Beim heutigen Treffen zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara stehen Migration, Sicherheit und Wirtschaft im Fokus. Kritische Themen wie Sanktionen gegen Russland oder Menschenrechtsfragen dürfte Merz weitgehend meiden. Es stellt sich die Frage, ob Deutschland die Türkei in der Rüstungsfrage künftig noch stärker unterstützen wird.
Ein Kommentar von Claudia Töpper.
Nachdem sich der deutsche Außenminister Johannes Wadephul von der CDU vor zwei Wochen mit dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan getroffen hat, reiste der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz für seinen Antrittsbesuch am Mittwoch, den 29.10.2025 in die Türkei/Ankara, um den türkischen Präsidenten heute zu treffen.(1) Die Türkei gilt als einer der wichtigsten Handelspartner für Deutschland.(2)
Themen wie Migration und Rüstungsindustrie im Vordergrund?
Bei diesem Treffen sollen vorwiegend Themen wie Migration und Wirtschaft im Vordergrund stehen.(3) Vor allem die Migrationsproblematik ist für Deutschland besonders wichtig, da Ankara nach langer Verweigerung eine Rücknahme türkischer Migranten aus Deutschland nun wieder erlaubt. Zusätzlich stehen vermutlich die Rüstungsimporte in die Türkei im Vordergrund. Laut den türkischen Medien wird auch das Thema Sicherheit diskutiert werden.(4) Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Sebastian Hille erklärte in einer Presseanfrage bezüglich des bevorstehenden Treffens: „Dank der großen Zahl türkischer deutscher und großer türkischer Gemeinschaften, die in Deutschland leben, haben unsere Länder tiefe Beziehungen. Aus dieser Perspektive ist die Türkei von besonderer Bedeutung und ein wichtiger Nachbar der Europäischen Union."(5) Laut den türkischen Medien wird von dem Treffen zudem erwartet, dass
„sie [Merz und Erdoğan] die Schritte bewerten, die unsere Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, einschließlich unseres Beitrittsprozesses zur Europäischen Union und globale und regionale Sicherheitstests, verstärken werden.“(6)
Bereits im Jahr 1987 hat die Türkei sein offizielles Beitrittsgesuch bei der EU eingereicht. 1999 wurde dem Land der Status als Beitrittskandidat offiziell anerkannt. Doch obwohl die Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 begonnen haben, wurden sie aufgrund der unbefriedigenden Situation von Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechtsverletzungen vor einigen Jahren auf Eis gelegt.(7)
Die Vermutung liegt nahe, dass es sich Deutschland trotz der unterschiedlichen Sichtweisen nicht mit der Türkei verscherzen will, da sie in ihr einen Handelspartner in der Rüstungsindustrie sieht, denn im Juli hat die Bundesregierung ihre Erlaubnis für den Export von 40 Eurofightern an den NATO-Partner Türkei erteilt.(8) Des Weiteren liegt es im Interesse Deutschlands, dass Merz nach einer jahrelangen Verweigerung, türkische Migranten wieder zurück zu nehmen, die gelungene Vereinbarung der Rücknahme nicht gefährden möchte.(9) Laut der taz berichtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass Ende September 2025 22.560 türkische Migranten in Deutschland ausreisepflichtig waren. Davon abgeschoben wurden laut des Bundesinnenministeriums jedoch bis Ende September 2025 nur 1.614 türkische Staatsbürger.(10) Auf der offiziellen Seite des BAMF lassen sich diese Zahlen jedoch nicht finden.(11) Lediglich die Antwort auf eine Anfrage von der Partei DIE LINKE beim Deutschen Bundestag nennt eine Abschiebezahl des ersten Quartals von 2025 von insgesamt 6.151 ausreisepflichtigen Migranten. Hierbei erfolgt jedoch keine Aufschlüsselung nach den Herkunftsländern.(12)
Zusätzlich bittet der deutsche Bundeskanzler bezüglich der Abschiebungen nach Syrien von der Türkei um Unterstützung.(13)
Von dem gemeinsamen Treffen erhofft sich die Türkei, dass der deutsche Bundeskanzler Merz, in der Griechenland-Türkei Problematik, die Rolle des Vermittlers einnimmt. Als EU-Beitrittskandidat verfolgt die Türkei das Ziel, an dem kürzlich verabschiedeten EU-Rüstungsprogramm SAFE teilnehmen zu können. Dies beinhaltet, dass für interessierte Mitgliedsstaaten auf Anfrage und auf Grundlage nationaler Pläne 150 Milliarden Euro für die Rüstungsbeschaffung bereitgestellt werden, die von den begünstigten Mitgliedsstaaten zurückzuzahlen sind.(14) Dieses Vorhaben wird jedoch durch das EU-Mitglied Griechenland blockiert, da es seit Jahrzehnten mit Ankara wegen widerstreitender Gebietsansprüche in der Ägäis im Konflikt steht. Die Bundesregierung signalisierte im Vorfeld des Treffens bereits ihre Unterstützung.(15)
Thematisiert Merz die Sanktionen gegen Russland?
