Ein Meinungsbeitrag von Claudia Jaworski.
„Mehr Demokratie wagen“. Unter diesem Motto stand das Verfahren gegen den Diakon Radeljic-Jakic vor dem Landgericht Deggendorf, das nicht nur zugleich Geschichtsstunde und Zukunftswarnung war, sondern auch eine Lektion für die richtige und differenzierte Anwendung des Volksverhetzungsparagraphen.
Es zeigte sich, dass es keine Volksverhetzung ist, als Kleriker vor dem Transhumanismus als Genozid-Programm zu warnen. Vor dem Landgericht Deggendorf erfuhr der „Volksverhetzungsparagraph“ in seinem seit Corona durch die Rechtsprechung ausgeuferten Anwendungsbereich eine dringend notwendige differenzierte Betrachtung. „Das Vergleichen mit dem Holocaust ist nicht als solches unzulässig. Vergleichen ist nicht gleich Verharmlosen.“, so der Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung.
Es war das Jahr 2022. Wie jedes Jahr hielt der Diakon und Seelsorger Slavko Radeljic-Jakic an der Gedenkstätte für die 1.300 Opfer der Nazi-Euthanasie in der damaligen Psychiatrie Mainkofen seine Andacht. Die Gedenkfeier war von geladenen Gästen besucht, die eine etwas außergewöhnliche Ansprache hören sollten. Hier ein Ausschnitt:
„Wir wollen nicht schweigen, wir wollen nicht still sein, um nicht dazu verdammt zu sein, die Geschichte zu wiederholen. Die Kultur des Todes des Nationalsozialismus endete leider nicht 1945. […] Die Menschheit wird von den globalen Erben der nationalsozialistischen Eugeniker bedroht. Mithilfe einer Gruppe skrupelloser eng vernetzter Milliardäre unter ihnen haben sie die Kontrolle über nationale und internationale politische Institutionen an sich gerissen, somit wollen sie die totale Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und Finanzmittel der Welt erlangen, um das Demozid-Programm, d.h, das Programm einer Reduktion der Weltbevölkerung zu verwirklichen und sie mit transhumanen Robotern zu ersetzen.“
Zur Verstärkung seiner Mahnung bezog sich Radeljic-Jakic auf Zitate von Eli Wiesel und Primo Levi, die bereits 1977 bzw. 1988 als NS-Opfer vor den Nazi-Technokraten warnten, die nach ihrer Verbringung in die USA zwischen 1945 und 1950 als Ausbilder einer ganzen Generation von amerikanischen Ärzten, Wissenschaftlern und Ingenieuren dienten.
Diese Ansprache führte dazu, dass sich der Klinikleiter echauffierte und sich von den Worten des Diakons, die er als Einzelmeinung darstellte, im Namen der Klinik als auch der katholischen Kirche distanzierte. Er wies diese auf Schärfste zurück. Die Aussagen des Diakons seien falsch und entsprächen nicht der Realität.
Nach einer Anzeige durch die Klinikleitung wurde der Diakon von dem Amtsgericht Deggendorf mit Urteil vom 07.02.2024 der Volksverhetzung schuldig gesprochen. Nach diesem Urteil soll er durch den haltlosen Vergleich des von ihm dargelegten weltweiten Genozid-Programms mit dem Holocaust billigend in Kauf genommen haben, damit die Verfolgung, Deportation und Ermordung von Juden zum beliebigen Vergleichsobjekt für jedermann zu degradieren und zu veharmlosen.
Radeljic-Jakic, der strafrechtlich nie in Erscheinung getreten ist, sah sich, empört über den Vorwurf der Holocaust-Verharmlosung, erstmalig in seiner Religionsfreiheit eingeschränkt. Deswegen legte er gegen dieses Urteil Berufung ein. Diese führte am 27.08.2025 vor dem Landgericht Deggendorf zu einem glasklaren Freispruch.
Doch was ist vor dem Landgericht anders gelaufen?
Bagatellisierende Verschwörungstheorie?
