Ahr-Hochwasser: Katastrophales Versagen, keine Konsequenzen, aber das „Klima“ als wohlfeile Ausrede

Ein Meinungsbeitrag von Klaus Hartmann.

Seit die Hochwasserflut am 14./15. Juli 2021 große Landstriche in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verwüstet hat, sind jetzt zwei Jahre ins Land gegangen. Dieser traurige zweite Jahrestag ist allein ein Anlass, an die Ereignisse zu erinnern. Bei mir kommt ein persönliches Motiv hinzu: ich kenne das Ahrtal seit über 25 Jahren, dutzende Male war ich dort ausflugsweise oder für längere Aufenthalte unterwegs, jeden Ort der unteren Ahr zwischen Altenburg und Sinzig kenne ich, und viele Menschen dort kann ich als gute Bekannte oder Freunde bezeichnen.

Juli 2022 bei Marienthal (Foto KH)

Mit dem zeitlichen Abstand wird das Thema zunehmend dem Blickfeld der Öffentlichkeit entrückt, weil der mediale Unterhaltungszirkus gnadenlos weiterzieht. Aber zum „Jahrestag“ erscheint immer der Bundespräsident Steinmeier, um den zunehmend frustrierten Überlebenden zu versichern, dass „wir die Menschen hier an der Ahr nicht vergessen“.(1) Tags zuvor verkündete er im ZDF-Sommerinterview zur Lieferung geächteter Streumunition an die Ukraine, wir „können den USA nicht in den Arm fallen“.(2)

Im Ahrtal sind die Fortschritte gegenüber dem ersten Jahrestag 2022 marginal. Am 11.07.2023 traute sich gar das rheinlandpfälzische Kabinett ins Ahrtal, um dort eine Sitzung zu zelebrieren, die Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte wie immer warme Worte, aber wenig Substanzielles für die Bevölkerung im Gepäck. Kritik am schleppenden Wiederaufbau wehrte sie mit der Bemerkung ab, es sei genügend Geld für den Wiederaufbau da. „Schnelle und unbürokratische Hilfe“ wurde wie immer unmittelbar nach der Katastrophe versprochen, jetzt gab Dreyer zu, dass eine Milliarde Euro gezahlt wurden – aus einem Wiederaufbaufonds von 15 Milliarden! Wo bleiben die restlichen 14 Milliarden? Dem Vernehmen nach soll der Hilfsfonds von Bund und Ländern für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sogar mit 30 Milliarden Euro ausgestattet sein – wo sind sie geblieben?(3) Konfrontiert wurde die Ministerpräsidentin auch mit der Frage nach dem Verbleib der 600 Millionen EU-Gelder für den Wiederaufbau, die im März 2023 an die Bundesregierung überwiesen, aber nicht an die Betroffenen weitergeben wurden.(4) Man sollte sich an den Bundesminister wenden, der für Hilfen zuständig ist: 2022 hat er bereits 3,9 Milliarden Euro genehmigt, im Mai 2023 nochmal 2,7 Milliarden und soeben im Juli nochmal 700 Millionen Euro.(5) Allerdings sind die nicht für Aufbauhilfe, sondern für das Gegenteil, nämlich Waffen, und sie sind für die Ukraine bestimmt, und nicht für das Ahrtal. Man muss halt Prioritäten setzen, auch Minister Pistorius und Bundeskanzler Scholz können jeden Euro eben nur einmal ausgeben.

Konsequenzen?

Es ist auch keineswegs verfrüht, nach den Lehren und Maßnahmen zu fragen, um derartige Katastrophen, zumindest mit solch unvorstellbarer Opferzahl, künftig zu vermeiden. Schließlich wird die Katastrophe zu politischen Entlastungs- und Indoktrinierungszwecken als Beispiel für die „Klimakrise“ feilgeboten, wogegen argumentiert werden sollte.

Im Dezember 2022 nutzte der Wirtschafts- und Klimaminister Habeck den Blick „auf Katastrophenszenarien wie im Ahrtal, das hat 30 Milliarden gekostet, von dem menschlichen Leid und den Toten mal ganz zu schweigen“, um seinen „Klimaschutz“ zu begründen.(6)

Am 20.06.2023 empfing Bundeskanzler Scholz in Berlin den chinesischen Regierungschef Li, und konfrontierte ihn mit dem denkbar unpassendsten Beispiel für die „Klimakatastrophe“ in Deutschland: „In Deutschland bewältigen wir noch immer die Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren.“(7) Zu der Frechheit, die Unfähigkeit der deutschen Behörden zu einer zügigen Schadensregulierung als quasi naturgegebenes Schicksal zu deklarieren, kommt die große Lüge, für das katastrophale Wetterereignis vor zwei Jahren den Klimawandel verantwortlich zu machen.

Es ist heute in Mode, jedes Wetter, ob zu warm oder zu kalt, zu nass oder zu trocken, es passt ja ohnehin nie jemand, immer auf das „Klima“ zu schieben, damit kann man verkaufsträchtige Schlagzeilen produzieren, und alle, die fast immer oder grundsätzlich mit dem Wetter hadern, fühlen sich so richtig verstanden. Denn das „Klima“ geht inzwischen ohnehin wie ein Mühlstein in jedermanns Kopf herum. Es ist für Politiker also ungemein praktisch, eigenes Versagen auf das „Klima“ abzuladen, und es hat den Vorteil, dass die so ausgelöste Angstmache und Panik die Menschen in der gewünschten Richtung konditioniert: zur Hinnahme von Ausnahmezuständen, Verboten und finanziellen Belastungen.

Zunächst ein paar Fakten zur Katastrophe, dann zum unglaublichen Umgang der Politiker und Behörden damit und schließlich zur „Klima“-Ausrede.

