
Ein Kommentar von Tilo Gräser.
Mit Blick auf die katastrophale Lage der Ukraine stellte der ehemalige Bundeswehr-Generalsinspekteur und frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat kürzlich bei einer Veranstaltung in Berlin fest:
„Wenn man die sich immer mehr abzeichnende militärische Niederlage abwenden will, dann muss es rechtzeitig vorher zu einem Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen kommen.“
Doch das scheint noch „weit, weit weg“, wie der Kiewer Präsident Wolodymyr Selenskyj laut der Nachrichtenagentur AP am Montag sagte. Daraufhin erklärte US-Präsident Donald Trump, die US-Militärhilfe für die Ukraine zu stoppen, einschließlich bereits zugesagter Lieferungen. „Das ist die schlimmste Erklärung, die Selenskyj machen konnte und Amerika wird sich das nicht mehr lange gefallen lassen“, schrieb Trump Agenturmeldungen zufolge auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social.
Diese beiden unterschiedlichen Haltungen – Trump will den Krieg und das Sterben in der Ukraine beenden und Selenskyj will den Krieg anscheinend bis zum „Endsieg“ fortsetzen – hatten am Freitag vergangener Woche zu einem schier unglaublichen Schauspiel im Weißen Haus vor laufenden TV-Kameras geführt: Trump und sein Vize James D. Vance lieferten sich mit Selenskyj ein Wortgefecht, das mit dem Abbruch des Treffens endete.
Beide Seiten haben unvereinbare Positionen deutlich gemacht: Selenskyj will keinen Waffenstillstand und hat die Geschichte des Ukrainekonflikts verfälscht. Zugleich hat er Trump und Vance erzählt, dass Putin die USA angreifen will. Trump hat Selenskyj gesagt:
„Wenn Du Dein Land retten willst, musst Du Frieden machen, mit unserer Unterstützung!“
Zugleich hat er ihn gewarnt, dass er mit seinem Unwillen zum Frieden den 3. Weltkrieg provoziert.
Vermeidbarer Krieg
Die Ukraine führt mit der Unterstützung von mehr als 40 Ländern einen bewaffneten Kampf, um ostukrainische Gebiete zurückzuerobern. Dabei hat Kiew deren friedliche Wiedereingliederung in das politische und wirtschaftliche System seit 2015 trotz der ukrainischen Verpflichtungen nach den Minsker Vereinbarungen verweigert. Daran hatte der ungarische Botschafter a.D. György Varga bei der anfangs erwähnten Veranstaltung in Berlin mit General a.D. Kujat, organisiert von der Eurasien Gesellschaft, erinnert.
Der ungarische Diplomat war von 2017 bis 2021 Leiter der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an der russischen Grenze zur Ostukraine. Die Kiewer Regierung habe bis 2022 die von dem UN-Sicherheitsrat einstimmig gebilligten Minsker Abkommen nicht umgesetzt und der kollektive Westen habe sich nicht dafür eingesetzt und keine entsprechenden Sanktionen eingeleitet. Dagegen hätten Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige französische Präsident Francois Hollande im Dezember 2022 erklärt, dass die Vereinbarungen von Minsk der Ukraine nur Zeit geben sollten, sich auf einen Krieg vorzubereiten.
Das gehört zu der vom politischen und medialen Mainstream unterschlagenen Vorgeschichte der aktuellen Ereignisse, die bis zum Eklat in Washington führten. Das Besondere an Letzterem ist: Ohne die USA hätte es den nun seit mehr als drei Jahren andauernden Krieg in der Ukraine nie gegeben. Für diesen ist allerdings eine Gruppe in der US-Elite verantwortlich, die mit dem zweiten Amtsantritt Trumps anscheinend abgedankt hat und von der Macht entfernt wird. Das macht wahrscheinlich den etwas verwirrenden Unterschied aus, dass ausgerechnet Washington nun ein Ende des Krieges anstrebt. Solches aus der US-Führungszentrale zu hören, ist schier unglaublich und verblüffend.
Es bleibt die Frage, was und wer Selenskyj weiter auf Kriegskurs hält, trotz des Sterbens und des Leides der Ukrainer und der zunehmend katastrophalen Lage der ukrainischen Truppen an der Front. Dabei dürften die europäischen Kriegspolitiker eine wichtige Rolle spielen, die bis zum letzten Ukrainer weiterkämpfen wollen: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen!“, hatte die CDU kurz nach ihrem „Wahlsieg“ am 23. Februar erklärt.
