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Zum Neuen Jahr ein wenig Futter für die Seele

Zum Neuen Jahr ein wenig Futter für die Seele

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Auf Facebook betreibe ich eine Seite mit dem Titel „Zitate um Welt“. Dort poste ich in sehr unregelmäßigen Abständen Aussagen, die ich in Interviews, Filmen oder Büchern gefunden habe. Futter für die Seele. Wie zum Beispiel dieser Dialog zwischen einem Mann und einer Frau aus dem Film „Schatten der Schuld“ nach Kurt Vonneguts Roman „Haifa“, mit einem großartigen Nick Nolte in der Hauptrolle:

„Ich habe gleich gespürt, dass Sie zur Bruderschaft gehören“. - „Zu welcher Bruderschaft?” - „Zur Bruderschaft der verwundeten Seelen. Das ist die größte Organisation der Welt und das irre ist, dass die Mitglieder absolut unfähig sind, miteinander zu reden“.

Ich möchte gerne einige weitere Kostproben von Menschen geben, die dieser Organisation angehören und die mir den Glauben an die Menschheit bewahren helfen, wobei mir ein Mädchen einfällt, deren Namen ich zwar vergessen habe, die mir aber seit fünfundsechzig Jahren gelegentlich in den Sinn kommt. Sie war eine Klassenkameradin. Unser Lehrer war neu. Er gab uns die Aufgabe, einen Aufsatz über uns selbst zu schreiben. Titel: „Wie siehst Du dich?“ Natürlich ging jeder hart mit sich ins Gericht, schließlich wollten wir ihm zeigen, dass wir durchaus zur Selbstkritik fähig waren, was sicher Pluspunkte bringen würde. Dieses Mädchen jedoch lieferte nur einen Satz ab, und der wurde vom Lehrer höhnisch vor versammelter Mannschaft verlesen. Der Satz lautete: „Ich finde mich gut so wie ich bin!“ Die ganz Klasse lachte und drehte sich verächtlich nach ihr um. Ich auch. Dafür schäme ich mich noch heute. Wie sagte doch der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel (1813 - 1863)?: „Das Gewissen ist die Wunde, die nie heilt und an der keiner stirbt“.

Da ist Julia Butterfly Hill (Jahrgang 1974), die bestimmt nicht mitgelacht hätte. Julia bestieg am 10. Dezember 1997 einen kalifornischen Küsten-Mammutbaum (sie nannte ihn Luna) und lebte dort für 738 Tage, um ihn vor dem Abholzen durch die Firma Pacific Lumber zu beschützen. In einem Interview sagte sie später:

„Der eigentliche Grund, alles, was ich in meinem Leben hatte, aufzugeben – meine Freunde, meine Arbeit, meine Karriere, meine Klamotten, mich umzudrehen, alles zu verkaufen und in den Wald zu gehen – war der atemberaubende Anblick dieses riesigen uralten Redwood-Baums, dessen Leben unmittelbar bedroht war. Wenn man so ein Wesen auf einem Foto sieht, kann es einen sehr berühren, aber wenn man davor steht, dann haut es einen einfach um. Dieser Wirklichkeitsschock jenseits der Medienwelt, fühlte sich für mich so an, als würde eine Hand meine Eingeweide und mein Herz rausreißen, mich am Nacken packen und ins Geschehen stoßen. Es war nichts Politisches, nichts Wissenschaftliches. Ich glaube, es gib diese Momente im Leben, wo wir etwas erkennen, und ohne jeden Zweifel wissen, dass es falsch läuft und wir etwas unternehmen müssen“.

Dazu passt, was Anna Magnani, die Ikone des italienischen Nachkriegskinos (Rom, offene Stadt) einer Reporterin anvertraute:

„Seine Meinung sagen zu können ist ein Luxus, den man teuer bezahlt. Ich persönlich zahle gern dafür. Es ist schön, innerlich frei zu sein. Sehr schön“.

