Tagesdosis 11.7.2018 – Masterplan Menschheitsfamilie

Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.

Der Innenminister Horst Seehofer macht seinen Namen alle Ehre. Er stellte gestern seinen Masterplan Migration vor und der sieht nicht etwa das Menschliche im Vordergrund der Flüchtlinge, sondern wie zu erwarten, das Organisatorische im Umgang mit diesen Menschen. Ab in den Hinterhof der See. Seehofers Logik eben.

Der ökologische Kollaps

Blicken wir einmal weiter, viel weiter nach vorne. Menschlichkeit. Für viele ist das gar kein Wert an sich. Eher ein Blabla. Menschlichkeit ist Geschwurbel, da Menschlichkeit der Plan der NWO (Neue Weltordnung) ist, basta! Das lese ich in letzter Zeit immer häufiger und deutlicher. Menschlichkeit sei ein links-grün versifftes Wort. Wichtiger sei, die Schotten dicht zu machen und keinen einzigen Flüchtling mehr ins Land zu lassen. Wer etwas anders betreibt sei ein Systemfreund, ein Widerling und völlig blind für die eigentlichen Probleme. Eben linker als die Linken und grüner als die Grünen. Man, so der Rat einiger seltsamer Geister, müsse weiter sehen. Weiter denken und dazu seien die von solchen dann ausgemachten Linken und Grünen Schreiberlinge nicht fähig. Hauptsache ist, dass man ein Feindbild erschaffen hat. Ob die Person, die man als links oder grün ausgemacht hat, selbst solches ist, ist vollkommen unerheblich.

Die größte Gefahr der heutigen Zeit ist solchen Denkern der Flüchtling und damit fast auf gleicher Höhe, der Terrorist. Und ganz wichtig für solche Geister ist, dass Merkel weg muss. Ja, alle müssen weg. Das linke und grüne Gesockse sowieso. Schreiberlinge die mit Menschlichkeit punkten wollen müssen auch weg, gehören entlassen. Denn nur eines ist solchen Geistern wirklich wichtig. Sie selbst und ihr Weltbild.

Gibt es denn überhaupt Probleme der Menschen, die wichtiger sind als Terroristen und Flüchtlinge? Mir erscheint die Antwort sonnenklar, aber sie ist zutiefst menschlich. Es gibt nichts Wichtigeres als unseren Nachkommen ein gutes Leben hier zu ermöglichen. Und für diese Nachkommen zerstören wir schon seit Generationen diesen Planeten. Wir zerstören die Natur, das Leben und das Lebendige an sich. Natürlich wird jetzt sofort eingewandt, dass das Wir nicht stimme und jeder sich einzeln für dieses Wir nicht zuständig erklärt. Denkt man aber ausserhalb der Box, in der wir fast ausschließlich denken und Antworten suchen, so stehen wir alle im Westen und in diesem Land als Verursacher und auch als Mitverantwortliche vor dieser ökologischen Katastrophe, an der jeder einen individuellen Anteil hat. Der ökologische Kollaps ist die größte Gefahr für die gesamte Menschheit. Und wenn wir dem nicht ins Auge sehen, ihn zum Hauptthema unserer Probleme machen, dann werden in naher Zukunft Flüchtlingswellen auf Mitteleuropa zukommen, die im Vergleich zu den derzeitigen Flüchtlingswellen wie Wellen im Nanobereich anmuten.

Die ökologische Katastrophe ist verursacht durch die maßlose Gier, von der wir alle auch ein Teil sind. Schon die Geburt in eben diese reiche Zone birgt eine Teilhabe an den Pfründen des Kapitals, die, und das sei ausdrücklich gesagt, die allermeisten Menschen in dieser Zone, nicht zu Urhebern, also Schuldigen macht. Urheber sind die am Kapital und der Ausbeutung willentlich partizipierenden Oligarchen. Wir aber gehören zum Wirkmechanismus dieser Katastrophe und werden per Geburt dazu gezwungen, an all dem hier teilzuhaben. Von Schuld zu sprechen wäre also zu einfach und es träfe die Falschen. Wenn man überhaupt von Schuld reden kann, dann sind es diejenigen, die das Rad anhalten könnten, es aber nicht tun.

Was wäre denn die Lösung?

