Warum endlich die Reichen zahlen müssen und nicht die Armen
Ein Meinungsbeitrag von Günther Burbach.
Es ist ein Trauerspiel, das sich Jahr für Jahr wiederholt. Sobald die Haushaltszahlen nicht stimmen, sobald ein paar Milliarden im Bundesetat fehlen, sobald eine Krise den Staatshaushalt in Schieflage bringt, passiert fast reflexhaft dasselbe: Man stürzt sich auf die Schwächsten. Bürgergeldempfänger werden durch die Schlagzeilen gejagt, Erwerbslose an den Pranger gestellt, Familien in prekären Verhältnissen zu „Leistungsunwilligen“ erklärt. Immer wieder sollen die kleinen Leute den Kopf hinhalten, immer wieder wird nach unten getreten.
Dabei weiß jeder, der einmal genauer in die Zahlen geschaut hat: Das große Geld liegt nicht bei den Armen, sondern bei den Reichen. Aber dorthin zu greifen, dorthin zu schauen, dazu fehlt der politische Wille. Warum? Weil die, die entscheiden, oft selbst zu jener Kaste gehören, die man eigentlich belasten müsste. Ein Bundestagsabgeordneter, der sich im maßgeschneiderten Anzug vor die Kamera stellt und davon redet, dass „gespart werden müsse“, der weiß natürlich, dass er sich selbst mit einer Luxussteuer treffen würde. Man bestraft sich eben ungern selbst.
Ein Gedanke aus unerwarteter Richtung
Und so war es fast schon eine kleine Sensation, als in einem Gespräch zwischen Markus Lanz und Richard David Precht plötzlich eine Idee zur Sprache kam, die wie ein Hauch von Vernunft wirkte. Precht wagte es, laut darüber nachzudenken, nicht den Ärmsten noch mehr zu nehmen, sondern jene zur Kasse zu bitten, die im Überfluss leben. Seine Vorschläge waren entwaffnend schlicht: eine Luxussteuer von zehn Prozent auf besonders teure Waren, Handtaschen, Schuhe, Anzüge, Autos und eine Transaktionssteuer von 0,5 Prozent auf jede Geldbewegung in der EU.
Das ist nichts Revolutionäres, sondern gesunder Menschenverstand. Wer 500 Euro für eine Handtasche zahlt, die in der Produktion keine 50 Euro wert ist, kann auch 50 Euro mehr entrichten. Wer einen Wagen für 80.000 Euro kauft, kann auch 8.000 Euro Steuer tragen, ohne dass sein Lebensglück daran zerbricht. Wer mit Milliarden über die Börse jongliert, kann 0,5 Prozent seiner Transaktionen abgeben, ohne in die Suppenküche zu müssen.
Ein halbes Prozent, die Magie der kleinen Zahl
Doch sehen wir uns das nüchtern an. 0,5 Prozent klingt nach nichts. Ein halbes Prozent. Ein paar Krümel vom Kuchen. Aber wenn man es auf die gewaltigen Geldströme ansetzt, die täglich durch Europa rauschen, wird plötzlich klar, wie groß der Effekt ist.
Das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union lag 2024 bei rund 17,9 Billionen Euro. Über die Hälfte entfällt auf den privaten Konsum: Mieten, Lebensmittel, Kleidung, Dienstleistungen. Nimmt man nur diesen Teil, dann ergibt ein halbes Prozent schon fast 47 Milliarden Euro jährlich, rund vier Milliarden im Monat. Eine kleine Abgabe, kaum spürbar für den Einzelnen, aber ein Riesenbatzen für die öffentlichen Haushalte.
Und das ist nur die vorsichtige Rechnung. Zieht man auch den Staatskonsum und die Investitionen hinzu, wächst die Basis auf 17,1 Billionen Euro. 0,5 Prozent davon ergeben rund 85 Milliarden jährlich. Monat für Monat wären es gut sieben Milliarden. Mit diesem Geld ließen sich ganze Schulsysteme renovieren, Pflegekräfte anständig bezahlen oder die Energiewende finanzieren, ohne immer neue Sondervermögen aufzulegen.
Und Deutschland? Hier ergibt dieselbe Rechnung zwischen 11,5 und 20,7 Milliarden pro Jahr – je nachdem, ob man nur die privaten Konsumausgaben oder die gesamte Endverwendung einbezieht. Monatlich wären das zwischen einer und knapp zwei Milliarden. Summen, die locker jedes Haushaltsloch stopfen könnten.
Für den Einzelnen bleibt es lächerlich gering. Wer für 100 Euro einkauft, zahlt 50 Cent. Eine Tankfüllung für 80 Euro? 40 Cent. Der Kauf einer Eigentumswohnung für 600.000 Euro? 3.000 Euro. Und genau da liegt die Gerechtigkeit: Für die breite Masse sind es Centbeträge. Für die Wohlhabenden, die ohnehin mit großen Summen hantieren, sind es relevante Summen. Eine Art versteckte Progression.
