Es herrscht große Aufregung, weil Olaf Scholz seine Amtszeit künstlich zu verlängern versuchte — viel schlimmer ist jedoch, dass die realistischen Machtalternativen dürftig ausfallen.
Ein Standpunkt von Roland Rottenfußer.
Da macht Olaf Scholz nach mehr als drei Jahren Politik-Murks einmal etwas richtig — nämlich die Ankündigung, mittels der Vertrauensfrage Neuwahlen herbeizuführen. Und dann versaut er alles, indem er den Ablauf verzögert. Was ist er jetzt in seinen letzten drei oder vier Amtsmonaten? Der Begriff „Lame Duck“ wäre eine Beleidigung für eine liebenswerte Wasservogel-Spezies. Dabei ist es nicht das Schlimmste, dass dieses böse Spiel jetzt noch in die Verlängerung geht; schlimmer ist, dass nicht unbedingt etwas Besseres nachkommt. Dem Kriegsgott jedenfalls ist es letztlich egal, wer unter ihm regiert — Friedrich Merz oder Boris Pistorius sind ihm auch recht. Ähnlich verhält es sich mit dem Großkapital. Es weiß, dass seine Interessen bei allen infrage kommenden Kandidaten gut aufgehoben sind. „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ heißt es in einem Schlager von Jürgen Marcus. Man könnte das mit Blick auf die politische Lage so variieren: „Eine neue Regierung ist eine neue Katastrophe.“ Aber auch eine neue Chance, könnte man hinzufügen. Größere Teile der Bevölkerung könnten endlich aus Schaden klug werden und damit beginnen, dieses Herrschaftssystem als Ganzes infrage zu stellen, anstatt sich damit zu begnügen, dass dieses aller Voraussicht nach bald die Farbe wechseln wird.
Wie reagiert man, wenn ein künftiger Altkanzler den Raum betritt, jemand, den man im historischen Rückblick vielleicht als den SchleKaZ — den schlechtesten Kanzler aller Zeiten — betrachten wird? Die Antwort der versammelten Runde in der SPD-Fraktion nach dem Ampel-Aus war: ohrenbetäubender Jubel. Die Scholz-Domestiken kriegten sich gar nicht mehr ein vor lauter Begeisterung. Dabei hatte ihr Frontmann nicht nur nach Ansicht seiner zahllosen Kritiker verspielt — auf seine Anhänger warten im neuen Jahr vielleicht Opposition und sicher ein großer Bedeutungsverlust. Das groteske Schauspiel erinnerte eher an Jubelorgien nordkoreanischer Machart als an eine angemessen demütige Reaktion auf ein großes Scheitern im Rahmen des hartnäckig „unsere Demokratie“ genannten Staatswesens.
Scholz hatte am Mittwoch, dem 6. November 2024, seinen langjährigen Weggefährten Christian Lindner auf rüde Art abgekanzelt, wie es unter „seriösen“ Politikern äußerst selten vorkommt, erst recht unter Menschen mit eher gedämpftem Temperament. Der Grund für das Donnerwetter schien auf der Hand zu liegen: Scholz brauchte einen Sündenbock für ein Scheiten, das nicht eine, sondern drei Parteien zu verantworten hatten — am meisten er selbst. Er wollte sich in Stellung bringen für einen Wahlkampf, der von jenem Tag an auch ein Wahlkampf gegen FDP und Grüne sein würde. „Vertrauensbrecher“ (Scholz über Lindner) prallte auf „matte, uninspirierte“ Politik (Lindner über Scholz). Alle Vorwürfe, die erhoben wurden, mochten zutreffen. Wir langjährigen Kritiker können uns nun durch die Protagonisten des Desasters selbst in unserem Urteil bestätigt fühlen. Nur kommt das alles viel zu spät — nachdem das Land an den Rand des Abgrunds geführt wurde —, und nie zeigt sich der Redner fähig zur Selbstkritik.
Kein Blatt Papier
Olaf Scholz versuchte nun, die für eine Neuwahl unabdingbare Vertrauensfrage zu verzögern. Bis Januar sogar und ohne einen plausiblen Grund. Nach matter Intervention durch Friedrich Merz findet nun die Vertrauensfrage Mitte Dezember, die Wahl Ende Februar statt. Viel Unterschied macht das nicht. Deutschland bleibt „in der Schwebe“, vom Ausland verspottet, handlungsunfähig. Und das Allerschlimmste ist: Vielen ist es egal.