Ausserhalb der Box denken zu können schließt auch ein, dass man ausserhalb des Systems denken kann. Geht das überhaupt? Wenn wir Lösungen innerhalb der Box denken, dann helfen wir dem System. Das schließt dann alle politischen Bestrebungen ein, die vom Kapital profitieren. Die Frage ist also: Was ist der Wert den wir Menschen haben und welcher Wert eint alle Menschen? Die zweite Frage wäre: Wie kommen wir dahin, geschlossen und vereint als Spezies zu denken, zu handeln und zu fühlen? Hier hat fast jeder selbst seine Antworten und alle sind unterschiedlich. Die einen glauben an Revolution, die anderen an Grenzen und Zäune. Wieder andere an die Freiheit oder an die Gleichheit. Wenn wir Lösungen innerhalb des Systems favorisieren, dann verlängern wir das Elend. Das dürfte klar sein. Ausserhalb der Box Lösungen zu finden bedeutet nicht, ich habe recht oder nach mir die Sintflut. Denn das hieße, sich von der Angst, von der Existenzangst leiten zu lassen.

Ausserhalb der Box zu denken (das teilt und herrscht) wäre, als Teil der Spezies Mensch zu denken. Wir sind eine Menschheitsfamilie, sagt der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser und wird prompt deswegen schon im Netz lächerlich gemacht. Teilen, das tun nicht nur die Herrschenden. Das tun auch die Unterdrückten. Viele können nicht weiter denken, als bis dahin, wo die eigenen Füße stehen. Das ist das Problem von uns Menschen. Ausserhalb der Box zu denken bedeutet auch, dass kein Einzelner die Wahrheit kennt, den Weg aufzeichnen kann. Wir müssen aufhören damit uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen, nur weil viele ganz anders denken und andere Pläne haben als man selbst. Wir sollten aufhören damit Zuflucht in einer politischen Richtung zu suchen und diese dann gegen alle Widerstände zu verteidigen. Wir müssen aufhören damit den anderen anzugreifen, nur weil er eine eigene Meinung hat. Fast alle Newsgroups verkommen zu einem Schlachtfeld der Meinungen. Und das wirklich Tragische dabei ist, dass niemand den anderen wirklich kennt. Man glaubt, durch ein paar Worte den anderen ganz genau zu kennen. Was nicht stimmen kann.

Und genau das ist das Teilen der Menschen in zahlreiche Gruppen, die sich niemals auf der menschlichen Ebene begegnen, sondern sich gegenseitig ihre Unmenschlichkeit um die Ohren knallen. Das hilft der Herrschaft ungemein, um uns gegeneinander aufzuhetzen. Es gibt nur eine Ebene, in der sich Menschen näher kommen können. Es ist die menschliche Ebene. Alle Menschen auf diesem Planeten und alle die schon vor uns hier lebten, sprechen ab Geburt ein und dieselbe Sprache. Es ist die Empathie. Die Kulturen der unterschiedlichen Zivilisationen fangen hier das Trennen an. Vor allem die Religionen und die unterschiedlichen Ismen der Politik. Beide dienen nicht den Menschen, sie versklaven ihn. Weil es Menschen gibt, die nur durch die Arbeit anderer riesenhaft verdienen, gibt es überhaupt die Religionen und die politischen Systeme.

Die Mehrheit der Menschen werden nicht bloß versklavt. Sie werden in so gut wie allen Bereichen betrogen, missbraucht und ausgenommen. In der Wissenschaft, der Bildung, der Arbeitswelt, der Mitmenschlichkeit, der Fürsorge, den Medien. Die Liste ist endlos. Es gilt ganz grundsätzlich, wer etwas in politischer Doktrin erklärt ist ein Rattenfänger. Innerhalb des Systems ist das natürlich eine Wahrheit für die Verirrten, die nicht weiter denken können, als innerhalb des Systems. Wie würden wir innerhalb und ausserhalb der Box darüber Antworten, wenn wir einmal die Frage zulassen: Wie gehen wir damit weiterhin um, dass vier Fünftel der gesamten Menschheit gerne hier leben würden? Machen wir die Grenzen dicht, sperren wir uns also komplett selbst ein, oder fangen wir endlich damit an zu verstehen, dass auch andere Menschen so leben wollen wie wir selbst? Sperren wir sie aus, leben wir weiterhin die große Lüge von den Vereinten Nationen, der Menschenrechte und der Menschlichkeit. Amerika zuerst, sagt der Präsident Donald Trump. Darüber regen sich viele auf. Doch ich wette, dass die allermeisten dieser Aufgeregten zu sich sagen – Ich zuerst! Ich meckere zwar über das System und über die Regierung. Doch das ich davon auch profitiere, weil die anderen hungern, darüber rege ich mich lieber nicht auf, will es gar nicht wissen. Und wehe dem, der mich darüber aufklärt, dass kann nur ein links-grün-Versiffter sein. Ja, alles ist so unglaublich einfach.

