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VS-Gutachten: Strategischer Rückzug | Von Paul Clemente

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Ein Kommentar von Paul Clemente.

Willkommen zur Fortsetzung der Komödie „Das Schlapphut-Gutachten und die AfD“. Was bisher geschah: Kurz vor ihrer Ablösung als Innenministerin wollte Nancy Faeser nochmal so richtig ein Zeichen setzen: Mit einem 1100seitigen Gutachten vom Verfassungsschutz. Der stufte die politische Opposition, kurz AfD genannt, als „gesichert rechtsextrem“ ein. Und zwar komplett: Die gesamte Partei. Und die Öffentlichkeit? Die sollte es gefälligst glauben. Denn mit Nachprüfen war nix. Nein, die Schlapphut-Prosa sollte nur dem internen Gebrauch dienen. Nicht mal die Beschuldigten durften sie lesen. Das war nicht mehr Orwell, das war Kafka: „Der Prozess“ - ein Roman, wo der Angeklagte bis zu seiner Exekution nicht weiß, wofür er eigentlich verurteilt wurde. Hinzu kommt, dass Faeser das VS-Gutachten weder selbst geprüft, noch eine Prüfung durch ihr Ministerium angeordnet hatte. Möglicher Grund: Die Verfassungsschützer waren im Zeitverzug. Zu einer Prüfung hat die verbliebene Amtszeit nicht mehr gereicht.  Mainstream-Medien und das Zwangsgebühren-TV finden da freilich kein Problem. So freute sich Georg Restle, Leiter des Politmagazins Monitor, auf künftige Talkshow-Ausladungen von AfD-Politikern: Ist doch klar, gesichert Rechtsextremen dürfe man keine Bühne bieten. Auch Cancel-Fans scharrten mit den Hufen: Endlich schien ein AfD-Verbot zum Greifen nah.

Dann der Paukenschlag. Die AfD wehrte sich via Eilverfahren gegen die Beurteilung. Und sogleich erklärte der Verfassungsschutz: Man werde die Einstufung erst mal auf Eis legen – bis zur gerichtlichen Verhandlung. Ab sofort gelte die AfD wieder als Verdachtsfall. Eine altbekannte Taktik: Schon einmal hatte der VS einen solchen Rückzug vollzogen: Im Jahre 2021. Damals klagte die AfD noch gegen ihre Erwähnung als Verdachtsfall...

Der Radiosender Deutsche Welle erklärte, man dürfe den Rückzug der Verfassungsschützer nicht als Einknicken missdeuten. Dazu zitierte man den Vorsitzenden Richter und Pressesprecher am Verwaltungsgericht Köln, Michael Ott: „Das Bundesamt hält seine Einstufung für richtig, es hat sie nur ausgesetzt, um dem Gericht eine sachgemäße Überprüfung zu ermöglichen." Auch der Tagesspiegel stellten postwendend klar: Die provisorische Rückstufung sei weder „ein Sieg für die AfD noch eine Niederlage des Bundesamts für Verfassungsschutz.“ Ohnehin hätten die Verfassungsschützer das Ziel bereits erreicht: Ihre Warnung sei jetzt in der Welt. Und die laute: „Unser Verdacht hat sich bestätigt, so die Botschaft des Verfassungsschutzes.“ Und die AfD selbst? Die feiert die rasche Rückstufung als Erfolg. Parteichefin Alice Weidel: „Wir werden auch weiter gegen die ungerechtfertigte Diffamierung der AfD vorgehen und sind überzeugt, dass wir damit erfolgreich sein werden." Allerdings teilt nicht jedes AfD-Mitglied Weidels Zuversicht. So trat der AfD-Bundestagsabgeordnete Sieghard Knodel aus Partei und der Bundestagsfraktion aus. Begründung: Nach dieser Einstufung sei er gezwungen, sein privates wie berufliches Umfeld zu schützen. 