Die bisher treuen Vasallen der USA im Westen und vor allen in der Europäischen Union (EU) steigern ihre bisherige vor allem ideologisch bedingte, irrationale Haltung und fordern mehr Krieg bis zum „Endsieg“ der Ukraine – was dem Land nur noch mehr Zerstörung bringt. Wie besessen sehen sie den Kiewer Präsidenten weiter als Opfer und schwadronieren etwas von der russischen Gefahr, die nicht nach der Ukraine Halt machen werde.
Irrationale EU-Politik
Deshalb will die EU am Donnerstag auf einem Sondergipfel in Brüssel den Kriegs- und Aufrüstungskurs fortsetzen. Meldungen zufolge will die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – die keinerlei demokratisches Mandat hat – einen Plan mit dem Titel „Rearm Europe“ beschließen lassen, mit dem die Mitgliedsstaaten bis zu 800 Milliarden Euro mehr als bisher für Waffen und Militär ausgeben sollen. Von der Leyen, die laut Euronews am Dienstag keine Fragen von Journalisten zu dem Plan beantwortete, machte keine Angaben dazu, wie dieses Geld aufgebracht werden soll.
Zuvor hatte die EU-Kommissionspräsidentin am Samstag an dem Sondertreffen westlicher Politiker in London teilgenommen, das dem Kiewer Präsidenten nach der Abfuhr in Washington „Trost“ spendete, wie es in einem Bericht tatsächlich hieß. Das Treffen hatte der britische Premierminister Keir Starmer wohl kurzfristig organisiert, um Selenskyj „mit großer Wärme“ zu empfangen.
Hinter dem Schauspiel einer irrationalen Politik, die weiter auf Kriegskurs ist und davon träumt, Russland doch noch zu besiegen und zu ruinieren, stecken natürlich handfeste Interessen. Das gilt auch für den Weg zum Frieden, auf den sich US-Präsident Trump gemacht hat. Er hat in Washington versucht, Selenskyj das zu erklären: Der Deal mit dem geplanten Rohstoffabkommen, um Seltene Erden und andere Mineralien in der Ukraine abbauen zu können, ermögliche und brauche Frieden. Doch der Mann aus Kiew forderte stattdessen für den Wiederaufbau 300 Milliarden Dollar eingefrorener russischer Vermögenswerte. Selenskyj habe statt Dankbarkeit gegenüber den USA zu zeigen harte Bedingungen gestellt, berichtete US-Handelsminister Howard Lutnick nach den Gesprächen in einem Interview. „Ich will 300 Milliarden Dollar Reparationen von Russland. Ich will, dass sie mein Land verlassen. Ich will das ganze Land“, zitierte Lutnick den Kiewer Präsidenten.
Die Unterstützung aus der EU und aus Großbritannien könnte Selenskyj auch dazu gebracht haben, im Weißen Haus trotzig den „harten Kerl“ zu spielen. Den britischen Premier Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron treffe eine Mitschuld an der Eskalation im Weißen Haus, schrieb der EU-Korrespondent Eric Bonse in einem Beitrag am Sonntag. Beide waren vor Selenskyj bei Trump gewesen und hatten demnach den Eindruck erweckt,
„als sei US-Präsident Trump gar nicht so schwierig, wie viele glauben. Ein wenig Kumpanei und viel Charme – und schon lässt er mit sich reden.“
Macron soll laut Bonse Selenskyj zum Besuch im Weißen Haus ermuntert und die „falsche Hoffnung“ geweckt haben, Trump sei auf einem pro-ukrainischen Kompromisskurs. Doch dieser habe Klartext geredet und ausgesprochen,
„was Macron und Starmer verschweigen: Dass die Ukraine ohne die USA keine guten Karten hat – und dass man für Kiew keinen 3. Weltkrieg riskieren werde“. Das sei das „tiefere Versagen von Macron, Starmer & Co.: Sie haben diese bitteren strategischen Wahrheiten nie ausgesprochen und Selenskyj in dem Irrglauben bestärkt, er könne mit europäischer Hilfe alles haben“.