Die Triebfeder ist Sicherheit

Das Migrationsproblem zeigt uns einen Spiegel auf. Und um in selbigen nicht zu schauen, konstruieren viele Leute die abstrusesten Theorien vom Dieb, der mir was wegnimmt. Nur das wirklich Enthüllende daran ist, dass vor diesem Migrationsproblem niemand mehr von allem hatte. Die Agenda 2010 gibt es schon länger. Und auch zuvor gab es viele Arbeitssuchende in diesem Land. Schon als Helmut Schmidt 1974 Bundeskanzler wurde, wuchs unaufhaltsam die Arbeitslosigkeit. Ich glaube, dass der eigene Systemboykott zu sehr vielen individuellen Fehlentscheidungen geführt hat. Und diese Fehlentscheidungen werden dem System zugeschoben. Das führt aber nicht dazu, dass man sich selbst gründlicher hinterfragt. Feindbilder werden aufgebaut, befeuert und bestärkt. Dann werden Zielscheiben, also Projektionsflächen, gesucht und gefunden. Und dann wird abgefeuert. Verbal und das pausenlos. Und da es so viele sind und sie sich unter Gleichen wähnen, schaukeln sie sich gegenseitig hoch, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und merken nicht im Geringsten, dass sie dabei hypnotisch ihr Problem in sich selbst verfestigen. Natürlich wird darüber dann ein Ismus gelegt und fertig ist die virtuelle Peergroup.

Masterplan Mensch. Nicht das ich die Antwort auf das alles hier hätte. Und ich will auch keine Antwort geben. Ich brauche keine Antworten von der Kanzlerin oder ihrem Innenminister. Die tun auch nur das, was ihre Pensionen sichert. Und dafür haben sie ihre Wähler und die, die zwar über alles meckern, aber nicht weiter als das, was das System von ihnen erwartet denken können. Doch vor allem sind sie Systemwähler. Sie wählen nicht die Regierung, aber das System, das solche Regierungen produziert. Man besiegt kein politisches System mit einem anderen politischen System, wenn beide oder alle politischen Systeme das ganze System bilden. Man denkt auch nicht anders, nur weil man politisch die Richtung wechselt. Weil nämlich die Menschen die selben sind, die das System bilden. Es ist egal ob du Cola oder Fanta trinkst. Du kaufst vom selben Verkäufer. Dies zu erkennen kommt für diejenigen einem Sakrileg gleich, die nur im System denken können. Für sie ist die Lösung der Kolonialismus. Das Flüchtlingsproblem drückt nämlich auch in diese Wirklichkeit des Westens hinein. Es zeigt den Kolonialismus ganz offen. Doch auch hier gilt, dass man viel lieber den Überbringer der Botschaft für das Letzte hält und den Verursacher lieber stärkt.

Ausserhalb der Box beginnt die Kooperation. Nicht die Revolution, nicht der Kampf gegen alle Klassen oder der Kampf gegen andere Menschen. Innerhalb der Box existieren Rechtfertigungen für die Revolution, den Kampf der Klassen gegen alle anderen Klassen und der Kampf gegen andere Menschen. Das Credo ist Survival of the Fittest. Ausserhalb der Box existieren keine Migranten, keine Flüchtlinge. Dort existiert eine Menschheitsfamilie, eine Spezies. Ausserhalb der Box existiert bloß der Mensch. Und das macht vielen Angst. Die Box selbst verspricht Sicherheit. Und diese Sicherheit, so glaubte Jiddu Krishnamurti, sei der Grund für alles Leiden, für die ganze menschengemachte Destruktivität. Denn diese Sicherheit konstruierte das System, die Zivilisation, die Nation und die ganzen vielen Bündnisse. Mit allem Drum und Dran.

Die größten Versicherungen dieser Box sind nicht die Versicherungen selbst. Es sind die Religionen, die Pläne, nach denen sich der Mensch zu richten hat und nach denen er richtet. Horst Seehofers Masterplan vernachlässigt den Menschen und damit das Menschliche. Er organisiert, funktionalisiert und mechanisiert den Menschen durch und durch. Hannah Arendt nannte genau diese politische Doktrin die Banalität des Bösen. Denn sie verantwortet nichts, sie überantwortet die Dinge an die Menschen, die man zum Problem erklärt hat. Sie sind selbst schuld daran, dass sie überhaupt zum Problem geworden sind.

Ausserhalb der Box, und jetzt kommt das Unverdauliche, sind wir alle Migranten dieses Planeten. Nicht Deutsche oder Briten, Russen, Amerikaner oder Chinesen. Bestenfalls Menschen, die versuchen das Beste aus ihrer Geburt zu machen. Der Masterplan der Menschen ist Kooperativität, Zusammenschluss und ein Handeln als Spezies in der Menschheitsfamilie.

Quellen:

1:http://www.spiegel.de/politik/deutschland/masterplan-fluechtlingshilfswerk-der-uno-kritisiert-plaene-von-horst-seehofer-a-1217655.html

2:http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/richard-david-precht-zuwanderung-100.html

 

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