Bei den Altparteien brachte der strategische Rückzug des VS manchen Mainstream-Politiker ins Zittern: Was wird jetzt aus dem Verbot? So fleht Felix Banaszak, Chef der rheinland-pfälzischen Grünen, den Bundeskanzler und den Faeser-Nachfolger Alexander Dobrindt an: „Wir müssen agieren - und zwar jetzt. Machen Sie mit uns einen Weg frei für ein Verbotsverfahren im Deutschen Bundestag, im Bundesrat und im besten Fall auch in der Bundesregierung. Es ist das, was unsere wehrhafte Demokratie jetzt braucht.“ Um solche Forderungen demokratisch zu legitimieren, hat das Meinungsforschungsinstitut Insa schnell eine repräsentative Umfrage gestartet. Danach sollen 53 Prozent ein AfD-Verbot befürworten. Also die Mehrheit. Nur 38 Prozent spräche sich dagegen aus. Bundeskanzler Friedrich Merz spielt derweil den Überraschten: Ja, das Gutachten habe seinen Blick auf die Partei verändert. Auch Dobrindt findet keinen Grund, an der Richtigkeit der Einschätzung zu zweifeln. Bei Maybritt Illner versprach er, die AfD-Akte nicht ins Regal zu stellen. - Nein, einen solchen Trumpf gibt man nicht aus der Hand.

Inzwischen wurden erste Auszüge bei Bild, Spiegel und auf der Webseite FragdenStaat publiziert. Darin stellen die Verfassungsschützer beispielsweise fest, dass mancher AfD-Politiker zwischen „Deutschen“ und „Passdeutschen“ unterscheidet. Natürlich lässt sich dieser Standpunkt kritisieren. Aber, so erwiderte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer: Diese Differenzierung wurde in der alten Bundesrepublik sogar von Helmut Kohl geteilt und galt nicht als verfassungsfeindlich. Erst mit Einführung des rotgrünen Staatsbürgerrechts habe man diesen Dualismus abgeschafft. Außerdem habe er, Palmer, Gespräche mit AfD-Anhängern geführt und dabei nicht feststellen können, dass sie integrierte, im Arbeitsmarkt aktive Migranten diskriminierten oder gar aus dem Land schaffen wollten.

A propos Palmer: Tübingens Oberbürgermeister hatte seine Kritik an Faesers VS-Coup zunächst auf Facebook veröffentlicht. Kurz darauf kaufte ihn die Bild-Zeitung als Gastkommentator ein. Dort äußerte Palmer bei aller Kritik auch ein wenig Lob für das das über 1000seitige Prachtwerk. Dabei geht es um eine Verletzung demokratischer Spielregeln, an der Palmer selbst beteiligt war: Die Rolle der Altparteien während des Lockdowns. Palmer schreibt:

„Gut dokumentiert ist, dass die AfD in der Pandemie unseren Staat als Diktatur dargestellt hat.“

Fühlt sich jemand persönlich auf den Fuß getreten?! Es war nämlich Boris Palmer, der 2021, mitten im Lockdown plötzlich den Impfzwang forderte. Ganze 5000 Euro Strafgebühr sollte zahlen, wer die mRNA-Brühe nicht in seine Vene lassen wollte. Von Umsetzungsschwierigkeit wollte Palmer damals nichts wissen. Tübingen sollte gar als Modell-Kommune herhalten. Man kann nur froh sein, dass die Impflicht im Bundestag nicht durchkam. Nur Reiche hätten sich vom Zwang zur Spritze freikaufen können. Obwohl Palmer bei Verweigerern gerne „bis zu Beugehaft“ nachgeholfen hätte. Zu den wenigen Politiker, die sich gegen diesen Wahnsinn aussprachen, zählten Sahra Wagenknecht und AfD-Abgeordnete.

Was der Verfassungsschutz der AfD außerdem übel nimmt: Dass Co-Bundessprecher Tino Chrupalla die Politiker der Altparteien als „Vasallen Amerikas“ bezeichnet hatte. Sein Kommentar zur Sprengung der NordStream-Pipeline: „Unsere Infrastruktur wird von sogenannten Freunden zerstört und wir, unsere Bundesregierung, steht da und zuckt mit den Achseln. Daran sieht man, dass dieses Land nicht souverän sein kann".

Bleibt noch die Frage, welche Partei im Falle eines AfD-Verbots profitieren würde. Auch hier weiß Insa Rat: Bei einer Bundestagswahl ohne AfD würde das Bündnis Sahra Wagenknecht ganze elf Prozent einfahren. Also über sechs Prozent mehr als bei der Februar-Wahl. Ein paar weitere Punkte würden CDU und FDP gewinnen. So weit, so gut. Nur: 30 Prozent der AfD-Wähler würden im Falle eines Verbots gar nicht mehr wählen. Heißt also: Das „Entmündigung-Experiment“ (Palmer) würde von einem Großteil der zehn Millionen AfD-Wähler als Appell verstanden werden. Als Appell zum Nichtwählen. Kann oder will unsere Gesellschaft sich das leisten?

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Juergen Nowak/ shutterstock 

 

 

 


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