Die Schadensbilanz

Ab dem 12. Juli 2021 hatte sich das Tiefdruckgebiet „Bernd“ zunächst im belgisch-deutschen Grenzbereich festgesetzt, weshalb dafür auch der Name „ortsfestes Tief“ gebräuchlich ist. Solche führen meist auch zu regional sehr ausgeprägten Starkregenereignissen, die dann vom 14. zum 15. Juli 2021, in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, zu den katastrophalen Überflutungen führten. Das betroffene Gebiet umfasste von der Maas in Belgien die Ardennen und die Eifel, Luxemburg, Trier und Teile der Mittelmosel, und nach Westen hin das Rheinland mit Euskirchen und Köln, an der Ruhr bis Dortmund, das Bergische Land mit Solingen, Remscheid und Wuppertal sowie das Sauerland mit Hagen. Außer der Ahr und der Erft traten in Deutschland auch Emscher, Kyll, Lippe, Prüm, Ruhr, Rur, Swist, Sieg und Wupper über die Ufer.(8)

Am stärksten betroffen waren das Ahrtal in Rheinland-Pfalz und nordöstlich davon der Bereich an der Erft in Nordrhein-Westfalen, namentlich Bad Münstereifel. Weitere Überflutungen folgten in Südostbayern, besonders im Landkreis Berchtesgadener Land, aber auch in Schleswig-Holstein, im Osterzgebirge und der Oberlausitz.

In Nordrhein-Westfalen gab es (Stand Juli 2022) 49 Tote, entlang des verwüsteten 85 Flusskilometer langen Tals der Ahr mindestens 135 Tote und 766 Verletzte.(9) Von den an der Ahr lebenden rund 56.000 Menschen wurden ca. 42.000 von der Flutkatastrophe betroffen. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) schätzt, dass mindestens 17.000 von ihnen Hab und Gut verloren haben oder erhebliche Schäden erlitten haben. Die Flut riss mindestens 467 Gebäude mit sich, darunter mindestens 192 Wohnhäuser. Von den 4.200 Gebäuden entlang der Ahr sind geschätzt mehr als 3.000, also mehr als 70 Prozent, beschädigt worden. Nach Angaben der Versicherungswirtschaft belaufen sich allein die versicherten Schäden auf 8,2 Milliarden Euro.(10) Zehn Kitas und 17 Schulen wurden schwer beschädigt, 36 Arztpraxen und mehrere Krankenhäuser wurden zerstört.(11)

Laut Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen standen die Felder von mindestens 75 Bauernhöfen komplett unter Wasser. Auch viele Winzer aus dem Ahrtal erlitten enorme Schäden. Peter Kriechel, Vorsitzender des Ahr-Weinverbandes, zählte nur vier von 50 Betrieben als nicht betroffen, aber 10-20 schwer bis komplett zerstört.(12) Der Schaden allein an gelagertem und nun in Flaschen und Fässern weggespültem Wein beträgt rund 50 Millionen Euro.

Rechtzeitige Warnungen – überhört

Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der britischen Universität Reading erklärte bei ZDF heute, dass es die Unwetter-Warnungen für den Westen Deutschlands frühzeitig, sogar im Ausland gab, da „man schon mehrere Tage vorhersehen konnte, was bevorsteht“. Das Europäische Flutwarnsystem EFAS (European Flood Awareness System) habe bereits am 10. Juli „Warnungen an die deutsche und die belgische Regierung“ übermittelt – insgesamt 25 Warnungen. Die erste also am Samstag, fünf Tage vor der Flutnacht am 14./15. Juli! Prof. Cloke nannte es „unglaublich frustrierend“ und ein „monumentales Systemversagen“, dass alle notwendigen Warnmeldungen herausgegangen seien, aber „die Meldungen sind nicht bei den Menschen angekommen“.(13) Das Interview der Hydrologin in The Sunday Times trägt die Überschrift: „Deutschland wusste, dass die Überschwemmungen kommen, aber die Warnungen haben nicht funktioniert“.(14)

Nach den Worten des DWD-Meteorologen Marcus Beyer sind die Warnungen „am Montagmorgen, drei Tage vorher“ rausgegangen, man habe Gemeinde-genau mit genug zeitlichem Vorlauf vor Regenmengen von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter gewarnt. Ein DWD-Sprecher moniert, dass die Warnmeldungen nicht von allen Medien verbreitet worden seien, obwohl vielerorts die höchste Warnstufe gegolten habe. „Die Wetterlage ist extrem – die höchsten Mengen werden voraussichtlich im Umfeld der Eifel fallen. Hier sind verbreiteter über 80 Liter zu erwarten. Stellenweise und eng begrenzt könnten sogar bis knapp 200 Liter innerhalb von 48 Stunden herunterkommen“, so DWD-Meteorologe Felix Dietzsch am 13.07.2021 bei ZDF heute Wetter.(15) „Auch das nordrhein-westfälische Innenministerium räumt inzwischen ein, dass die Überflutungen nicht überraschend kamen. Amtliche Warnungen vor extremem Unwetter hätten sich am vergangenen Montag um 10:28 Uhr konkretisiert“, zitiert der Tagesspiegel aus Bild.(16)

Nach Wetter-Experte Jörg Kachelmann im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags zeigten alle Wettermodelle schon mit mehreren Tagen Vorlauf das hohe Risiko von extremem Starkregen für die Eifel. Bereits zwei Tage vor der Flutwelle hätten die Behörden deshalb Evakuierungen planen und die Bevölkerung vorwarnen können und müssen.(17) Der Landkreis Ahrweiler hatte um 23:09 Uhr eine Evakuierungsmeldung für Gebiete 50 Meter rechts und links des Flusses Ahr gegeben.(18)

Prof. Cloke: „Es fehlt eine bundesweit einheitliche Herangehensweise an Flutrisiken. Es braucht unterschiedliche Flutpläne für verschiedene Szenarien.“ Für den Katastrophenschutz sind in Deutschland die Städte und Landkreise zuständig, der Bund nur für den sogenannten Zivilschutz – im Kriegsfall. Und der Katastrophenschutz, obwohl staatliche Daseinsfürsorge, rekrutiert sich überwiegend aus ehrenamtlichen Freiwilligen. Nach dem vermeintlichen Ende des „Kalten Krieges“ wurden vielerorts die Alarmsirenen abgebaut, stattdessen gibt es eine „Warnapp NINA“ mit 7,6 Millionen Nutzern, die allerdings beim Ausfall des Netzes nicht warnen kann.

