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Warum Russland gegen einen EU-Beitritt der Ukraine ist | Von Thomas Röper

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Bisher lautete das Credo der russischen Politik, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine für Russland inakzeptabel, dass ein EU-Beitritt aber in Ordnung sei. Das scheint sich nun geändert zu haben.

Ein Kommentar von Thomas Röper.

Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder über die Naivität der russischen Führung gewundert, die zwar seit über 20 Jahren klar sagt, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine für Russland inakzeptabel ist, was ja auch der wohl wichtigste Grund für das militärische Eingreifen in der Ukraine war, dass ein EU-Beitritt der Ukraine für Russland aber in Ordnung sei.

Die russische Regierung ist immer davon ausgegangen, dass die EU ein rein wirtschaftlicher Block sei, dabei regelt der Lissabonner Vertrag von 2007 eindeutig, dass die EU auch ein Militärbündnis ist. In Artikel 42 Punkt 7 des Vertrages steht unzweideutig:

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“

Das ist eine wesentlich umfassendere Beistandsklausel als der berühmte Artikel 5 des NATO-Vertrages, in dem nur geregelt ist, dass jedes NATO-Land im Falle eines Angriffes nur den Beistand leistet, den es „für erforderlich erachtet“. Mit anderen Worten: Wenn ein NATO-Land keinerlei Hilfe „für erforderlich erachtet“, dann verpflichtet der berühmte Artikel 5 des NATO-Vertrages das Land auch zu gar nichts.

Die EU als reine Wirtschaftsgemeinschaft anzusehen, ist seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages im Jahr 2009 also nicht nur naiv, sondern auch in der Sache falsch.

Trotzdem hat die russische Regierung die EU bis vor kurzem noch als Wirtschaftsgemeinschaft angesehen, zu der die Ukraine nach Meinung Moskaus gerne beitreten könne, wenn sie es denn unbedingt will, was ich aus dem genannten Grund mehr als einmal öffentlich als naiv und falsch bezeichnet habe.

Sogar bei den Friedensverhandlungen in Istanbul im März/April 2022 hatte Russland nicht nur nichts gegen einen EU-Beitritt der Ukraine, Russland war sogar bereit, den als Garantiemacht der Ukraine zu unterstützen.

Das scheint sich nun geändert zu haben, wie ein Telegram-Post von Dmitri Medwedew vom 25. Juni zeigt. Medwedew ist heute bekannt für seine heftigen Formulierungen in Fragen der Ukraine und man muss dabei sicherlich nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, wie er in einem Interview im letzten Jahr auch gesagt hat. Damals sagte er, er habe in seiner heutigen Funktion die Freiheit, seine Gedanken nicht unbedingt in diplomatisch korrekter Sprache formulieren zu müssen.

Aber Medwedew bleibt eine wichtige Person in der russischen Hierarchie der Macht, weshalb man die Kernaussagen seiner Posts durchaus ernst nehmen sollte, auch wenn sie überspitzt formuliert sind. Und wenn Medwedews Post die Position der russischen Führung wiedergibt, dann sind die Zeiten, in denen Russland einem EU-Beitritt der Ukraine positiv gegenüberstand, offensichtlich vorbei. Ich habe seinen Post zur Information übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Ein Kurswechsel oder warum die Ukraine der EU nicht beitreten darf

Noch vor 15 bis 20 Jahren hatte niemand in unserem Land sonderliche Einwände gegen Kiews Pläne, der EU beizutreten. Nach dem Motto „geht doch, wenn ihr wollt“. Dann würden sie sich eben in die Ellbogen beißen, wenn sie den Markt der Eurasischen Wirtschaftsunion verlieren.

Es schien, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit Kiews mit der EU keine fundamentale Bedrohung für unser Land darstellen könnte. Zumal die Chancen auf einen EU-Beitritt gleich null waren. Unsere prinzipielle Position war es, die Ukraine am Beitritt zur NATO zu hindern. Deren Ausdehnung bis an unsere Grenzen heran war und ist eine unmittelbare Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands.

Doch gibt es die alte Europäische Union, die einst auf der Grundlage der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entstanden war, im Grunde nicht mehr.

Sie ist eine politisierte, globalistische und seit einiger Zeit eine zutiefst russophobe Organisation. Eine Organisation, die von einer Revanche an Russland träumt. Die dusseligen europäischen Politiker der letzten Jahre haben alles daran gesetzt. Sie haben die Vorstellung von der EU als Wirtschaftsgigant, der keine Kriege und Zwietracht zwischen den europäischen Mächten will, vollständig zerstört. Und deren Handelsumsatz mit Russland fast 500 Milliarden Euro erreicht hatte.

Ihre zentrale Ideologie ist nun die bestialische Russophobie, die durch die imaginäre „russische Bedrohung“ erzeugt wird, die sie selbst hochgepumpt haben, um ihre kleinlichen Probleme zu lösen. Langsam aber sicher verwandelt sich die Europäische Union in einen autarken Militärblock, der allmählich beginnen muss, mit der NATO zu konkurrieren, insbesondere in Zeiten des Trumpismus. Die Brüsseler Kakerlaken und engstirnigen Staats- und Regierungschefs der EU-Länder verkünden ihre eigene Verteidigungsstrategie und verkünden den Eintritt in die „Ära der Wiederbewaffnung“.

Diese hässliche Metamorphose der Europäischen Union verfolgt zudem ein weiteres Ziel: das neonazistische Kiewer Regime so weit aufzurüsten, dass es für Russland unverwundbar wird. Es ist die EU, die mit dem illegitimen Führer der sterbenden Ukraine ein Abkommen über langfristige Verpflichtungen zur Gewährleistung ihrer sogenannten Sicherheit unterzeichnet hat. Es ist die EU, die die Bandera-Freaks mit Waffen und militärischer Ausrüstung versorgt, die Macht ihrer Rüstungsindustrie fördert und auf ihrem Territorium Rüstungsfabriken baut. Es ist die EU, die ihre Ausbilder schickt, um ukrainische Militante auszubilden, damit diese unsere Bürger töten und Terroranschläge in unserem Land verüben. Und diese EU finanziert ihre widerwärtigen Aktionen dreist mit Einnahmen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten.

Brüssel ist heute ein echter Feind Russlands.

In dieser verzerrten Form stellt die Europäische Union für uns keine geringere Bedrohung dar als das Nordatlantische Bündnis.

Deshalb muss der gutmütige Slogan „Tretet bei, wo ihr wollt, nur nicht der NATO“ angepasst werden. Die EU, vollgestopft mit Waffen, Regenbogen-Freaks und lauten Brüsseler Zicken, stellt eine direkte Bedrohung für Russland dar. Genau so muss man sie sehen. Auf jeden Fall, bis sich ihr Umgang mit uns ändert. Das darf die bilaterale Zusammenarbeit mit einzelnen europäischen Ländern natürlich nicht beeinträchtigen.

Somit ist die sogenannte Ukraine in der EU eine Gefahr für unser Land. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieser Gefahr zu begegnen:

a) Entweder muss die EU selbst erkennen, dass sie den Quasi-Staat Kiew prinzipiell nicht braucht;

b) oder, was sicherlich vorzuziehen ist, dass es schlicht niemanden gibt, der der EU beitreten wird…

Ende der Übersetzung

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Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. 

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Dieser Beitrag erschien am 02. Juli 2025 auf dem Blog anti-spiegel.

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Bildquelle: Anton Veselov/ shutterstock


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