Neocons kontrollieren EU
Die Europäer benutzen den Kiewer Präsidenten anscheinend gezielt für ihre Anti-Trump-Politik, die sie schon vor Beginn der neuen Amtszeit des von ihnen ungeliebten Hausherren im Weißen Haus begannen. Selenskyjs Verhalten am Freitag und danach basiere „auf der Tatsache, dass die EU behauptet, sie stünde hinter ihm“, schrieb der US-Finanzanalytiker Martin Armstrong am Samstag in seinem Blog. Armstrong, mit Verbindungen auch in die Ukraine, berichtete von Informationen vor dem Treffen, dass der Kiewer Präsident „nur kommen würde, um zu versuchen, Trump zum Bösewicht zu machen, ohne die Absicht, tatsächlich ein Friedensabkommen zu schließen“.
Der Finanzanalytiker erklärt den massiven antirussischen Kriegskurs und Anti-Trump-Kurs der EU so: Die EU brauche einen Krieg mit Russland, weil ihre Wirtschaft durch die Corona- und die Klima-Politik sowie die Sanktionen gegen Russland zusammenbreche. Die Medien in der EU hätten neben Trump auch Russlands Präsident Wladimir Putin so sehr verteufelt, „dass es für die EU jetzt unmöglich ist, Putin die Hand zu schütteln“.
Armstrong schreibt, dass die US-Neokonservativen, die Neocons, nach ihrer Niederlage gegen Trump dennoch die „vollständige Kontrolle über die EU“ haben. Sie würden mit ihrer Kriegspolitik Europa zerstören, „denn sie sind unfähig, auch nur einen einzigen Krieg zu gewinnen“. Die EU mit ihrer undemokratisch an die Macht gekommenen Elite habe die Vision, Russland zu erobern und sich die 75 Billionen Dollar an natürlichen Ressourcen des Landes anzueignen. Die USA sollen dann „zu einem Emporkömmling degradiert“ werden, der Europa unterworfen ist. „Diese Arroganz ist unglaublich“, so der Finanzanalytiker. Passenderweise war Selenskyj vor seinem Gespräch im Weißen Haus mit Vertretern der US-Demokraten, dem politischen Arm der Neocons, zusammengetroffen.
„Alle sagen, Selenskyj sei ein Held“, der immer Militärkleidung trage, um psychologisch darzustellen, dass sich die Ukraine im Krieg befindet, so Armstrong. Doch der Kiewer Präsident kümmere sich nicht um das ukrainische Volk,
„sonst würde er einen Waffenstillstand schließen und das Mineralienabkommen unterzeichnen. Dieses Abkommen würde US-amerikanische Unternehmen aus strategischen Gründen in die Ukraine bringen, und Putin würde nicht einmarschieren, da es keine NATO-Truppen gäbe, die sich als Friedenstruppen ausgeben.“
Zu den möglichen Gründen für Selenskyjs Kurs, der den Krieg fortsetzt statt Frieden zu bringen, könnten die Abkommen von EU-Staaten und Großbritanniens gehören, die diese vor Trumps Amtsantritt mit der Ukraine abschlossen. So wird Starmer Selenskyj sicher nicht nur Trost gespendet haben: London hat am 16. Januar mit Kiew eine 100 Jahre dauernde Partnerschaft vereinbart. Teil der Vereinbarung ist unter Punkt 5 der Zugriff auf die begehrten Mineralrohstoffe der Ukraine. Darauf machte am Sonntag im US-Sender Newsmax der ehemalige Geheimdienstoffizier Tony Shaffer aufmerksam.
Rohstoffe im Visier
Er verwies darauf, dass das Abkommen zwischen Kiew und London beide Seiten zur Zusammenarbeit bei Verteidigungs-, Wirtschafts- und Technologieprojekten verpflichte, einschließlich der „Unterstützung der Entwicklung einer Strategie für kritische Mineralien in der Ukraine und der notwendigen Regulierungsstrukturen, die erforderlich sind, um die Maximierung des Nutzens aus den natürlichen Ressourcen der Ukraine zu unterstützen“. Aber auch die EU und die Ukraine haben bereits eine „strategische Partnerschaft für Rohstoffe und Batterien auf den Weg“ gebracht. Das entsprechende Abkommen wurde am 13. Juli 2021 durch den damaligen EU-Kommissionsvizepräsidenten Maroš Šefčovič und den ukrainische Premierminister Denys Schmyhal unterzeichnet.
