Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.
Donald Trump räumt auf - nicht nur in den USA und der Welt, sondern auch in der NATO. Er ist Geschäftsmann, ihm geht es ums Geld. Was für die USA zu teuer ist, wird eingestellt wie die Ukrainehilfe. Er hat keine Probleme, mit Putin zu verhandeln, wenn es sich auszahlt.
Kehrtwende
Trump sorgt für reichlich Wirbel im festgefahrenen Gefüge der westlichen Politik. Er setzt sich hinweg über die Grundsätze, die sich in den Jahrzehnten seit dem Untergang der Sowjetunion als sogenannte Werteorientierung verfestigt hatten. Deren woke Doppelmoral schien mit der grünen Regierungsbeteiligung in Deutschland und ihrer feministischen Außenpolitik sowie der Regierung Biden in den USA auf dem besten Wege zu sein, weltweite Geltung zu erlangen. Die Hoheitsmedien schwammen mit auf dieser Welle und verstärkten damit den Eindruck der Allgemeingültigkeit westlichen Denkens.
Dass die Mehrheit der Bevölkerungen im politischen Westen, besonders aber im Rest der Welt dieses Denken nicht mittrug, wurde von den Meinungsmachern als rückständig, populistisch oder gar autokratisch abgetan und verunglimpft. Trotzdem konnte dieser Druck auf die öffentliche Meinung nicht verhindern, dass in vielen Staaten des werteorientierten Westens sogenannte populistische Parteien oder Politiker starke Stimmenzuwächse erreichten oder gar Wahlen gewannen wie Donald Trump in den USA.
In dessen Wahlsieg wird die Ablehnung des woken Denkens deutlich, dem Haltung und Moral wichtiger sind als die Lebensbedingungen der eigenen Bevölkerung. Da war die Niederlage Russlands wichtiger als die Opfer, die eigenen Wähler dafür bringen sollten. Trump selbst bezeichnete seinen Sieg dann auch als die „Revolution des gesunden Menschenverstands“. Ob das zutreffend ist, wird sich noch zeigen, denn auch Trumps Auftreten und Handeln sorgen mitunter für sehr viel Unverständnis. Aber eines wird deutlich: Die Interessen stehen wieder im Vordergrund, nicht mehr weinerlicher Moralismus und wankelmütige Befindlichkeiten.
Darin deutet sich vielleicht mehr an als nur eine Laune im scheinbar ewigen politischen Kreislauf von Wahl, Abwahl und Wiederwahl von Volksvertretern, die zwar vom Volk gewählt wurden, aber nicht dessen Interessen in Wirklichkeit vertreten. Sie vertreten in erster Linie das Interesse der bestehenden Ordnung an ihrem Weiterbestand. Dieser ewige politische Kreislauf wurde seit dem Sieg des Bürgertums als politischer Klasse von der mehr oder weniger gleichen gesellschaftlichen Schicht getragen, die hier der Einfachheit halber als akademisch-intellektuelle Intelligenzia bezeichnet werden soll.
Das bedeutet nicht, dass sie sich durch ein höheres Maß an Intelligenz auszeichnen, was viele Vertreter dieses Milieus immer wieder gerne für sich in Anspruch nehmen. Aber sie verfügen über ein höheres Maß an akademischer Bildung, was oftmals mit höherer Intelligenz verwechselt wird. Besonders hoch ist deren Anteil bei den Grünen. Aber nicht höhere Intelligenz hat sie befähigt, sich akademische Bildung zu verschaffen, sondern wirtschaftliche Verhältnisse, die ihnen den Besuch von Universitäten erlaubten, statt sich um den eigenen Lebensunterhalt kümmern zu müssen.
Einbruch
Zu dieser Vorstellung höherer Intelligenz hat sich in den letzten Jahren auch noch die Inanspruchnahme von moralischer Überlegenheit hinzugesellt durch die sogenannten westlichen Werte. Diese gehen zurück auf europäische Aufklärung. Deren Gedankengut hatte sich aus der damals noch recht dünnen Schicht der Gelehrten in den europäischen Städten, besonders den Universitätsstädten entwickelt. Es handelte sich hierbei um eine Schicht des Bürgertums, die sich der Gedankenwelt widmen konnte. Die Bauern, die große Mehrheit der Feudalgesellschaft, dagegen war in feudaler Abhängigkeit gefangen und damit beschäftigt, ihr tägliches Überleben sicherzustellen. Theoriebildung waren deren Betätigungsfeld nicht, stattdessen der Ackerbau.
