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Wahlen gegen den Wandel

Wahlen gegen den Wandel

Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.

Alles andere als eine schwarz-rote Koalition als neue deutsche Regierung wäre eine faustdicke Überraschung. Damit ist eine Änderung in der deutschen Politik von innen heraus weitgehend ausgeschlossen. Aber auch die außenpolitische Lage lässt kaum anderes erwarten.

Altbewährtes

Die Wahlen standen unter dem Eindruck der Demonstrationen gegen Rechts. Das führte zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung, aber auch gleichzeitig zu einer Verfestigung des Stillstandes. Denn anscheinend sahen sich besonders die Sympathisanten der AfD unter den Nichtwählern aufgerufen, nun doch wählen zu gehen. Die höhere Wahlbeteiligung führte zu einer Verdopplung der abgegebenen Stimmen für die blaue Partei. Im Osten wurde sie sogar stärkste politische Kraft.

Dagegen konnten alle früheren Regierungsparteien von CDU bis SPD nur das eigene Wählerpotenzial halten. Nach einem Einbruch auf etwa elf Millionen Stimmen bei der Bundestagswahl von 2021 konnte die CDU nun fast wieder ihren Stand von 2017 erreichen. Dennoch lag sie mit ihren 14 Millionen Stimmen immer noch mehr als ein Million unter dem damaligen Ergebnis von 15 Mio.

Die ehemals großen Volksparteien sind von der Anzahl der abgegebenen Stimmen nicht mehr mehrheitsfähig. Von den fast 50 Millionen gültigen erhielten sie zusammen nur etwas mehr als 22 Millionen. Dass es für CDU und SPD zu einer Koalitionsregierung reicht, liegt alleine am Scheitern der FDP und des BSW. Wäre eine der beiden ins Parlament gekommen, hätte nur eine Koalition von CDU und AfD eine Mehrheit gehabt oder eine Drei-Parteien-Regierung.

Wenn auch die Demonstrationen gegen Rechts zur Verhinderung eines vermeintlichen neuen Faschismus von den meisten gut gemeint waren, so waren sie doch sinnlos. Aus Angst vor der AfD wählte man den Fortbestand der Ausweglosigkeit. Man wählte das Alte, eine abgespeckte große Koalition aus Schwarz und Rot, die aber schon lange keine große Koalition mehr ist, nur deren zweiter Aufguss. Aber sie schien bereits vor den Wahlen festzustehen, denn sie galt als der einzige Ausweg aus der verfahrenen Lage. Aus der Angst vor der rechten Gefahr wählte man rechts.

Eine andere Lösung schien unter den gegebenen Bedingungen nicht zu bestehen. Mit der AfD wollte niemand, das hatten alle Parteien vorher klar gesagt, und mit den Grünen wollte eigentlich auch keiner mehr, besonders die Bevölkerung nicht mehr. Eine Deutschland-Koalition aus CDU (schwarz), SPD (rot) und FDP (gelb) hätte man auch noch ertragen. Trotz Differenzen in Einzelheiten bestehen zwischen den Dreien immer noch die größten Gemeinsamkeiten.

Damit werden Regierungsbildungen in Deutschland nicht nur schwieriger. Wie die zerbrochene Drei-Parteien-Regierung in Deutschland zeigte, wird auch der Bestand solcher Regierungen zerbrechlicher. Zu viele unterschiedliche Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Das macht deutlich, wie sehr die alten Volksparteien CDU und SPD in der Wählergunst an Bedeutung verloren haben. Ihr Wählerpotenzial reicht nicht mehr aus, um parlamentarische Mehrheiten zu bilden.

Bittere Wahrheiten

Die alten Volksparteien haben das Volk verloren. Ihr Einfluss schwindet. Auch Friedrich Merz ist nicht der Wunschkandidat der Massen. Aber es gibt keinen besseren in der sogenannten demokratischen Mitte. Dass die alten Volksparteien CDU und SPD nicht mehr über genügend Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, besteht in ihrer schwindenden Überzeugungskraft. Sie sind immer weniger in der Lage, den Menschen Erklärungen für die Vorgänge in der Welt zu geben, die einerseits verständlich sind und andererseits auch die Welt erklären.

