Einige erstaunliche Einblicke in die Geschichte mit Alice Weidel
Ein Kommentar von Hermann Ploppa.
Wir leben leider in einer Gesellschaft der vollkommenen Geschichtslosigkeit. Wissen über Geschichte ist nämlich kein Luxus, sondern lebensnotwendig, damit wir uns orientieren können. Damit wir wissen, wo wir herkommen. Was unsere Vorgänger-Generationen gemacht haben, und was sie nicht mehr zu Ende führen konnten. Was wir dann weiterführen sollen. Und damit wir dann in demokratischer Abstimmung entscheiden, wie wir den roten Faden der Geschichte weiterführen.
Doch wir leben jetzt erkennbar in einer Gesellschaft, die gerade jede kollektive Erinnerung auslöschen will. Es ist wie in dem dystopischen Roman von Aldous Huxley mit dem ironischen Titel „Schöne Neue Welt“ <1>. Eine Welt, in der Geschichte „Mumpitz“ ist, und Bücher, die älter als 150 Jahre sind, aus den Bibliotheken verschwinden. So erleben wir, dass das Online-Magazin Telepolis alle älteren Artikel aus dem eigenen Archiv gelöscht hat, und diese angeblich Stück für Stück an die neue Wirklichkeit angepasst wieder veröffentlichen will <2>. Und auch ältere Literatur wird für den woken Zeitgeist angepasst neu herausgebracht. Da gibt es dann keine Indianer mehr bei Karl May. Die großen Klassiker der deutschen Kultur werden uns madig gemacht. Luther, Goethe, vielleicht sogar Lessing, haben mit sofortiger Wirkung als „Antisemiten“ zu gelten und sind zu ächten! <3> Gut sind ab sofort nur noch angloamerikanische Gestalten.
Der Zweck ist klar: Wir sollen unseren inneren Kompass verlieren. Wir sollen orientierungslose Idioten der Geschichte werden. Ahnungslose Manövriermasse. Verblödete Konsumenten, die alles unhinterfragt und aus dem Zusammenhang gerissen schlucken: vergiftete Lebensmittel, vergiftete Zahnpasta, vergiftete Impfstoffe. Und blöde grinsend in den nächsten Krieg ziehen. Denn von den letzten Gräueln auf deutschem Boden wissen wir dann nur noch, dass wir eine Art von kollektiver Erbschuld in uns tragen, und folglich alles unhinterfragt befolgen müssen.
Die Vereinfacher der Geschichte sind dabei die Profiteure der Geschichtsvergessenheit. Da gibt es bestimmte Zeitgenossen, die mit simplen Gleichsetzungen gerade jetzt punkten können. So beeindruckt beispielsweise die Kanzlerkandidatin der Alternative für Deutschland, Alice Weidel, durch ihre eigenwilligen Aussagen. In einem auf Englisch geführten Interview bei Bloomberg TV behauptet Frau Weidel, Angela Merkel sei die „erste grüne Bundeskanzlerin“ gewesen. Und „Mister Blackrock“ Friedrich Merz von der CDU sei ein „Sozialist“ <4>. Die Krönung der Auslese ist allerdings erreicht, wenn Alice Weidel in einem maßlos überschätzten Online-Talk mit dem reichsten Mann der Welt, Elon Musk, allen Ernstes behauptet, der faschistische Schreckens-Diktator Adolf Hitler sei ein „Kommunist“ gewesen <5>. Äpfel sind Birnen. Birnen sind Äpfel. Alice Weidel ist dabei eine hochintelligente Frau. Sie beherrscht fließend die chinesische Hochsprache Mandarin und ist bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zur vielseitig verwendbaren Polit-Funktionärin ausgebildet worden. Frau Weidel weiß natürlich ganz genau, dass Hitler kein Kommunist gewesen ist. Jeder Zuhörer kann selber den Begriff dafür finden, wenn jemand wider besseres Wissen die Unwahrheit sagt. Weidel kann aber sicher sein, dass einem nicht unerheblichen Segment ihrer Wählerschaft die Absurdität ihrer Aussagen gar nicht mehr auffällt. „Geschichte ist Mumpitz“, nicht wahr?