In diese von Ansichten, Lehrsätzen und Theorien bestimmten Welt der bürgerlichen Intelligenzia bricht nun einer wie Trump ein, der sich eher als Macher versteht. Begünstigt durch die wirtschaftliche und militärische Macht der USA kann er sich über Bedenken im Rest der Welt, aber auch in der eigenen Gesellschaft hinweg setzen. Im Gegensatz zu dieser mehr von Abwägungen geprägten Welt der Intelligenzia, kann Trump eher als der Proletarier bezeichnet werden. Er ist von seiner Klassenzugehörigkeit zwar keiner, aber von seiner Herangehensweise an Probleme. Diese ist in beiden Fällen handlungsorientiert.
Das Überdenken und Abwägen ist die Kernkompetenz des akademisch-intellektuellen Milieus. Wenn auch das Bild des Proletariers heute nicht mehr so stark von der körperlichen Arbeit geprägt ist wie zu Zeiten von Marx und Engels, als dieser Begriff entwickelt wurde, so ist die körperliche Arbeit dort immer noch weitaus größerer Bestandteil des Broterwerbs als in der Intelligenzia. Sie ist darüber hinaus auch viel stärker ergebnisorientiert. Ein Maurer muss am Ende des Tages ein gewisses Mauerstück sichtbar vorweisen können. Nicht bei jedem Mitglied des akademisch-intellektuellen Milieus ist das Tagwerk so eindeutig erkennbar.
Aber ein weiterer und entscheidender Unterschied besteht in der Qualität der Ergebnisse. Die meisten westlichen Experten haben im Verlauf des Ukrainekrieges Einschätzungen abgegeben, die haarsträubend neben der Wirklichkeit lagen. Das galt für die Siegesaussichten der Ukraine, die Wahrscheinlichkeiten der russischen Niederlage und die Wirksamkeit der anti-russischen Sanktionen. Wunschvorstellungen prägten die Sichtweisen. Realitäten wurden oft als Putin-Propaganda verunglimpft.
Sogenannte Experten im akademisch-intellektuellen Milieu stützen ihre Sichtweisen auf die Aussagen anderer Experten. Diese gelten häufig als Grundlagen für die Bestätigung der eigenen Sicht oder als Widerlegung anderer Ansichten. Im Gegensatz zur Quellenforschung im eigenen Milieu wird die Wirklichkeit dabei nur selten zu Rate gezogen. Der Maurer dagegen muss immer wieder sich mit der Wasserwaage vergewissern, dass die neue Steinreihe richtig verarbeitet ist. Denn sie muss nicht nur aufbauen auf der darunterliegenden. Sie muss auch in ihrer Ausrichtung zum Fundament stimmig sein, das heißt, sich im Lot befinden mit der Wirklichkeit und ihren Kräften.
Deswegen sind die Einschätzungen sogenannter Experten in Politik und Medien so häufig nicht im Lot mit der Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit ist besonders in politischen Fragen nur in den seltensten Fällen die Bezugsgröße, an der man sich orientiert. Hier sind Eitelkeiten, Rechthaberei und politische Interessen viel bestimmender, zumal die Fehlerhaftigkeit der Aussagen erst viel später offensichtlich wird, dann aber meistens zu spät: Wenn die russische Wirtschaft entgegen den Prophezeiungen der Experten doch nicht zusammenbricht und die Raketen der russischen Armee doch länger ausreichen als bis zum Sommer des Jahres 2022. Dann droht zwar Niederlage statt Sieg. Aber so lange die Niederlage nicht bestätigt ist, ist für Umdeutungen der Ereignisse immer noch Zeit.
Kein Politiker
Trump hat mit Putin telefoniert, um den Krieg zu beenden. Putin, der laut den meisten westlichen Experten kein Interesse an Verhandlungen und Frieden haben soll, hat zugestimmt. Die Verhandlungen sind angelaufen und die Europäer wie auch die Vertreter der Ukraine schäumen vor Wut und Empörung. Denn Trump hat eine weitere westliche Behauptung widerlegt, dass man mit Russland nur aus der Position der Stärke verhandeln könne. Dabei hatte der Westen unter Biden drei Jahre Zeit, um Verhandlungen mit Russland einzuleiten, zumal die Stärke des Westens und der Ukraine immer mehr schwand.
