Aktuell wird der iranische Ayatollah Ali Khamenei als der neue Hitler gehandelt – nicht überraschend, denn er ist derzeit in einen Krieg mit einem der werte-westlichen Partner verwickelt. Damit wird er für das westliche Mainstream-Mediennarrativ zum ultimativ Bösen. Und welcher Vergleich liegt dann näher als der Kriegsverbrecher Adolf Hitler?
Ein Meinungsbeitrag von Andrea Drescher.
Als erstes bin ich auf YouTube zufällig beim argentinischen Canal26.com darauf gestoßen. Unter dem Titel „Ayatollah Khamenei ist für Israel eine Bedrohung wie Hitler“ liest man weiter: „Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz drohte am Donnerstag dem Obersten Führer des Iran offen, nachdem der jüngste iranische Raketenbeschuss das Hauptkrankenhaus im Süden Israels beschädigt und weitere Wohngebäude in der Nähe von Tel Aviv getroffen hatte.“
Aber auch die NZZ: „Ein ‚moderner Hitler‘: Nach einem iranischen Angriff auf ein Spital droht Israel Khamenei mit dem Tod“, Focus: „Irans Führer Khamenei: Für Israel ist er wie Hitler: Das ist der Schlächter von Teheran“ oder Times of Israel: „Defense minister: Khamenei is ‘modern Hitler, cannot continue to exist’“ scheuen nicht vor diesem Vergleich zurück.
Nazi-Vergleiche sind ok oder auch nicht
Derartige Vergleiche sind aber nichts Neues – daher die etwas reißerische Headline. Auch Arafat, Assad, Bin-Laden, Gaddafi, Hussein, Milosevic und Putin wurden schon mit Hitler verglichen bzw. zumindest in den Kontext dieses Nazi-Verbrechers gestellt.
Ich kann mich nicht erinnern, dass eines der Medien, das derartige Vergleiche gezogen hat, jemals Probleme bekam. Und das, obwohl man z.B. 2020 im Focus in der Kolumne von Jan Fleischhauer lesen konnte: „Alle sind gerade der Meinung, dass Dritte-Reich-Vergleiche gar nicht gehen.“
Aber wenn Dritte-Reich-Vergleiche „gar nicht gehen“, ist es naheliegend, dass alle – Medien, aber auch Politiker – auf Jana aus Kassel losgegangen sind, die einen für alle – und insbesondere alle Medien – inakzeptablen Vergleich gewagt hatte. Jan Fleischhauer schreibt dazu:
„Man kann mit Dritte-Reich-Vergleichen nicht vorsichtig genug sein. Am Wochenende machte ein Videoclip die Runde, in dem man eine junge Frau auf einer Bühne in Hannover sah, wo sie zu Teilnehmern der sogenannten ‚Querdenken’-Proteste sprach. ‚Ja, hallo, ich bin Jana aus Kassel’, stellte sie sich vor, um dann umstandslos mitzuteilen, dass sie sich wie Sophie Scholl fühle, da sie seit Monaten aktiv im Widerstand tätig sei. Sie sei ein sehr lieber Mensch und werde nie aufhören, sich für Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit einzusetzen, weshalb sie auch Reden halte, Flyer verteile, auf Demos gehe. ‚Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel.‘“
Dieser Vergleich war zwar vielleicht etwas überhöhend, aber nicht ganz von der Hand zu weisen, denn wie sich ein Mensch fühlt, ist ein sehr subjektives Empfinden. Und für viele war der Druck während der Corona-Zeit enorm – und speziell durch die Impfpflicht auch potentiell lebensbedrohend.
Aber wir haben seit 2020 gelernt: Nazi-Vergleiche sind nicht ok.
Hitler-Vergleiche sind ok …
Die folgenden Beispiele der Hitler-Vergleiche mögen ebenfalls subjektive Wahrnehmungen sein. Fakt ist: Sie haben nicht zu vergleichbaren Reaktionen wie im Fall Jana – oder wie im Fall des letzten Vergleichsopfers – zu Reaktionen seitens der Staatsmacht geführt.