Luxus darf nicht steuerfrei bleiben
Noch spannender wird es bei der Luxussteuer. Der Markt für persönliche Luxusgüter in Europa liegt bei rund 110 Milliarden Euro pro Jahr. Handtaschen, Schuhe, Anzüge, alles weit jenseits dessen, was man zum Leben braucht. Wer für ein Paar Schuhe 1.200 Euro ausgibt, kann auch 120 Euro mehr an den Staat abtreten.
Rechnet man vorsichtig, ergeben allein Handtaschen, Schuhe und teure Anzüge eine Steuerbasis von rund 35 bis 40 Milliarden Euro. Zehn Prozent davon ergeben gut vier Milliarden Euro pro Jahr. Kein Weltrekord, aber ein klares Signal: Luxus darf nicht länger steuerfrei sein, während der Staat bei jedem Sozialetat den Rotstift ansetzt.
Noch deutlicher sind die Autos. In Europa wurden 2024 rund 10,6 Millionen Neuwagen zugelassen. Der Anteil der Fahrzeuge über 50.000 Euro steigt seit Jahren, nicht zuletzt wegen der Elektromobilität. Der Durchschnittspreis für ein E-Auto liegt bei über 62.000 Euro.
Nimmt man an, 15 Prozent aller Neuwagen kosten mehr als 50.000 Euro, dann bringt eine Luxussteuer von zehn Prozent rund 9,5 Milliarden Euro im Jahr. Bei 25 Prozent Anteil sind es fast 16 Milliarden, bei 35 Prozent über 22 Milliarden. Für Deutschland allein läge der Ertrag je nach Szenario zwischen 2,5 und knapp 6 Milliarden.
Man muss also gar nicht die „Bonzenjagd“ ausrufen. Ein paar wohlplatzierte Schrauben reichen, um Milliarden einzunehmen, ohne dass der Bürgergeldempfänger noch einmal sein karges Budget kürzen muss.
Warum das nicht passiert
Und genau hier stellt sich die Frage: Warum reden wir nie darüber? Warum schiebt man immer nur die Armen in den Vordergrund?
Die Antwort ist banal und bitter zugleich. Weil die Politik längst selbst Teil dieser Kaste ist. Wer im Bundestag sitzt, wer in den Vorstandsetagen der Parteien die Strippen zieht, wer zwischen Berlin, Brüssel und Davos pendelt, bewegt sich in denselben Sphären, in denen eine Handtasche für 2.000 Euro oder ein Auto für 100.000 Euro völlig normal ist. Viele Abgeordnete tragen die Maßanzüge, fahren die Firmenwagen, fliegen Businessclass. Man legt sich ungern selbst Ketten an.
Dazu kommt die Nähe zur Wirtschaft. Lobbyisten schreiben Gesetzesentwürfe, Anwaltskanzleien erfinden Steuertricks, Banken und Fondsmanager sitzen längst im Maschinenraum der Gesetzgebung. Wer dort mit am Tisch sitzt, denkt nicht daran, die eigene Klientel zu schröpfen. Man kennt sich, man schätzt sich, man wechselt fließend die Seiten.
Und so bleibt es bei der alten Leier: sparen bei den Armen, schonen bei den Reichen.
Ein Blick zurück, immer dieselbe Geschichte
Die Finanzkrise 2008/09 zeigte es in aller Deutlichkeit. Damals wurden Banken mit hunderten Milliarden Steuergeldern gerettet. Die Begründung: „Systemrelevanz“. Ein Jahr später waren die Gewinne zurück und die Bonuszahlungen höher als zuvor. Der Normalbürger, der mit seinen Steuern die Institute gerettet hatte, bekam nichts außer Rezession, Arbeitsplatzverlust und sinkenden Rentenanwartschaften.
Die Pandemie spielte das nächste Kapitel. Während kleine Selbstständige reihenweise Insolvenz anmelden mussten und Pflegekräfte unter Applaus, aber ohne Lohnerhöhung schuften, stiegen die Vermögen der Superreichen schneller als je zuvor. Impfstoffhersteller, Tech-Konzerne, Onlinehändler, sie alle machten Rekordgewinne. Wieder floss kein ernsthafter Steuerbatzen zurück.
Und heute? Heute wird über Bürgergeldempfänger diskutiert, während die Rüstungsausgaben explodieren. Wer glaubt, man könne mit Kürzungen bei den Ärmsten ein Haushaltsloch von 40 Milliarden in Deutschland stopfen, der lügt. Aber er lügt bequem.