Ob Merz bei diesem Besuch auch die Thematik anspricht, dass die Türkei vollständig den Import des russischen Gases und Öls beenden soll, wie es Trump bereits bei dem Treffen mit Erdoğan im September 2025 im Weißen Haus angesprochen hat, ist eher unwahrscheinlich, da diese Forderung einer wirtschaftlichen Bankrotterklärung gleicht. Im Jahr 2024 hat die Türkei 66% Erdöl und 41% Erdgas aus Russland importiert.(16)
Trotz des Treffens mit dem US-Präsidenten Donald Trump, welcher das Ziel verfolgte, Erdoğan davon zu überzeugen, den Handel mit Russland zu beenden, erklärte der russische Pressesprecher des Kremls, Dmitri Peskow kurz nach diesem Zusammentreffen, dass die Pipelines in die Türkei nach wie vor auf Hochtouren laufen.(17) Er betonte, dass es eine Unterbrechung nicht geben werde, solange der Import von Gas für die Türkei „nützlich“ sei. Zudem fügte er hinzu:
„Die Türkei ist ein souveräner Staat, der seine eigenen Entscheidungen hinsichtlich der Zusammenarbeit mit uns trifft.“(18)
Zusätzlich hat Deutschland, gemeinsam mit den USA, Kanada, Frankreich, Italien, Japan und Großbritannien auf dem G7-Gipfel Anfang Oktober für weitere wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland gestimmt.(19)
Des Weiteren hat die EU kürzlich ihr 19. Sanktionspakets beschlossen, welches erneut gemeinsame Sanktionen gegen Russland vorsieht und die Importe von russischem Gas und Öl für die Mitgliedsstaaten einschränken und die Einfuhr auf den Märkten ab 2027 verbieten soll.(20)
Da die Türkei jedoch Sanktionen gegen Russland ablehnt, wird der Ukrainekrieg vermutlich eine eher untergeordnete Rolle bei diesem Treffen spielen.(21)
Auch ist fraglich, ob Friedrich Merz die Gefangenschaft des türkischen Oppositionsführers der Partei CHP und abgesetzten Bürgermeisters aus Istanbul, Ekrem Imamogul thematisieren wird.(22) Dieser befindet sich seit März 2025 ohne Anklage in Untersuchungshaft.(23) Ihm wird Korruption und seit kurzem nun auch Spionage vorgeworfen.(24) Er gilt als Erdoğans größter Konkurrent bei den türkischen Präsidentschaftswahlen für das Jahr 2028.(25) Laut der Türkei-Expertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Sinem Adar wird
„Merz […] es höchstwahrscheinlich vermeiden, die innenpolitische Lage in der Türkei von sich aus anzusprechen. Angesichts der Verschiebung der sicherheitspolitischen Prioritäten stehen innenpolitische Fragen nicht an erster Stelle.“(26)
Vermutlich wird Merz die türkische Innenpolitik von Erdoğan auch nicht ansprechen, da Erdoğan die europäischen Entwicklungen in den letzten Jahren mit Sicherheit verfolgt hat und spätestens seit den letzten fünf Jahren, während der Corona-Plandemie, die Menschenrechtsverletzungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit vor allem in Deutschland sehr deutlich sichtbar geworden sind und auch nicht mehr wegdiskutiert werden können. Auch in Deutschland wird versucht, die immer erfolgreicher werdende Oppositionspartei AfD mit allen Mitteln zu verbieten. Zudem werden Ärzte, Rechtsanwälte, Richter und Aktivisten, die sich kritisch in den Coronajahren geäußert haben, ebenfalls in Untersuchungshaft verbracht bzw. zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.(27) Die Meinungsfreiheit existiert in Deutschland somit faktisch nicht mehr. Hier den Finger gegenüber Erdoğan zu erheben, wie es die außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansu Özdemir, von Merz verlangte, indem sie sagte:
„dass er seine Reise in die Türkei nutz[en] [solle], um die schweren Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates offen anzusprechen […] und deutlich machen [müsse], dass politische Verfolgung, Repressionen gegen Oppositionelle […] in einem Rechtsstaat keinen Platz haben dürfen.",
würde den bilateralen Beziehungen wohl mehr schaden als nützen.(28)
Unter diesen Gesichtspunkten ist es fraglich, wie lange die Menschenrechtsverletzungen und die fehlende Rechtsstaatlichkeit der Türkei als Begründung für die Verweigerung eines EU-Beitritts noch glaubwürdig erscheinen und als gültig angesehen werden können, da einige EU-Staaten selbst zu „Unrechtsstaaten“ geworden sind. Denn die Zensur der Meinungsfreiheit und die strafrechtliche Verfolgung von Kritikern sind längst innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten Realität.
Quellen und Anmerkungen
(1) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/; https://taz.de/Abgesetzter-Istanbuler-Buergermeister/!6124771/
(2) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(7) https://osteuropa.lpb-bw.de/tuerkei-eu-beitritt
(8) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226
(9) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(10) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(11) https://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2025/251008-am-asylzahlen-september2025.html; https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-september-2025.pdf?__blob=publicationFile&v=4
(12) https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1075942
(13) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(15) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(17) https://www.youtube.com/watch?v=WxFSYB-PaMg
(20) https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2025/10/23/19th-package-of-sanctions-against-russia-eu-targets-russian-energy-third-country-banks-and-crypto-providers/; https://www.ihk.de/regensburg/fachthemen/international/nachrichten-international/neuer-inhalt19-sanktionspaket-der-eu-gegen-russland-6740172
(21) https://www.tagesschau.de/ausland/usa-tuerkei-trump-Erdoğan-100.html; https://www.dw.com/de/Erdoğan-tuerkei-russische-energie-russland-putin-importe-oel-gas-kohle-uran-atom-sanktionen-v3/a-74217595
(22) https://taz.de/Abgesetzter-Istanbuler-Buergermeister/!6124771/
(23) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(24) https://taz.de/Abgesetzter-Istanbuler-Buergermeister/!6124771/
(25) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
(26) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
https://www.landgericht-goettingen.niedersachsen.de/download/218359/Urteil_anonymisiert_5_KLs_18-23_nicht_barrierefrei_.pdf; https://strate.net/wp-content/uploads/2024/01/Urteil_LG_Erfurt_2023-08-23.pdf;
https://multipolar-magazin.de/meldungen/0097;
https://haintz.media/artikel/deutschland/michael-ballweg-ein-freispruch-der-den-staat-entlarvt/
(28) https://taz.de/Friedrich-Merz-besucht-die-Tuerkei/!6125226/
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Dank an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Berlin, Deutschland – 28.04.2025: Sitzung des Bundeskomitees der CDU im Hotel Estrel Berlin – Friedrich Merz
Bildquelle: EUS-Nachrichten / shutterstock
Bild: Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan Pressekonferenz in Bali, Indonesien, Mittwoch, 16. November 2022
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