Vielleicht waren die weitaus schlimmeren Zeiten die, in denen noch „Handlungsfähigkeit“ bestanden hatte, jedoch fast immer das Falsche getan wurde.
Wollte sich der Kanzler noch für eine Gnadenfrist von der Sonne der Macht und der öffentlichen Aufmerksamkeit bescheinen lassen? Will er vor seinem Abgang noch ein paar Projekte durchbringen und erhofft er sich dabei die Unterstützung der Union? Oder liegt es wirklich daran, was Bundeswahlleiterin Ruth Brand in einem Brief ans Kanzleramt vom 8. November 2024 behauptete: an fehlendem Papier?
„Es ist eine große Herausforderung in der heutigen Zeit, wirklich das Papier zu beschaffen und die Druckaufträge durchzuführen“,
sagte sie in einem Interview. Noch kurz vor ihrer viel belächelten Enthüllung hatte Brand felsenfest behauptet, eine frühe Wahl sei kein Problem.
Der Sinneswandel könnte, so mutmaßt nius.de, durch ein zwischenzeitliches Telefonat mit dem Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schmidt, zustande gekommen sein. Bekam Brand darin den Auftrag, die Wahl zu verzögern? Wenn ja, warum? Wenn es so gewesen wäre, hätten wir es mit einem veritablen Großskandal zu tun. Denn naturgemäß ist es wichtig, dass eine Bundeswahlleiterin politisch völlig unabhängig agiert und keinerlei Weisungen von Vertretern einer bestimmten politischen Richtung empfängt. Zu schnell gaben sich Kommentatoren damit zufrieden, dass da jemand wohl „an seinem Sessel klebt“. Freilich:
Scholz ist ein Machtgenießer, dem es vielleicht behagt, seinen Willen durchzusetzen, gerade auch wo fast alle anderen etwas anderes wollen als er.
„Ich tue es, weil ich es kann“, scheint er sagen zu wollen — und platziert eine ganze Nation auf der Wartebank.
Unbequemes in den Schredder
Es gibt zur Verzögerung der Vertrauensfrage noch eine andere, eine „bösere“ Verschwörungstheorie. Sie lautet, Olaf Scholz wolle auf die Schnelle noch ein Gesetz durch den Bundestag bringen, dass es erlaube, Akten aus dem CumEx-Verfahren, in das der Kanzler selbst als Verdächtiger verwickelt ist, früher zu schreddern, als bisher erlaubt ist. Würde Scholz damit durchkommen, wäre die Wahrheit über CumEx nie mehr zu rekonstruieren. Dies behauptet jedenfalls die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker, damals Leiterin der Ermittlungen gegen Olaf Scholz.
„28,5 Milliarden Euro“, sagt Brorhilker, „aus illegalen CumCum-Geschäften könnten nächste Woche für immer verloren sein. Im Bundestag soll nächste Woche ein Gesetz verabschiedet werden. Dadurch könnten wichtige Beweise für Ermittlungen schon nach acht Jahren vernichtet werden. Dabei ist die Verjährungsfrist für schwere Steuerhinterziehung wie CumCum oder CumEx fast doppelt so lang, nämlich 15 Jahre.“
Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.
Stimmen die Vorwürfe? Haben wir es im Fall Scholz mit einem Abschied von der Macht zu tun, der nicht nur quälend langsam und ohne Rücksicht auf das Wohl des Landes abläuft, sondern der auch zutiefst schäbig ist und vielleicht sogar eine Straftat des Kanzlers vertuschen soll? Sicher ist, dass an diesem Vorgang mehr als nur ein Aspekt „merkwürdig“ anmutet. So zeigte sich Scholz auch im Interview mit Caren Miosga zuversichtlich, noch einmal Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden zu können — so als könnte er sich der Aufwallung kollektiver Sympathie kaum mehr erwehren. Merkwürdig ist ebenso die Suggestion, eine der größten Industrienationen könne nicht genügend Papier organisieren — als seien Wahlen nebensächliche Kann-Bestimmungen und nicht das Rückgrat einer Demokratie und das vornehmste Recht aller Bürger, das zu sichern „Volksvertreter“, alles, wirklich alles unternehmen müssen. Plötzlich, 75 Jahre nach Gründung dieses Staates, steht das Wählenkönnen offenbar zu Disposition.
