Die Ursachen für die Anschläge von Brüssel

Von Kaveh Ahangar.

Seit März 2015 gab es mindestens neun Anschläge des „IS“ in der Türkei, Afghanistan und der arabischen Welt bei denen jeweils zwischen 33 und 137 Menschen getötet wurden. Keines dieser Anschläge war eine Titelstory wert. Im selben Zeitraum verübte der „IS“ vier Anschläge in Russland, den USA und Europa, die allesamt medial im Vordergrund standen. Als Anfang des Monats 150 Somalier bei einem US-Drohnenangriff getötet wurden – die US-Regierung behauptet, es waren Extremisten, aber die Identität der Opfer bleibt immer noch ungewiss – haben die Medien kaum darüber berichtet. Jetzt, wo 34 Menschen in Brüssel durch Anschläge getötet wurden, berichten die Medien seit drei Tagen ununterbrochen von den Attentaten. Diese Art der heuchlerischen Berichterstattung ist ein Markenzeichen westlicher Mainstreammedien und vielen Nachrichten interessierten Menschen sind diese Doppelstandards mehr als bewusst.

Abgesehen davon ist es kein Geheimnis, dass der westliche Staatsterrorismus deutlich mehr Menschenleben fordert als religiöse Extremisten. Die Wahrscheinlichkeit im Westen durch Terroristen ums Leben zu kommen, ist genauso hoch wie von Möbeln zerquetscht und getötet zu werden. Aber über Terroranschläge in westlichen Metropolen wird überdurchschnittlich viel berichtet, was auch erklärt, warum die Angst vor Terroristen so groß ist. Die Menschen im „Nahen-und Mittleren Osten“ dagegen werden nicht nur von korrupten und despotischen Regimen unterdrückt.

Etwa vier Millionen Menschen sind seit 1990 allein im Irak und Afghanistan durch den westlichen Staatsterror ums Leben gekommen. Letztes Jahr hat das US-Militär über 22.000 Bomben auf den Irak und Syrien abgeworfen. Wie viele Millionen Angehörige und Freunde getöteter Zivilisten wurden erst durch westliche Bomben radikalisiert? Die Zahl muss unvorstellbar hoch sein. Westliche Interventionskriege sind also eines der fruchtbarsten Nährböden des Terrors, geschweige denn, dass militante Islamisten von den Mujaheddin bis zu den Taliban und von al-Kaida bis zum „IS“ unter anderem erst durch die Unterstützung des Westens, Pakistans, der Golfstaaten und der Türkei so stark werden konnten. Aber es kommt noch schlimmer: Die PKK, welche die wichtigsten Verbündeten der Kräfte in Rojava darstellen, die wiederum mit ihren Bodentruppen den „IS“ bisher am erfolgreichsten bekämpfen, gelten im Westen immer noch als Terrorgruppe https://www.facebook.com/kavehtracks/posts/1073850309314464.

Für eine Reihe von „Jihadisten“ stellen die Anschläge in Europa und die Ausreise nach Syrien eine Art anti-kolonialer Befreiungskampf dar. Einige schließen sich dem „IS“ an, mit dem Glauben sie würden die gedemütigten Muslime verteidigen. Die Anschläge vom 13.11.2015 waren unter anderem eine direkte Antwort auf die französische Bombardierung Syriens, die zwei Monate vorher begann. Die jüngsten Anschläge von Brüssel wurden vom „IS“ ebenfalls damit legitimiert, dass sich Belgien an den Aggressionen gegen den „IS“ beteilige. Wenn die Bild-Zeitung schreibt: „Wir sind im Krieg“, dann stimmt das nur insofern, dass die NATO einem Großteil der Staaten des „Mittleren Ostens“ seit den 90er Jahren und vor allem seit 9/11 den Krieg erklärt hat und viele Muslime im Westen durch strukturelle Diskriminierung gedemütigt und marginalisiert werden. Der Staatsterror, der vom Westen gesät wurde, kommt nun wie ein Bumerang zurückgeflogen.

Aber nun zur Frage, warum ausgerechnet belgische Staatsbürger solche abscheulichen Terroranschläge verübt haben? Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass die „Jihadisten“ hausgemacht sind. Die meisten von ihnen sind in Belgien geboren oder aufgewachsen und kommen aus bildungsfernen Schichten. Wie auch die französischen Extremisten der Anschläge von Paris sind sie Opfer der misslungenen westlichen Integrationspolitik https://www.facebook.com/kavehtracks/posts/1071580712874757. Die meisten Attentäter waren Kriminelle, die sich ihren Lebensunterhalt durch Raubüberfälle und ähnliches verdienten. Radikalisiert haben sie sich größtenteils im Gefängnis. Kaum einer von ihnen war vorher besonders religiös. Sie haben Drogen genommen und ausgiebig gefeiert.

In diesem Sinne sind es also keine radikalisierten Islamisten, sondern eher „islamisierte Radikale“ (Olivier Roy). Das kann man auch daran erkennen, dass viele der Extremisten, die sich „Daesh“ anschließen mit Büchern einreisen wie: „Islam für Dummies“. Dass sie für die kriminelle Karriere eine Eigenverantwortung tragen ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, aber nur die eine Seite der Medaille. Denn als belgischer Jugendlicher mit marokkanischen Wurzeln ist es ziemlich schwer eine Arbeit zu finden. Etwa 40% der Jugendlichen mit maghrebinischem Migrationshintergrund aus Molenbeek, dem Viertel aus dem die Attentäter stammen, sind arbeitslos. Darüber hinaus werden sie nicht als Belgier anerkannt, werden gesellschaftlich ausgegrenzt und strukturell benachteiligt. Sie sind entfremdet und fühlen sich weder als Belgier noch als Nordafrikaner. Wenn überhaupt, identifizieren sie sich am ehesten als Muslime.