Nach dem Desaster an Ahr und Erft „forderte“ Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine umfassende Aufarbeitung „etwaiger Fehler“! „Gibt es Dinge, die nicht gut gelaufen sind, gibt es Dinge, die schief gelaufen sind?“. Dabei gehe es „nicht um Schuldzuweisungen“, und um denen zuvor zu kommen, behauptet er: „anders als bei früheren Hochwasserkatastrophen hätten die Menschen diesmal nicht Stunden oder Tage gehabt, um sich vorzubereiten“. Und warum fehlte diese Zeit? Weil Merkel, Altmeier & Co die Warnungen in den Wind schlugen, da will man freilich keine Schuldzuweisungen hören. „Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden“, so Fraktionsvize Michael Theurer. „Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt.“ (19)

Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz redete sich bei Fragen zu ausgebliebenen oder verspäteten Warnungen an die Bevölkerung auf die „geltende Rechtslage“ heraus: „Der Bevölkerungsschutz in Deutschland liegt nicht in einer Hand“, um sogleich in Schönfärberei überzugehen: Immerhin stelle der Bund eine umfangreiche „Warn-Infrastruktur“ zur Verfügung. Sie meint die erwähnte App auf Smartphones, und dann kommts: „Diese technischen Instrumente haben während der Flutkatastrophe funktioniert und damit auch zum Schutz der Bevölkerung erheblich beigetragen.“(20) Halleluja.

Der Präsident der Bundesvereinigung des Technischen Hilfswerks (THW), Marian Wendt, beschuldigt die politisch Verantwortlichen in den Flutgebieten, durch Fehlverhalten für eine deutliche höhere Zahl an Todesopfern verantwortlich zu sein. Er verlangte „ein anderes, zentraleres System“ zur Warnung.(21)

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach war ganz in seinem Element: „Beim Katastrophenschutz sind wir genauso schlecht vorbereitet wie beim Pandemie-Schutz.“ Deutschland müsse sich besser auf künftige Pandemien und Naturkatastrophen vorbereiten.(22)

Warnungen in den Wind geschlagen

Doch zur allgemeinen Beruhigung half die Meldung „Landrat von Ahrweiler legt Amt nach Flutkatastrophe nieder“ ungemein. Nicht wegen irgendeines schuldhaften Versagens, sondern „krankheitsbedingt“, bzw. wie der CDU-Kreisverband Ahrweiler zu Protokoll gab: man benötige einen „unbelasteten Neuanfang“.(23) Die Welt kommentierte: „Die deutsche Bürokratie hat ihr Bauernopfer gefunden.“

Konkret hatte das Mainzer Landesamt für Umwelt am Nachmittag des 14. Juli veröffentlicht, dass die Pegel des sogenannten Jahrhunderthochwasser von 2016 (3,70 Meter) bei weitem überstiegen werden. Kurz nach 20 Uhr hat es eine Flutwelle von sieben Metern für die frühen Morgenstunden des 15. Juli im Ahrtal vorhergesagt.

Der (inzwischen gegangene) rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD, Airbase Ramstein-Fan) wird mit den Worten zitiert, natürlich hätte man evakuieren können, aber das sei nicht seine Entscheidung gewesen, sondern die des Kreises. Dummerweise hat er mit dem (ansonsten ganztägig abwesenden) Katastrophenschutzleiter Landrat Pföhler (CDU) um 17.40 Uhr den Krisenstab in Ahrweiler besucht, und mit ihm auch gegen 19.30 wieder verlassen – und sich in Sicherheit gebracht. (24) Die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (GRÜNE) gab am Nachmittag des 14. Juli die Mitteilung heraus, dass „kein Extremhochwasser“ zu erwarten sei. Eine Sorge hatte sie aber bei den Hinweisen an die Campingplatzbetreiber: „Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe.“ Tags darauf, im Angesicht der Katastrophe, hatte Spiegel andere Sorgen: „wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“ – so ein interner Chat, der im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe zur Sprache kam.(25) Dies und ihr noch während des Hochwassers angetretener dreiwöchiger Urlaub kostete sie später ihr neues Amt als Familienministerin in der Bundesregierung.

Der SWR hat die Chronik der Katastrophe rekonstruiert: „Die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Cornelia Weigand, … habe schon nachmittags telefonisch im Landratsamt darum gebeten, den Katastrophenalarm auszurufen: ‚Weil alle Daten der Pegelprognosen, die wir sehen, zeigen, dass wir mindestens Stand Jahrhunderthochwasser 2016 haben; und so wie es aussieht, es höher wird. Auch, wenn wir alle die Zahlen am Anfang, von 5,50 Metern, nicht glauben konnten.‘“ Es geschah: nichts. Um 19:30 Uhr klettert der Pegel in Altenahr auf 3,92 Meter, das Wasser steht erstmals höher als 2016. Um 20:45 Uhr erreicht der Pegelstand der Ahr bei der Messstelle Altenahr 5,75 Meter. Fast zeitgleich, um 20:43 Uhr, liegt die letztendliche Prognose für den Höchststand bei 6,92 Metern.“(26) Cornelia Weigand wurde inzwischen zur Landrätin des Kreises Ahrweiler gewählt.