Weidel kommt ja auch zugute, dass der letzte Versuch, Kommunismus oder Sozialismus auf deutschem Boden zu installieren, vor nunmehr 35 Jahren sang- und klanglos zu Ende gegangen ist. Die Spuren der DDR sind mittlerweile im Sinne einer geschichtslosen Gesellschaft aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt worden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Phänomen hat nie wirklich stattgefunden. Der Begriff „Kommunismus“ ist verdampft und seines Sinnes entledigt.
Der Kollege Ulrich Gellermann hat bereits hingewiesen auf die Leichenberge von Kommunisten, die Adolf Hitler auf seinem Weg zur Macht hervorgebracht hat <6>. Bereits beim so genannten Reichstagsbrand, dem damaligen 9/11, der den Nazis den Weg zur Macht geebnet hat, wurden Tausende von Kommunisten in das provisorische Konzentrationslager Oranienburg verschleppt, oder in Gestapo-Kellern bestialisch gefoltert und ermordet. Damit die Nazis bei der darauf folgenden Reichstagswahl günstigere Bedingungen vorfanden, wurde die Kommunistische Partei Deutschlands verboten. Denn bei der letzten Wahl im November 1932 hatten die Nazis zwei Millionen Stimmen verloren und die Kommunisten 700.000 Stimmen hinzugewonnen. Das sollte sich auf keinen Fall wiederholen. Nach der Machtergreifung der Nazis flohen die Kommunisten entweder ins Exil, oder sie verschwanden in den zahllosen Konzentrationslagern. Wer als Kommunist die Nazizeit überlebt hatte, fand sich nach dem erneuten Verbot der KPD im Jahre 1956 gleich im Zuchthaus wieder.
Frau Weidels geschichtsvertilgende Bemerkung über den Kommunisten Hitler stellt also eine Beleidigung von Nazi-Gegnern dar. Es gibt aber aufgrund der oben geschilderten Repression aktuell schon gar keine Interessengruppen mehr, die diese Beleidigung angemessen skandalisieren können.
Ein paar nackte Fakten zum Thema
Schauen wir uns einmal zum besseren Verständnis an, was Adolf Hitler vorfand, als er in den Jahren 1924 bis 1926 die beiden Teile seines Buches „Mein Kampf“ diktierte. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass im Reich von Kaiser Wilhelm dem Zweiten mehr Demokratie herrschte als heute im angeblich besten Deutschland aller Zeiten. Es hatte sich im Kaiserreich eine autonome Kultur der Arbeiterbewegung herausgebildet. Die SPD war die stärkste und effektivste Partei. Gewerkschaften gewannen an Einfluss. Es herrschte Meinungsvielfalt. In jeder Stadt gab es mindestens drei Tageszeitungen: eine monarchistische, eine liberale und eine sozialdemokratische Tageszeitung. Es gab eine unüberschaubare Vielfalt der Subkulturen. Und Kaiser Wilhelm der Zweite verteidigte energisch diese Vielfalt.
Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg arbeitete Adolf Hitler in der neu gebildeten Propaganda-Abteilung der Reichswehr. Die Militärs hatten in ihrer Fehleranalyse herausgefunden, dass sie den Krieg zu einem hohen Anteil an der sogenannten „Heimatfront“ verloren hatten. Arbeitsniederlegungen in Rüstungsfabriken schwächten nach ihrer Meinung die deutsche Militärkraft. Also musste man diese Widerstandsnester an der „Heimatfront“ ausschalten. Für den kommenden geplanten Revanche-Krieg musste man also eine Art Fake-SPD aufbauen, die die Arbeiter motivieren sollte, alles für den Sieg zu tun.
