Warum die Probleme von Boeing systemisch sind: Teil 2 | Von Thomas Röper

Westliches Wirtschaftssystem

Boeing hat massive Probleme, die auf systemisches Probleme nicht nur bei Boeing, sondern generell im westlichen Wirtschaftssystem hinweisen. In zwei Artikeln zeige ich das auf.

Ein Standpunkt von Thomas Röper.

Die Probleme von Boeing machen international Schlagzeilen. Die russische Nachrichtenagentur TASS hat in den letzten Tagen zwei Artikel dazu veröffentlicht, die sich mit zwei Aspekten der Probleme von Beoing beschäftigen. Im ersten TASS-Artikel, den ich gestern übersetzt habe, ging es um die inzwischen zwei Whistleblower, die unerwartet verstorben sind. Im zweiten TASS-Artikel, dessen Übersetzung ich hier veröffentliche, geht es um die Probleme mit Boeings Weltraumkapsel, die die Probleme des Konzerns sehr anschaulich aufzeigen.

Bevor wir zu der Übersetzung kommen, will ich eine Anmerkung dazu machen, die ich beiden Übersetzungen vorwegstelle.

Das systemische Problem des Westens

Boeing hat bekanntlich massive Probleme, die aber – so meine These – kein Einzelfall, sondern systematisch bedingt sind. Das Problem ist, dass Konzerne im Westen nach den 1990er Jahren dazu übergegangen sind, ihre Manager nach kurzfristigen Kriterien zu bezahlen. Boni gab es für gute Jahresergebnisse und steigende Aktienkurse, aber langfristige Planung wurde nicht belohnt, weil die eben manchmal zwei Jahre lang Geld kostet, bevor sie Profite generiert.

Aus diesem Grund sind westliche Konzerne dazu übergegangen, den Controllern, die für Kosteneinsparungen verantwortlich sind, immer mehr Macht zu geben. Die daraus folgenden Probleme sehen wir überall. Dazu will ich zwei Beispiele nennen.

Durch die Produktion „Just in Time“ wurden Lagerbestände abgebaut, weshalb Probleme bei Lieferketten sofort durchschlagen, die früher wegen der auf Lager gehaltenen Vorräte an nötigem Material niemand bemerkt hätte. Das zweite Beispiel war Opel, denn der Konzern hat in den 1990er Jahren so sehr auf Kosteneinsparungen gesetzt, dass die Qualität der Autos gelitten hat. Von dem Imageverlust konnte sich die Marke, die in Deutschland früher ein Konkurrent von VW war, nie wieder erholen.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und das ist auch das Problem bei Boeing, denn dort haben ebenfalls die Controller das Ruder übernommen, nachdem Boeing früher ein Konzern war, in dem die Ingenieure das Sagen hatten. Und genau das hat zu den Problemen geführt, die Boeing heute in allen Bereichen hat.

In diesem zweiten TASS-Artikel, den ich zu dem Thema übersetzt habe, geht es um die Probleme, die Boeing in den verschiedenen Sparten des Konzerns hat.

Beginn der Übersetzung:

Das erste bemannte Raumschiff Starliner von Boeing ist ein Paradebeispiel für die Probleme des Konzerns

Mikhail Kotow über das unglückliche Schicksal des amerikanischen Raumschiffs

Der für den 6. Mai geplante und dann verschobene Start des ersten bemannten Raumschiffs von Boeing, des CST-100 Starliner, zur Internationalen Raumstation wird nun frühestens am 10. Mai stattfinden. Das ist jedoch nur eine kleine Verschiebung in einer langen Reihe von Absagen und Terminverschiebungen für dieses Raumschiff.

Eine Kapsel als Ersatz für das Shuttle

Im Jahr 2010 entschied sich Boeing, ein neues bemanntes Raumschiff zu entwickeln. Schon damals war klar, dass sich das Space Shuttle Programm seinem Ende näherte und dass es keinen Ersatz gibt. Zu diesem Zeitpunkt war der Preis für einen Start auf exorbitante 420 Millionen Dollar gestiegen, was selbst für das Budget der NASA sehr hoch ist. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 400 Milliarden Dollar, das Vierfache dessen, was bei der Gründung des Programms veranschlagt worden war.

Die Space Shuttles, die sich als zu teuer erwiesen, wurden zur Vergangenheit, und ein unangenehmes Gespräch mit den russischen Kollegen zeichnete sich ab. Für die Flüge zur Internationalen Raumstation blieb der NASA nur die Sojus.