Der Kreis Ahrweiler twittert um 20.56 Uhr, dass es Hochwasser und Starkregen an der Ahr gäbe. Der aktuelle Pegelstand sei 5,09 Meter. Mit weiteren Sturzfluten sei zu rechnen. Doch schon 11 Minuten vorher, um ca. 20.45 Uhr war der Pegel in Altenahr beim Stand von 5,75 Meter von den Fluten weggerissen worden. Der Krisenstab meldete also einen überholten Pegelstand, und bemerkte auch nicht, dass sich der Pegel ab 5,75 Meter nicht mehr bewegte. Letztlich landete der Pegelstand bei Altenahr nach Berechnungen bei sieben Metern – manche sagen sogar bei neun Metern.(27)

„Um 23:15 Uhr löst der Krisenstab im Kreis Ahrweiler als letzter betroffener Landkreis die höchste Alarmstufe aus. Jedoch veranlasst er lediglich für Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Bodendorf und Sinzig, die Häuser links und rechts der Ahr in einem Abstand von 50 Metern zu evakuieren.(28) Das war entschieden zu spät und obendrein zu gering bemessen. Die Ahr erreichte stellenweise eine Breite von gut 500 Metern – 250, besser 300 Meter hätte das Evakuierungsgebiet beidseitig des Flusses betragen müssen. In Sinzig an der Ahr-Mündung hätte man bei rechtzeitiger Warnung Stunden Zeit gehabt, die Bewohner des Heims für Menschen mit geistiger Behinderung zu evakuieren – es liegt 200 Meter vom Ahrufer entfernt. Hier kamen zwölf Menschen ums Leben.

Landratsamt warnte, als alles zu spät war

Um 23:23 Uhr wird die höchste Alarmstufe von der Kreisverwaltung getwittert, um 23:27 Uhr folgt auf ihrer Facebook-Seite der Appell, die Häuser nicht zu verlassen und sich in höhere Stockwerke zu begeben. Zuvor hatten Bewohner von Altenahr um 18.34 Uhr den Notruf 112 angerufen. Eine Frau erhielt, wie ihr Vater im Nachbarhaus, den Rat „Gehen Sie ins Haus“, dort seien sie sicher. „Es ist ein verhängnisvoller Satz. Gegen 22.40 Uhr ertönt ein heftiges Krachen. Die Giebelwand des Elternhauses bricht ab, das Wasser reißt die Bruchstücke davon.“ Den Vater sprach die Frau am Abend zum letzten Mal. (29)

Zum Focus sagte Achim Gasper aus Altenahr-Altenburg, dessen Schwiegermutter die Flutnacht nicht überlebte: „Ich war noch um 19 Uhr bei der Oma, wenn sie rechtzeitig evakuiert hätten, würde sie noch leben … hier kann man überall schnell auf die Berge hoch“. (30)

Markus Wipperfürth aus Pulheim, seit Wochen an der Ahr als Helfer unterwegs, gegenüber dem Kölner Express (15.09.2021): „Ich bin das ganze Ahrtal hochgefahren. Wenn 200 Liter Regenwasser pro Quadratmeter fallen, kannst du nur beten. Doch ich sage auch: Es hätte niemand sterben müssen. Ein Freund von mir hat drei Tage zuvor gesagt: ‚Bereite dich vor, wir kriegen ein Unwetter.‘ Er hat am 11. Juli einen Post gemacht und gewarnt: ‚Räumt die Campingplätze.‘ Und es ist genau so gekommen, wie er es vorhergesehen hat. Es ist einfach nicht evakuiert worden. “

Der Krisenforscher Frank Roselieb sagte der Koblenzer Rhein-Zeitung: Dass im Kreis Ahrweiler kein Voralarm ausgelöst worden sei, sei unerklärlich. Dies hätte frühzeitige Notmaßnahmen ermöglicht. Als schließlich gegen 23:15 Uhr Evakuierungen angeordnet wurden, seien bereits Häuser von den Wassermassen mitgerissen worden.(31) Um 23:23 Uhr verkündete die Kreisverwaltung die schlechte Nachricht auf Twitter, um 23:27 Uhr auf ihrer Facebook-Seite, da saß die Bevölkerung sicher ganz gespannt vor ihren PCs. Lediglich in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Bodendorf und Sinzig sollten die Häuser in einem Abstand von 50 Metern zur Ahr evakuiert werden, ansonsten solle die Bevölkerung die Häuser nicht verlassen und sich in höhere Stockwerke begeben.(32)

Tragisch anschaulich wird das „Behördenversagen“ angesichts der Feuerwehrdurchsagen in Bad Neuenahr-Ahrweiler kurze Zeit vor dem Höhepunkt der Flut, lt. Focus: „Gegen 21 Uhr war auch die Feuerwehr über die Kreuzstraße gefahren und hatte über Lautsprecher gewarnt: ‚Sichern Sie ihre Fahrzeuge. In den nächsten 24 Stunden wird Hochwasser erwartet.‘ Im 21 Kilometer entfernten Altenahr stand der Pegel zu diesem Zeitpunkt schon auf 5,75 Meter.“(33) Ein weiteres Flutopfer, ein Weinhändler aus Ahrweiler stand kurz vor der Eröffnung seiner Vinothek in Marienthal, ein paar Kilometer ahraufwärts. Er berichtet, dass um 21.30 Uhr ein Feuerwehrfahrzeug entlang kam mit der Durchsage „Es wird jetzt der Strom abgestellt“ – wenn man das als „Warnung“ verstehen soll …? In Ahrweiler ist die Feuerwehr durch die Stadt gefahren: „Holen Sie bitte ihre Fahrzeuge aus den Tiefgaragen!“ „Das ist ja diese Tragödie, die dann passierte – aus dieser Tiefgarage am Ahrweiler Marktplatz wurden 13 Leichen herausgeholt, die noch im Auto saßen, Leute, die versucht haben, ihr Auto zu retten …“.(34)

Beweisführung“ durch Erleben statt durch Fakten

„Die Wahrscheinlichkeit für solche Naturkatastrophen steigt. Das liegt auch am Klimawandel“(35), weiß man beim ZDF. „Alles Klima“ oder was? Eine wohlfeile Ausrede. Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft der Welt, schreibt: „Die Ahrtal-Flut hat ein neues Muster der Umweltdebatte gezeigt: Statt zu klären, welche der desaströsen Folgen mit richtigem Katastrophenschutz vermeidbar gewesen wären, schiebt die Politik alles auf den Klimawandel. Die Methode geht bereits um die Welt – mit fatalen Folgen.

