten mit uns geschieht. Wir checken dann gleich morgens vor dem Kaffee unsere Vitaldaten, so wie früher mal altmodische Menschen als erstes aus dem Fenster guckten oder einen Blick in die Zeitung riskierten. Geht es mir gut? Diese Frage kann man dann gar nicht mehr so ohne Weiteres beantworten. Vermutlich werden viele die Frage zunächst mal bejahen. So vom ersten Gefühl her wenigstens. Aber ich muss das erst checken, die Datenlage prüfen, wird es dann heißen. Vielleicht fühle ich mich ja gut, aber es geht mir ja trotzdem schlecht.

Das Internet der Dinge hat uns längst erobert. In manchem Haushalt stehen Kühlschränke, die automatisch Lebensmittel nachbestellen können. Smart-Fernseher blenden Werbung ein: Manche nennen das Fortschritt, aber so ein TV das online Werbung einblendet, während der Werbeblock im Programm läuft, ist wahrscheinlich nur für gnadenlose Schwärmer und Konsumenten irgendwie progressiv. Das Internet des Menschen ist die nächste Fortschrittsbaustelle. Wir werden gesund sein wie nie, uns besser kennen als je zuvor: Wir werden Blutdruckwerte nach einem Date auswerten und berechnen können, ob der Cholesterinspiegel einen netten Abend bei Wein und Steak mit Freunden noch erlaubt.

Internet der Seelen: Der zweifelnde, unzulängliche Mensch wird ausgemerzt

Interessant wird es, wenn das Internet der Dinge und das Internet in uns kommunizieren. Wenn die Kaffeemaschine keinen Kaffee mehr ausspuckt, weil sie Meldung erhielt, wonach heute schon genug Koffein konsumiert wurde. Oder die Autotür öffnet sich nicht, weil der Algorithmus errechnet hat, dass es jetzt besser wäre, die acht Kilometer zum Supermarkt zu radeln. Wie reagiert man eigentlich, wenn plötzlich der Notarzt vor der Türe steht, weil das Internet in uns beim Rettungsdienst »anrief«, weil gewisse Indikatoren auf einen Infarkt in drei Wochen hinweisen? Wird dieses implementierte Internet nicht nur unseren Körper verwalten, sondern auch unsere Seelen in Besitz nehmen?

Werden wir noch Herr oder Herrin über die organischen Teile unseres Daseins sein? Werden wir in unseren Körper gefangen gehalten? Und ja, wir müssen uns fragen, in diesen Zeiten totalitärer Prägung, ob es nicht sogar sein kann, dass die Nichtbefolgung auflaufender Risikomeldungen als Straftat taugt – ein bisschen so wie dazumal, als der Suizid zur Ächtung führte, weil er als eine Form des Betruges an Gott betrachtet wurde.

Vielleicht ist das ja alles zu negativ gedacht, eventuell rebelliert dieser transhomo sapiens ja gegen diese Zustände. Aber unter Umständen gibt es ja dann auch was für die entfremdete Psyche, für den rebellischen freien Willen in uns, der in einem zwangsverwalteten, einen nanotechnologisch hochgerüsteten Körpergefängnis drinsteckt – und der nur Ärger bereitet, schlechte Stimmung erzeugt und so den Organismus lähmt und behindert. So kompliziert dürfte das nicht sein, denn die Seele, dieses Konzept aus Zeiten, da die Trennung von Körper und Geist noch als Gewissheit zirkulierte, ist ja ein chemischer Prozess. Wer den Körper kontrolliert, allerlei Werte zusammenträgt und auswertet, für den ist es ein Kinderspiel, dort Einfluss zu nehmen, wo man die Stimmung aufhellt – hier beginnt das Internet der Seelen. Und so stecken wir, besser gesagt, die, die nach uns kommen, vermutlich nicht »gegen unseren Willen« fest in uns, sondern werden es als als Ausdruck unserer Freiheit sehen, einen Körper zu verwalten, aus dem das Beste herausgeholt werden kann, was organische Zellen so hergeben. Und es muss ja auch gar nicht alles organisch bleiben.

Manipulierte Uniformität

Soma war der literarische Kniff von Aldous Huxley: Ein Suchtstoff, der Uniformität erzeugt, der so glücklich macht, dass man nicht mehr hinterfragt. Als Wesen, das die Transformation von menschlicher Kreatur zu einem digitalen Hybridorganismus durchmacht, wird so eine Betäubung letzter Reste menschlicher Regungen – des Zweifels etwa? – dringender nötig sein als je zuvor. Womöglich werden wir ein inneres Ringen erleben gegen diese Entmenschlichung, die unseren Alltag zu einer reinen Datenkontrolle in jeder Lebenslage werden lässt. Ob nun Partnerwahl, Gericht fürs Abendessen aussuchen, anstehender Kinobesuch: Nicht mehr die Befindlichkeit wird die Entscheidung beeinflussen, sondern die Datenlage, die dem neuen Menschentypus als die Vernunft der neuen Zeit angedreht wird.