Neuwahl-Nazis ante portas
Schlimmer noch: Der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese drohte für den Fall „übereilter“ Wahlen mit einem Erstarken der extremistischen Ränder. Sollten nämlich wegen zu großer Hast bei der Abwicklung handwerkliche Fehler vorkommen, könnte die Seite des Bösen die Wahl anfechten. Fazit sinngemäß: Wenn Olaf Scholz nicht möglichst lange im Amt bleibt, droht eine Erosion unserer Demokratie, so Wiese.
„Und das ist übrigens eine wichtige Lehre aus der Weimarer Republik, als Nationalsozialisten und andere Extremisten die junge Demokratie regelmäßig in die Regierungsunfähigkeit manövrierten. Und auch heute wird wieder einmal deutlich (…), was mit dieser aktuellen Stunde bewirkt werden soll. Durch die Forderung nach überstürzten Neuwahlen soll Unsicherheit in die Institutionen und Zweifel an der vorgezogenen Legitimität geschürt werden. Das ist das Spiel der AfD, die sich an ihren geistigen Vorbildern aus der Weimarer Republik orientiert.“
Wer zügig Neuwahlen wolle, stehe also in der Tradition des Nationalsozialismus. Dieser Anwurf ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten, so als sei Demokratie vor allem die Kunst, die Bürger möglichst lange von den Wahlurnen fern zu halten.
Weltweite Wokeness-Dämmerung
Gibt es einen internationalen Kontext der Ereignisse in Deutschland — abgesehen von wohlfeilen Beschwörungen abgewirtschafteter Politiker, gerade in diesen unsicheren Zeiten sei „besonnenes Handeln“ erforderlich? Parallelen zwischen dem Wahlsieg Donald Trumps und dem Ende der Ampel sind in Kommentaren häufig hergestellt worden, nicht nur wegen der zeitlichen Nähe beider Großereignisse.
- Das Projekt „Wokeness“, verbunden mit all seinen Exzessen der Identitätspolitik, hat in den USA wie in Deutschland einen Rückschlag erlitten.
- Die Dämonisierung von allem „Nicht-Linken“ funktioniert nicht mehr so gut wie gehabt. Viele Menschen sind einfach genervt von Maulkörben und Diversitätspropaganda, wollen wieder sagen „dürfen“, was in ihnen brennt.
- Der bisher leidlich erfolgreiche Versuch des poltisch-medialen Establishments, die Schattenseiten der Migration zu leugnen und jeden, der auf sie hinweist, als „rechts“ zu brandmarken, kommt mit dem Jahr 2024 an seine Grenzen.
- Die wirtschaftliche und soziale Lage im Land erhält in der öffentlichen Diskussion der USA wie auch Deutschlands endlich den Stellenwert, der ihr in der Wahrnehmung der Bürger schon längst zukommt. Wenn die Hütte brennt, sind Geschlecht und Hautfarbe einer Kandidatin selbst denen egal, die dergleichen sonst relativ interessant finden.
- Tabubrüche und „unkorrektes“ Verhalten werden von den Wählern nicht mehr so stark abgestraft, vielmehr teilweise als „erfrischend“ und „ehrlich“ wertgeschätzt.
- Es ist für die Menschen existenziell wichtig, dass Politik die Kriegsgefahr bannt. Die Mehrheit will sich für Moral nicht in Lebensgefahr bringen und auch nicht in die Verarmung stürzen lassen.
Auch die Wahlergebnisse und Wahlumfragen in ostdeutschen Ländern im September weisen in diese Richtung, die tatsächlich eine Art Zeitenwende mit allen positiven und durchaus auch negativen Implikationen darstellt.
Ein Kanzler als Notlösung
Aber zurück zu Olaf Scholz: Der Kanzler startete schwach, um dann im Laufe seiner Amtszeit stark nachzulassen. Nun rundet er seine historische Mission mit ein paar Auftritten ab, die sein politisches Wirken im Abgang schal erscheinen lassen.
Im Rückblick steht Scholz als der Bundeskanzler da, von dem niemand je so richtig begeistert war. Scholz war der „Last Man Standing“, der übrig blieb, nachdem viele, die seine Partei ursprünglich für geeigneter hielt, abgeschossen worden waren.
Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Sigmar Gabriel, Martin Schulz, Andrea Nahles, nicht zu vergessen die Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier und Peer Steinbrück: Jeder und jede „durfte mal ran“ und wurde bald ausgetauscht. Warum schob man Scholz nicht schon in den 2010er-Jahren nach vorne? Er war ja schon damals ein prominentes Parteimitglied gewesen. Die SPD wollte eher noch Saskia Esken als ihre Vorsitzende als ihn — was tief blicken lässt. Zusammen mit Norbert Walter-Borjans wählten die Parteimitglieder sie 2019 bei einer Urwahl noch vor dem langjährigen Ersten Bürgermeister Hamburgs und deutschen Finanzminister in den Parteivorsitz. Das neue Führungsduo aber verriet das Mitgliedervotum und trug dem Urwahl-Verlierer schon im August 2020 handstreichartig die Kanzlerkandidatur an. Das wäre an und für sich noch kein Beinbruch gewesen, lag die Union doch damals schon lange in Umfragen vorn. Doch Unions-Kandidat Armin Laschet patzte und wurde überdies von der Mainstreampresse, die wohl lieber Rot-Grün wollte, ungnädig niedergeschrieben.
Trotz gedämpfter Erwartungen noch eine Enttäuschung
Was folgte, war eine Serie von Enttäuschungen und Fehlleistungen, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte ihresgleichen suchte. Als Begrüßungsgeschenk für die Minderzahl kritischer Bürger versuchte Scholz eine Impfpflicht einzuführen und installierte Karl Lauterbach, die Symbolfigur der Corona-Hysterie, als Gesundheitsminister. Scholz wollte das schon damals tief gespaltene Land nicht versöhnen; er wollte die Anhänger einer Denkrichtung, die nicht die seine war, unterwerfen. Weiter spaltete er, in dem er sich an die Spitze eines aus durchsichtigem Machtkalkül gestarteten „Kampfes gegen rechts“ stellte. Er ließ seine Innenministerin Nancy Faeser eine Serie von Attacken gegen die Meinungsfreiheit führen und sah zu, wie Robert Habeck die deutsche Wirtschaft in den Graben fuhr. Seine „Zeitenwende“ war wie fast alles, was er unternahm, eine Wende zum Schlechteren. Olaf Scholz beschwor die Gefahr eines verheerenden Krieges herauf, presste dem deutschen Steuerzahler Milliarden für Rüstung ab und bewirkte, dass ein abstoßender Militarismus in Deutschland Einzug hielt.
Hatte man Helmut Kohl noch wegen seiner Kopfform etwas uncharmant als „Birne“ tituliert, so erwies sich Olaf Scholz nun als Deutschlands Abrissbirne.
Saskia Esken bestätigte nach dem Ampel-Aus in einem rhetorisch wie menschlich desaströsen Auftritt bei Markus Lanz, dass es
„weiterhin notwendig ist, und zwar möglicherweise noch mehr, die Ukraine militärisch zu unterstützen“.
Finanzminister Lindner habe die Idee gehabt, so Esken, die dafür „notwendigen“ 15 Milliarden durch Einsparungen in den Sozialsystemen einzusparen. Dem hätten sich Scholz und die SPD tapfer widersetzt. Der Vorwurf an die FDP ist jedoch unzureichend belegt und hängt argumentativ in der Luft. Zudem lässt Esken offen, wie sie eine Aufstockung der Ukraine-Hilfe und zugleich alle fälligen Sozialleistungen und Rentenzahlungen finanzieren will. Das Ganze erscheint wie ein erstes perfides Wahlkampfmanöver, das den Kanzler des Niedergangs im scheinbaren Widerstreit mit einem „sozial kalten“ Finanzminister als Retter der Rentner und Transferbezieher zu inszenieren versucht.
J. D. gegen Robert
Währenddessen versuchte der zweite Kanzlerkandidat der rot-grünen Rumpfregierung, Robert Habeck, wieder einmal die Meinungsfreiheit nach seinem Gusto zurecht zu biegen. „Meinungsfreiheit bedeutet, dass Menschen ihre Meinung frei äußern können“, begann der Wirtschaftsminister gnädig, um dann gleich zu relativieren:
„Sie bedeutet nicht, dass eine künstliche Intelligenz die Algorithmen so steuert, dass die gesellschaftliche Meinung manipuliert wird. Wir können den demokratischen Diskurs nicht in die Hände von Elon Musk und chinesischer Software legen.“
Der Schock nach dem Wahlsieg von Donald Trump, der den Tech-Milliardär und „X“-Chef mit auf dem Siegertreppchen sah, saß offenbar tief. Habecks rhetorisches Aufbegehren gegen die Übermacht der künstlichen Intelligenz (KI) und der großen Digitalkonzerne klingt plausibel, könnte aber in der Praxis nichts anderes bedeuten als dies: „Glaubt niemals einer gesellschaftlichen Meinung, die jemand anderes als ich manipuliert hat.“ Wahrscheinlich ist nämlich, dass wir auf einer von Musk zur Verfügung gestellten Plattform unsere Meinung frei sagen dürfen, bei einem von Habeck kontrollierten Anbieter jedoch nur Robert Habecks Meinung nachbeten sollen.