Dieses Jahr wurde die globale Erwärmung zur akzeptierten Ausrede für Naturkatastrophen, hinter der sich Verantwortliche verstecken können. Nachdem im Juli ausdauernder Regen für desaströses Fluss-Hochwasser in Westdeutschland gesorgt hatte, überboten sich Politiker und Medien darin, die Fluten als Folge der globalen Erwärmung zu beschreiben. Dass erneut mindestens 184 Menschen sterben mussten, war ein Skandal.

Vorwarnung und Evakuierung hätten sie rechtzeitig aus der Gefahrenzone bringen können. Wer jedoch darauf hinwies, erntete wütende Proteste, wurde als Leugner der menschengemachten Erwärmung beschimpft. Politiker können darauf vertrauen, dass Journalisten ihnen das Klimakatastrophen-Argument abnehmen.“(36)

Aber ist das ein Argument gegen die ursächliche Verantwortlichkeit des Klimawandels für die Hochwasser-Katastrophe? „Angesichts der offensichtlichen Wetterdaten war vielen Meteorologen schon früh klar: Solche extremen Regenfälle mit 93 Litern pro Quadratmeter hat es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nicht in Deutschland gegeben“, gibt ein Marcus Pfeiffer in der ARD-tagesschau zu Protokoll: „Die extremen Starkregenfälle vom Juli und die damit verbundenen Hochwasserschäden sind mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch eine Folge des Klimawandels.“(37 )Also erstens sind Meteorologen keine Klimatologen (wir erinnern uns: Wetter ist nicht gleich Klima). Zweitens müssten die Niederschlagsmengen zu einem Zeitraum ins Verhältnis gesetzt werden, 24 Stunden zum Beispiel, drittens waren sie vor der Flut im Juli 2021 am Oberlauf der Ahr deutlich höher (150 Liter / 24 Std.), viertens: was heißt „wahrscheinlich“? Man weiß es nicht, man munkelt’s nur? Und welche Qualität bedeutet „Niederschlagsmengen wie seit 90 Jahren nicht“? Aber schließlich darf der „ARD-Wetter- und Klimaexperte Sven Plöger“ (ein Experte für beides, wie kommt das?) beglaubigen: „Das sind ganz wichtige Ergebnisse, weil sie uns eben zeigen, dass es tatsächlich einen Einfluss des Klimawandels auf dieses Ereignis gegeben hat.”

Wer erinnert sich?

„Vergesslich“ zeigte sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach einem Besuch der Hochwassergebiete, wo er einen „unglaublichen Weckruf der Natur“ erkannte: „Das Klima verändert sich und das hat Folgen. Starkwetterereignisse nehmen zu.“ Offenbar ist ihm das katastrophale Hochwasser 1910 in Bayern entfallen, wo infolge 36 Stunden Starkregen der Bodensee teilweise über die Ufer trat, der Bahnverkehr zwischen Lindau und Kempten unterbrochen wurde, die Ammer die Bahngleise bei Weilheim überschwemmt hat, die Loisach fast alle Brücken fortgerissen hat und der Bahnhof in Garmisch nicht mehr zu erreichen war.(38)

Unter einem „Jahrhunderthochwasser“ wird üblicherweise das mit dem höchsten Pegelstand seit Beginn des Jahrhunderts verstanden. Deshalb war bisher vom sogenannten Jahrhunderthochwasser von 2016 (3,79 Meter) die Rede.(39) Abseits des Journalismus liegt dem Begriff in der Wissenschaft zu Grunde, dass ein Hochwasser solchen Ausmaßes nach statistischer Wahrscheinlichkeit nur einmal in hundert Jahren auftritt. Aber wer erlebt das schon zwei Mal? Selbstverständlich gilt nun das Hochwasser 2021 als das Jahrhunderthochwasser. Ministerpräsidentin Malu Dreyer:Ich habe noch nie so eine Katastrophe gesehen“.(40) Was bei ihrem Lebensalter nicht verwundert. Denn 1910 war sie noch nicht geboren, da gab es schon mal „so eine Katastrophe“, garantiert kann sie sich und keiner der ganzen Experten um sie herum auch nicht an die Katastrophe 1804 erinnern, die noch heftiger war als die von 2021, und sicher auch nicht an die Ahr-Hochwasser von 1719 und 1601.

Noch nie dagewesen? „Beschämend“!

Im Gespräch mit dem SWR kritisiert auch der Katastrophenforscher Professor Wolf Dombrowsky aus Bremen die Arbeit des Krisenstabs. Er lenkt den Blick auf die ähnlich schlimmen Katastrophenlagen im Ahrtal in den vergangenen Jahrhunderten, etwa 1804 und 1910. Man müsse die eigene Geschichte kennen, um vorbereitet zu sein. Es sei „beschämend“, so zu tun, als sei es noch nie dagewesen.(41)

Wann auch immer der „Beginn der Wetteraufzeichnungen“ begann, diese Jahrhunderthochwässer sind in Urkunden und Chroniken dokumentiert. Nach dem Geografen und Heimatforscher Dr. Karl August Seel (verstorben 2018) ist das Ahrtal durch relativ große Höhenunterschiede, tiefe Täler und enge Flusswindungen mit Trichterwirkung gekennzeichnet. Im Normalfall regnen die Tiefdruckgebiete bei Westwetterlage über Eifel und Ardennen ab, das „ändert sich jedoch sprunghaft nach Gewittern, anhaltendem Regen … [oder] Schneeschmelze – dann werden aus den munteren, lieblichen Bächen reißende, tobende Ströme, die über ihre Ufer treten und die Täler ausfüllen.“(42)

In „Die Ahr und ihre Hochwässer in alten Quellen“ listet Dr. Seel 83 Einträge zwischen dem 16. August 1348 und dem 1. April 1962 auf. Die Dorfchronik von Antweiler am Oberlauf der Ahr berichtet von Unwettern am Tag vor Christi Himmelfahrt 1601, die Sturzflut habe 16 „Gebeuten, Heusern, Scheuren und Stellen“ mitgerissen, 9 Personen seien ertrunken – von damals etwa 180 Einwohnern.