Weltbilder haben nur dann einen Wert, wenn sie die Welt erklären können und mit den Vorgängen in dieser auch übereinstimmen. Wenn aber der Widerspruch wächst zwischen den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen einerseits und den Erklärungen der politischen und gesellschaftlichen Führungskräfte andererseits, schwinden deren Glaubwürdigkeit und Ansehen.

Auch in der neuen Regierung werden die Unterstützer der Ukraine weiter unter sich sein und das Sagen haben. Aber es fällt ihnen immer schwerer zu erklären, wieso die Europäer den Krieg weiter unterstützen durch Waffenlieferungen und Finanzspritzen sowie neue Sanktionen gegen Russland, während die amerikanische Politik längst einen ganz anderen Weg im Umgang mit Russland und der Ukraine einschlägt.

Jedem Normalbürger, der noch über einen gesunden Menschenverstand verfügt, ist doch klar, dass Ukrainer und Europäer auf verlorenem Posten stehen, seit die USA unter Trump die Koalition der Willigen verlassen haben. Nicht nur dass die deutsche und die europäische Position in der Frage um Krieg und Frieden mit Russland immer schwächer wird, es ist auch immer weniger verständlich, was die Europäer noch erreichen wollen.

Hatte Russland bisher mit amerikanischer Unterstützung nicht in die Knie gezwungen werden können, wie soll das jetzt gehen ohne die Hilfe aus Washington. Wie soll da die Position der Stärke erreicht werden, von der Europäer und Ukrainer träumen, um mit Russland auf Augenhöhe verhandeln zu können? Seit der gescheiterten ukrainischen Offensive von 2023 befindet sich in russische Armee auf dem Vormarsch. Vom Sieg über Russland ist der politische Westen inzwischen abgekommen. Nun will man eine Position der Stärke für die Ukraine erreichen, um zumindest Verhandlungen auf Augenhöhe führen zu können, wo der Sieg bereits in weite Ferne gerückt ist.

Es kommen also auf Deutschland und damit auch auf Europa neben den Schwierigkeiten der Regierungsbildung im wichtigsten EU-Land nun auch noch die Probleme mit dem ehemaligen politischen Bundesgenossen USA hinzu. Der zeigt sich inzwischen von einer ganz anderen Seite, die nicht mehr so freundlich ist, wie in den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ganz zu schweigen von den Problemen, die aus dem wirtschaftlichen Erstarken Chinas und seiner wachsenden Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten entstehen sowie der selbstverschuldeten wirtschaftlichen Schwächung Europas durch die antirussischen Sanktionen.

Dabei geht es ja nicht nur um politische Widersprüche und Ungereimtheiten, die immer schwieriger werden, den Bürgern verständlich gemacht zu werden, wenn man es denn überhaupt noch versucht. Es geht ja auch um die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Politik, die immer stärker auf den Alltag der Menschen durchschlägt. Zum Kopfschütteln der Bürger kommt immer mehr Ärger darüber, dass weiterhin Milliarden in einen Krieg investiert werden, die im eigenen Land viel Not lindern könnten, während die beiden wichtigsten Akteure, Russland und die USA, bereits über den Frieden verhandeln.

Unerklärlich

Gerade der Krieg in der Ukraine hat sehr viele Zweifel geweckt an der Glaubwürdigkeit der gesellschaftlichen Führungskräfte. Wenn es schlecht läuft, werden diese erklären müssen, wieso die meisten Prognosen von Experten und Meinungsmachern bezüglich der Erfolgsaussichten der Ukraine so weit neben den tatsächlichen Ergebnissen lagen. Vielleicht wird man Stellung beziehen müssen, weshalb schon wieder nach dem Afghanistan-Dabakel Hunderte Milliarden in militärische Abenteuer versenkt wurden, während zu Hause jeder Euro für den Wohnungsbau, die Armen an den Tafeln und für die Gesundheitsvorsorge hart umkämpft ist.

Wieso kann die USA heute das Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands aufbringen, die die Biden-Regierung und der Rest des politischen Westens vor drei Jahren als unbegründet abgetan hatten? Heute setzen die Europäer die Unterstützung der Ukraine fort mit derselben Begründung, die man den Russen abgesprochen hatte: Sicherheitsinteressen. Deutschland fühlt sich von Russland bedroht. Selbst der amerikanische Präsident, also ein politischer Freund trotz aller Differenzen, stellt fest, dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre, hätte man Russlands Sicherheitsinteressen ernst genommen.