Während der Staatsanwalt die Mahnungen des Diakons kurzerhand in das Reich der Verschwörungstheorien verbannte und dabei auch die Bezugnahme auf die Corona-Zeit nicht scheute, nahm sein Verteidiger Edgar Siemund diese Ausführungen des Diakons ernst und belegte diese Entwicklung anhand der Aussagen des Historiker Yuval Noah Harrari und des umstrittenen Tech-Investors und Palantir-Gesellschafters Peter Thiel. Mit den Worten „Wissen ist dieser Tage eine Holschuld“ verwies er auf das aktuelle Interview der NYT mit Thiel vom 26.06.2025. Auf die Frage des Interviewers, ob die Menschheit überleben soll, antwortete Peter Thiel:
„Transhumanismus ist dieses Ideal einer radikalen Transformation, bei der der natürliche menschliche Körper in einen unsterblichen Körper verwandelt wird. […] Wir wollen mehr als nur Cross-Dressing oder die Veränderung der Geschlechtsorgane. Wir wollen, dass man sein Herz, seinen Geist und seinen ganzen Körper verändern kann. Nebenbei bemerkt: Die orthodoxe Christenheit kritisiert, dass das nicht weit genug geht, wenn der Transhumanismus lediglich bedeutet, den Körper zu verändern, sondern man muss auch seine Seele verwandeln, man muss sein ganzes Selbst verändern.“
Auch das reduktionistische Menschenbild des Technik-Fans und Ideengebers Yuval Noah Harari fand Eingang in den Gerichtsaal, der sich für einen Moment eher wie ein Vorlesungsaal anfühlte. Die Verdrängung des Homo Sapiens, das Absprechen des freien Willens und das Propagieren der Künstlichen Intelligenz als neue Religion sind aus der Sicht eines Diakons sehr wohl Anlass zu warnen, besonders vor dem Hintergrund der Geschichte des Bezirkskrankenhauses Mainkofen. Dort seien im Rahmen von Euthanasieprogrammen der Nazis Menschen mit Behinderung getötet worden, die als „unnützes“ und „unwertes“ Leben bezeichnet wurden. Denn, folgt man den Reden und Inhalten der Bücher von Harari, birgt der Transhumanismus das Risiko, dass sogenannte „Mensch-Maschine-Upgrades“ die Menschheit in „biologische Kasten“ aufspalten werden. Jene, die sich das Upgrade nicht leisten können, bleiben „nutzlose Menschen“ oder „hackable animals“. (1) Insofern muss ein Kleriker wie Radeljic-Jakic warnen, gibt der Verteidiger zu verstehen, denn dies bedeutet letztlich nicht nur die Abschaffung des Menschen in seiner jetzigen Form, sondern auch eine Klassifikation der Arten von Menschen, die durch den Transhumanismus geschaffen werden sollen.
Gleichsetzung zwischen Verschwörungstheorie und Holocaust?
Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft war Radeljic-Jakic‘s „Verschwörungsrede“ dem Gedenken unwürdig. Es handele sich vielmehr um eine Gleichsetzung der Verschwörungstheorie mit dem Holocaust, was den Holocaust in seiner historischen Einmaligkeit entwerte und als einzigartiges Unrecht bagatellisiere. Generell pflege man in letzter Zeit Verharmlosungen des Holocaust, z. B. durch Äußerungen wie „impfen macht frei“ oder die Gleichsetzung der Grünen mit den Juden aufgrund deren Verfolgung wegen ihres unliebsamen Heizungsgesetzes, so der Staatsanwalt Baumgartner. Hat der Diakon also die NS-Verbrechen mit seiner Demozid-Theorie gleichgesetzt und damit eine Verharmlosung begangen? Dieser Vermutung setzte der Richter zwei Aspekte entgegen. Zum einen wies er darauf hin, dass das Demozid-Programm „nur eine Theorie“ sei, die nur in die Zukunft weise. Und zum anderen sei dies „Gott sei Dank nur eine Theorie“ und damit weit entfernt von einer Banalität, weil es als Fortwirkung der Kultur des Todes der Nazis von dem Diakon angesehen werde. Es sei deshalb gerade Zweck des Straftatbestandes, uns vor dem Vergessen zu schützen und als Mahnung zu dienen.
„Ganz im Gegenteil bringt er die Verbrechen des NS-Regimes in die Gegenwart und regt dazu an, die Bedingungen zu hinterfragen, welche solche Verbrechen erst möglich machten“, so der vorsitzende Richter.
Die jedenfalls äußerst präzise Urteilsbegründung des Richters schien ihrerseits ein Appell an die richtige Anwendung des Gesetzes in seiner konkreten Ausprägung zu sein. Anders als die Richterin der Vorinstanz und der auch beim Amtsgericht tätige Staatsanwalt definierte er zunächst den Begriff der Verharmlosung. Als Beispiele für eine Verharmlosung führte der Richter einmal ein quantitatives Element wie das Runterspielen der Zahl der ermordeten Juden sowie ein qualitatives Element ein, was erfüllt sei, wenn man behaupte, dass der Massenmord an den Juden doch nicht so schlimm sei, wenn man bedenke, wie viele Menschen damals insgesamt getötet worden seien. Weder das eine noch das andere liege hier vor.
Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzestext nur von „Billigen“, „Leugnen“ oder „Verharmlosen“ spricht, erinnerte der Richter den Staatsanwalt daran, dass „Vergleichen“ als solches nicht verboten ist, sonst hätte der Wortlaut des Gesetzestextes anders formuliert werden müssen. Deswegen ist das Vergleichen auch kein Tabu. Er mahnte:
„[…] Es steht der Anklagebehörde nicht zu, den Gesetzgeber zu korrigieren und den Strafbarkeitsbereich über das Gesetz hinaus auszudehnen und schon in einem Vergleichen ein Verharmlosen zu sehen.“
Missbrauchspotenzial des § 130 StGB
Man gewann bei den Ausführungen des Vorsitzenden den Eindruck, dass das generalisierende Drüberbügeln der Staatsanwaltschaft über die Tatbestände, welches diese unter Berufung auf das BayObLG demonstrierte, wieder zurechtgerückt wurde. Dies war insofern notwendig, als die oberste Rechtsprechung dazu tendiert, die Strafbarkeit des §130 StGB sehr weit vor die eigentliche Verletzung des Rechtsgutes des „öffentlichen Friedens“ zu verlagern, um den Nimbus des Holocaust nicht zu beschädigen.
Damit eröffnet sich die höchste Rechtsprechung bei der Strafbarkeitsbeurteilung der Volksverhetzung einen Ermessenspielraum, der gigantisch ist und dem Schutzzweck der Norm, nämlich den öffentlichen Frieden als abstraktes Rechtsgut zu bewahren, nicht im Ansatz gerecht wird. Denn anders als sonstige Strafvorschriften, wie z. B. Diebstahl oder Körperverletzung, die konkrete Rechtsgutsverletzungen von Eigentum und Körper schützen, ist der Begriff des öffentlichen Friedens kein individuelles Rechtsgut, sondern ein vager Begriff. Je länger also die Vorschrift des §130 StGB existiert, ohne dass dieses systematische Manko der Abstraktheit durch konkrete Anhaltspunkte für die Rechtsgutsverletzung des öffentlichen Friedens – z. B. durch laute Unmutsäußerungen oder das Ansetzen zu feindlichen Handlungen gegenüber staatlichen Stellen – konkret beseitigt wird, wird der § 130 StGB durch den mit der Zeit wachsenden Gewöhnungseffekt gegen Kritik abgeschirmt. Augenrollen und Tuscheln, wie das im konkreten Fall der 30-köpfigen Andachtsgemeinde war und der Staatsanwaltschaft sowie dem Eingangsgericht als Indizien für die Störung des öffentlichen Friedens ausreichten, waren diese für das Landgericht jedenfalls keine ausreichenden Kriterien, um eine Störung des öffentlichen Friedens annehmen zu wollen.
Besieht man sich diesen Fall aus der Nähe, erkennt man, dass die Staatsanwaltschaft unter der Führung der obersten Rechtsprechung, allen voran des BayObLG, einer Überdehnung des Tatbestands der Verharmlosung das Wort redete. Das erkennt man daran, dass der Kontext, in dem Äußerungen wie die des Diakons fallen, nicht mehr auf die Realwirkung im Hinblick auf das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit überprüft werden, sondern nur noch im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Nimbus des Holocaust. Ob Radeljic-Jakic sich über den Holocaust lustig gemacht hätte oder angesichts seines Schreckens vor der „Kultur des Todes“ warnte, erfährt damit die gleichen Konsequenzen. Jedwede Differenzierung im Sachverhalt ist damit obsolet. Der hierdurch entstehende grenzenlose Ermessensspielraum wahrt zwar die Heiligkeit des Holocaust, der Preis dafür jedoch ist eine völlig undifferenzierte Bestrafung jeglicher Bezugnahme auf diesen, was das Gebot des Erinnerns und das Mahnen vor einer Wiederholung zu einer juristischen Farce verkommen lässt.
Unter Bezugnahme auf den im Strafbefehl und amtsgerichtlichen Urteil erwähnten demonstrierten Ungehorsam des Radeljic-Jakic führte das Gericht aus, dass ihm kein Rechtsgut bekannt sie, dass durch bloßen Ungehorsam verletzt werden könnte. Soweit der Ungehorsam sich auf staatliche Autorität beziehe, stellte er dem ein Zitat von Willy Brandt entgegen: „Mehr Demokratie wagen“. Ob sich hieraus mehr Gehorsam gegenüber staatlicher Autorität ableiten lasse, ließ der Richter offen und verwies darauf, dass ihm Gehorsam gegenüber dem Gesetz schon reichen würde.
Quellen und Anmerkungen
(1) Yuval Noah Harari: „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Erschienen am 6.11.2021
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: katholischer Geistlicher mit gefalteten Händen
Bildquelle: Massimo Todaro / shutterstock
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