Über das „größte und folgenschwerste Hochwasser der Ahr“ am 21. Juli 1804, liegen detaillierte Berichte, gesammelt von Hans Frick vor, die sich im Staatsarchiv Koblenz befinden.(43) „Durch Gewitterregen führte die Ahr bereits seit Tagen Hochwasser, als am 21. Juli 1804 ein erneutes Unwetter in der Hoch- und Ahreifel sich mit riesigen Niederschlägen entlud. Alle zur Ahr führenden Nebenflüsse, vor allem der Trier-, Adenauer- und Kesselinger Bach, schwollen innerhalb kürzester Zeit stark an. Eine alles wegreißende Flutwelle füllte die Täler und ließ das gesamte Ahrsystem über die Ufer treten.“

Gertrud Grommes hat anhand von Hochwassermarken ermittelt, dass „der Höchststand dieses Hochwassers in Antweiler 2,50 m und in Dernau 1,85 m höher gewesen ist als das Katastrophenhochwasser von 1910. Im gesamten Einzugsbereich der Ahr verursachte das Unwetter und das anschließende Hochwasser riesige Sachschäden und forderte 63 Menschenleben. 129 Wohnhäuser, 162 Scheunen und Stallungen, 18 Mühlen, 8 Schmieden und nahezu alle Brücken, insgesamt 30, wurden von den Wassermassen weggerissen. Weitere 469 Wohnhäuser, 234 Scheunen und Ställe, 2 Mühlen und 1 Schmiede wurden beschädigt. 78 Pferde und Zugrinder kamen in den Fluten um, Obstbäume wurden entwurzelt, Weinberge abgespült, die gesamte Ernte vernichtet und Wiesen und Felder in der Talaue hoch mit Sand und Kies überschüttet.“(44)

Dr. Seel: „In Ursache und Wirkung war das Hochwasser von 1910 eine Wiederholung des von 1804. Wie damals tobten an den Unglückstagen nach vorhergehenden, anhaltenden Regenfällen heftige Wolkenbrüche zwischen Hoher Acht und Hochkelberg. Hohe Niederschläge fielen in kurzer Zeit in den Einzugsgebieten aller von hier zur Ahr entwässernden Bäche. Wie 1804 führten vor allem der Trierbach und Adenauerbach riesige Wassermengen — geschätzt wurden 33 000 000 cbm im gesamten Einzugsgebiet der Ahr — in einer gewaltigen Flutwelle zum Hauptfluß. Dieser schwoll ebenfalls sprunghaft an und trat alles mitreißend über seine Ufer. Durch Hölzer, Baugerät und anderes Material der gerade im Bau befindlichen Eisenbahnlinie Dümpelfeld – Lissendorf wurde das Hochwasser und seine Wirkung, vor allem im oberen und mittleren Ahrtal noch verstärkt. Das mitgeschwemmte Material staute sich an allen, den Abfluß hindernden Brücke und Bauwerken, die unter dem gewaltigen Wasserdruck zerbrachen und zerstört wurden. Die Katastrophe forderte insgesamt 52 Menschenleben, zumeist Bahnarbeiter. Diese wurden teilweise mit ihren Baracken fortgerissen und ertranken. Alle Ortschaften im Tale des Trierbach, Adenauerbach und der oberen und mittleren Ahr erlitten erhebliche Schäden, nahezu alle Brücken wurden zerstört.“ Eine andere Quelle nennt 70 Todesopfer.(45)

Allein die Jahreszahlen der Jahrhunderthochwässer an der Ahr 1601, 1719, 1804 und 1910 machen deutlich, dass der heute gängige „Referenzpunkt“, der „seit Beginn der Industrialisierung“ lautet, in diesen Fällen ganz schlecht passt. Wer käme auf die Idee, den menschengemachten Anteil von CO2-Emissionen mit den historischen Hochwässern in Verbindung zu bringen? Abgesehen davon, dass die ansteigende Erwärmung der Athmosphäre damit auf den „Beginn der Industrialisierung“, also auf ca. 1850 ff. datiert wird, also eine Zeit, in der just die „Kleine Eiszeit“ des Mittelalters zu Ende ging. Nach Ende der „Kleinen Eiszeit“ wird es wieder wärmer? Kaum zu glauben.

Politikversagen – seit über hundert Jahren

Das Hauptproblem bei der Klimaerzählung ist, dass damit dringend erforderliche konkrete ökologische Maßnahmen zum Hochwasserschutz in den Hintergrund gedrängt werden. Eigentlich keine neue Erkenntnis: „Der Biologe Wolfgang Büchs von der Universität Hildesheim kritisiert, dass es an der Ahr seit langem an technischen und baulichen Hochwasserschutzmaßnahmen fehlt. Zwar sei der Bau von Hochwasserrückhaltebecken im Bereich der Nebenbäche des Ahrtals schon 1907 geplant worden. Stattdessen aber sei ab 1925 der Nürburgring gebaut worden, um die regionale Wirtschaft zu stärken.“(46)

Albrecht Broemme hat seit fünf Jahrzehnten Erfahrung im Krisen- und Katastrophenmanagement, u.a. als Feuerwehrchef in Berlin und Präsident des Technischen Hilfswerks: „Es ist in Deutschland extrem unbeliebt, aus Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen, extrem.“ Broemme studierte erst einmal die alten Pläne, erstellt nach dem Hochwasser 1910: „Und da hat man nicht nur Dämme aufgebaut und andere Brücken wiederaufgebaut, sondern man hat auch gesagt, wir müssen Überflutungsgebiete machen, um einfach Rückzugsflächen zu bieten, dass das Hochwasser nicht in einem Schwung durchs Ahrtal saust, sondern, dass das ein bisschen in Etappen verteilt. Ein intelligentes, gut geplantes System hatte man damals.“

