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Sicherheit Made in USA | Von Rüdiger Rauls

Sicherheit Made in USA | Von Rüdiger Rauls

Die größte Militärmacht der Welt fühlt sich bedroht. Sicherheitsdoktrinen der USA offenbaren die Gefahren, denen man sich gegenüber sieht. Sie vermitteln aber auch ein Weltbild. Am 5. Dezember trat eine neue US-Doktrin in Kraft. Sie spiegelt die Veränderungen in der Welt wider.

Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.

Sicherheit im Wandel 

Bedrohung scheint ein amerikanisches Urgefühl zu sein. Es bestimmt nicht nur amerikanische Filme, sondern auch das politische Handeln seiner Führungen. Sie waren geleitet durch Weltbilder wie die Monroe-Doktrin, die Domino-Theorie und den Kampf gegen den Terror. Die neue Doktrin unter Trump räumt auf mit so manchen Hirngespinsten früherer Zeiten. „Nach dem Kalten Krieg habe man in Washington gedacht, Amerikas Vorherrschaft über die ganze Welt liege im besten Interesse des Landes“, bekennt der neue Text (1).

Nach dem Untergang der Sowjetunion mit ihrem Sozialismus, in dem Kapitalisten ihren Reichtum und ihre Klassenherrschaft bedroht sahen, sollten Farben- und Blumenrevolutionen sowie der Krieg gegen den Terror nicht nur die USA, sondern auch die ganze Welt sicherer machen. Nach einer anfänglichen Erfolgswelle hatte sich dieses Denken als Irrglaube herausgestellt. Geblieben sind verwüstete Länder, zerrüttete Staaten, verarmte Völker, zerbrechliche politische Verhältnisse und Millionen von Toten, Verletzten und Vertriebenen. Überlebt hat dieses Denken dann weiterhin in der Ausdehnung der NATO nach Osten.

Doch diese Politik der USA war auch verbunden mit gewaltigen Kosten für Kriege, Aufrüstung, den Betrieb von Armeen und Stützpunkten sowie der Pflege von Militärbündnissen. Neue entstanden zur Eindämmung von Chinas Einfluss in Asien und den vorgelagerten Meeren. Die Ausgaben dafür ließen die Schulden der USA auf mittlerweile 38.000 Milliarden Dollar explodieren. Aber diese brachten kaum Vorteile für die amerikanische Bevölkerung und auch wenig Ertrag für die amerikanische Wirtschaft – abgesehen von der Rüstungsindustrie.

Diese Kosten und die Kriegsmüdigkeit der Amerikaner waren mitverantwortlich für das Aufkommen von Trumps MAGA-Bewegung (2). Die Amerikaner waren die Kriege leid, von denen sie selbst nichts hatten. Denn die Sicherheitsprobleme der US-Bürger kommen nicht von außen, sie liegen im Land selbst: steigende Preise, hohe Kriminalität, soziale Unsicherheit, die Spannungen und gar Feindseligkeiten zwischen den Bevölkerungsgruppen, zwischen den Parteien und ihren Anhängern. Trump versprach den Leuten ein besseres Leben durch neue Jobs und ein Ende der Einmischungen in Ländern, von denen viele Amerikaner nicht einmal wissen, wo sie liegen.

Die USA verstehen

Seit Trump die zweite Präsidentschaft angetreten hat, hat er die Welt mit großen Ankündigungen durcheinander gewirbelt. Viel hat er davon aber bisher nicht umsetzen können. Das ist nicht Ausdruck einer „erratischen Politik“, wie so viele besonders in Europa daraus lesen wollen, besonders alle jene, die glauben, besser zu wissen, wie Politik funktioniert. Dass Trump das meiste nicht durchsetzen konnte, liegt in erster Linie daran, dass die Welt anders ist, als er sie sich ausgemalt hat. Das wird besonders deutlich am Konflikt mit China, dem er glaubte im Handumdrehen seine Bedingungen aufzwingen zu können, sich stattdessen aber eine blutige Nase geholt hat.

Gerade an China und Russland wird deutlich, wie sehr sich die Welt verändert hat gegenüber früheren amerikanischen Sicherheitskonzepten. Dass diese Doktrin gerade nun veröffentlicht wird, mag Zufall sein. Aber allein der Umfang der Veröffentlichung von 29 Seiten deutet auf einen längeren Zeitraum ihrer Ausarbeitung hin. Es stecken also mehr oder weniger ausgereifte Überlegungen dahinter, nicht nur die Launen eines sprunghaften Präsidenten. Die neue Doktrin versucht die Grundlagen und Überlegungen amerikanischer Politik deutlich zu machen.