Den Auftrag von EU-Vertreter Šefčovič beschrieb die österreichische Zeitung Die Presse im April 2022 so:
„Seine Mission: Die Sicherung strategischer Rohstoffe wie Lithium, die in der Ukraine noch unangetastet im Boden ruhen.“
Auch in Deutschland sind die die begehrten Rohstoffe längst ins Visier genommen worden. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sorgte Ende Dezember 2023 für Aufsehen, als er in einem ARD-Beitrag erklärte, die EU sei für ihre „Energiewende“ auch auf das Lithium in der Ostukraine angewiesen. Die größten Vorkommen in Europa würden im Donezk-Luhansk-Gebiet liegen.
Ähnlich äußerte sich Ulrich Blum vom privaten Deutschen Lithiuminstitut (Itel) Anfang Juli dieses Jahres gegenüber der Deutschen Welle (DW). Er behauptete unter anderem, dass Russland den Zugriff auf die aussichtsreichsten Lithium-Lagerstätten in der Ost- und Zentralukraine anstrebe. Dann verschlechtere „sich natürlich die Situation für Europa“, so Blum, „weil Europa die meisten der für die Energiewende notwendigen Mineralien aus der Ukraine beziehen könnte und die Ukraine damit den Wiederaufbau ihres Landes finanzieren könnte, was viel, viel mehr kosten wird, als die Weltbank schätzt“.
Deshalb sei es wichtig, „Putin aus all diesen Gebieten zu vertreiben“, sagte der Experte für „wirtschaftliche Kriegsführung“ und erklärte: „Das alles lässt die Ukraine für Europa noch viel wichtiger erscheinen, wenn man bedenkt, dass sie dieses Lithium sogar im zentralen Teil des Landes hat, der noch in ukrainischer Hand ist. Wenn die EU eine Batterieindustrie aufbauen will, braucht sie eine freie, demokratische Ukraine.“ Das alles ist weit weniger bekannt als die offen geäußerten US-Begehrlichkeiten an den ukrainischen Rohstoffen, wie sie unter anderem der US-Senator Lindsey Graham mehrfach äußerte und sie auch Trump gegenüber Selenskyj wiederholte.
Unterdessen wurde gemeldet, dass Selenskyj nach der ausgesetzten US-Militärhilfe doch noch das Rohstoffabkommen mit den USA unterzeichnen wolle. Er habe auch eine Waffenruhe „in der Luft und zur See“ vorgeschlagen. Ähnliches hatten der britische Premier Starmer und Frankreichs Präsident Macron nach dem Treffen in London vorgeschlagen. Allerdings sollen davon die Kämpfe an der Front in der Ostukraine ausgenommen sein, heißt es in beiden Vorschlägen. Das Sterben vieler Tausender auf beiden Seiten soll also weitergehen …
Kein Frieden in Sicht
Dem Kriegsende stehen Interessen entgegen, die sich am Donnerstag wieder beim EU-Sondergipfel in Brüssel zeigen werden. Die EU wolle einen “umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden” erreichen, heißt es in der Einladung für den Gipfel. „Im EU-Jargon bedeutet das, dass man die aktuellen Pläne von US-Präsident Trump ablehnt“, schreibt EU-Korrespondent Bonse dazu.
Das letzte Wort soll demnach der ukrainische Präsident Selenskyj haben, „der wieder mal nach Brüssel eingeladen wurde“. Nur Ungarn und die Slowakei fordern „direkte“ Gespräche mit Russland, um schnell zu einer „nachhaltigen“ Friedenslösung für die Ukraine zu kommen. „Ich bin überzeugt, dass die EU – nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten – direkte Gespräche mit Russland über einen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden in der Ukraine aufnehmen sollte“, erklärte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Brief an EU-Ratspräsident Antonio Costa.
„Die Tragik der Ukraine bemisst sich also nicht nur im unermesslichen Leid der Menschen und in der unbeschreiblichen Zerstörung dieses Landes, sondern auch darin, dass eine intelligente Politik nach allem, was man weiß, das alles verhindern hätte können, wenn man sie denn gelassen hätte.“
Das hatte die Publizistin Gabriele Krone-Schmalz unter anderem bei einer Veranstaltung in Berlin im Oktober 2024 festgestellt. Und sie betonte, wer der Ukraine helfen wolle, müsse dafür sorgen, dass dieser Krieg endet.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Dmytro Larin / shutterstock
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