Das ist die Ausgangsposition, als Hitler im Luxus-Gefängnis Landsberg die Konzeption einer faschistischen Partei entwirft. Will man die Arbeiter gefügig machen für den nächsten Krieg, dann muss man die Arbeiterbewegung von innen her zerschlagen. Die faschistische Schlägertruppe der SA soll die Sozialdemokraten von der Straße jagen. Man muss den Leuten aber mehr bieten als nur Repression. Man muss ihnen eine Ideologie bieten, die es mit dem Sozialismus aufnehmen kann. Also ist für Hitler klar, dass man die Sozialisten kopieren muss. Die rote Fahne übernehmen auch die Nazis. Allerdings kommt jetzt als Unterscheidungsmerkmal das Hakenkreuz als Zeichen des Rassenhasses gegen die Juden in die Mitte. Arbeiterlieder werden geklaut und mit Nazi-Texten neu ins Rennen geschickt. Dazu die dreiste Kopie von Ritualen der Arbeiterbewegung. Allerdings soll diese faschistische Partei neuen Typs nicht nur Arbeiter, sondern auch Bauern und den Mittelstand unter ihrem Hut vereinen. Diese Gruppen im Hut haben aber nicht alle dieselben Interessen und Vorlieben. Hitler hat vom Chefideologen des US-Kapitalismus, Walter Lippmann, die Idee übernommen, widerstreitende Interessen durch ein gemeinsames Hassobjekt miteinander zu vereinen. Das gemeinsame Hassobjekt stellen die Juden in diesem Kalkül dar. Hitler übernimmt also den Antisemitismus des US-amerikanischen Autoherstellers und reichsten Mannes der Welt, Henry Ford. Und baut dessen Judenhass in seine eigene NSDAP ein. Selbst die New York Times hatte bereits 1922 gemeldet, dass der Münchner Faschistenführer Adolf Hitler von Henry Ford finanziert werde <7>.
Fords Artikelsammlung „Der Internationale Jude“ avanciert zur verbindlichen Schulungslektüre der NSDAP. Fords wirre Textsammlung sagt ungefähr Folgendes: Alle Juden dieser Welt sind sozusagen durch ein biologisches Internet miteinander vernetzt und in ihrem Handeln synchronisiert. Alle Juden haben sich über Generationen hinweg verschworen, die Weltherrschaft zu erobern. Sie nehmen die Nicht-Juden mit zwei Armen in die Zange. Der eine Arm ist das sogenannte „Internationale Finanzjudentum“. Der andere Arm ist die international vernetzte Arbeiterbewegung.
Und Hitler webt die damals neuesten Erkenntnisse der amerikanischen Eugenik und Rassen“theorie“ in sein Buch ein <8>. Die Geschichte ist demzufolge keine Geschichte der Klassenkämpfe, wie die Kommunisten sagten, sondern eine Geschichte der Rassenkämpfe. Und die jüdische „Rasse“ ist böse, und muss deshalb vernichtet werden. Der wichtigste Staat der jüdischen Machtergreifung ist die Sowjetunion. Nicht nur der Staat Sowjetunion muss vernichtet werden, sondern alle seine Bewohner. Das wurde im Zweiten Weltkrieg konsequent von den Nazis angegangen. So kommt es zu der monströsen Zahl von 28 Millionen ermordeten Bürgern der Sowjetunion. Nur die energische Gegenwehr der Völker der Sowjetunion konnte den hundertprozentigen Genozid verhindern. Noch einmal zum Mitschreiben: Der Krieg der Nazis gegen die kommunistische Sowjetunion war ein Genozid-Krieg!
Die Totalitarismus-Theorie
Doch die Vereinfacher sind immer im Vorteil. Nach der erfolgreichen Niederringung des Nazi-Terrors begannen Großbritannien und die USA sofort, einen Krieg gegen die Sowjetunion anzufachen. Jetzt musste den Menschen im Westen ganz schnell im Stil von Orwells Roman „1984“ eingebläut werden, dass es moralisch gerechtfertigt ist, ab sofort den ehemaligen Verbündeten Sowjetunion auszulöschen. Also fanden sich bereitwillige Wissenschaftler und Medienleute, die die sogenannte „Totalitarismus-Theorie“ aus der Taufe hoben <9>. Jetzt hieß es plötzlich: Kommunismus, Faschismus und Nazi-Ideologie sind im Wesen gleich! Auf Knopfdruck wurden alle Unterschiede aus dem Bewusstsein gelöscht. Ausgeblendet wurde dann, dass die Faschisten Elemente des Sozialismus kopiert hatten, um den Sozialismus mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen.