Um Boeing bei der Entwicklung seiner Raumschiffe zu unterstützen, hat die NASA 180 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2010 wurden die ersten Bilder des CST-100 gezeigt. Damals ging man davon aus, dass das Raumschiff bereits 2015 in Betrieb gehen würde.

Es kam jedoch zu einer Reihe von schrittweisen Verschiebungen – erst auf 2016, dann auf 2017. Als Hauptproblem wurde der Mangel an finanziellen Mitteln genannt.

Im Jahr 2014 wurde Boeing einer der beiden Gewinner des Wettbewerbs im Rahmen des CCtCap-Programms (Commercial Crew Transportation Capability). Die NASA ging damals aktiv zu einer neuen Art der Zusammenarbeit mit Zulieferern über. Sie wollte nicht einzelne Raumschiffe oder Raketen kaufen, sondern die Transporte selbst.

Der CCtCap-Wettbewerb wurde im Grunde für Boeing geschaffen. Trotz der Tatsache, dass es zwei Gewinner gab, stellte die NASA 4,2 Milliarden Dollar für die Entwicklung des Starliners bereit, während der zweite Gewinner, Crew Dragon von SpaceX, nur 2,6 Milliarden Dollar erhielt.

Ein Jahr später wurden die Daten für die ersten Flüge des CST-100 bekannt gegeben. Die 30-tägige unbemannte Mission (Boe-OFT) war für April 2017 geplant, die 14-tägige bemannte Mission (Boe-CFT) für Juli desselben Jahres. Eine bemannte Mission zur ISS war für Ende 2017 geplant.

Von einem Problem zum anderen

Ein Jahr später, im Jahr 2015, stand Boeing jedoch vor großen Herausforderungen. Das Unternehmen entschied sich (im Gegensatz zu SpaceX) für völlig neue Lösungen: ein neues Raumschiff, eine neue Konfiguration der Atlas-V-Rakete und eine neue Centaur-Oberstufe. Sofort traten aber Gewichtsprobleme auf, die eine erhebliche Verschiebung des ersten Starttermins erforderlich machten.

Heute ist klar, dass das Starliner-Raumschiff einfach den allgemeinen systemischen Problemen von Boeing unterlag, wie auch viele andere Raum- und Luftfahrtprojekte in letzter Zeit.

Eigentlich war die CST-100 selbst kein Durchbruch im Raumschiffbau. Ja, es ist eine neue Generation, aber zu dieser neuen Generation gehören heute alle Projekte, die in diesem Jahrhundert entwickelt werden, darunter die Crew Dragon und das vielversprechende russische wiederverwendbare bemannte Raumschiff „Orel“ (Adler) sowie das chinesische Projekt. In der CST-100 bedeutete das Schema des Einzelraums (geerbt vom Apollo-Raumschiff), ein nur leicht vergrößerter Innenraum mit zwei Bullaugen (vorne und an der Seite), eine Architektur mit zwei Modulen (Abstiegsfahrzeug und Instrumenten- und Montageabteil), Start ohne die für russische Raketen üblichen Kopfstücke. Für die Steuerung waren drei Triebwerkspaare vorgesehen – zwei an den Seiten für das Manövrieren, zwei Haupttriebwerke, die den Hauptschub erzeugen, und zwei zusätzliche. Die einzige nennenswerte Innovation bestand darin, dass die Landung nicht wie bei amerikanischen Raumfahrzeugen üblich auf dem Wasser, sondern wie in Russland und China auf dem Land erfolgen soll.

Korruptionsskandal

Die NASA und das Management von Boeing versuchten alle Probleme mit Geld zu lösen. Wie sich später bei der Prüfung des CCtCap-Programms herausstellte, wurden dem Unternehmen mehrfach heimlich hohe Summen gezahlt, um die Entwicklung des Starliners zu beschleunigen. Zunächst wurden 287 Millionen Dollar über die Vertragssumme hinaus gezahlt, „um eine Unterbrechung des Zugangs der NASA-Astronauten zur Internationalen Raumstation zu vermeiden“.

SpaceX hat solche Summen natürlich nicht gesehen. Dann hat Boeing fünf Sitze in der russischen Sojus für 373 Millionen Dollar gekauft (Diese Sitze erhielt Boeing als Gegenleistung für den Verkauf seines Anteils am Sea Launch-Projekt).