Die Verfasser solcher Doktrinen – amerikanische genau so wie russische und chinesische – wollen damit Klarheit und Berechenbarkeit schaffen. Man macht deutlich, nach welchen Gesichtspunkten die eigenen Entscheidungen getroffen, welche Interessen verfolgt werden und welche Maßnahmen man dafür zu ergreifen gedenkt. Solche Doktrinen richten sich nicht nur an die Regierungen anderer Staaten, sondern auch an die eigenen Bürger. Sie legen das eigene Selbstverständnis dar und formen es darüber hinaus. All das geschieht vor dem Hintergrund des eigenen Weltbildes. Insofern zeigen die veränderten Sicherheitsstrategien auch, wie sich die Welt im Auge des Verfassers, hier der Amerikaner, verändert hat.

Demokratie-Schisma 

Für die Europäer bedeutet diese neue Verfassung eine herbe Enttäuschung, bestätigt aber auch die schlimmsten Befürchtungen, die sich mit Trumps bisheriger Politik bereits abgezeichnet hatten. Sie ernten viel Kritik und das gerade auf solchen Felder, wo sie anderen Nationen immer wieder gerne als Lehrmeister gegenüber traten. Ihnen wird die „Zensur der freien Meinungsäußerung und die Unterdrückung der politischen Opposition“ (3) vorgeworfen. Das erschüttert europäisches Selbstverständnis und Sendungsbewusstsein in Fragen der Werte und Moral in seinen Grundfesten.

Sicherlich wird das wenig Auswirkungen auf das weitere Auftreten der Europäer als Wertemissionare haben. Aber Kritik, die bisher daran schon bestand, wird durch die neue amerikanische Beurteilung weiter verstärkt und findet nun und in Zukunft besonders in Trump und den USA wichtige Kronzeugen. Zwar versuchen sich die Europäer nun als die besseren Demokraten herauszustellen, doch wer wird ihnen das glauben, nachdem sie selbst Jahre lang die USA als Leuchtturm der Demokratie ausgegeben haben? Zudem überschütten sich in der Europäischen Union selbst Staaten, Institutionen wie auch die politischen Parteien gegenseitig mit Vorwürfen von demokratiefeindlichem Denken und Handeln.

Der Wertemission der Europäer wird damit die Grundlage entzogen, mehr noch könnte nun ein Streit im Wertewesten entbrennen, wer denn die wahren Gralshüter der westlichen Werte sind, die Europäer oder die USA. Wer legt fest, wer heute und in Zukunft zu den Autokraten und Demokratiefeinden gezählt werden muss? Sind fortan Putin und sein Russland in den USA demokratisch und in Europa autokratisch? Jene, die bisher der Bannstrahl der westlichen Demokratie-Päpste traf, haben nun die Wahl zwischen amerikanischem und europäischem Demokratieverständnis. Denn wer hat in Glaubens- und Sittenfragen der Demokratie nun noch den Alleinvertretungsanspruch?

Beleidigte Wertemissionare

Die Reaktion der Europäer auf das amerikanische Sicherheitskonzept ist weinerlich. Medien und Politik schaffen in dramatischen Worten Untergangsstimmung. Die spanische Zeitung „El Pais“ sieht sich „vor einem Krieg um das Überleben unserer Zivilisation gegen Gegner, die auf unterschiedliche Weise unser Modell zerstören wollen.“(4). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung selbst unterstellt Trump, dass es ihm „sogar recht wäre, wenn die russischen Schwertstreiche dazu beitrügen, dass die von ihm gehasste EU geschwächt würde oder gar zerbräche“ (5). Die „Irish Times“ spricht von einem „Handbuch der Subversion, die sich gegen den liberalen Internationalismus und insbesondere gegen die Europäische Union richtet.“(6)

Die Europäer fühlen sich undankbar behandelt und bedroht. Was hat man nicht Jahrzehnte lang an Einschränkungen und Kränkungen vonseiten der USA mehr oder weniger widerspruchslos geschluckt, nur um als treue Verbündete ihren Schutz zu genießen? Nun muss man miterleben, wie die eigenen Interessen zugunsten von Autokraten wie Putin mit Füßen getreten werden. Denn die Amerikaner wollen auf einmal, „gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu vielen Ländern – ohne ihnen demokratischen oder anderweitigen gesellschaftlichen Wandel aufzuerlegen (7).

Das ist starker Tobak für die Wertemissionare und dementsprechend beleidigt reagieren sie. Sie legen den Schwerpunkt ihrer Betrachtungen und Kritik auf jene Textstellen, die ihr Weltbild, ihre bisherige Politik und ihre Grundsätze infrage stellen. Man will darin eine Politik der Spaltung erkennen, „die den liberalen Demokratien schadet und Russland nützt.“(8) Doch aus dem Wortlaut der auf Europa bezogenen Textpassagen ist eine ganz andere Absicht der Amerikaner erkennbar. 

Amerikas Überlegungen

Die FAZ hat den Inhalt der Doktrin aus dem Original übertragen. Daraus geht hervor, dass die Amerikaner „die Wiederherstellung von Bedingungen strategischer Stabilität im eurasischen Raum als auch zur Verringerung des Risikos eines Konflikts zwischen Russland und europäischen Staaten“ (9) erreichen wollen. Das ist nicht so selbstlos, wie es sich anhört. Für die USA geht es offensichtlich darum, „eine unbeabsichtigte Eskalation oder Ausweitung des Krieges zu verhindern“(10), die aufgrund des NATO-Beistandspaktes zu einem unkalkulierbaren Risiko auch für die USA werden könnte.