Ein Plädoyer für die Schwachen
Es wird Zeit, diesen Reflex zu durchbrechen. Eine kleine Abgabe von 0,5 Prozent auf Transaktionen würde das Gewicht dorthin verschieben, wo es hingehört. Sie würde die Finanzströme anzapfen, die sich bislang ungehindert durch Europa bewegen. Sie würde den Luxuskonsum erfassen, der sonst ungebremst weiterläuft.
Und sie würde endlich jenen eine Stimme geben, die keine haben. Die Rentnerin mit 890 Euro im Monat. Der alleinerziehende Vater, der zwischen zwei Jobs jongliert, um die Miete zu zahlen. Der Student, der nicht weiß, wie er sich sein Studium finanzieren soll. Sie alle zahlen schon jetzt überproportional. Zeit, dass die andere Seite endlich ihren Beitrag leistet.
Das Fazit
Die Zahlen sind klar. Die Rechnung ist einfach. EU-weit reden wir über fast 100 Milliarden Euro jährlich. Für Deutschland allein über 15 bis 28 Milliarden. Geld, das sofort verfügbar wäre, wenn man es wollte. Aber man will nicht.
Weil die Politik in den gleichen Kreisen verkehrt, weil die Maßanzüge in den Ministerien genauso sitzen wie in den Vorstandsetagen, weil niemand seine eigene Party besteuern will.
Doch genau das wäre nötig. Nicht die Armen noch ärmer machen, sondern die Reichen ein Stück weit in die Pflicht nehmen. Nicht weiter nach unten treten, sondern endlich nach oben greifen.
0,5 Prozent reichen, um die Debatte zu drehen. Es ist ein Klacks für die Reichen, aber ein Rettungsanker für die Gesellschaft.
Quellen und Anmerkungen:
Haushaltskonsum / Konsumausgaben als Anteil des BIP
Laut Eurostat betrug 2023 der Anteil der Gesamthaushaltsausgaben (Household consumption) 52,1 % des BIP in der EU.
→ Quelle: Household consumption by purpose – Eurostat
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Household_consumption_by_purpose
In den nationalen Konten von Eurostat erscheinen auch Daten zu privater Nutzung, Konsumausgaben etc.
z. B. Eurostat – GDP_per_capita, consumption per capita and price level indices
Investitionen / Vermögensbildung / Haushaltseinsparungen
Eurostat: In 2023 betrug die Investitionsquote der Haushalte (Bruttoanlageinvestitionen im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen) in der EU 9,5 %.
→ Households – statistics on income, saving and investment https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Households_-_statistics_on_income%2C_saving_and_investment
Automobilmarkt in der EU / Neuzulassungen
Laut der ACEA (European Automobile Manufacturers’ Association) wurden 2024 etwa 10,6 Millionen neue Autos in der EU zugelassen.
→ New car registrations: +0.8% in 2024 – ACEA
https://www.acea.auto/pc-registrations/new-car-registrations-0-8-in-2024-battery-electric-13-6-market-share/
JATO zieht Preise und Marktanteile heran; z. B. in European new car market growth in 2024 driven by hybrids wird die Entwicklung des Automobilmarkts beschrieben.
https://www.jato.com/resources/media-and-press-releases/european-new-car-market-growth-in-2024-driven-by-hybrids-and-chinese-brands
Verteilung von Einkommen, Konsum und Vermögen
Eurostat: In der Statistik Joint distribution of household income, consumption and wealth findet man Daten, wie sehr sich Einkommen/Konsum/Vermögen konzentrieren – ein Beleg, dass die oberen Schichten überproportional profitieren.
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Joint_distribution_of_household_income%2C_consumption_and_wealth_-_main_indicators
Im Household budget survey zeigt Eurostat, dass in vielen EU-Ländern die obersten Einkommensgruppen doppelt so viel konsumieren wie untere Gruppen – ein Hinweis darauf, dass Luxussegmente relevant sind.
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Household_budget_survey_-_statistics_on_consumption_expenditure
Wie diese Quellen in unseren Modellannahmen verwendet werden
- Wir stützen uns auf den 52,1 %-Anteil der Haushaltsausgaben am EU-BIP (Eurostat) als Basis für die konservative Variante der 0,5-%-Transaktionssteuer.
- Die Investitions- und Sparquoten der Haushalte zeigen, dass nicht alles konsumiert wird – das relativiert unsere Annahme, wenn wir auch Staat & Investitionen miteinbeziehen.
- Die Neuzulassungszahlen (10,6 Mio. Autos in der EU) geben eine belastbare Größenordnung für das Auto-Segment, in dem wir den Luxusanteil ansetzen können.
- Verteilungsdaten zu Einkommen und Konsum zeigen: Die oberen Zehntel konsumieren überproportional und besitzen überproportional, was unsere Annahme stützt, dass eine Abgabe auf Luxussegmenten erhebliche Einnahmen generieren kann.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: KI-generiertes Bild: Boutique für Luxuswaren (Schmuck und Handtaschen)
Bildquelle: Shutterstock AI / shutterstock
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