Über Jassir Arafat liest man in der Wikipedia: „Nach seinem Tode wurde Jassir Arafat von 200 Rabbinern als ‚Amalek und Hitler unserer Generation’ bezeichnet und der Vorschlag gemacht, seinen Todestag als ‚Freudentag’ zu feiern.“ Aber bereits 1982 zog der israelische Regierungspräsident solche Vergleiche, wie man in entsprechenden Archiven erfährt: „Begin compares Arafat to Hitler. In a letter to President Reagan, Prime Minister Menachem Begin compared Palestine Liberation Organization leader Yasser Arafat to Nazi leader Adolf Hitler and besieged Beirut to Berlin.“
Beim ehemaligen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad titelt die FAZ: „Trump und Assad: Böser als Hitler?“ und man erfährt, es geht Trump um „die schrecklichen, schrecklichen Chemiewaffen“. Beim Spiegel heißt es: „Spicer über Assad: ‚Nicht einmal Hitler hat Chemiewaffen eingesetzt‘“ – aber immerhin stellt das „ehemalige Nachrichtenmagazin“ fest, dass es sich um „einen historisch falschen Vergleich zwischen Syriens Staatschef Assad und dem NS-Regime“ handelt. Das sehen die Informanten der Berliner Morgenpost wiederum anders:“Syrien: Geflüchtete in Berlin rechnen ab – ‚Assad ist Syriens Hitler’.“ Und die NZZ bringt es ganz „geschmackvoll“ auf den Punkt: „Viel Gold, nackte Frauen und eine Standuhr mit Hakenkreuz – Diktatoren von Hitler bis Saddam Hussein zelebrierten als Bauherren ihren schlechten Geschmack. Bashar al-Asad eiferte ihnen nach.“
Osama bin Laden ist laut Spiegel der „meistgehasste Mensch, Bin Laden vor Hitler“, wie man 2002 bereits erfahren konnte. Im Lex Friedman Podcast findet man auf Youtube die Überschrift: „Hitler vs Bin Laden“, die unabhängig vom Inhalt, gleich ein entsprechendes Framing sicherstellt. Auch bei der Welt sorgt die Überschrift nur für das passende Framing „Tote Massenmörder – Was Osama Bin Laden von Adolf Hitler unterscheidet.“
Die Presse stellt unter der Überschrift „Gaddafi als Hitler und Kakerlake“ Spottbilder von Muammar Al-Gaddafi vor. Die Welt schafft das Framing mit der Prognose: „Gaddafi wird sich wie Hitler das Leben nehmen“. The Guardian schafft den Bezug zwischen Hitler, Gaddafi und Hussein über ihren Bunker: „From Hitler to Gaddafi: dictators and their bunkers – Gaddafi, Hitler, Saddam … no self-respecting dictator can bear to be without a bunker.“
Wie bereits erwähnt, hat Saddam Hussein laut NZZ einen schlechten Geschmack wie Hitler. Und auch für ihn wurde vom Guardian der oben genannte Bunkervergleich herangezogen. Aber Saddam Hussein findet noch weitere Erwähnungen. So bei Peacehistory, das darauf hinweist, dass „Bush administration officials presented Saddam Hussein as the new Adolf Hitler.“
Deutschsprachige Hitlervergleiche habe ich zu Slobodan Milosevic keine gefunden. In der Academy for System Change finde ich das klare Framing: „Hitler Needed a Chamberlain, Milosevic Needed a Bush and a Clinton“. Ganz plakativ ist Folha.com, welches das Bild mit „Demonstranten, die sich gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic stellen, halten ein Plakat hoch, das das Bild des deutschen Diktators Adolf Hitler mit dem von Milosevic verbindet. Die Aktion in der Stadt Nis ist Teil des Generalstreiks, zu dem die Opposition aufgerufen hat, um den Präsidenten zum Rücktritt aufzufordern“ untertitelt. Und bei CNN stellt der Journalist 1999 zu Milosevic die Frage: „The new Adolf Hitler?“
Bei Wladimir Putin sind die deutschsprachigen Medien wieder dabei. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung scheut vor Hinweisen auf diesen Vergleich nicht zurück. Sei es als Framing, wenn man dort liest: „Dabei schildert er auch die weltweite Hilflosigkeit gegenüber politischen Zwecklügnern wie es Adolf Hitler mit seinen Gefolgsleuten war und heute Wladimir Putin ist.“, sei es als „geschmackvolle“ Grafik. Oder wie die Frankfurter Rundschau ‚berichtet‘: „Selenskyj zieht wegen Ukraine-Krieg Hitler-Vergleich: Putin überschreite ‚eine Grenze nach der anderen’“. Und der Deutschlandfunk ist wie gewohnt „seriös“ und stellt gleich einen Zusammenhang zwischen Putin, Hitler und Stalin her: „Wladolf Putler? Was Putins Regime mit Faschismus und Stalinismus gemein hat.“
Der aktuelle „neue Hitler“ – der iranische Regierungschef – wird sicher erst dann in seiner neuen Rolle abgelöst, wenn sich das geopolitische Szenario vom Nahen Osten weg in eine andere Richtung verschiebt. Da eine Auseinandersetzung mit China im Bereich des Möglichen liegt, ist die Überschrift „Wann wird Xi Jinping der nächste Hitler?“ sicher nicht ganz unberechtigt. Warten wir es ab.