Schon der designierte US-Vizepräsident James David „JD“ Vance beklagte in einem Interview, Europa habe sich durch mangelnden Respekt vor der Meinungsfreiheit von den Werten der USA entfernt. Man müsse deshalb überlegen, ob man den Kontinent weiter militärisch unterstützen könne. Ein solches Statement kann vielleicht aus dem Mund eines mächtigen NATO-„Partners“ arrogant wirken, es kann aber sein, dass die permanenten Angriffe aus der links-woken „Mitte“ auf unsere Rede- und Pressefreiheit durch Personen aus dem Trump-Lager, einschließlich Elon Musk, einen Dämpfer bekommen.
Was nie abgewählt werden kann
Wir sehen an diesen Beispielen: In wesentlichen Punkten wie der militärischen Unterstützung für die Ukraine, auf der auch Annalena Baerbock in einem Statement zum Ende der Ampel beharrte, und der fortgesetzten Relativierung der Meinungsfreiheit bleiben sich Spitzenkräfte von Rot-Grün treu. Und es ist keineswegs sicher, dass wir die nach dem wahrscheinlichen Wahltermin im Februar los sind. Kanzler Friedrich Merz wird mindestens eine, vielleicht sogar zwei der gescheiterten Ampelparteien für eine Regierungsbildung benötigen, sodass nicht einmal ausgeschlossen ist, dass wir Robert Habeck, Nancy Faeser oder auch Karl Lauterbach Seit‘ an Seit‘ mit Merz in einer neuen Regierung wiederfinden werden.
Zeiten des Wandels sind immer auch Zeiten falscher Hoffnung.
Das Ende der Ampel suggeriert, dass jede Schreckensherrschaft irgendwann einmal ein Ende findet und dass für deren Protagonisten einmal der Zahltag kommt. Bürger könnten sich dadurch zu der Schlussfolgerung verleiten lassen, „unsere Demokratie“ funktioniere noch immer recht gut. Es gebe schließlich Wahlalternativen, und „wir“ hätten die Macht, einen Wechsel herbeizuführen.
Die Wahrheit dürfte aber frustrierender sein: Eine Partei oder ein Parteienzusammenschluss kann scheitern, das System als Ganzes nicht so leicht. Sehr wahrscheinlich werden uns alle verantwortlichen Parteien und viele Protagonisten bis auf Weiteres erhalten bleiben — „egal, was die deutschen Wähler denken“, wie Annalena Baerbock sagen würde.
Zeit, dass sich nichts dreht
Die FDP kann es durchaus wieder über die 5-Prozent-Hürde schaffen, wenn sie den Wählern erzählt, Christian Lindner habe — wenn auch verspätet — mutig die Reißleine gezogen. Er habe sich also aus Edelmut und ungeachtet des Schadens für seine persönliche Karriere für das Wohl des Landes geopfert.