Keine kantische Vernunft freilich, die auf apriorische Sittlichkeitswerte baut; auch keine kleinbürgerlichen Vernunftsvorstellungen, die sich irgendwo zwischen Sicherheit, Anstand und Unterordnung einpendeln. Nein, die neue Vernunft setzt sich aus gesammelten Daten zusammen, die zur Begutachtung jeder auf sein Display werfen kann. Von dort aus trifft man Alltags- und Lebensentscheidungen. Und wer dann doch mit einem Partner essen geht, bei dem die eigenen Werte nicht so ausschlugen, wie es sein sollte im Sinne der neuen Vernunft, muss sich vermutlich kritische Fragen – oder mehr – gefallen lassen.

Die Uniformität steckt in dieser transhumanistischen Entwicklung. Noch leben wir in Zeiten, in denen sehr viel von Individualität gesprochen wird. Tatsächlich schwindet aber auch die bereits. Die postulierte Individualität setzt sich aus Worthülsen zusammen, aus leeren Plakativparolen, die nicht die Vielfalt beschwören, sondern eine Einfalt, die sich einbildet, vielfältig zu sein. Der Trend der menschlichen Entwicklung geht eindeutig zur Uniformität und Unterordnung, zur Gleichschaltung und Gleichförmigkeit. Denn das sind Werte, mit der man den neuen Menschentypus steuern, einrichten, für seine Existenz trimmen kann. Daten mögen einen Interpretationsspielraum lassen, aber der ist zuweilen eng. In dieser Enge kann man dem transhomo sapiens Freiheiten gewähren, individuelle Entscheidungsgewalt einräumen. Alles andere überfordert ihn, wie es zuweilen einen Buchhalter abseits seiner Zahlenreihen überfordert, Prozesse einordnen zu können. Das, was droht ist nicht weniger, als dass man zum Buchhalter seiner selbst wird, zum Datenfuchser, der sein Leben rein statistisch angeht.

Nach uns, das sind keine Menschen …

Das alles ist nicht weniger als das Aussterben der Menschheit. Klar, es gibt sie dann noch, die Menschen – oder solche, die so aussehen, besser gesagt. Aber sie sind es nicht mehr. Immer wieder hat sich die Menschheit verändert, neu erfunden, anders eingerichtet. Aber die Veränderungen, die jetzt mitten im Raum stehen und auch schon um sich greifen, stellen eine Singularität dar. Der Mensch verlässt die Bühne des Organischen. Er wird zum Gott seiner selbst, homo deus wie Yuval Noah Harari diese Entwicklung in seinem Bestseller nannte. Aber göttlich ist daran wenig. Eher höllisch. Das Wesen, das der Mensch war, wird vielleicht länger leben, gesünder sein: Aber frei, spontan und lebenslustig nicht. Auf der Agenda stehen dann Selbstoptimierung und Selbstüberwachung, das Beste aus seiner Existenz rausholen, sich selbst ausschlachten, Lebenszeit mit richtigen und nur richtigen Entscheidungen ausfüllen.

Anders als Harari sehe ich das nicht als Fortentwicklung des Primaten an, der sich selbst als Teil der Menschheit sieht. Es ist sein Ende. Aus dem Menschen wird ein neues Wesen, das in kaum einer Kontiuität zu dem steht, was die Menschheit und ja, auch das Menschsein vormals ausmachte. Wir verschwinden, ohne die physische Erscheinung aufzugeben. Manche werden sagen, wir gehen in was Neuem auf. Aber nein, wir gehen nicht auf, wir steuern in die Katastrophe: Dem Ende entgegen. Das was da droht, das ist keine Menschheit 2.0 – keine bessere Chance. Das ist die Versündigung an der Natürlichkeit. Und das sage ich ohne einem Gott gefallen zu wollen. Es ist die Preisgabe dessen, was uns als Menschen lieb war: Die Unberechenbarkeiten etwa, die Spontanität oder die Zufälle der menschlichen Existenz. Ohne sie sind wir ein organischer Algorithmus – und nichts weiter.

Täglich sehen wir dabei zu, wie das Menschliche – und damit mehr und mehr, früher oder später die Menschen selbst – aussterben. Wir ersticken in einer Unfreiheit der Zustände, an Bedingungen, die menschliche Reaktionen immer unmöglicher, ja immer weniger akzeptabel machen. Was an Emotion noch da ist, versuchen Staatsführungen zu lenken, zu lotsen und zu kanalisieren. Die Technik hat uns nicht befreit und unabhängiger gemacht: Sie hat uns zu Getriebenen mutieren lassen, die jeden Tag mehr vergessen, woher sie kommen und was es wirklich ist, als Mensch zwischen Menschen zu sein. Accounts sind ja auch keine Menschen. Es wird künftig noch Wesen geben, die aussehen wie wir. Aber das sind nicht unsere Nachkommen, sondern unsere Nachfolger. Die Geschichte für uns ist aus. Wir und unsere Kinder werden uns noch wehren gegen das, was Transhumanismus bedeutet. Wenn die letzten Widerständler sterben, stirbt die Menschheit. Nach uns, das sind keine Menschen …

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. Oktober 2022 bei neulandrebellen.de

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Bildquelle: pathdoc/ shutterstock


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