Tagesdosis 11.12.2017 – Die Mafia im Staat

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Schwere Misshandlung, ein brutaler Verdeckungsmord, gemeinschaftliche Vertuschung, Bildung einer kriminellen Vereinigung: Das klingt wie die Anklageschrift gegen einen Mafioso. Tatsächlich es ist eine ganz aktuelle Story aus den niedersten Sümpfen des deutschen Staatsapparats.

Der dieser Tage viel diskutierte Feuertod von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle erlaubt einen Blick in den mafiösen Abgrund. Die Polizei hat den Sierra Leoner wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittel-Gesetz auf dem Kieker. Am Morgen des 7. Januars 2005 kommt der 36jährige betrunken aus einer Disko. Er fühlt sich außerstande, allein in die Asylunterkunft der Nachbarstadt zu fahren.

In seinem Zustand bequatscht Jalloh eine Ein-Euro-Jobberinnen der Dessauer Stadtreinigung. Er will mit ihrem Handy Hilfe holen. Die Frauen rufen die Polizei, weil sie sich belästigt fühlen. Die nimmt den Mann mit, kettet ihn an Händen und Füßen rücklings auf einer feuerfest umhüllten Matratze in einer gefliesten Schlichtzelle fest. Vier Stunden später ist der Mann bis zur Unkenntlichkeit verbrannt – am helllichten Tag im Polizeirevier.

Fast 13 Jahre lang tönt es aus den Reihen der Polizei, des Innen- und Justizministeriums, der ermittelnden Staatsanwälte und der Gerichte: Der Afrikaner habe sich selbst angezündet. Unabhängig von der Absurdität dieser Story weiß man seit fünfeinhalb Jahren, dass ein von der Polizei präsentiertes Feuerzeug mangels Spuren nie in der Zelle und beim Opfer gewesen sein kann. Man weiß, dass der Mann kein Kohlenmonoxid im Blut hatte, dass sein Adrenalinspiegel nicht erhöht war, dass er Schädel- und Gesichtsverletzungen hatte – alles Anzeichen für vorangegangene, mindestens versuchte Tötung und anschließende Verbrennung.

Doch mehr als ein Dutzend Jahre schieben Ermittler, Gerichte und Politiker dem Gefangenen einen Selbstmord in die Schuhe. Eisern prügelt die Polizei Demonstranten bis zur Bewusstlosigkeit, weil sie der offiziellen Auffassung nicht folgen, und zerrt sie dafür auch noch vor Gericht. Der staatliche Regionalsender MDR lässt einen Reporter ins Mikrofon tönen, kaum einen Dessauer interessiere der in staatlicher Obhut verbrannte Asylbewerber. Klingt wie: Was kümmert uns ein toter Neger. Doch ungewollt beschreibt er damit die Situation, auf welche Polizei, Justiz und Politik setzen. Wo kein Kläger, da kein Richter.

Nur Unterstützern der in Guinea lebenden Hinterbliebenen ist es zu verdanken, dass der Fall nicht nach drei Jahren unter den Teppich gekehrt werden kann. Sie organisieren mit viel Aufwand, dass eine Nebenklage möglich wird. Mit Spenden finanzieren sie Anwälte und eigene Gutachter. Sie zwingen den Dessauer Oberstaatsanwalt, weiter zu ermitteln – gegen den Druck der geballten Staatsgewalt und der Öffentlichkeit, die von dem Fall nichts mehr hören will. Sie geben keine Ruhe, bis ein Glied in der Schweigekette wackelt.

Die Version vom Selbstmord ist medizinisch wie brandtechnisch ausgeschlossen. Als Oberstaatsanwalt Folker Bittmann aus Dessau das feststellt, beruft er sich auf acht Gutachter – Brandforensiker, Chemiker, Kriminaltechniker, Rechtsmediziner –, die einen erstmals ohne die Vorgabe »Selbstmord« durchgeführten Brandversuch ausgewertet haben. Sie alle attestieren, was Aktenkundige seit Jahren wissen und Experten seit langem feststellen. Bittmann erörtert ein mögliches Motiv: Verdeckungsmord, um Körperverletzung im Amt zu vertuschen und wohl auch, um zwei weitere ungeklärte Todesfälle im Revier nicht neu aufzurollen:

Am 8. Dezember 1997 nahm die Polizei Hans-Jürgen Rose wegen Trunkenheit im Straßenverkehr fest. Nachdem sie ihn aus dem Dessauer Revier entließ, brach er mit schweren inneren Verletzungen zusammen. Es gab viele Hinweise auf Misshandlungen in der Polizeistation. Niemand ging diesen nach.

Am 29. Oktober 2002 brachten Dessauer Polizisten Mario Bichtemann als hilflose Person zum Ausnüchtern in die Zelle, wo Oury Jalloh gut zwei Jahre später verbrennen sollte. 16 Stunden später fand man ihn tot. Die Diagnose der Leichenschau lässt ein Martyrium erahnen: Schädelbasisbruch, Hirnquetschung, Hirnblutung, schwere Blutergüsse im Gesicht und am ganzen Körper, vier gebrochene Rippen. Das Verfahren stellten die Ermittler bald ein. Das Personal überschneidet sich zum Teil mit den Diensthabenden im Fall Jalloh.

Kaum ist Bittmanns Schreiben beim Generalbundesanwalt eingetroffen, reagiert der Apparat. Karlsruhe will nicht ermitteln. Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad entzieht den Dessauern das Verfahren. Wenige Wochen später und zwei Tage nach ihrer Ernennung zur Leitenden Oberstaatsanwältin stellt es Heike Geyer aus Halle ein – ohne auf die vorliegenden Analysen näher einzugehen.