Die Grünen könnten sich angesichts des Gezänks zwischen Scholz und Lindner als der einzige unbefleckte und besonnene Ampel-Akteur präsentieren. Robert Habeck ist bei seiner Kernwählerschaft immer noch beliebt, so sehr ihn auch viele Menschen außerhalb seiner Blase weiter als die Keimzelle allen Unheils innerhalb der Ampelregierung betrachten. Auf einem Video auf „X“ summte er Herbert Grönemeyers Fußball-Hymne „Zeit, dass sich was dreht“ und trug am Handgelenk ein Freundschaftsbändchen mit der Aufschrift „Kanzler Era“. Damit versuchte sich der Wirtschaftsminister zugleich bei den Fans der Popsängerin Taylor Swift — Protagonistin der „Eras Tour“ — anzubiedern, die bekanntermaßen passionierte Bändchen-Trägerinnen sind. Was Habeck mit dem Auftritt eigentlich sagen will, ist dies: „Etwas Ungeheures bahnt sich an, eine neue Zeitenwende: die Ära der Kanzlerschaft Habecks.“
Einer neuen Habeckmania steht aber vielleicht ein klitzekleines Detail im Weg: der erwartbare Niedergang der deutschen Wirtschaft, der sich mindestens noch bis zum Wahltermin fortsetzen könnte. Schon aber beginnen sich die Grünen bei Friedrich Merz anzubiedern. Ihr Wettbewerbsargument gegenüber der SPD, die ja auch als Juniorpartner der Union weiterhin an den Fleischtöpfen der Macht teilhaben will, ist dieses:
„Wir sind die kleinere Partei und somit leichter zu kontrollieren. Und wir stehen weiterer Hochrüstung, etwa der Stationierung von Taurus-Marschflugkörpern, nicht im Weg. Für eine neue Koalition für Krieg und Bürgerrechts- sowie Sozialabbau wären wir der ideale Partner.“
Merz opponiert nur gegen die Opposition
Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Union die Wiedereinführung einer „richtigen“ Wehrpflicht — im Kontrast zur nur halbherzig kriegstauglichen Variante des gegenwärtigen Verteidigungsministers — nach Übernahme der Regierungsgeschäfte als ihre vornehmste Pflicht ansehen wird.
Wie wenig Aufbruch zu Neuem oder gar Besserem von der Partei Friedrich Merz‘ zu erwarten ist, zeigte dessen gegenüber den Ampelparteien betont anschmiegsame Rede im Bundestag:
„Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben, um uns alle — die Regierung und uns — davor zu bewahren, dass wir plötzlich Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder mit den Linken haben.“
Natürlich sagt Merz damit nicht explizit, dass er Ampelpolitik unverändert fortsetzen will, aber er kündigt an, mindestens bis zur Installation einer neuen Regierung mit der alten kungeln und der Opposition sogar diejenigen Rechte entreißen zu wollen, die sie in einer solch wackligen Konstellation noch hätte: das Recht, Zünglein an der Waage in der einen oder anderen Sachfrage zu sein, zum Beispiel. „Gute Freunde kann niemand trennen“ könnte man da in Anlehnung an einen Singversuch des unvergessenen Franz Beckenbauer resümieren.
Verzweiflungsträger Pistorius
Bei der SPD hat die Hoffnung einen Namen: Boris Pistorius.
Der wegen seiner kumpelhaft-virilen Ausstrahlung beliebte Verteidigungsminister könnte das Versagen von Olaf Scholz vergessen machen, sollte es gelingen, den eiernden Kanzler rechtzeitig zum Verzicht zu bewegen.
Der Verteidigungsminister wurde von der Systempresse in den letzten Jahren systematisch hochgeschrieben. So sollte sichergestellt werden, dass der Krieg in den Herzen der Deutschen jederzeit seinen Platz behauptet. Unmotivierte persönliche Zuneigung könnte sich sogar als die letzte Trumpfkarte erweisen, die das rasant an Rückhalt verlierende Establishment noch zu bieten hat. „Liebe“ bewirkt seit jeher, dass die Entflammten nicht mehr klar zu sehen vermögen. Das war bei Karl Theodor zu Guttenberg so, es war bei Robert Habeck so, und dieselbe Dynamik könnte auch einen Kandidaten Pistorius ins Kanzler- oder Außenamt tragen.
Wahrscheinlich erscheint aber auch, dass Friedrich Merz mit einer Politik der Kontinuität zur Ampel erst einmal die AfD noch weiter stärken würde. Die Migrationskrise wird nicht so schnell zu lösen sein, und der Karren der Wirtschaft steckt zu tief im Dreck, als dass selbst eine geniale Regierung ihn so schnell wieder herausziehen könnte. Friedrich Merz dürfte auf mehr Härte gegen Arbeitslose setzen und die Pauperisierung in breiten Bevölkerungsschichten vorantreiben. Viele Unionswähler würden jedoch — wie auch in einigen östlichen Bundesländern — nicht verstehen, warum der CDU-Vorsitzende lieber mit Linken und Exponenten der gescheiterten Ampelparteien als mit einer „bürgerlichen“ Partei wie der AfD koaliert. Das könnte die Wahlchancen der Letztgenannten nochmals erhöhen, zumal „rechts“ momentan ohnehin zum Jugendtrend avanciert ist und die Zukunft entscheidend mitgestalten dürfte.