Natürlich darf Che Guevara (1928 - 1967) nicht fehlen, dieser marxistische Revolutionär, Guerillaführer, Arzt und Autor. Er war von 1956 bis 1959 ein zentraler Anführer (Comandante) der Rebellenarmee der Kubanischen Revolution und ist neben Fidel Castro deren wichtigste Symbolfigur.

„Seid vor allem immer fähig, jede Ungerechtigkeit gegen jeden Menschen an jedem Ort der Welt im Innersten zu fühlen. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs. Wir müssen stark werden, ohne je unsere Zärtlichkeit zu verlieren“.

Die US-amerikanische Schriftstellerin Djuna Barnes (1892 – 1989) hat mich mit dieser Aussage berührt: „Furchtlos auf das Schreckliche zugehen und es in Schönheit verwandeln …“  

Da wäre noch die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb (Jahrgang 1966) zu nennen, die in ihrem Buch „Biographie des Hungers“ folgende tröstliche Sätze schrieb, die direkt ins Zentrum unseres Wesens treffen:

„Ich bin eine Hungernde. Unter Hunger verstehe ich diesen entsetzlichen Mangelzustand des ganzen Wesens, diese quälende Leere, diese Sehnsucht weniger nach utopischer Fülle, denn nach schlichter Wirklichkeit – ein Flehen, dass, wo nichts ist, etwas sei. Hunger ist Wollen. Der Hungrige ist ein Suchender. Im Hunger steckt eine Dynamik, die es verbietet, diesen Zustand hinzunehmen. Der wahre Hunger, der keine Fressgier ist, der Hunger, der die Seele entblößt und ihrer Substanz entkleidet, ist die Leiter, die zur Liebe führt. Alle großen Liebenden sind durch die Schule des Hungers gegangen. Die Satten werden nie diese ständige Angst erfahren, dieses aktive Warten, dieses Fieber, dieses Elend, das einen Tag und Nacht wach hält.“

Victor Hugo (1802 - 1885), den viele Franzosen als ihren größten Autor betrachten, ist es gelungen, das Mysterium der Musik in einem Satz zu beschreiben: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“.

Künstler können nicht schweigen, selbst wenn sie es wollten, selbst wenn sie erkannt haben, dass ihr Talent und ihre Ausdruckskraft das Leben nicht zu fassen vermag. Die deutsche Schriftstellerin Liane Dirks, Jahrgang 1955, beschreibt das Dilemma folgendermaßen:

„Kunst machen zu wollen, schreiben zu wollen, singen zu müssen, das kommt mit einer ungeheuren Wucht daher. Es haut einen um. Es fordert, es verlangt, es will in die Welt, es ist ein Auftrag. Und es lässt nicht mehr locker. Wild, bedingungslos, sehr oft gnadenlos, hart und lustvoll, unglaublich schön, nichts verleugnend, alles umarmend und immer im Werden. Kunst zu machen, fordert den Menschen ganz und: Es fordert einen ganzen Menschen.“

Fast möchte man ihr mit dem deutschen Theologen und Arzt Angelus Silesius (1624 - 1677) zurufen: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir …“

Für all diejenigen, die trotz größter Bemühungen grandios daran scheitern, ein wenig Licht in das Dunkel unseres Kollektivbewusstseins zu bringen, hält der österreichische Dramatiker Johann Nestroy (1801 - 1862) folgende niederschmetternde Erkenntnis bereit:

„Dummheit ist eine furchtbare Stärke, sie ist ein Fels, der unerschüttert dasteht, wenn auch ein Meer von Vernunft ihm seine Wogen an die Stirne schleudert“.