CDU-Justizministerin Anne-Marie Keding will sich nicht äußern. Geyer und Konrad belügen die Abgeordneten im Magdeburger Landtag nach Strich und Faden. Als das herauskommt, weil Akten an Medien durchgestochen werden, kommt Oberstaatsanwältin Geyer Journalisten regelrecht pampig: Mir doch egal, ich sehe das eben anders, basta, weitere Nachfragen unerwünscht. Im Landtag legen sich CDU und AfD gemeinsam ins Zeug, eine Akteneinsicht zu verhindern. Man will das Ansehen des Landes wahren. Und sei es zu dem Preis, brutale Mörder, denen das Leben eines Hundes vermutlich mehr wert ist, als das von Afrikanern oder deutschen Unterschichtlern, weiter in Uniform herumlaufen zu lassen.

Man stelle sich vor, was los gewesen wäre, hätte man einen Polizisten in einem Flüchtlingsheim tot aufgefunden. Ob man diesen auch des Selbstmordes bezichtigt hätte? Natürlich nicht. Bei unerwünschten Unterprivilegierten ist das anders. Es gibt einen »Witz«, der hierzu passt: Polizisten ziehen einen toten Juden aus dem Fluss. Er ist übel zugerichtet, in seinem Rücken steckt ein Messer. Sagt der eine zum anderen: »Einen so brutalen Selbstmord habe ich noch nicht gesehen«.

Die Frage bleibt: Warum hat ausgerechnet der Oberstaatsanwalt, der selbst zwölf Jahre lang eisern die Verschwörungstheorie der Selbstanzündung des Gefesselten verfochten hat, plötzlich angefangen, ernstlich nach der Wahrheit zu suchen? Noch vor gut einem Jahr war er nach dem brutalen Sexualmord an einer chinesischen Studentin in Dessau in den Fokus geraten. Versuchte er doch mit allen Mitteln, die Eltern des inzwischen verurteilten Täters – beide hochrangige Polizeibeamte in Dessau, die ihrem Sohn nach der Tat beim Umzug aus dem Tatorthaus halfen – aus der Schusslinie zu nehmen.

Nun, Bittmann weiß wohl, dass Strafvereitlung im Amt ebenfalls eine Straftat ist. Möglicherweise will er am Ende nicht schuld sein an dem abzusehenden Justiz- und Politikskandal, wenn doch noch alles auffliegen sollte. Vielleicht will er einfach, angesichts nicht unterzukriegender Unterstützer der Hinterbliebenen, seinen baldigen Ruhestand genießen können. Man weiß es nicht.

Man weiß nur eins. Der Sumpf besteht nicht nur aus Bittmann, Dessau und der Staatsanwaltschaft Halle. Im Fall Jalloh beginnt er in einem mörderischen Polizeirevier in einer 70.000-Einwohner-Stadt. Er zieht sich durch die Justiz und Ministerien in Sachsen-Anhalt. Er endet in Karlsruhe und Berlin. Und er gedeiht in einer autoritätshörigen Bevölkerung, die Polizisten für unfehlbar und Schwarze oder Arme für minderwertig hält.

Strukturen informeller Netzwerke nutzen ihr Gewaltmonopol und propagandistische Möglichkeiten, um eigene Verbrechen zu begehen und zu vertuschen, sei es aus finanziellen, ideologischen oder sonstigen Interessen. Oury Jalloh ist bei weitem nicht der einzige Fall.

Bei den NSU-Verbrechen sahen deutsche Behörden nicht nur jahrelang weg. Der Staat mischte auch selbst mit. Nach dem Auffliegen verstarben zwei Beteiligte und insgesamt sieben Zeugen auf mysteriöse Weise. Die Justiz schredderte Akten und verhindert bis heute eine ernsthafte Aufklärung, indem sie auf der unhaltbaren Version vom »Dreierkomplott« beharrt. Verfassungsschützer belügen bis heute Abgeordnete in Untersuchungsausschüssen und tun damit vor allem eins: Sich selbst schützen.

Im sogenannten »Sachsen-Sumpf« deckten die sächsischen Behörden unter Thomas de Maizière (CDU) jahrelang kriminelle Netzwerke, die sich an Immobilienbetrug, Menschenhandel und Kinderprostitution bereicherten. Im Prozess handelten Richter mit dem Hauptangeklagten eine lächerliche Strafe aus. Opfer wurden juristisch verfolgt, nachdem sie hohe Staatsbeamte belastet hatten. Ein des Kindesmissbrauchs verdächtigter Richter konnte so ohne Weiteres zum Chef des Leipziger Landgerichts aufsteigen.

Immer läuft es auf dieselbe Weise. Es geht um nicht weniger, als kriminelle Vereinigungen innerhalb und unter vollständigem Schutz des Staatsapparats. Kaum wird dieser gegen sich selbst ermitteln. Da hilft auch ein politischer Beamter wie der Generalbundesanwalt nicht. Denn wie auf der Internetseite desselben denkwürdig erläutert wird, sehen für ihn

»die beamtenrechtlichen Bestimmungen vor, dass er sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen grundlegenden kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung befindet«. Jederzeit, heißt es weiter, könne er andernfalls »ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden«. Für staatliche und politische Verstrickungen wie beim NSU, beim »Sachsen-Sumpf« oder beim Feuertod von Oury Jalloh hat man also vorgebaut.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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