„Verrat“ oder Machtverzicht
Das BSW könnte sich — da es zu früh in die Verantwortung gedrängt wurde — in Kleinkriegen in den Ländern verschleißen. Klappt es doch einmal mit einer Regierungsbeteiligung, wird man Sahra Wagenknecht „Verrat“ an ihren Grundsätzen vorwerfen („Steigbügelhalterin der CDU“). Auch diese Dynamik würde die AfD weiter stärken, die sich dann als die einzige Partei inszenieren könnte, mit der sich wirklich „etwas dreht.“
Das Schlimme an der jetzigen Situation ist nicht, dass wir noch ein paar Monate in der „Geiselhaft“ der gescheiterten Ampel bleiben müssen, sondern dass man sich gar nicht vorstellen kann, wer in Deutschland eine substanziell bessere Regierung bilden sollte.
Sahra Wagenknecht wartet zwar nach wie vor mit guten Denkansätzen auf, aber ihre Kraftreserven sind, gemessen an den zu bewältigenden Aufgaben, vermutlich begrenzt, und es bestünde die Gefahr, dass ihre Politik durch mögliche Koalitionspartner bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird.
Deutschland wieder klein machen
Es ist also nicht leicht, aus der politischen Depression herauszufinden, die durch die momentane verquere Lage entstanden ist. Julian Reichelt, der nie um einen flotten Spruch verlegen ist, verkündete als Slogan „Machen wir Deutschland wieder großartig!“. Natürlich ist das eine Anspielung auf „Make America Great Again“. Auch wenn Nationalismus seine Tücken hat und der Begriff „Großdeutschland“ zu Recht Ängste weckt, gibt es eine Vision, die auch ich teilen würde: Verändern wir die Dinge so, dass es möglichst vielen Deutschen wieder gut geht! Durchaus können Zugewanderte hier miteinbezogen werden. Das setzt jedoch voraus, dass man das Wohlergehen der Deutschen überhaupt als Aufgabe betrachtet.
Die bisherige Regierung hatte ja alles dafür getan, um Deutschland — in Umkehrung des Trump-Spruches — „wieder klein zu machen“. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich dafür Entrüstung ernte: Nicht das Wohl der Ukrainer sollte für eine deutsche Regierung an erster Stelle stehen. Nicht das der US-Bürger und auch nicht das der Israelis, Syrer oder Afghanen — auch wenn ich diesen Menschen alles Gute wünsche. Wir sollten Menschen in Not helfen, solange Geld und Kräfte reichen, aber in einem Land, in dem es inzwischen teilweise am Notwendigsten fehlt, sind die Kapazitäten allmählich erschöpft. Und viele von uns Bürgern sind es auch.
Zeit, Bilanz zu ziehen
Es ist in der Tat „Zeit, dass sich was dreht“. Gemeint ist aber nicht, weiterwursteln mit Habeck statt Scholz als neuer Nummer eins. Wir können Probleme nicht mit den gleichen Mitteln und dem gleichen Personal lösen, die diese Probleme erst herbeigeführt haben. Der Zusammenbruch des Vertrauten und das Versiegen aller realistischen Perspektiven führt uns alle in eine auch mentale und emotionale Krise. Diese wäre aber auch Anlass, einmal gründlicher über alles nachzudenken.
Es wird nicht genügen, sich aus der harten Realität in die Hoffnung auf eine Regierung unter Friedrich Merz oder selbst unter Alice Weidel oder Sahra Wagenknecht zu flüchten. Warum müssen wir überhaupt immer „unter“ jemandem leben?
Die Zeit bis zur Wahl, die uns durch Wintersonnwende, Weihnachten und Neujahr hindurchführen wird, ist ideal dafür geeignet, Bilanz zu ziehen und ganz neuen Gedanken in uns Raum zu geben.
Die Zeit des Übergangs analytisch zu begleiten und neue Wege gedanklich vorzubereiten, wird auch zu den Aufgaben von Manova in den nächsten Monaten und Jahren gehören. Ich sehe diesen Weg noch nicht in allen Details klar vor mir. Nur einen Gedanken will ich hier schon einmal anführen: Anstatt danach zu schielen, wer uns als Nächstes beherrschen könnte, sollten wir Wege finden, Herrschaft als solche zurückzudrängen.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 16. November 2024 auf manova.news.
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Bildquelle: Frederic Legrand - COMEO / shutterstock
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