Dem Fluss mehr Raum geben, den Druck aus dem Tal nehmen, wo nötig die Orte zusätzlich schützen. Ein ausgeklügeltes Hochwasserschutzkonzept. Dann aber kam der Erste Weltkrieg, die Wirtschaftskrise. „Und zehn Jahre nach dem Hochwasser wollte man anfangen, diese Dinge zu realisieren. Und da hat man gesagt, die Gelder nehmen wir lieber für den Bau des Nürburgrings. Also ironisch und spitz ausgedrückt: Der Nürburgring ist eigentlich das Rückhaltebecken der Ahr.“ Broemme fragt: „Was müssen wir ändern, und zwar konsequent ändern? Und dazu gehört, dass man sich bewusst wird, welche Abhängigkeiten bestehen zwischen Landwirtschaft, Waldbau, Straßenbau, Wohnungsbau und den Flüssen zum Beispiel.“(47)

Umweltschutz und ökologischer Hochwasserschutz: Fehlanzeige

Nach der Expertise von Lothar Schrott, Geographie-Professor und Katastrophenforscher der Uni Bonn, müssten die Behörden am Oberlauf des Flusses zukünftig über Überflutungsflächen und Regenrückhaltebecken nachdenken und am Unterlauf vermehrt Hochwasserschutz installieren. „Ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Wiederaufbau muss her, nicht nur schnell, sondern auch nachhaltig.“(48)

So auch die vormalige Bürgermeisterin von Altenahr und jetzige Landrätin Cornelia Weigand im Interview nach der Flut über den erforderlichen Hochwasserschutz: „Es braucht Wasserrückhaltung im Quellbereich und in den Seitentälern. Selbst bei kleinen Senken, wo normalerweise gar kein Wasser fließt. Das Wasser muss anders gelenkt werden, wir brauchen ganz andere Brückenbauwerke. Nur kleine, lokale Maßnahmen bringen bei solch einer Sturzflut wenig. Wir brauchen Fluchtwege, ähnlich wie in Tsunami-Regionen. Dort wird die Bevölkerung konsequent informiert und ausgebildet. Sie wissen zum Beispiel, welche Straßen auf den Berg führen und wo es einen sicheren Raum für 200 Menschen gibt, an dem sie sich sammeln können. In der besonders gefährdeten Zone liegen die Grundstücke im Abflussgebiet mit höchster Strömung. Dort müssten die Leute schlussendlich enteignet werden. Dann braucht es ein neues Baugrundstück und Hilfe beim Aufbau.“(49)

Ein anderes grundlegendes Problem nennt „Deutschlands bekanntester Förster“ Peter Wohlleben, er wohnt in der Eifel und erlebte die Flutkatastrophe aus nächster Nähe: „Ein intakter Wald könnte auch große Wassermassen wegstecken“, doch „viele unserer Wälder sind grüne Wüsten“.(50)

Wohlleben: „Bäume können nicht weglaufen, sondern müssen auch mit natürlichen Klimaschwankungen klarkommen. Sie schließen sich dafür zu großen Gemeinschaften, riesigen Urwäldern, zusammen. Über solchen Wäldern regnet es auch mehr. Der Wald sorgt mit Verdunstung für seine eigene Feuchtigkeit. Das ist exakt das, was wir auch wollen: Wir möchten keine Hitze, keine Dürre und kein Hochwasser haben. Wir sind im Epizentrum der Starkregenfälle in der Eifel gewesen. Auch das kann ein intakter Wald: irre Mengen Wasser aufnehmen. Bis zu 200 Liter pro Quadratmeter. In dem alten Buchenreservat bei uns am Forsthaus wurde noch nicht mal das Laub vom Boden weggeschwemmt. Das ist ein Steilhang, da hätte es laufen müssen. Aber der alte Wald hat das Wasser praktisch komplett aufgenommen. Regentropfen werden ständig gebremst, wenn sie auf den Boden fallen.

Der Zustand des deutschen Waldes ist sehr schlecht, und zwar nicht wegen des Klimawandels. Der Klimawandel hat nur die Probleme verschärft, die sowieso schon da sind. Der Großteil der Bäume steht in naturfernen Plantagen mit Baumarten, die aus dem hohen Norden kommen. Die brauchen es kühl und feucht, und das haben sie hier noch nie gehabt. Jetzt werden sie von Schwächeparasiten wie dem Borkenkäfer befallen. Da heißt es dann: „Hey, wir haben eine Borkenkäferkatastrophe!“ Nein, das ist ein Plantagensterben, das der Borkenkäfer nur schneller zu Ende bringt. Ein intakter Baum wehrt sich dagegen durch eigene Abwehrstoffe. Das System reagiert sofort. Ich vermute, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre 50 Prozent unserer Waldfläche zusammenbrechen und verschwinden wird. Das sind nämlich genau diese Nadelwaldplantagen.“

Für all die genannten ökologischen Erfordernisse ist die „Politik“ offenbar blind. Einerseits wird medienwirksam über das „Klima“ schwadroniert, doch wenn es um konkrete Taten im Bereich der Raumplanung geht, z.B. nicht alle Flächen an der Ahr wieder zuzubauen, stellt sich die rheinland-pfälzische Verwaltungsvorschrift für den Wiederaufbau dagegen. Im Ministerialblatt vom 1. Oktober 2021 ist geregelt, wofür staatliche Finanzhilfen aus dem milliardenschweren Fluthilfefonds fließen. Danach gibt es nur öffentliche Gelder, wenn genau wie vor der Flut wieder aufgebaut wird. Zusätzliche Hochwasserschutz-Maßnahmen sind nicht vorgesehen – und werden auch nicht bezahlt.(51) Das dringende Erfordernis, der Ahr mehr Raum zu geben, kommt so „nachhaltig“ unter die Räder.