Doch es ging noch weiter. Die sogenannten Neoliberalen erweiterten die Demagogie der Totalitaristen noch, indem sie zusätzlich zu Sozialismus, Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus auch noch die Sozialdemokraten in diesen Suppentopf warfen. Das fing schon 1937 an, als wiederum der US-Chefideologe Walter Lippmann in seinem Buch „Die Gesellschaft freier Menschen“ die Politik des damaligen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt in derselben Liga einordnete wie Mussolini, Hitler und Stalin <10>. Das gemeinsame Übel aller genannten Machthaber sahen Lippmann und seine Mitstreiter hauptsächlich darin, dass der Staat sich anmaßen würde, als Anwalt des Gemeinwohls in die Wirtschaft einzugreifen. Auswüchse des Stalinismus und Faschismus müssen bei diesen Vereinfachern dafür herhalten, jede Art von sozialer Gerechtigkeit als „totalitär“ zu verteufeln.
Elon Musk Superstar und seine deutsche Schülerin
Man möge mir den langen Gedankenbogen in die Geschichte verzeihen. Es geht ja darum zu verstehen, warum Alice Weidel wider besseres Wissen uns weismachen will, Hitler sei ein Kommunist. Ein Quadrat ist ein Kreis. Ein Würfel ist eine Kugel. Alle jene Leute, die sich jetzt bereit machen, die neuen Herren Deutschlands zu werden, zumindest politisch-medial, sind zutiefst davon überzeugt im Sinne Walter Lippmanns, dass der Staat von Übel ist. Dass Politik eigentlich abgeschafft gehört. Wir hören es von FDP-Chef Christian Lindner wie auch von Politikern von CDU oder AfD: Es müssen noch mehr „Disruptionen“ her, damit die Leute draußen im Land bereit sind für den großen Wechsel <11>. Hülsenwörter wie „Bürokratie-Abbau“, „schlanker Staat“ oder „Eigenverantwortung“ sollen uns bereit machen, unserer endgültigen Enteignung und Entmachtung jauchzend zuzustimmen.
Netzwerk-Organistaionen wie „Atlas-Netzwerk“, „Mont Pelerin-Gesellschaft“ oder „Friedrich von Hayek-Gesellschaft“ – sie alle eint die Agenda: Der Staat muss weg! Kreative Unternehmer wie Elon Musk Superstar sollen übernehmen. Denn nur Unternehmer wissen, was gut für uns ist. Und das Framing gegen jene Leute, die sich dieser Entmündigung durch Superreiche und Kartelle entgegenzustellen wagen, ist schon klar: Diese Miesmacher sind „Kommunisten“, also „Nazis“. So einfach ist das. Was Frau Weidel jetzt in ihrem Talk als Cheerleader von Elon Musk von sich gegeben hat, ist nichts anderes als das Credo aller Marktradikalen seit Ludwig von Mises über Hayek, Milton Friedman, Murray Rothbard oder des Trump-Intimus Steven Bannon. Der argentinische Kettensägen-Präsident Javier Milei zeigt schon mal, wo es langgeht, wenn dieses Netzwerk die alten Seilschaften von Joe Biden oder die deutsche Ampel abgelöst haben wird <12>.
Wachsamkeit ist weiterhin angesagt.
Quellen und Anmerkungen
<2> https://overton-magazin.de/top-story/telepolis-loescht-alle-frueheren-texte/
<3> https://www.deutschlandfunk.de/reformationsjubilaeum-wie-umgehen-mit-luthers-judenhass-100.html
<4> https://www.youtube.com/watch?v=IeYB_Hmsu84&t=2s
<6> https://www.rationalgalerie.de/home/dr-alice-weidel
<8> Hermann Ploppa: Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus. Marburg 2016.
<9> https://www.podcast.de/episode/625008173/history-friedenssehnsucht-totalitarismus-und-gewerkschaften
<10> Im englischen Original The Good Society, hier als pdf frei verfügbar:
https://monoskop.org/images/9/9f/Lippman_Walter_The_Good_Society.pdf
<11> https://www.fdp.de/deutschland-braucht-disruption
<12> https://odysee.com/@apolut:a/j5kSvh2oopU2wAqatA3jGe:8
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Andreas Wolochow / shutterstock
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