In Molenbeek gibt es kaum staatlich geförderte soziale Einrichtungen, während die Schulen schlecht ausgestattet und überfüllt sind. Die größtenteils von Saudi-Arabien geförderten Moscheen übernehmen dort viele soziale Dienste und üben dadurch einen großen Einfluss aus. Die Menschen in Molenbeek leben nur wenige Kilometer von den wohlhabendsten Stadtvierteln entfernt und viele wollen auch ein Stück vom Kuchen abbekommen. Einige wenige sind davon überzeugt, dass ihnen der „IS“ ein Leben ohne die täglichen Demütigungen anbieten kann. Sie werden dann teilweise dadurch angeworben, dass man ihnen im Irak und Syrien Anerkennung, Luxusvillen, dicke Autos und Sexsklavinnen verspricht.

Belgien hat in ganz Europa die höchste pro Kopf Rate an Extremisten, die nach Syrien ausgereist sind und über ein Drittel dieser Leute stammt aus Molenbeek. Die Rolle Saudi-Arabiens – der saudische Innenminister hat diesen Monat vom französischen Präsidenten den Ehrenlegionstitel verliehen bekommen – spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn Saudi-Arabien hat dieses Jahr nicht nur ca. 70 Menschen hinrichten lassen, sondern exportiert bereits seit den 60er und 70er Jahren seinen wahhabitischen Islam in die Welt, der viele Gemeinsamkeiten mit der „IS-“Ideologie aufweist. Die Schulbücher, die vom „IS“ benutzt werden, stammen z.B. aus Saudi-Arabien und auch die Hinrichtungsmethoden sind dieselben.

Seit den 70ern gibt Saudi-Arabien etwa 5% seines BIP für wahhabitische Moscheen, Schulen, Universitäten, TV-Stationen, Webseiten und Stipendien aus. 1978 hat Saudi-Arabien die Große Moschee zu Brüssel eröffnet. Das Gebäude wurde auch noch vom damaligen belgischen König gespendet. Heute werden laut Experten etwa 95% der Kurse, die in Belgien für Muslime über den Islam angeboten werden, von jungen Predigern abgehalten, die in Saudi-Arabien ausgebildet wurden. Das Perverse daran ist, dass Saudi-Arabien nach Israel der wichtigste westliche Verbündete in der Region ist.

Die USA haben letztes Jahr einen der größten Waffendeals ihrer Geschichte abgeschlossen und verkaufen an die saudische Luftwaffe mehr als 19.000 Bomben im Wert von 1,29 Milliarden Dollar. Deutschland verkaufte zwischen 2001 und 2014 ebenfalls Kriegsgerät im Wert von fast 2,6 Milliarden Euro an die Saudis. Angesichts dieser Tatsache ist es alles andere als glaubwürdig, wenn europäische Politiker verkünden, jetzt erst recht europäische Werte wie Freiheit und Demokratie verteidigen zu wollen.

Die Hauptursachen für die Radikalisierung der Jugendlichen sind also die westlichen Interventionskriege und die Verheerung großer Teile des „Mittleren Ostens“ und Nordafrikas, die vom „IS“ und einer Reihe von entrechteten Sunniten als Krieg gegen den Islam interpretiert werden. Hinzu kommen die Entfremdung durch den strukturellen Rassismus und sozio-ökonomische Ausgrenzung, die viele in die Kriminalität treiben und schließlich über Gefängnisaufenthalte mit der Takfiri-Ideologie in Berührung bringen und vom militanten Islamismus überzeugen. Die neoliberale Sparpolitik, die Schwäche der Linken und der Einfluss des wahhabitischen Islams, der sich seit den 80ern verstärkt in Stadtvierteln wie Molenbeek verbreitet und über diverse Moscheen soziale Dienste übernimmt, die der Staat weggekürzt oder nie zur Verfügung gestellt hat, leisten ihr übriges.

Aber anstatt die Wurzeln des Extremismus anzupacken, wird immer mehr Hass geschürt. Besonders Frankreich macht vor, wie die Politik den Extremismus sogar noch verschärft. Seit der Ausnahmezustand verhängt wurde, gab es insgesamt 3.289 Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung. 341 Menschen sind in Gewahrsam genommen und 571 Verfahren eröffnet worden. Für 407 Betroffene wurde demnach Hausarrest ausgesprochen. Aber wirkliche Erfolge brachten die Maßnahmen bisher noch nicht. Es gibt Versammlungsverbote und vermeintlichen Terroristen darf die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Dabei wäre es viel effektiver, in soziale Programme, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Bildung, Kunst und Kultur zu investieren. Stattdessen spielt die westliche Politik dem „IS“ in die Hände, indem die Ressentiments der muslimischen Bevölkerung durch noch schärfere Gesetze und Überwachung geschürt werden und immer weniger Asylsuchende reingelassen werden, obwohl diese doch gerade vor dem Terror des „IS“ flüchten.

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Danke an den Autor für das Recht der Zweitverwertung.

Dieser Artikel erschien bei: Kaveh Ahangar auf Facebook.

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