In Wirklichkeit aber hatte man darauf gehofft, dass Russland zusammenbricht unter den Sanktionen und den Waffenlieferungen an die Ukraine. Offensichtlich scheinen die Europäer immer noch darauf zu bauen, denn sie wollen notfalls ohne die USA die Unterstützung der Ukraine fortsetzen. Man will Selenskyj in die Lage bringen, aus einer Position der Stärke verhandeln zu können. Aber trotz all dieser Unterstützung rückt die russische Armee immer weiter nach Westen und die Ukraine wird immer schwächer. Wie also will man da in eine Position der Stärke kommen?
Dafür gibt es kein Konzept außer mehr Waffenlieferungen und das Prinzip Hoffnung: Die Ukraine muss siegen und Russland darf nicht gewinnen. Das ist aber auch gleichzeitig das Konzept der Realitätsverweigerung unter der Vorherrschaft idealistischer Wunschvorstellungen, die durch die Unbelehrbarkeit des Westens genährt werden. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand westliche Politik weitgehend in der Verfolgung von weltfremden Zielen, deren Sinn nicht erkennbar war und die deshalb in immer unverständlichere Abenteuer führte. Das begann mit dem Krieg gegen den Terror, der zu nichts führte als der Destabilisierung des Nahen Ostens, bis hin zur Provokation Russlands durch des Vordringen der NATO an dessen Grenzen, die die Welt an den Rand eines Atomkriegs brachte.
Nun zieht Trump einen Schlussstrich. Der Krieg ist ihm zu teuer. Die USA können ihn sich nicht mehr leisten. Insofern ist Trump der Maurer, der anders als die westliche Intelligenzia die Realitäten anerkennt. Auch wenn noch so viele Gedankengebäude in den Expertenrunden errichtet wurden, die für den Sieg der Ukraine und die Niederlage Russlands sprachen, am Ende fielen sie in sich zusammen. Sie waren nicht mit der Wasserwaage der Realität auf ihre Tauglichkeit und Standfestigkeit überprüft worden waren. Die westliche Intelligenzia will nicht auf den einfachen Maurer mit dem gesunden Menschenverstand hören.
Anders als die akademisch-intellektuellen Meinungsmacher ist Trump Geschäftsmann. Er ist nicht Politiker im herkömmlichen Sinn, der auf Biegen und Brechen recht behalten will, selbst wenn das den Zusammenbruch der Wirtschaft bedeutet, den Zerfall der Gesellschaft und die Verarmung der Bevölkerung. Außenminister Marco Rubio, sagte kürzlich über ihn, er sei ein "Geschäftsmann, der mit Politik zu tun hat, kein Politiker"(1).
Das entspricht aber nicht dem Politikverständnis der Meinungsmacher im Rest des Wertewestens. Besonders die Europäer wollen nicht wahrhaben, dass Trump und Putin die Sache unter sich ausmachen. Sie können es nicht glauben, dass ihnen in diesen Verhandlungen nur der Platz am Katzentisch zugedacht ist. Sie wollen nicht wahrhaben, dass nun sie, die Freunde und Verbündeten der USA an der Reihe sind, die dieselbe Erfahrung machen zu müssen wie so viele andere voher, die auf die USA vertrauten. Sie werden im Stich gelassen genau so wie viele andere vor ihnen von Afghanistan bis Vietnam.
Die USA stellen ihre Mitgliedschaft in der NATO in Frage und wer weiß, ob sie ihren atomaren Schutzschirm weiterhin über den Europäern aufspannen. Der galt den Europäern über Jahrzehnte als Garantie gegenüber einem Russland, von dem sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bedroht sehen. Nun überlassen die Amerikaner die Europäer wie auch die Ukrainer den Russen. Trump hat die alte Welt in Unordnung versetzt, mit der nun „so viele alte Gewissheiten untergingen“(2). Aber diese Gewissheiten waren keine. Sie waren die Wunschträume und Selbsttäuschung jener, die die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollten. Nun wackeln nicht nur ihre Gedankengebäude, auch ihre Brandmauern drohen einzustürzen, weil man die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollte.
Quellen und Anmerkungen
(1) https://web.de/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/russland-usa-verhandeln-riad-ukraine-40677866
(2) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.2.2025: Trumps Paukenschläge
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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Svet foto / shutterstock
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