Auch Albrecht Broemme bleibt skeptisch und spricht von „Hochwasserdemenz. Das heißt, im halben Jahr ist die Hälfte vergessen, in einem Jahr alles.“ (52) In derselben Sendung verweist Wolfgang Büchs auf ein Foto vom Parkplatz am Tunnel bei Altenahr, „eine große versiegelte Fläche, die wir schon 1993 gebeten haben, zu beseitigen. Ist nicht geschehen, bis der Fluss kam und sozusagen hier diese Beseitigung vorgenommen hat.“

Erst habe sich die Ahr beim Hochwasser den Raum geholt, „den sie eigentlich braucht“, und neue Auenlandschaften geschaffen. Doch dann hätten Bagger und Bulldozer bei den Aufräumarbeiten in oft unkoordinierter „Wildwestmanier“ drastisch eingegriffen und ökologisch wertvolle Bereiche und Rückhalteflächen für Hochwasser wieder zerstört, meint der Hildesheimer Biologieprofessor und Ahrtal-Kenner Wolfgang Büchs, der ein dreibändiges Werk über das Flusstal veröffentlicht hat. Neben der Kritik, dass es bis heute noch so gut wie keine Regenrückhaltebecken an der Ahr gebe, präsentiert er ein ganzes Bündel von Vorschlägen für besseren Hochwasserschutz: mehr Uferwiesen, weniger erosionsanfälliger Maisanbau, mehr Mischwald statt absterbender Fichtenbestände, weniger Bodenversiegelung in Dörfern, Weinreben auf Querterrassen statt in Falllinie an Hängen – all dies ließe weniger Regenwasser in die Ahr gelangen. (53)

Ob in Landesregierungen und Bundesregierung der erforderliche ökologische Sachverstand Einzug hält, kann man nach den Äußerungen und Taten der Politdarsteller bezweifeln. Warum sollen die auf PR-Effekte versessenen Selbstdarsteller plötzlich Lehren aus einer Hochwasserkatastrophe ziehen, wenn sie uns in anderen Disziplinen mit Inflation und Energiekrise, Wohnungsnot und Deindustrialisierung, massenhafter Verarmung und Enteignung des Mittelstandes, Ausnahmezuständen, Abbau demokratischer Rechte sowie Diskreditierung von Kritikern und nicht zuletzt mit einem größenwahnsinnigen Krieg gegen Russland und einer verschärften Konfrontation mit China beglücken? Wie soll sich inmitten all dieses regierungsamtlichen Wahnsinns die Vernunft durchsetzen?

Quellenangaben und Anmerkungen:

8 Deutscher Wetterdienst, Hydro-klimatologische Einordnung der Stark- und Dauerniederschläge, Stand 21.07.2021

38 Neue Hamburger Zeitung, drei Tage nach der Flutkatastrophe an der Ahr am 16. Juni 1910

43 Frick, Hans: Das Hochwasser von 1804 im Kreise Ahrweiler. HJB AW 1955, S. 43-51

44 Grommes, Gertrud: Das Ahrtal — Eine anthropogeographische Studie. Osnabrück 1930,5.17 ff

53 https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/ahrtal-flusslauf-naturschutz-100.html

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Klaus Hartmann ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

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Kommentare (5)

5 Kommentare zu: “Ahr-Hochwasser: Katastrophales Versagen, keine Konsequenzen, aber das „Klima“ als wohlfeile Ausrede

  1. Pexus sagt:

    Ich sehe das genau so, wie Sie das sehen.

    Und noch etwas setze ich hinzu:
    Frau Jurisin und Polit-Darstellerin Marie-Luise Dreyer wird bei den Behinderten als Vorzeigefrau hofiert und als solche angehimmlt, bar jeder Krtik. Aber diese schwerbehinderte Dreyer (Quotenbehinderte als Landes"mutter" von Rhl.-Pfalz) hat "grandios" in den und seitedm nach den Flutwassertagen an der Ahr versagt.

  2. Besonders der Punkt, dass intakte Wälder der beste Katastrophenschutz sei, finde ich bemerkenswert. Denn was noch mal benötigt man für einen intakten Wald? Richtig, tausende Tonnen CO2. Ohne das kein Wald. Und mit Wald weniger CO2. Aber was passiert nicht? Richtig, großflächige Aufforstung. Schon Friedrich Engels hat auf die Folgen von Kahlschlag hingewiesen und diese eindeutig beschrieben. Und wenn die Politiker schon dauernd von CO2-Neutralität schwafeln, hier hätten sie doch die Möglichkeit. Forstet 30000 km2 Wald auf und die BRD ist ohne weitere Maßnahmen CO2-neutral. Zudem würden Mikroklimate geschaffen, die Dürren und Starkregen gleichermaßen vermeiden. Doch gleich ins Stammbuch der Klimafetischisten geschrieben: glaubt nicht, dass das das Klima rettet. Das Klima kann weder gerettet noch zerstört werden. Ich kann ja auch die Sonne nicht davor retten, dass sie irgendwann einmal als roter Riese und kurz darauf als ausgebrannter Stern endet. Keine Angst, das werden wir nicht erleben, so wie die Eliten gerade agieren. Es geht nur um eine lebenswerte Zukunft, und dazu gehört nun mal der Wald, mit all seinen Bewohnern. Und das Gendern lassen wir mal.

    • vizero 13 sagt:

      @Gunther Troost: Mit einfach aufforsten dürfte es nicht getan sein. Ich fürchte es werden nur wieder Monokulturen gepflanzt, die dieselben Mängel haben wie unsere jetzigen Wälder und dei dann bald wieder abgeholzt werden um Gewinne einzufahren.
      Ansonsten gebe ich Dir natürlich recht.

  3. coronistan.blogspot.com sagt:

    "aber das „Klima“ als wohlfeile Ausrede" Es ist noch mehr. Sie benutzen ihre Untätigkeit – oder war es Vorsatz? – und den Anlass um die kranke, kriminelle Klima-Agenda voranzutreiben: Seht her, das passiert, wenn ihr "im Klimawandel" an derart gefährdeten Stellen wohnt. Das kann euch genauso gehen, also kommt besser zu uns in die 15-Minuten-Knäste.

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