Der Korruptionsskandal wurde insbesondere vor dem Hintergrund des gescheiterten ersten Flugversuchs des Starliners im Jahr 2019 bekannt. Die unbemannte Version wurde am 20. Dezember mit einer Atlas-V-Trägerrakete mit einem russischen RD-180-Triebwerk in der ersten Stufe zur ISS gestartet. Das CST-100 trennte sich erfolgreich von der Trägerrakete, doch dann trat ein Softwarefehler im Steuerungssystem des Raumschiffs auf, der zu einem hohen Treibstoffverbrauch führte. Die Folge war, dass der Treibstoff für den Flug zur ISS nicht mehr ausreichte und die Mission vorzeitig abgebrochen werden musste.

Was man jetzt hat

Mittlerweile hat Crew Dragon von SpaceX im Frühjahr 2020 seinen ersten bemannten Flug durchgeführt.

Starliner hingegen hat den Termin für einen weiteren unbemannten Teststart zunächst auf 2021 und dann auf 2022 verschoben. Die Schuld für die Verschiebung auf Juli 2021 gab Boeing damals dem russischen Multifunctional Laboratory Module (MLM) „Nauka“ (Wissenschaft). Später stellte sich jedoch heraus, dass das Problem nicht das MLM, sondern die Triebwerksventile des Starliners war. Der Start erfolgte daher erst am 19. Mai 2022, drei Jahre später als ursprünglich geplant. Das Raumschiff war vier Tage an der ISS angedockt und kehrte erfolgreich zurück.

Während des Fluges wurden jedoch neue Probleme entdeckt, die zu einer erneuten Verschiebung des ersten bemannten Fluges führten. Er wird daher erst jetzt stattfinden.

Und jetzt wurde der ursprünglich für den 6. Mai geplante Start wegen Problemen mit dem Druckregelventil im Flüssigsauerstofftank der Oberstufe der Atlas-V-Rakete verschoben. Die Besatzung, darunter die beiden NASA-Astronauten Butch Wilmore und Sunita Williams, muss nun erneut auf den verspäteten Start warten.

In den letzten Jahren wurden bei Boeing zahlreiche Projekte verschoben und nicht alle konnten abgeschlossen werden. Man kann sich zum Beispiel an die Probleme mit der Trägerrakete Space Launch System (SLS), die Abstürze der Boeing 737 MAX und des militärischen Tankflugzeugs KC-46 erinnern. Kürzlich reihte sich auch das bemannte Raumschiff Orion, das längst fertig zu sein schien, in diese Reihe ein. Es stellte sich heraus, dass sein Hitzeschild ernsthafte Fehler hat.

Starliner passt eindeutig in diese Reihe. Es scheint nicht das komplizierteste Projekt zu sein, aber es gab trotzdem technische Probleme, Terminverschiebungen und Versuche, die Probleme mit zusätzlichen Finanzmitteln zu lösen. Als Hauptgründe dafür nennen die Experten Probleme im Management des Unternehmens.

Schlussfolgernd kann man sagen, dass der Versuch, zwei bemannte Raumfahrzeuge bei der NASA zu schaffen, bisher nicht erfolgreich war.

Statt eines Wettbewerbs mit abwechselnden Flügen hat die Dragon-Crew von SpaceX die Hauptarbeit übernommen. Und die ursprünglich als Favorit gehandelte CST-100 ist bereits hoffnungslos ins Hintertreffen geraten. Wäre da nicht Elon Musk, würden die amerikanischen Astronauten trotz Finanzspritzen immer noch mit den russischen Sojus fliegen. Somit ist die Situation beim Starliner ein Paradebeispiel für die systemischen Managementprobleme bei Boeing.

Ende der Übersetzung

Hier der Link zum ersten Teil des Artikels: https://apolut.net/warum-die-probleme-von-boeing-systemisch-sind-teil-1-von-thomas-roeper/

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 09. Mai 2024 bei anti-spiegel.ru

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Bildquelle: Dima Zel / shutterstock

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Kommentare (2)

2 Kommentare zu: “Warum die Probleme von Boeing systemisch sind: Teil 2 | Von Thomas Röper

  1. Matthu sagt:

    Mit der Raumfahrtstation (ISS) und der Raumfahrtshuttle verhält es sich so, wie mit der Virusfrage: beides ist ein Hoax und ein Mythos. Propaganda, um Steuergelder in horrendem Ausmaß abzuziehen, um ein paar Wenige richtig reich zu machen.

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