Wie will die neue Regierung das den Bürgern erklären, die so viele Opfer gebracht haben und denen man weiterhin Opfer abverlangt? Sie kann nur hoffen, dass diese Fragen nie zu einer ernsthaften und breiten Diskussion in der Bevölkerung führen. Denn die Antworten darauf dürften schwer zu vermitteln sein. Noch treten solche Fragen nicht so offen zu Tage, weil sie keine Stimme finden, um sich lautstark bemerkbar zu machen.

Im Moment gibt es keine politische Kraft, die sich dem Krieg ernsthaft widersetzt. Die meisten Bürger sind gelähmt von der Angst vor Russland und vor Rechts. Die Ansätze von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023, dem Protest gegen den Krieg eine Stimme zu geben, sind im Sande verlaufen. Es ist ihnen nicht gelungen, den Protest zu organisieren, vermutlich hatten sie auch nie die Notwendigkeit erkannt oder nicht gewusst, wie eine solche Organisierung in die Wege geleitet werden kann.

Die Friedensbewegten selbst überschätzten ihren Einfluss auf die Weltpolitik und waren untereinander heillos zerstritten. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Lande einzugehen und sie zum Thema zu machen, waren sie entweder nicht in der Lage oder aber es war ihnen einfach nicht politisch genug. Der Unmut in der Bevölkerung drückt sich am ehesten noch aus im Zuwachs der Wählerstimmen für die AfD. Wie viel Protest sich darin über die Kriegsunterstützung ausdrückt, kann nicht klar benannt werden, weil die Partei in der Frage der Aufrüstung und ihrem Verhältnis zu Russland nicht mit einer Stimme spricht.

Vermutlich

Klar scheint zu sein, dass auch unter der neuen Regierung die Konfrontation mit Russland weitergehen wird und die Vorbereitungen auf einen Krieg fortgeführt werden sollen. Gewaltige Summen werden für die Aufrüstung und Kriegsertüchtigung genannt, Geld, das nicht da ist, das aber an den Finanzmärkten aufgetrieben werden soll. Als Vorbereitungen darauf werden die Schuldenregeln des europäischen Stabilitätspaktes geschleift. Höhere Verschuldung zum Zwecke der Aufrüstung wird zugelassen und wirkt sich nicht mehr auf die sonstigen Stabilitätskriterien aus.

Wie lange noch die Schuldenbremse in Deutschland angezogen bleibt, wird sich zeigen. Immer mehr Kräfte in Politik und Wirtschaft sprechen sich für deren Reformierung aus. Auch gemeinsame europäische Anleihen für die Verteidigung sind weiter im Gespräch und werden sicherlich in der ein oder anderen Form kommen. Die Experten in Brüssel arbeiten daran. Das bedeutet für die Bevölkerung, dass die Staatsverschuldung steigen und an anderen Stellen gespart werden dürfte.

Dabei sind die Europäer nicht in der komfortablen Lage wie die USA, die sich nahezu unbegrenzt verschulden können. Zwar müssen auch die USA Zinsen zahlen auf des geliehene Geld, und das nicht zu knapp, inzwischen etwa eine Billion (europäisch) pro Jahr. Aber solange Washington die fälligen Tilgungen und Zinsen bedienen kann, genügt das den Investoren. Sie interessiert die Gesamthöhe nicht, so lange regelmäßig gezahlt wird.

Aber woher wollen die Europäer das Geld nehmen? Die Verschuldung ist in den meisten Staaten nicht so hoch wie in den USA. Aber es sind viele kleine Staaten, was bedeutet, dass Entscheidungen dort lange dauern und schwierig sind. Die Wirtschaft des alten Kontinents schwächelt, und das europäische Militär wird von niemandem gefürchtet. Es ist also kein guter Schutz für Investitionen, die in Europa getätigt wurden. Da ziehen die internationalen Investoren sicherlich die USA vor, es sei denn dass Europa mehr Zinsen bietet.

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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Juergen Nowak / shutterstock 


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