Hitler-Vergleiche sind nicht ok …
Wie eingangs erwähnt: Im Gegensatz zur medialen Hetzjagd gegen die junge Frau Jana gab es – meines Wissens – keinerlei Aufschrei bei derartigen Vergleichen. Und nur bei einem Regierungschef wurde aufgrund eines derartigen Vergleiches sofort wegen Volksverhetzung ermittelt.
Der Staatsschutz wurde eingeschaltet, als ein gewisser Arafat Abou Chaker diesen Vergleich anstellte. Er verglich Benjamin Netanjahu mit Hitler und hob letzteren sogar noch positiv hervor. Am 17.11.2023 erfährt man aus der FAZ: „Gegen die Berliner Clangröße Arafat Abou-Chaker wird wegen des Tatvorwurfs der Volksverhetzung ermittelt. Das teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Freitag auf Anfrage mit. Abou-Chaker hatte Ende Oktober in einem Livestream mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel auf Tiktok die israelische Regierung mit dem NS-Regime verglichen. ‚Für mich ist Adolf Hitler besser als Netanjahu’, sagte Abou-Chaker damals. Hitler habe die Juden wenigstens sofort getötet, Netanjahu lasse die Palästinenser länger leiden.“
Auch die Welt berichtet: „Staatsschutz eingeschaltet – Ermittlungen nach ‚Hitler’-Vergleich von Arafat Abou-Chaker“. Beim Tagesspiegel kommt der zusätzliche Hinweis, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland die Berliner Polizei auf X/Twitter zum Handeln aufgefordert hat.
„Hey @tiktok_de, wir müssen reden! Etliche Jugendliche werden tagtäglich auf eurer Plattform mit solchen Livestreams ideologisch vergiftet. ‚Für mich ist Adolf Hitler besser als Netanjahu‘ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung. @polizeiberlin , bitte übernehmen Sie!“
Mit Ausnahme des israelischen Regierungschefs handelt es sich bei allen genannten „neuen Hitler“ um Politiker aus Ländern, die nicht zu den Partnern des Westens gehören.
Mit Ausnahme im Fall des israelischen Regierungschefs wurde gegen niemanden eine Maßnahme wegen Volksverhetzung eingeleitet.
Zweierlei Maß – keine gute Vorgehensweise in einem Rechtsstaat
„All animals are equal, but some are more equal than the others“ – der Vergleich zu George Orwells Animal Farm drängt sich auf.
Wenn Vergleiche mit der Nazi-Zeit unzulässig sind, müssen sie für alle Situationen unzulässig sein. Da mir die Meinungsfreiheit sehr am Herzen liegt – was beinhaltet, dass auch dumme oder falsche Meinungen erlaubt sein müssen – plädiere ich dafür, dass Vergleiche zulässig sein sollten – und zwar für alle.
Dann kann Jana aus Kassel argumentieren, wie sie möchte, und jeder Hitler-Vergleich, mag er noch so an den Haaren herbei gezogen sein, ist erlaubt. Letzten Endes bleibt es dem Zuhörer oder Leser überlassen, was man von derartigen Vergleichen hält.
Der Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
So sollte es sein! Oder?
PS: Bei diesem politisch provokanten Beitrag wurde mir empfohlen, ihn vorab juristisch überprüfen lassen. Danke an RA Dr. Mag. Georg Prchlik, dass er sich die Zeit dafür genommen hat. Dass man das Zitieren aus öffentlich zugänglichen Medien, einen Bericht über unterschiedliche Handhabung bei Vergleichen und den Hinweis darauf, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sind, bereits als potenziell justiziabel ansieht, macht deutlich, wie weit es mit der Presse- und Meinungsfreiheit bereits gekommen ist.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 26. Juni 2025 auf tkp.at.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Xi Jinping (Staatsoberhaupt der VR China)
Bildquelle: Photo Agency / shutterstock
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