Wow! Nun ja, die Unbewussten gehören immer zur Mehrheit und dieses Wissen reicht aus, damit sie ihrer Arroganz und ihrem Zynismus lustvoll freien Lauf lassen können. Würde man sie auch nur für einen Tag aus ihrer fürchterlichen Solidargemeinschaft reißen und sie unter sensible, mitfühlende Menschen stecken, sie würden sich nicht mehr zurechtfinden. Dazu braucht es die Leitplanken einer manipulierten „Realität“, die sie zur Verfügungsmasse der wahrhaft Herrschenden werden lässt, welche sich jede, aber auch jede Schweinerei ungestraft leisten dürfen.

Zum Schluss möchte ich drei wunderbare Frauen zitieren.

Hier ist Else Lasker Schüler (1869 - 1945) mit ihrem „Tanzlied“:

„Aus mir braust finstre Tanzmusik,
Meine Seele kracht in tausend Stücken;
Der Teufel holt sich mein Mißgeschick,
Um es ans brandige Herz zu drücken.
Die Rosen fliegen mir aus dem Haar
Und mein Leben saust nach allen Seiten,
So tanz ich schon seit tausend Jahr,
Seit meinen ersten Ewigkeiten“.

Ingeborg Bachmann (1926 - 1973), eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen, berührt mich ebenfalls zutiefst, vor allem mit diesen Zeilen:

„Wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch dass wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des anderen Hand erreichen,
zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen“.

Als Dritte im Bunde Bettine von Arnim (1785 - 1859), die als Vertreterin der deutschen Romantik gehandelt wird. Für mich aber ist sie keiner Gattung zuzuordnen. Etikettierungen, egal welche, sind trügerisch. Bettines Worte sind es nicht, sie drücken aus, was in uns allen schwingt, wenn wir den Verstand aus und das Herz einschalten:

„Wenn ich der Natur lausche, zuhören will ich es nicht nennen, denn es ist mehr, als man mit dem Ohr fassen kann, aber lauschen, das tut die Seele.  Siehst Du, da fühl ich alles, was in mir vorgeht, ich fühl den Saft, der in die Bäume hinaufsteigt bis zum Wipfel, in meinem Blut aufsteigen. Alles, was ich anseh‘ fühl ich plötzlich ganz – als wär‘ ich die Natur selber. Der Seele Element ist also das Schauen, das ist das Lauschen, sie saugt alle Form, das ist die Sprache der Natur. Aber die Natur selbst hat auch eine Seele, und diese Seele will auch geküsst und genährt sein. Ich habe sie geküsst mit meinen Seelenlippen …“

Was angesichts der trüben Zeiten, in denen sich die Schlinge der finalen Katastrophe immer fester um den Hals der Menschheit zuzuziehen scheint, häufig vergessen wird, ist die Tatsache, dass in den Herzen der Menschen nicht nur Wut und Enttäuschung sitzen. In Milliarden Herzen wächst etwas heran, was von unschätzbarem Wert ist: die Sehnsucht nach einer besseren Welt! Diese Sehnsucht ist schon heute mit Händen zu greifen und zwar überall auf der Erde. Die Menschen haben die Seele der Gier-Kultur endgültig satt. Jetzt braucht es nur noch diesen einen berühmten Schmetterlingsflügelschlag, um das gewaltige Sehnsuchtspotenzial kurzzuschließen.

In jedem von uns steckt ein gewaltiges Potential an Liebe und Empathie, steckt die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander. Warum legen wir dieses Potential nicht frei, warum bekennen wir uns nicht zu unserer wahren Natur? Warum bringen wir unsere wahre Natur nicht in den politischen Alltag ein?  Wir sind keine Marionetten des Kapitals, wir sind nicht dazu da, einem todkranken Wirtschaftssystem durch den Ausverkauf unserer Ressourcen das Leben zu verlängern. Wenn es uns gelingt, eine positive Zukunftsvision in uns erblühen zu lassen, dann werden wir sie in der praktischen Politik auch umsetzen können.

In diesem Sinne wünsche ich allen hier auf apolut und anderswo ein gesundes, kreatives und friedliches Neues Jahr!

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: LUMIKK555 / shutterstock


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