Stattdessen geht aus dem Dokument hervor, dass man ein starkes Europa will, dass sich selbst verteidigen kann. In diese Richtung gingen auch Trumps Forderungen gegenüber den Europäern nach der Erhöhung der Verteidigungsleistungen auf fünf Prozent des BIP. Die Amerikaner scheinen nicht nur die Verteidigungskosten der NATO immer weniger tragen zu wollen. Vielmehr erweckt das Papier auch den Eindruck, dass sie sich ganz aus der Verteidigung Europas zurückziehen wollen, um diese den Europäern selbst zu überlassen. Vermutlich befürchtet man, in den oben bereits erwähnten Konflikt zwischen dem NATO-Europa und Russland hingezogen zu werden.

Denn die Trump-Regierung scheint es leid zu sein, sich immer wieder mit der unnachgiebigen Haltung der europäischen Führungen gegenüber diplomatischen Fortschritten beschäftigen zu müssen. Die Kriegsgefahr ist hoch, denn es seien die europäischen „Beziehungen zu Russland inzwischen stark belastet, und viele Europäer betrachten Russland als existenzielle Bedrohung.“(11) Da braut sich aus Sicht der USA etwas zusammen, in das sie nicht hineingezogen werden wollen, weil sie auch diese Bedrohung für sich selbst so nicht sehen. Denn Trump will Frieden, um mit Russland und der Ukraine Geschäfte machen zu können, wohingegen die europäischen Verantwortungsträger „unrealistische Erwartungen in Bezug auf den Krieg hegen“.(12)

Fluch der Wirklichkeit 

Dass die USA die Europäische Union zerschlagen wollen, wie die FAZ phantasiert, geht aus dem Dokument nicht hervor. Ganz im Gegenteil „bleibt Europa für die Vereinigten Staaten strategisch und kulturell von entscheidender Bedeutung.“(13) Und „der transatlantische Handel [gilt] weiterhin als eine der tragenden Säulen der Weltwirtschaft und des amerikanischen Wohlstands“(14). In dem bissigen Kommentar der FAZ spiegelt sich eher Ärger darüber, dass den Missionaren der Demokratie nun vom großen Lehrmeister die Lautsprecher abgedreht wurden. Ob es bei den papiernen Erklärungen dieses Dokuments bleibt, wird sich zeigen.

Von Trumps Friedensliebe, die er in der Ukraine immer wieder zur Schau stellt, ist gegenüber Venezuela nichts zu erkennen. Die Doktrin selbst offenbart das Weltbild der Trump-Regierung und das von Teilen der MAGA-Bewegung. Es sind in erster Linie Willenserklärungen auf der Basis eigener Wunschvorstellungen und Interessen. Ob diese der Wirklichkeit in der Welt entsprechen, wird die Entwicklung zeigen. Aber auffällig ist, dass die USA ihren Anspruch auf die Weltherrschaft gegenüber der Bush- und Obama-Ära zurückgestutzt haben. Man konzentriert sich auf Südamerika, und die Angriffe auf Venezuela scheinen der Auftakt dazu zu sein. Auf dessen Reichtümer man glaubt, einen gottgegebenen Anspruch zu haben.

Südamerika liegt vor der Haustür, die Entfernungen sind kürzer, und man sieht sich keinen gleichstarken Rivalen gegenüber – anders als Russland und China. Im eigenen Hinterhof will man es mit China aufnehmen. Der Zollstreit mit der Volksrepublik und deren Machtdemonstration bei den Seltenen Erden hat gezeigt, dass man mit den Chinesen auszukommen versuchen muss. Mit Russland will man sich einigen, um mit ihm ins Geschäft kommen zu können. Zu mehr scheint die USA derzeit nicht in der Lage zu sein. Findet sie sich mit dem eigenen Machtverlust ab, oder will man die eigene Vorherrschaft nur auf anderen Wegen wiedererlangen? Das ist derzeit noch nicht klar erkennbar.

Quellen und Anmerkungen

(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 8.12.205 Kalte Dusche für Europa

(2) Make America Great Again

(3) FAZ 9.12.2025 Den Widerstand innerhalb der europäischen Staaten stärken

(4) FAZ 15.12.2025 Auf Deutschland kommt es an

(5) FAZ 16.12.2025 Papiergarantien genügen nicht

(6) FAZ 13.12.2025 Trumps Handbuch der Subversion

(7) FAZ 8.12.2025 Kalte Dusche für Europa

(8) FAZ 9.12.2025 aus Neue Züricher Zeitung: Dieses Amerika ist kein Freund Europas mehr

(9, 10, 11, 12, 13, 14) FAZ 9.12.2025 Den Widerstand innerhalb der europäischen Staaten stärken

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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Label "Made in USA"
Bildquelle: Anton Gvozdikov / shutterstock


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